Die Erfolgsmasche
Roman
Was tun, wenn man als alleinerziehende Mutter erfolgreich Geschichten schrieb, die plötzlich keiner mehr lesen will? Man wird zum Mann. Auf dem Papier. Und so erfindet sich Sonja in ihrer Not neu.
Unter dem Namen Sebastian Richter schreibt sie...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Erfolgsmasche “
Was tun, wenn man als alleinerziehende Mutter erfolgreich Geschichten schrieb, die plötzlich keiner mehr lesen will? Man wird zum Mann. Auf dem Papier. Und so erfindet sich Sonja in ihrer Not neu.
Unter dem Namen Sebastian Richter schreibt sie nun über das Leben eines treusorgenden Vaters und bekommt Berge von Fanpost.
Eine Erfolgsmasche mit Nebenwirkungen: Als ihr Geheimnis aufzufliegen droht, muss Sonja den ahnungslosen Traummann wohl oder übel suchen.
Klappentext zu „Die Erfolgsmasche “
Männer können alles - Frauen können's besserWas tun, wenn man als alleinerziehende Mutter erfolgreich Geschichten schrieb, die plötzlich keiner mehr lesen will? Man wird zum Mann. Auf dem Papier. Und so erfindet sich Sonja in ihrer Not neu. Unter dem Namen Sebastian Richter schreibt sie nun über das Leben eines treusorgenden Vaters und bekommt Berge von Fanpost. Eine Erfolgsmasche mit Nebenwirkungen: Als ihr Geheimnis aufzufliegen droht, muss Sonja den ahnungslosen Traummann wohl oder übel suchen ...
Lese-Probe zu „Die Erfolgsmasche “
Die Erfolgsmasche von Hera Lind1
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Nebenan unter der Dachrinne klebt ein altes verlassenes Vogelnest. Letzten Sommer wohnte darin eine Taubenfamilie.
Die Taubenmutter war genauso alleinerziehend wie ich. Sie stolzierte hektisch gurrend auf und ab und brachte Futter, während die Küken sich im Nest laut tschilpend zusammendrängten und gierig ihre Schnäbel aufsperrten. War die Taubenmutter ausgefl ogen, war richtig was los in der Dachrinne! Da flogen bei den dicken, flauschigen Küken buchstäblich die Fetzen. Genau wie bei uns.
Jetzt ist die Dachrinne verlassen und vereist. Was wohl aus der Taubenfamilie geworden ist? Ob aus den Küken anständige, rechtschaffene Tauben geworden sind? Ob die Mutter an einem Nervenzusammenbruch verendet ist?
Mein Blick wandert wieder zu meinem neuen Computer. An dem arbeite ich, um meine Kinder satt zu kriegen. Und in dem ist der Wurm drin. Denn mein soeben verfasster Text ist unauffi ndbar verschwunden. Los! Gib mir meinen schönen Text wieder! Ich hacke wütend auf die Tastatur ein.
Wie die Taube auf den Wurm.
Dieses Teil namens »Äppel« will mich einfach nur in den Wahnsinn treiben! Aber meinen früheren Lebensabschnittsgefährten Jochen würde es sicherlich schwer beeindrucken. Mich verwirren die vielen bunten Symbole, die da unten am Bildschirmrand herumtanzen und mit mir spielen wollen.
Aber ich will nicht spielen. Ich will meine Kolumnen schrei ben. Das ist mein Job. Das ist mein Wurm.
Hatte ich früher Probleme mit der Technik, hat Jochen mich immer ausgelacht: »Mensch, Sonja! Das kann doch jeder mit einem normalen IQ!« Tja. Danke, Jochen. Bei einem »normalen Intelligenzquotienten« habe ich offensichtlich nicht »Hier!« geschrien. Da hielt ich mich lieber in der Abteilung »Lebensfreude« und »Optimismus« auf. »Naivität« und »Gutgläubigkeit« gab's gratis obendrauf, und bei »Fantasie« habe ich den Ausgang fast gar nicht mehr gefunden. Während Jochen sich gleich dreimal in der Schlange »Überdurchschnittliche Intelligenz« vorgedrängelt hat, habe ich offensichtlich rein gar nichts kapiert. Sein Computerwissen und seine Technikvernarrtheit haben ihm allerdings jegliches Gespür für die Schönheit des wahren Lebens genommen. Bei »Lebenslust« und »Humor« gingen gerade die Rollgitter runter, als er endlich mit seinen Tüten voller »Logisches Denken« angerannt kam. Er schützt sich und seine verschüttete Seele genau wie seine vielen Apparate mit Alarmanlagen, kleinen Kameras und Virus-Schutz-Programmen, die sich allerdings gern gegenseitig austricksen und lahmlegen. Und merkt dabei gar nicht, wie das wirkliche Leben an ihm vorbeizieht, ohne ihn mitzunehmen.
Dasselbe habe ich übrigens auch gemacht. Ich bin irgendwann auch an ihm vorbeigezogen, ohne ihn mitzunehmen.
Jetzt lebe ich schon seit Jahren in einer Mietwohnung im vierten Stock, mitten in der traumhaften Altstadt Salzburgs, und fühle mich so frei und glücklich wie in meiner Studentenzeit, als ich hier am Mozarteum einen Sommerkurs absolvierte.
Mittlerweile habe ich, wie gesagt, Kinder, halte die Klappe und schreibe Kolumnen. Für ein nettes deutsches Hausfrauenblatt.
Ich weiß, es gibt Tolleres. Aber ich ernähre meine Familie damit. Genau wie die Taubenmutter im letzten Sommer auf dem Nachbardach kämpfe ich tapfer um unser täglich Brot.
Mein ältester Sohn Alex steht gerade kurz vor dem Abitur, was ihn nicht daran hindert, jede Nacht auszufl iegen und erst am nächsten Morgen wieder heimzukommen. Er genießt das Leben, ist ein fantastischer Golfer und Skifahrer, höchst beliebt bei der Damenwelt und konsumiert neben seinem hochprozentigen Lernstoff auch noch viel hochprozentigen Alkohol. Offensichtlich bekommt er beides in seinem Kopf unter, denn sein Notendurchschnitt liegt bei Einskommairgendwas. Er will Golfer, Skispringer oder Gynäkologe werden.
