Die Flucht der Ameisen
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Flucht der Ameisen von Ulrich C. Schreiber
LESEPROBE
Aus dem Hauptkrater stieg eineschwarze Staubwolke auf. Sie quoll mehr und mehr in die Höhe. Im Zentrumschossen neue Wolken mit grösserer Geschwindigkeit durch die ersten Anwallungen,und es baute sich nach und nach eine immer höhere Säule aus Asche, Lavafetzen und Wasserdampf auf. Aus den unteren, fastschwarzen Wolkenklumpen flogen grosse Blöcke und landeten auf dem tieferenAbhang in der Asche. Dort rissen sie wie Kanonenkugeln lang gezogene Löcher undrollten weiter, bis sie den Schwung verloren hatten.
»Alles in Deckung!«, schrienalle wild durcheinander.
Die Alarmsirenen gingen los.
»Nehmt mich mit!«, brüllte der Sprengmeister in Panik.»Das könnte ganz schlimm werden.«
Die Geologen und Vulkanologen hatten die Arbeitsteams in Vorbereitungskursenmit den Gefahren des Vulkans vertraut gemacht. Alle wussten, dass man sich voreiner hohen Eruptionssäule besonders in Acht nehmen musste.
»Der Schwung, mit dem die Teilchen in die Luft geschleudert werden, lässtirgendwann nach, und dann dreht sich die Bewegung um. Von diesem Moment ansackt die Säule in sich zusammen«, hatte Röttgen eindringlich dem Heer derArbeiter und Helfer erklärt. »Die Masse fliesst wie zu Beginn im Brohltal alsGlutlawine den Hang hinunter und überrollt alles, was im Wege steht. Besondersgefährlich ist die heisse Luft, die noch weit ausserhalb des Stromes die Lungenverglüht und zum Erstickungstod führen kann.«
Der Glutwolkenstrom wälzte sich nach Norden in Richtung Rheintal. SeineHauptmasse drang etwas oberhalb der Werth in das Flussbett vor und bewegte sichweiter flussabwärts. Das Wasser, das durch die Kanalisation gedrückt wurde,hatte einen kleinen Bach im fast ausgetrockneten Rheinbett gebildet. Aber eswar genug, um beim Kontakt mit der heissen Masse zu Dampf zu explodieren.
Schnell wurde deutlich, dass die Sprengung den meisten Arbeitern das Lebengerettet hatte. Sie waren rechtzeitig in die aufgestelltenSicherheitsunterkünfte geflüchtet, die sie kurz nach der Sprengung verlassenwollten. Auch die Gruppe der Fahrer für das Tunnelprojekt hatte mit ihrenFahrzeugen weit genug vom Strom fliehen können. Die irrtümliche Flucht nach derSprengung hatte ihnen den entscheidenden Vorsprung verschafft.
Nur im Unterlauf des Stromes konnten viele die Gefahr nicht früh genugerkennen. In den Unterständen aus Stahl, die nur vor Steinschlag schützen,wurden sie regelrecht verkohlt. Die meisten Opfer waren unter denPressevertretern zu beklagen. Sie waren zahlreich zur ersten grossen Sprengungangereist und hatten sich in vermeintlich sicherem Abstand unten am Rhein inStellung gebracht.
Der Glutwolkenstrom kam erst in Höhe der Ortschaft Brohlzur Ruhe. Die Aschewolken waren die Hänge und kleinen Seitentäler emporgequollen und hatten eine Spur der Verwüstunghinterlassen. Ein Grossteil der Häuser in Hammerstein, am südlichen Rand von Brohl und im rechtsrheinisch gelegenen Rheinbrohl fielen dem Feuer zum Opfer. Die Bäume an den Hängenbrannten, und über dem gesamten Gebiet schneite es schwarzgraue Asche. Die Luftwar kaum noch zu atmen. Schwefel und feinste Partikel drangen durch alle Ritzender Tücher, die sich die Helfer vor den Mund hielten.
Gerhard hielt sich mit dem Organisationsteam weit oberhalb der Steilkante imsicheren Lagezentrum auf, als der Ausbruch kam. Die Vorwarnzeit dergeophysikalischen Messgeräte war zu knapp gewesen. Die Sprengung kurz vorherhatte die Anzeichen für ein Aufbrechen des Vulkanschlotes vollständigüberlagert. Vielleicht war die Sprengung sogar der Anstoss für den Ausbruchgewesen.
»Wir müssen zu unseren Leuten auf der Werth«, sagte Horstkotte,der Leiter der Baumassnahmen besorgt zu Berger, seinem Stellvertreter. »SchauenSie zuerst nach, was aus ihnen geworden ist.«
»Ich komme mit! Hier kann ich jetzt nicht viel helfen«, rief Gerhard und folgteBerger.
Im Hintergrund liefen die Telefone heiss. Von oberster Stelle wurde eineLagebesprechung mit allen Leitern der Hilfsorganisationen einberufen. Horstkotte sollte sofort einen Bericht über die Situationan der Baustelle abgeben.