Meine vierzehnjährige Tochter Greta besucht das Gymnasium mit dem Schwerpunkt bildende Kunst. Sie hat mir einen Klon von sich angeschleppt: ihre beste Freundin Toni, die genauso aussieht, sich genauso anzieht und sich genauso benimmt wie Greta, nämlich pubertär. Und das ist eine echte Herausforderung für mich: zwei Mädels, die mir die Wimperntusche klauen, in meinen Pumps herumstöckeln und sich stundenlang im Badezimmer einschließen. Sie haben rund um die Uhr ihr Handy am Ohr und gurren ununterbrochen vor sich hin. Oft denke ich naiv, sie sprechen mit mir, aber sie sprechen mit ihrem Handy.
Anfangs hieß es noch: »Mama, darf die Toni heute bei uns übernachten?«, und ich sagte stets gütig nickend: »Aber ja, liebe Kinder! Wenn es euch Freude macht und Tonis Mama nichts dagegen hat.« Tonis Mama hatte nichts dagegen. Jedenfalls nicht in den letzten zwei Jahren. Manchmal frage ich mich, ob es Tonis Mama überhaupt gibt. Greta steckte mir einmal, die Eltern hätten Stress und wären total verspannt. Sie würden sich scheiden lassen und die arme Toni schlagen, und da wollte ich nicht weiter in das Kind dringen.
Irgendwann blieb Toni einfach. Ich wasche ihre Wäsche mit und füttere sie durch. Und wenn ich mir die Dachrinne da drüben so anschaue, frage ich mich, ob eines der Taubenkinder vielleicht ein Kuckuckskind war. Wir haben uns alle an Toni gewöhnt, sie gehört einfach zur Familie. Auch wenn sie so gut wie nie mit mir redet. Vielleicht ist sie einfach nur schüchtern.
Ihre Eltern vertrauen mir offensichtlich blind und glauben, dass ich mit ihrer Tochter alles richtig mache. Wie man heutzutage als Mutter alles richtig macht, erfährt man rein theoretisch aus Erziehungsratgebern. Aber meiner Erfahrung nach lauten die Spielregeln für Mütter von heute einfach nur: Klappe halten, einkaufen, aufräumen und nicht nerven.
Meine beiden Kinder und das Kuckuckskind sind jedenfalls zufrieden, zumindest ist mir nichts Gegenteiliges bekannt. Toni taumelt morgens genauso grußlos und verschlafen an mir vorbei wie meine eigene Tochter. Auch sie vergisst absichtlich das Pausenbrot, lässt sich lustlos zur Schule fahren und knallt wortlos die Autotür hinter sich zu, wenn wir dort angekommen sind. Nach dem Unterricht wirft sie übellaunig ihre Schultasche auf die Küchenbank, verschlingt ihr Mittagessen und äußert sich unfl ätig über ihre Lehrer und Lehrerinnen - genau wie Greta. Dann aber entspannen sich die runden Mädchengesichter unter ihrer Schminke. Die zahnspangenbewehrten Münder fangen an zu lästern und natürlich zu telefonieren. Man denkt, das Kind führt eine Gabel zum Mund, aber es ist das Handy. Bald danach füllt sich unsere Küche mit einheitlich gekleideten Jugendlichen - die Jungs mit halb heruntergerutschter Hose, die nur ein Drittel ihres bunten Slips verdeckt. Vermutlich jene Jungs, mit denen vorher am Handy noch wild konferiert wurde.
Es scheint sich irgendwie herumgesprochen zu haben, dass Gretas Mama zwar eine Deutsche, aber irgendwie »cool« ist, dass ihr Kühlschrank immer voll ist und man in ihrer zentral gelegenen Wohnung prima abhängen kann. Bei uns geht es zu wie im Taubenschlag. Unwillkürlich muss ich lächeln, als ich wieder aus dem Fenster schaue.
Bis auf meinen nicht vorhandenen Sinn für Technik und meine chaotische Art und Weise, den Alltag zu bewältigen, komme ich eigentlich gut zurecht. Der Österreicher würde die Gesamtsituation mit einer einzigen Silbe beschreiben: »Passt.«
Die Kinder reden zwar nicht mit mir, aber ich habe das Gefühl, dass sie glücklich sind. Sie sind hier in Salzburg aufgewachsen und sprechen die hiesige Mundart. Miteinander. Mit mir sprechen sie, falls überhaupt, hochdeutsch. Nicht aus Rücksicht, sondern um mir eindeutig zu verstehen zu geben, dass ich nicht dazugehöre. Ich werde geduldet, mehr nicht. Ich selbst stamme aus einem der finstersten deutschen Spießerfl ecken - sagen wir vage aus der Nähe von Paderborn (Gott erschuf in seinem Zorn ... ) - und schäme mich immer noch meiner peinlich-platten Touristensprache, wenn ich hier einkaufen gehe. Am härtesten trifft es mich, wenn ich mich beim Metzger Erlach in der Linzer Gasse extra bemühe und »zwanzig Deka Faschiertes« bestelle, gefolgt von »geh hearst, gib ma no a Sackerl«, und die Verkäuferin mir dann beim Überreichen der Tüte (!) noch einen schönen Urlaub wünscht. Nach solchen Erlebnissen trolle ich mich frustriert unters Dach, wo ich mir und meinen Kindern ein Nest gebaut habe, und hacke wieder auf meiner Computertastatur herum.
Doch dieser angebissene Apfel macht mir klar: Mein IQ ist eindeutig unterdurchschnittlich. Wahrscheinlich sollte ich mehr Äpfel essen. Ungeduldig irre ich mit der Maus über den Bildschirm und fühle mich von dem Äppel veräppelt. Er will mir einfach nicht gehorchen.
Männer wie Jochen würden sich vor Begeisterung über den riesigen Flachbildschirm, in dem die gesamte Technik untergebracht ist, gar nicht mehr einkriegen. Der Begriff »fl ach« ist irgendwie total wichtig für Männer. Jedenfalls wenn es um Bildschirme geht. Oder um Handys. Die können gar nicht platt genug sein. Bei Frauen ist das natürlich wieder etwas ganz anderes. Werde eine aus den Männern schlau!
»Tief liegen« ist ja auch sehr wichtig. Aber nur bei Autos.
Oder »Sound«. Wenn ein Auto so richtig aufheult, sind Männer begeistert. Macht eine Frau das gleiche Geräusch, packen sie ihre Sachen und hauen ab.
Meinen Alten hatte ich so gut im Griff. Den Computer, meine ich. Jochen überhaupt nicht. Aber darüber will ich mich jetzt nicht mehr ärgern. Mein ganzes Ärger-Potenzial ist schon verbraucht. Es ist für diesen ungehorsamen, frechen Computer draufgegangen.
2
In meiner Verzweiflung beschließe ich, mir einen Mann kommen zu lassen.
In meine Wohnung. Ehrlich, so was tue ich sonst nie. Ich meine, so tief bin ich noch nicht gesunken. Dass ich mir bei der Notrufhotline einen Mann bestelle.
Dabei will ich nur meinen Text wiederfinden! Meinen schönen Text, den ich soeben mit viel Herzblut und Liebe geschrieben habe! Wo ist er bloß hin? Eine einzige falsche Bewegung mit dem kleinen Finger der linken Hand, und Äppel hat meinen originellen Erguss mit einem schadenfrohen Pfeifen weggefegt. Ich bin kurz vor dem Heulen. In die Ecke, Besen, Besen! Los, alter Hexenmeister! Komm sofort her und gebiete diesem Schalk Einhalt!
Ich tippe ein: »Mann kommen lassen!«
Äppel bietet mir fröhlich blinkend kurzerhand an, die »Partnersuche zu starten«. Nein, nein. Jetzt nicht! Hach! Hinweg! Ungefragt erscheint jedoch das Bild eines hübschen Kerls in Sportklamotten: Architekt, Ende dreißig, joggt gern, einfühlsam.
Ich klicke ihn weg. Einfühlsame, joggende Männer sind sowieso schwul.
Dann heißt es: »Wassermänner strotzen vor Ideen!« Aber ich will keinen ideenstrotzenden Wassermann. Ich will einen Mann, der mir meinen übermütigen Äppel zur Räson bringt. So eine Art Supernanny für schlecht erzogene Computer. Doch der ist gerade erst in Fahrt geraten und bietet mir immer neue Männerbekanntschaften an.
Ich fühle mich irgendwie beobachtet. Da sitzt doch einer drin, der mich heimlich filmt und sich über mich kaputtlacht!
Panisch hacke ich erneut auf verschiedene Tasten ein. Äppel bietet mir zum Trost an, meine alten Klassenkameraden wiederzufi nden. Nee, Alter, lass gut sein. Wenn ich nur an Rainer Wallaschek denke mit den verfi lzten Haaren überm Parka. Lass den mal schön in seiner Höhle. Oder Tilman Zakowski. Obwohl der ganz süß war, eigentlich. Als ich schon erwäge, Tilman Zakowski zu kontaktieren, um ihn zu fragen, ob er etwas von Computern versteht, taucht irgendein weiblicher C-Promi auf, daneben die Botschaft: »Haarausfall muss nicht sein. Mit dem Haaraktivator stieg meine Haardichte um 83 Prozent in 16 Wochen.«
Danke. Jetzt bin ich mir SICHER, dass da ein Auge drin ist. Bei »Haare« habe ich nämlich nicht »Hier!« geschrien. Ehrlich! Ich habe den Schalter mit der Aufschrift »Schöne lange dichte Haare« überhaupt nicht gesehen! Wahrscheinlich, weil ich bei »Chaotisches Leben« ziemlich lange angestanden habe.
Ich werde sauer. Ich will meinen alten, mir vertrauten, heiß geliebten alten Computer mit der unmodernen Mattscheibe wiederhaben! Der hat mir gehorcht, aufs Wort! Der machte »Sitz« und »Platz«, sobald ich es wollte. Gut, er war ein wenig unmodern. Und die Tastatur war vorsintfl utlich. Ja, zugegeben, er nahm viel Platz weg und war schon etwas angestaubt. Aber er gehorchte mir! Leider gehorchte er auch den Kindern, was ihn am Ende völlig ruinierte.
Äppel. Bitte. Ich will meinen Text wiederhaben. Mein ungebärdiger neuer Freund hat jedoch schon eine neue Idee, wie ich die Zeit totschlagen kann: »Flirten im Februar! Die besten Partner! Ihre Liebessterne!« Ja, später, Äppel. Ist ja nett gemeint. Bestimmt kannst du aus deinem winzigen versteckten Kamera-Auge sehen, wie verzweifelt ich bin. Ich raufe mir die Haare. Ob ich die Kinder um Hilfe bitten soll? Aber die schlafen noch.
Es ist Sonntag, die vielen tausend Glocken der Salzburger Altstadt scheppern mir blechern um die Ohren und teilen mir auf mittelalterliche Weise mit, dass es gerade erst zehn ist. Um so eine Uhrzeit weckt eine liebende Mutter ihre Kinder nicht.
Trotzdem - hat sich noch nicht herumgesprochen, dass wir im Zeitalter der Armbanduhren leben? Man kann auch völlig lautlos erfahren, wie spät es ist.
Ich wanke in die Küche und schenke mir bereits die fünfte Tasse Kaffee ein. Dann schlurfe ich vorsichtig zurück, um bloß keine Flüssigkeit über meinen neuen Blinkenden zu schütten. Komm, alter Junge, lass uns Freunde sein. Du und ich, wir werden bestimmt ein super Team. Wir werden uns aneinander gewöhnen. Ich mache dir jetzt einen Vorschlag zur Güte: Ich hacke nicht mehr wütend auf dich ein, dafür gibst du mir meinen Text wieder, einverstanden? Ich habe schließlich im Schweiße meines Angesichts schon drei Seiten vollgeschrieben. Viele kreative, muntere Morgenbuchstaben hackte ich in deine Tastatur, und du schlucktest sie brav und kommentarlos. Aber als ich auf »speichern« drückte oder vielleicht auch knapp daneben, flogen sie plötzlich quer über den Bildschirm. Und danach waren sie unauffi ndbar.