Schon von weitem sah Gerhard die Fahrer von der Werth hinter dem Felsvorsprungam Rand der Hauptterrasse stehen.
»Gott sei Dank! Die sind wenigstens da unten rausgekommen«,sagte Berger erleichtert zu Gerhard.
Sie wussten noch nicht, welcher Umstand dazu geführt hatte.
Berger musste immer wieder die Gesteinsmassen umfahren, die von der Sprengungweit verstreut worden waren. Endlich hatten sie den Trupp erreicht.
»Bin ich froh, Sie hier zu sehen! Wo sind denn die anderen?«,begrüsste Gerhard die Mannschaft. Er hatte ein schlechtes Gefühl, schon seitAnstich des Tunnels. Ihm war bewusst, dass seine Nerven bei jedem Vorfallsofort blank liegen würden.
»Mann, haben wir die Schnauze voll!«, raunzte derFahrer aus dem Radlader die beiden an. »Erst dieser Schreck mit der Sprengung,die wir erst mitgekriegt haben, als es schon rummste.Und dann so was!« Er deutete mit dem Daumen über die Schulter ins Tal.
»Aber letztlich war es gut, dass wir das mit der Sprengung nicht wussten«, warfsein Kollege ein, der immer noch ganz bleich war. »Sonst würden wir nämlich daunten festsitzen. Als Backobst, genauso wie die anderen.«
»Hat es die erwischt?«, fragte Gerhard bestürzt.
»Wissen wir nicht. Die sind nach dem Schreck mit der Sprengung in den Containergerannt. Die haben bis jetzt nicht gerafft, dass das von euch kam. Und dannhaben wir von hier oben gesehen, wie ein Teil von diesem Glutzeug in Richtungunserer Baustelle abgebogen ist.«
»Schnell!«, rief Berger. »Unsere Jungs sitzen da untenin der Scheisse. Los Leute, wir brauchen eure Radlader!«
Der Blick zum Vulkan liess hoffen, dass das Schlimmste vorbei war. Nur ab und zuwaren kleinere Ascheeruptionen zu sehen. Gemeinsam fuhren sie ins Tal, bis zumPunkt, wo sie die Stahlseile vermuteten. Die Asche lag hier so hoch, dass siefast an Winter und frischen Schneefall erinnerte, allerdings in der grauenVersion. Tiefer im Tal ging die Aschenlage in den Glutwolkenstrom über, der ander gewellten Oberfläche zu erkennen war. Der Container schaute noch zur Hälfteaus der Asche heraus. Weiter stromabwärts dampften die abgelagerten Massen in vielgrösserer Mächtigkeit vor sich hin. Immer wieder rissen WasserdampfexplosionenKrater in der Aschedecke auf. Berger hantierte mit einem Funkgerät undversuchte den Container zu erreichen.
»Was ist mit der Verbindung?«, fragte Gerhard.
»Die ist tot!«
»Ich glaube, wenn der Container weiter unten stehen würde, müssten wir garnicht erst versuchen, sie rauszuholen«, sagte Gerhard. »Aber so hatten sie einegute Überlebenschance.«
Nach kurzer Suche hatten sie die zwei Seile gefunden und an den Ladernbefestigt.
»Jetzt fahrt mir bloss langsam an, damit die sich keinen dritten Herzinfarktholen!«, wies Berger die beiden Fahrer an. »Zuerstzieht ihr einmal straff, dann geben wir mit Schlägen auf das Seil ein Signal,damit sie Bescheid wissen.«
Langsam setzten sich die Radlader in Bewegung. Wie aus einem Schlammteichtauchten die Seile beim Anspannen aus der Asche auf. Sie hinterliessen eineschnurgerade Spur in der lockeren Masse. Mit einem grossen Schraubenschlüsselhämmerte Berger auf das vordere Seil - zwei Takte Walzer.
»Das kann nicht vom Steinschlag kommen«, sagte er grinsend. »Das ist Musik!«
»Moment!«, schrie jemand von weiter oben. »Wir müssendas festhalten, für den Rest der Bevölkerung!« Ineiner grossen Staubwolke kam ein Kameramann den Weg heruntergesprintet und bautesich neben Gerhard auf.
»Wie wollen Sie das den Insassen da unten im Römertopf klar machen?«, ärgerte sich Gerhard und gab ein Zeichen, dass eslosgehen konnte.
Die Reifen der Lader drehten kurz auf dem lockeren Untergrund durch. Danngriffen sie. Der Container neigte sich langsam in Richtung der Seile.
»Gleich legt er sich auf die Seite. Die täten jetzt gut daran, wenn sie einenSchritt in die richtige Richtung machen.« Gerhardstellte sich vor, er wäre dort unten gefangen.
»Leute, geht zur Seite! Wenn das Seil reisst, gibt es hier Tote!«, brüllte Berger die Neugierigen und Helfer an, die zumSchauplatz geströmt waren.
© ShayolVerlag
- Autor: Ulrich C. Schreiber
- 2006, 350 Seiten, Masse: 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Shayol Verlag
- ISBN-10: 392612654X
- ISBN-13: 9783926126542
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