Doch Äppel hat einen schlechten Charakter. Er weigert sich, mein Eigentum herauszugeben. Bitte, wenn das so ist - ich weiß mir anders zu helfen. Ich greife hinter mich ins Regal und ziehe das Telefonbuch hervor. Darin finde ich, was ich suche: einen Mann, der etwas von Computern versteht. Ich rufe ihn an, und er verspricht so bald wie möglich herzukommen.
Den Äppel scheint das nicht zu schrecken: »Anlageberater von Quizshowgewinnerin erhängte sich!«, teilt er mir sensationslüstern mit. »Mehr« bietet er blinkend an.
Meine Stimmung ist inzwischen auf dem Nullpunkt angelangt. Diese Reizüberfl utung! Wie kriegen andere das bloß hin? Man wird ja ständig abgelenkt! Die Zeit vergeht, und mir qualmt der Schädel, als der Computer mich auffordert: »Klicken Sie hier, und erfahren Sie, wie Sie Ihren Mundgeruch auf natürlichem Weg beseitigen!« Woher will er wissen ... Habe ich etwa ... Ich hauche mir auf die Hand. Ich habe doch vorhin erst Zähne geputzt. Aber Äppel will nur spielen. »Glück zu zweit! Attraktive Singles in Ihrer Nähe!«
Es klopft. Wie aufs Stichwort. Hat Äppel schon einen attraktiven Single in meiner Nähe für mich aufgespürt? Zuzutrauen wäre es ihm.
Nein, es ist der Computermensch. Von der Firma Compact Contact. »Bin ich hier richtig bei Rheinfall?«
»Ja. Treten Sie näher.« Ich flüstere automatisch, weil die Kinder immer noch schlafen. Einladend halte ich ihm die Wohnungstür auf und lege den Finger auf die Lippen.
Er murmelt erschrocken seinen Namen, den ich nicht verstehe. Der recht große, sympathisch wirkende Mann um die Ende dreißig ist trotz der Minustemperaturen, die schon seit Wochen herrschen, mit dem Fahrrad da und streift sich artig die Schuhe ab.
»Ich habe auf die Klingel gedrückt, aber nichts gehört.« »Die ist abgestellt. Wenn schon die Glocken andauernd läuten, muss es nicht auch noch an der Wohnungstür klingeln.«
Der Computertyp enthält sich höfl icherweise jeglichen Kommentars. Andere Gäste, die mich zum ersten Mal besuchen und minutenlang vergeblich auf die Klingel drücken, sagen Sachen wie: »Ja, dazu sind Klingeln schließlich da - dass man sie abstellt.« Wenn die wüssten, wie recht sie haben! Wenn ich nur die Glocken abstellen könnte.
Der Computerexperte kommt sofort zum Thema: »Wo brennt's denn?«
Erleichtert führe ich den Menschen, der sich nun auf schüchternes Nachfragen hin als Siegfried vorstellt, in mein Arbeitszimmer. Siegfried trägt eine Brille, die sofort beschlägt. Er nimmt sie ab und schaut mich aus sehr braunen Augen fragend an.
»Ähm ja, also, ich habe einen neuen Computer, und der macht mit mir, was er will«, stammle ich kleinlaut und wundere mich über meine Verlegenheit. Wofür schäme ich mich eigentlich? Für meine mangelnde Technikbegabung natürlich.
Siegfried entledigt sich seines dunkelblauen Tuchmantels und sieht sich suchend um.
»Geben Sie her.« Ich nehme das teure Stück entgegen. Da wir in unserer Wohnung keine Garderobe haben, jedenfalls keine, die nicht schon aus allen Nähten platzt, hänge ich das schwere Gewand meines neuen Hausfreundes mit einem Bügel an die Tür des Gästeklos.
Siegfried hat inzwischen meinen Äppel, der so tut, als könnte er kein Wässerchen trüben, auf dem Schreibtisch entdeckt. Seine Augen leuchten.
»Das ist ja das allerneueste Modell!« Er reibt sich die eiskalten Hände.
Klar, der arme Mann. Bei minus siebzehn Grad Fahrrad fahren. Durch Eis und Schnee. Wenn ich der Adresse aus den Gelben Seiten Glauben schenken darf, ist er aus Grödig hierhergestrampelt. Im Schatten des mächtigen Untersbergs. Dass ihn keine Lawine überrollt hat, stimmt mich froh.
Siegfried nimmt auf meinem Stuhl Platz - ich entferne hastig die alte Strickjacke, die ich mir wegen eines akuten Schweißausbruchs vom Leibe gerissen habe - und fuhrwerkt geschäftig mit der Maus herum.
Plötzlich geht alles ganz schnell. Listen und Balken erscheinen, und Äppel ist plötzlich gehorsam und willig und macht einen auf seriös.
»Was wollen Sie denn genau machen?«
»Meinen Text wiederholen. Der ist weg.«
»Wo haben Sie den denn abgespeichert?«
»Das frage ich Sie!«
Siegfried fummelt wieder mit der Maus herum, und plötzlich ... Hurra! Der Text!
»Ist er das?«
»Ja! Wo haben Sie den nur gefunden?«
»Unter DOCX.« Siegfried zeigt auf ein Symbol in der unteren Leiste. Es sieht aus wie ein Ordner, in dem einige eselsohrige Blätter stecken. Dieser Ordner hüpft dienstfertig auf und ab, bis Siegfried »Sitz!« zu ihm sagt. Da stellt er sich wieder tot.
»Mann, ist das alles ausgeklügelt«, versuche ich fröhlich, etwas Konversation zu machen.
Leider macht Siegfried keinerlei Anstalten, meinen witzigen, geistreichen Text über die lustigen Streiche meiner bezaubernden Kinder und deren Klone lesen zu wollen. Schade. Ich würde ihm zu gern den ganzen Text vorlesen. Und ihn damit zum Lachen bringen. Aber mir schwant, dass Siegfried nicht der Typ ist, der sich über so etwas kaputtlachen könnte. Trotzdem: Siegfried flößt mir Mut ein.
Copyright © 2009 sowie dieser Ausgabe 2011 by Diana Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Nebenan unter der Dachrinne klebt ein altes verlassenes Vogelnest. Letzten Sommer wohnte darin eine Taubenfamilie.
Die Taubenmutter war genauso alleinerziehend wie ich. Sie stolzierte hektisch gurrend auf und ab und brachte Futter, während die Küken sich im Nest laut tschilpend zusammendrängten und gierig ihre Schnäbel aufsperrten. War die Taubenmutter ausgefl ogen, war richtig was los in der Dachrinne! Da flogen bei den dicken, flauschigen Küken buchstäblich die Fetzen. Genau wie bei uns.
Jetzt ist die Dachrinne verlassen und vereist. Was wohl aus der Taubenfamilie geworden ist? Ob aus den Küken anständige, rechtschaffene Tauben geworden sind? Ob die Mutter an einem Nervenzusammenbruch verendet ist?
Mein Blick wandert wieder zu meinem neuen Computer. An dem arbeite ich, um meine Kinder satt zu kriegen. Und in dem ist der Wurm drin. Denn mein soeben verfasster Text ist unauffi ndbar verschwunden. Los! Gib mir meinen schönen Text wieder! Ich hacke wütend auf die Tastatur ein.
Wie die Taube auf den Wurm.
Dieses Teil namens »Äppel« will mich einfach nur in den Wahnsinn treiben! Aber meinen früheren Lebensabschnittsgefährten Jochen würde es sicherlich schwer beeindrucken. Mich verwirren die vielen bunten Symbole, die da unten am Bildschirmrand herumtanzen und mit mir spielen wollen.
Aber ich will nicht spielen. Ich will meine Kolumnen schrei ben. Das ist mein Job. Das ist mein Wurm.
Hatte ich früher Probleme mit der Technik, hat Jochen mich immer ausgelacht: »Mensch, Sonja! Das kann doch jeder mit einem normalen IQ!« Tja. Danke, Jochen. Bei einem »normalen Intelligenzquotienten« habe ich offensichtlich nicht »Hier!« geschrien. Da hielt ich mich lieber in der Abteilung »Lebensfreude« und »Optimismus« auf. »Naivität« und »Gutgläubigkeit« gab's gratis obendrauf, und bei »Fantasie« habe ich den Ausgang fast gar nicht mehr gefunden. Während Jochen sich gleich dreimal in der Schlange »Überdurchschnittliche Intelligenz« vorgedrängelt hat, habe ich offensichtlich rein gar nichts kapiert. Sein Computerwissen und seine Technikvernarrtheit haben ihm allerdings jegliches Gespür für die Schönheit des wahren Lebens genommen. Bei »Lebenslust« und »Humor« gingen gerade die Rollgitter runter, als er endlich mit seinen Tüten voller »Logisches Denken« angerannt kam. Er schützt sich und seine verschüttete Seele genau wie seine vielen Apparate mit Alarmanlagen, kleinen Kameras und Virus-Schutz-Programmen, die sich allerdings gern gegenseitig austricksen und lahmlegen. Und merkt dabei gar nicht, wie das wirkliche Leben an ihm vorbeizieht, ohne ihn mitzunehmen.
Dasselbe habe ich übrigens auch gemacht. Ich bin irgendwann auch an ihm vorbeigezogen, ohne ihn mitzunehmen.
Jetzt lebe ich schon seit Jahren in einer Mietwohnung im vierten Stock, mitten in der traumhaften Altstadt Salzburgs, und fühle mich so frei und glücklich wie in meiner Studentenzeit, als ich hier am Mozarteum einen Sommerkurs absolvierte.
Mittlerweile habe ich, wie gesagt, Kinder, halte die Klappe und schreibe Kolumnen. Für ein nettes deutsches Hausfrauenblatt.
Ich weiß, es gibt Tolleres. Aber ich ernähre meine Familie damit. Genau wie die Taubenmutter im letzten Sommer auf dem Nachbardach kämpfe ich tapfer um unser täglich Brot.
Mein ältester Sohn Alex steht gerade kurz vor dem Abitur, was ihn nicht daran hindert, jede Nacht auszufl iegen und erst am nächsten Morgen wieder heimzukommen. Er genießt das Leben, ist ein fantastischer Golfer und Skifahrer, höchst beliebt bei der Damenwelt und konsumiert neben seinem hochprozentigen Lernstoff auch noch viel hochprozentigen Alkohol. Offensichtlich bekommt er beides in seinem Kopf unter, denn sein Notendurchschnitt liegt bei Einskommairgendwas. Er will Golfer, Skispringer oder Gynäkologe werden.
Meine vierzehnjährige Tochter Greta besucht das Gymnasium mit dem Schwerpunkt bildende Kunst. Sie hat mir einen Klon von sich angeschleppt: ihre beste Freundin Toni, die genauso aussieht, sich genauso anzieht und sich genauso benimmt wie Greta, nämlich pubertär. Und das ist eine echte Herausforderung für mich: zwei Mädels, die mir die Wimperntusche klauen, in meinen Pumps herumstöckeln und sich stundenlang im Badezimmer einschließen. Sie haben rund um die Uhr ihr Handy am Ohr und gurren ununterbrochen vor sich hin. Oft denke ich naiv, sie sprechen mit mir, aber sie sprechen mit ihrem Handy.
Anfangs hieß es noch: »Mama, darf die Toni heute bei uns übernachten?«, und ich sagte stets gütig nickend: »Aber ja, liebe Kinder! Wenn es euch Freude macht und Tonis Mama nichts dagegen hat.« Tonis Mama hatte nichts dagegen. Jedenfalls nicht in den letzten zwei Jahren. Manchmal frage ich mich, ob es Tonis Mama überhaupt gibt. Greta steckte mir einmal, die Eltern hätten Stress und wären total verspannt. Sie würden sich scheiden lassen und die arme Toni schlagen, und da wollte ich nicht weiter in das Kind dringen.
Irgendwann blieb Toni einfach. Ich wasche ihre Wäsche mit und füttere sie durch. Und wenn ich mir die Dachrinne da drüben so anschaue, frage ich mich, ob eines der Taubenkinder vielleicht ein Kuckuckskind war. Wir haben uns alle an Toni gewöhnt, sie gehört einfach zur Familie. Auch wenn sie so gut wie nie mit mir redet. Vielleicht ist sie einfach nur schüchtern.
Ihre Eltern vertrauen mir offensichtlich blind und glauben, dass ich mit ihrer Tochter alles richtig mache. Wie man heutzutage als Mutter alles richtig macht, erfährt man rein theoretisch aus Erziehungsratgebern. Aber meiner Erfahrung nach lauten die Spielregeln für Mütter von heute einfach nur: Klappe halten, einkaufen, aufräumen und nicht nerven.
Meine beiden Kinder und das Kuckuckskind sind jedenfalls zufrieden, zumindest ist mir nichts Gegenteiliges bekannt. Toni taumelt morgens genauso grußlos und verschlafen an mir vorbei wie meine eigene Tochter. Auch sie vergisst absichtlich das Pausenbrot, lässt sich lustlos zur Schule fahren und knallt wortlos die Autotür hinter sich zu, wenn wir dort angekommen sind. Nach dem Unterricht wirft sie übellaunig ihre Schultasche auf die Küchenbank, verschlingt ihr Mittagessen und äußert sich unfl ätig über ihre Lehrer und Lehrerinnen - genau wie Greta. Dann aber entspannen sich die runden Mädchengesichter unter ihrer Schminke. Die zahnspangenbewehrten Münder fangen an zu lästern und natürlich zu telefonieren. Man denkt, das Kind führt eine Gabel zum Mund, aber es ist das Handy. Bald danach füllt sich unsere Küche mit einheitlich gekleideten Jugendlichen - die Jungs mit halb heruntergerutschter Hose, die nur ein Drittel ihres bunten Slips verdeckt. Vermutlich jene Jungs, mit denen vorher am Handy noch wild konferiert wurde.
Es scheint sich irgendwie herumgesprochen zu haben, dass Gretas Mama zwar eine Deutsche, aber irgendwie »cool« ist, dass ihr Kühlschrank immer voll ist und man in ihrer zentral gelegenen Wohnung prima abhängen kann. Bei uns geht es zu wie im Taubenschlag. Unwillkürlich muss ich lächeln, als ich wieder aus dem Fenster schaue.
Bis auf meinen nicht vorhandenen Sinn für Technik und meine chaotische Art und Weise, den Alltag zu bewältigen, komme ich eigentlich gut zurecht. Der Österreicher würde die Gesamtsituation mit einer einzigen Silbe beschreiben: »Passt.«
Die Kinder reden zwar nicht mit mir, aber ich habe das Gefühl, dass sie glücklich sind. Sie sind hier in Salzburg aufgewachsen und sprechen die hiesige Mundart. Miteinander. Mit mir sprechen sie, falls überhaupt, hochdeutsch. Nicht aus Rücksicht, sondern um mir eindeutig zu verstehen zu geben, dass ich nicht dazugehöre. Ich werde geduldet, mehr nicht. Ich selbst stamme aus einem der finstersten deutschen Spießerfl ecken - sagen wir vage aus der Nähe von Paderborn (Gott erschuf in seinem Zorn ... ) - und schäme mich immer noch meiner peinlich-platten Touristensprache, wenn ich hier einkaufen gehe. Am härtesten trifft es mich, wenn ich mich beim Metzger Erlach in der Linzer Gasse extra bemühe und »zwanzig Deka Faschiertes« bestelle, gefolgt von »geh hearst, gib ma no a Sackerl«, und die Verkäuferin mir dann beim Überreichen der Tüte (!) noch einen schönen Urlaub wünscht. Nach solchen Erlebnissen trolle ich mich frustriert unters Dach, wo ich mir und meinen Kindern ein Nest gebaut habe, und hacke wieder auf meiner Computertastatur herum.
Doch dieser angebissene Apfel macht mir klar: Mein IQ ist eindeutig unterdurchschnittlich. Wahrscheinlich sollte ich mehr Äpfel essen. Ungeduldig irre ich mit der Maus über den Bildschirm und fühle mich von dem Äppel veräppelt. Er will mir einfach nicht gehorchen.
Männer wie Jochen würden sich vor Begeisterung über den riesigen Flachbildschirm, in dem die gesamte Technik untergebracht ist, gar nicht mehr einkriegen. Der Begriff »fl ach« ist irgendwie total wichtig für Männer. Jedenfalls wenn es um Bildschirme geht. Oder um Handys. Die können gar nicht platt genug sein. Bei Frauen ist das natürlich wieder etwas ganz anderes. Werde eine aus den Männern schlau!
»Tief liegen« ist ja auch sehr wichtig. Aber nur bei Autos.
Oder »Sound«. Wenn ein Auto so richtig aufheult, sind Männer begeistert. Macht eine Frau das gleiche Geräusch, packen sie ihre Sachen und hauen ab.
Meinen Alten hatte ich so gut im Griff. Den Computer, meine ich. Jochen überhaupt nicht. Aber darüber will ich mich jetzt nicht mehr ärgern. Mein ganzes Ärger-Potenzial ist schon verbraucht. Es ist für diesen ungehorsamen, frechen Computer draufgegangen.
2
In meiner Verzweiflung beschließe ich, mir einen Mann kommen zu lassen.
In meine Wohnung. Ehrlich, so was tue ich sonst nie. Ich meine, so tief bin ich noch nicht gesunken. Dass ich mir bei der Notrufhotline einen Mann bestelle.
Dabei will ich nur meinen Text wiederfinden! Meinen schönen Text, den ich soeben mit viel Herzblut und Liebe geschrieben habe! Wo ist er bloß hin? Eine einzige falsche Bewegung mit dem kleinen Finger der linken Hand, und Äppel hat meinen originellen Erguss mit einem schadenfrohen Pfeifen weggefegt. Ich bin kurz vor dem Heulen. In die Ecke, Besen, Besen! Los, alter Hexenmeister! Komm sofort her und gebiete diesem Schalk Einhalt!
Ich tippe ein: »Mann kommen lassen!«
Äppel bietet mir fröhlich blinkend kurzerhand an, die »Partnersuche zu starten«. Nein, nein. Jetzt nicht! Hach! Hinweg! Ungefragt erscheint jedoch das Bild eines hübschen Kerls in Sportklamotten: Architekt, Ende dreißig, joggt gern, einfühlsam.
Ich klicke ihn weg. Einfühlsame, joggende Männer sind sowieso schwul.
Dann heißt es: »Wassermänner strotzen vor Ideen!« Aber ich will keinen ideenstrotzenden Wassermann. Ich will einen Mann, der mir meinen übermütigen Äppel zur Räson bringt. So eine Art Supernanny für schlecht erzogene Computer. Doch der ist gerade erst in Fahrt geraten und bietet mir immer neue Männerbekanntschaften an.
Ich fühle mich irgendwie beobachtet. Da sitzt doch einer drin, der mich heimlich filmt und sich über mich kaputtlacht!
Panisch hacke ich erneut auf verschiedene Tasten ein. Äppel bietet mir zum Trost an, meine alten Klassenkameraden wiederzufi nden. Nee, Alter, lass gut sein. Wenn ich nur an Rainer Wallaschek denke mit den verfi lzten Haaren überm Parka. Lass den mal schön in seiner Höhle. Oder Tilman Zakowski. Obwohl der ganz süß war, eigentlich. Als ich schon erwäge, Tilman Zakowski zu kontaktieren, um ihn zu fragen, ob er etwas von Computern versteht, taucht irgendein weiblicher C-Promi auf, daneben die Botschaft: »Haarausfall muss nicht sein. Mit dem Haaraktivator stieg meine Haardichte um 83 Prozent in 16 Wochen.«
Danke. Jetzt bin ich mir SICHER, dass da ein Auge drin ist. Bei »Haare« habe ich nämlich nicht »Hier!« geschrien. Ehrlich! Ich habe den Schalter mit der Aufschrift »Schöne lange dichte Haare« überhaupt nicht gesehen! Wahrscheinlich, weil ich bei »Chaotisches Leben« ziemlich lange angestanden habe.
Ich werde sauer. Ich will meinen alten, mir vertrauten, heiß geliebten alten Computer mit der unmodernen Mattscheibe wiederhaben! Der hat mir gehorcht, aufs Wort! Der machte »Sitz« und »Platz«, sobald ich es wollte. Gut, er war ein wenig unmodern. Und die Tastatur war vorsintfl utlich. Ja, zugegeben, er nahm viel Platz weg und war schon etwas angestaubt. Aber er gehorchte mir! Leider gehorchte er auch den Kindern, was ihn am Ende völlig ruinierte.
Äppel. Bitte. Ich will meinen Text wiederhaben. Mein ungebärdiger neuer Freund hat jedoch schon eine neue Idee, wie ich die Zeit totschlagen kann: »Flirten im Februar! Die besten Partner! Ihre Liebessterne!« Ja, später, Äppel. Ist ja nett gemeint. Bestimmt kannst du aus deinem winzigen versteckten Kamera-Auge sehen, wie verzweifelt ich bin. Ich raufe mir die Haare. Ob ich die Kinder um Hilfe bitten soll? Aber die schlafen noch.
Es ist Sonntag, die vielen tausend Glocken der Salzburger Altstadt scheppern mir blechern um die Ohren und teilen mir auf mittelalterliche Weise mit, dass es gerade erst zehn ist. Um so eine Uhrzeit weckt eine liebende Mutter ihre Kinder nicht.
Trotzdem - hat sich noch nicht herumgesprochen, dass wir im Zeitalter der Armbanduhren leben? Man kann auch völlig lautlos erfahren, wie spät es ist.
Ich wanke in die Küche und schenke mir bereits die fünfte Tasse Kaffee ein. Dann schlurfe ich vorsichtig zurück, um bloß keine Flüssigkeit über meinen neuen Blinkenden zu schütten. Komm, alter Junge, lass uns Freunde sein. Du und ich, wir werden bestimmt ein super Team. Wir werden uns aneinander gewöhnen. Ich mache dir jetzt einen Vorschlag zur Güte: Ich hacke nicht mehr wütend auf dich ein, dafür gibst du mir meinen Text wieder, einverstanden? Ich habe schließlich im Schweiße meines Angesichts schon drei Seiten vollgeschrieben. Viele kreative, muntere Morgenbuchstaben hackte ich in deine Tastatur, und du schlucktest sie brav und kommentarlos. Aber als ich auf »speichern« drückte oder vielleicht auch knapp daneben, flogen sie plötzlich quer über den Bildschirm. Und danach waren sie unauffi ndbar.
Doch Äppel hat einen schlechten Charakter. Er weigert sich, mein Eigentum herauszugeben. Bitte, wenn das so ist - ich weiß mir anders zu helfen. Ich greife hinter mich ins Regal und ziehe das Telefonbuch hervor. Darin finde ich, was ich suche: einen Mann, der etwas von Computern versteht. Ich rufe ihn an, und er verspricht so bald wie möglich herzukommen.
Den Äppel scheint das nicht zu schrecken: »Anlageberater von Quizshowgewinnerin erhängte sich!«, teilt er mir sensationslüstern mit. »Mehr« bietet er blinkend an.
Meine Stimmung ist inzwischen auf dem Nullpunkt angelangt. Diese Reizüberfl utung! Wie kriegen andere das bloß hin? Man wird ja ständig abgelenkt! Die Zeit vergeht, und mir qualmt der Schädel, als der Computer mich auffordert: »Klicken Sie hier, und erfahren Sie, wie Sie Ihren Mundgeruch auf natürlichem Weg beseitigen!« Woher will er wissen ... Habe ich etwa ... Ich hauche mir auf die Hand. Ich habe doch vorhin erst Zähne geputzt. Aber Äppel will nur spielen. »Glück zu zweit! Attraktive Singles in Ihrer Nähe!«
Es klopft. Wie aufs Stichwort. Hat Äppel schon einen attraktiven Single in meiner Nähe für mich aufgespürt? Zuzutrauen wäre es ihm.
Nein, es ist der Computermensch. Von der Firma Compact Contact. »Bin ich hier richtig bei Rheinfall?«
»Ja. Treten Sie näher.« Ich flüstere automatisch, weil die Kinder immer noch schlafen. Einladend halte ich ihm die Wohnungstür auf und lege den Finger auf die Lippen.
Er murmelt erschrocken seinen Namen, den ich nicht verstehe. Der recht große, sympathisch wirkende Mann um die Ende dreißig ist trotz der Minustemperaturen, die schon seit Wochen herrschen, mit dem Fahrrad da und streift sich artig die Schuhe ab.
»Ich habe auf die Klingel gedrückt, aber nichts gehört.« »Die ist abgestellt. Wenn schon die Glocken andauernd läuten, muss es nicht auch noch an der Wohnungstür klingeln.«
Der Computertyp enthält sich höfl icherweise jeglichen Kommentars. Andere Gäste, die mich zum ersten Mal besuchen und minutenlang vergeblich auf die Klingel drücken, sagen Sachen wie: »Ja, dazu sind Klingeln schließlich da - dass man sie abstellt.« Wenn die wüssten, wie recht sie haben! Wenn ich nur die Glocken abstellen könnte.
Der Computerexperte kommt sofort zum Thema: »Wo brennt's denn?«
Erleichtert führe ich den Menschen, der sich nun auf schüchternes Nachfragen hin als Siegfried vorstellt, in mein Arbeitszimmer. Siegfried trägt eine Brille, die sofort beschlägt. Er nimmt sie ab und schaut mich aus sehr braunen Augen fragend an.
»Ähm ja, also, ich habe einen neuen Computer, und der macht mit mir, was er will«, stammle ich kleinlaut und wundere mich über meine Verlegenheit. Wofür schäme ich mich eigentlich? Für meine mangelnde Technikbegabung natürlich.
Siegfried entledigt sich seines dunkelblauen Tuchmantels und sieht sich suchend um.
»Geben Sie her.« Ich nehme das teure Stück entgegen. Da wir in unserer Wohnung keine Garderobe haben, jedenfalls keine, die nicht schon aus allen Nähten platzt, hänge ich das schwere Gewand meines neuen Hausfreundes mit einem Bügel an die Tür des Gästeklos.
Siegfried hat inzwischen meinen Äppel, der so tut, als könnte er kein Wässerchen trüben, auf dem Schreibtisch entdeckt. Seine Augen leuchten.
»Das ist ja das allerneueste Modell!« Er reibt sich die eiskalten Hände.
Klar, der arme Mann. Bei minus siebzehn Grad Fahrrad fahren. Durch Eis und Schnee. Wenn ich der Adresse aus den Gelben Seiten Glauben schenken darf, ist er aus Grödig hierhergestrampelt. Im Schatten des mächtigen Untersbergs. Dass ihn keine Lawine überrollt hat, stimmt mich froh.
Siegfried nimmt auf meinem Stuhl Platz - ich entferne hastig die alte Strickjacke, die ich mir wegen eines akuten Schweißausbruchs vom Leibe gerissen habe - und fuhrwerkt geschäftig mit der Maus herum.
Plötzlich geht alles ganz schnell. Listen und Balken erscheinen, und Äppel ist plötzlich gehorsam und willig und macht einen auf seriös.
»Was wollen Sie denn genau machen?«
»Meinen Text wiederholen. Der ist weg.«
»Wo haben Sie den denn abgespeichert?«
»Das frage ich Sie!«
Siegfried fummelt wieder mit der Maus herum, und plötzlich ... Hurra! Der Text!
»Ist er das?«
»Ja! Wo haben Sie den nur gefunden?«
»Unter DOCX.« Siegfried zeigt auf ein Symbol in der unteren Leiste. Es sieht aus wie ein Ordner, in dem einige eselsohrige Blätter stecken. Dieser Ordner hüpft dienstfertig auf und ab, bis Siegfried »Sitz!« zu ihm sagt. Da stellt er sich wieder tot.
»Mann, ist das alles ausgeklügelt«, versuche ich fröhlich, etwas Konversation zu machen.
Leider macht Siegfried keinerlei Anstalten, meinen witzigen, geistreichen Text über die lustigen Streiche meiner bezaubernden Kinder und deren Klone lesen zu wollen. Schade. Ich würde ihm zu gern den ganzen Text vorlesen. Und ihn damit zum Lachen bringen. Aber mir schwant, dass Siegfried nicht der Typ ist, der sich über so etwas kaputtlachen könnte. Trotzdem: Siegfried flößt mir Mut ein.
Copyright © 2009 sowie dieser Ausgabe 2011 by Diana Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Hera Lind
Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war Sängerin, bevor sie mit ihren zahlreichen Romanen von " Die Champagner-Diät" bis "Männer sind wie Schuhe" sensationellen Erfolg hatte. Auch mit ihren Tatsachenromanen " Der Mann, der wirklich liebte", "Himmel und Hölle", "Wenn nur dein Lächeln bleibt" und "Gefangen in Afrika" eroberte sie wieder die SPIEGEL-Bestsellerliste. Hera Lind lebt mit ihrer Familie in Salzburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Hera Lind
- 2011, Erstmals im TB, 348 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453355423
- ISBN-13: 9783453355422
- Erscheinungsdatum: 08.06.2011
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