Die andere Seite des Glücks
Roman
Der Debütbestseller der Autorin von 'Das Haus der gefrorenen Träume'
Eine Sommerlektüre, die Sehnsüchte weckt - und am Ende glücklich macht
Ella Beene führt mit ihrem Ehemann Joe und seinen beiden kleinen Kindern ein gutes Leben im traumhaft schönen...
Eine Sommerlektüre, die Sehnsüchte weckt - und am Ende glücklich macht
Ella Beene führt mit ihrem Ehemann Joe und seinen beiden kleinen Kindern ein gutes Leben im traumhaft schönen...
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Produktinformationen zu „Die andere Seite des Glücks “
Klappentext zu „Die andere Seite des Glücks “
Der Debütbestseller der Autorin von 'Das Haus der gefrorenen Träume' Eine Sommerlektüre, die Sehnsüchte weckt - und am Ende glücklich macht
Ella Beene führt mit ihrem Ehemann Joe und seinen beiden kleinen Kindern ein gutes Leben im traumhaft schönen Nordkalifornien. Doch eines Tages verschlingt eine Ozeanwelle ihren Mann und nimmt auch seine Geheimnisse mit sich. Bei Joes Beerdigung erscheint plötzlich seine Exfrau, die ihn und die Kinder verlassen hatte. Für Ella geht es jetzt um alles: die Suche nach der Wahrheit und die Zukunft ihrer Familie.
Lese-Probe zu „Die andere Seite des Glücks “
Die andere Seite des Glücks von Seré Prince Halverson1. Kapitel
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Man wird als glücklicher Mensch geboren, nicht dazu gemacht. Das habe ich neulich in einer Studie gelesen. Glück, hieß es darin, ist nichts weiter als Genetik - ein fröhliches Gen wird fröhlich weitervererbt, von einer lächelnden Generation zur nächsten. Ich kenne das Leben gut genug, um die alten Redensarten, dass man Glück nicht kaufen oder dass ein Mensch einen anderen nicht glücklich machen kann, zu verstehen. Und doch halte ich nichts von der Theorie, dass das persönliche Glück nur so groß sein kann wie der eigene Genpool.
Drei Jahre lang schwelgte ich im Glück.
Meine Seligkeit war augenfällig und oft schrill. Doch manchmal auch zart und leise - Zachs milchiger Atem an meinem Hals, Annies seidiges Haar beim Flechten zwischen meinen Fingern oder Joe, der in der Dusche einen alten Crowded-House-Song trällerte, während ich mir die Zähne putzte. Der beschlagene Spiegel trübte meine Sicht, verschleierte mein Spiegelbild, glättete meine Falten wie ein unscharfes Foto. Doch selbst die hatten mich nicht gestört. Nur wer nicht lächelt, bekommt keine Krähenfüße. Und ich lächelte viel.
Aber jetzt, Jahre danach, weiß ich noch etwas anderes: Auch das größte Glück kann nicht so rein, so tief oder so blind sein.
In den frühen Morgenstunden jenes ersten Sommertages zog Joe mir die Bettdecke vom Kopf und küsste mich auf die Stirn. Ich schlug ein Auge auf. Er hatte sein graues Sweatshirt an, die Kameratasche über der Schulter, und flüsterte mit zahnpasta- und kaffeegeschwängertem Atem, dass er erst nach Bodega fahre und danach den Laden aufmache. Mit dem Finger zeichnete er an der Stelle meines Armes die Sommersprossen nach, wo sie seinen Namen buchstabierten, wie er gern behauptete. Und dass es so viele seien, dass er nicht nur die Buchstaben für Joe sehen könne, sondern seinen vollen Namen: Joseph Anthony Capozzi jr. - alle auf meinem Arm. An diesem Morgen fügte er noch hinzu: »Wow, und junior ist sogar ausgeschrieben.« Er zog mir die Bettdecke wieder über den Kopf. »Du bist ein Phänomen.«
»Und du bist ein Klugscheißer«, sagte ich, schon halb wieder eingedöst. Aber mit einem Lächeln im Gesicht. Wir hatten eine gute Nacht gehabt. Er flüsterte noch, dass er mir eine Nachricht hingelegt habe, und ich hörte ihn aus der Tür gehen, die Verandastufen hinunter. Dann ging die Autotür knarrend auf, der Motor wurde laut und lauter und wieder leiser, verklang langsam. Und schon war er weg.
Später an diesem Morgen kletterten die Kinder kichernd zu mir ins Bett. Zach hob das sonnengesprenkelte Laken hoch und hielt es wie ein Segel über seinen Kopf. Annie ernannte sich wie immer selbst zum Kapitän. Noch vor dem Frühstück brachen wir in fremde Gewässer auf, um uns herum unsichtbare, glitschige Wesen unter der glatten Oberfläche, Ziel unbekannt.
Aneinandergeklammert lagen wir auf dem alten, durchgelegenen Boxspringbett, hatten die alles verändernde Nachricht noch nicht gehört. Wir spielten Schiff.
Die Kinder verkündeten, dass wir einen brenzligen Morgen auf See vor uns hatten, doch ich brauchte einen Kaffee, und zwar dringend. Ich setzte mich auf und warf ihnen über das Segel hinweg einen kurzen Blick zu. Ihr goldblondes Haar war noch vom Schlaf zerzaust. »Ich rudere zur Kücheninsel und besorge Vorräte.«
»Nicht wenn so große Gefahr lauert«, warnte An-nie. Lauert?, dachte ich. Hatte ich dieses Wort mit sechs überhaupt schon gekannt? Annie schoss hoch auf die Füße, die Hände in die Taille gestemmt, und balancierte auf der wackligen Matratze. »Wir könnten dich verlieren.«
Ich stand auf, froh, vor dem Einschlafen letzte Nacht meine Unterwäsche und Joes T-Shirt wieder angezogen zu haben. »Aber wie sollen wir denn ohne Plätzchen im Bauch mit den Piraten fertig werden?«
Die beiden sahen sich an, in den Augen die unausgesprochene Frage: Vor dem Frühstück? Hat sie den Verstand verloren?
Plätzchen vor dem Frühstück ... warum denn nicht? Ich war ein bisschen in Feierlaune, auch wegen des ersten nebelfreien Morgens seit Wochen. Das ganze Haus erstrahlte mit der Rückkehr der verloren geglaubten Sonne, und die Angst, die mich die ganze Zeit bedrückt hatte, war gewichen. Ich nahm das Wasserglas und den Zettel, den Joe darunter gelegt hatte. Die Worte waren vom feuchten Glasabdruck leicht verwischt: Ella Bella, fahre zur Küste, um alles im Bild festzuhalten, und mache dann den Laden auf. Letzte Nacht war wunderbar. Küsse für A & Z. Komm doch später vorbei, wenn ... aber seine letzten Worte verschwammen in Tintenflecken.
Auch mir hatte die Nacht gefallen. Nachdem die Kinder im Bett waren, hatten wir noch lange in der Küche gestanden und geredet, an die Unterschränke gelehnt und er wie stets mit den Händen in den Taschen. Wir hatten uns an die ungefährlichen Themen gehalten: Annie und Zach, das für Sonntag geplante Picknick sowie abstrusen Stadtklatsch, den er im Laden gehört hatte - aber kein Wort über den Laden selbst. Wegen einer Bemerkung von mir hatte er lachend den Kopf zurückgeworfen. Was hatte ich gesagt? Ich erinnerte mich nicht mehr.
Tags zuvor hatten wir gestritten. Neunundfünfzig Jahre nach der Gründung von Capozzi's Market ging es mit dem Laden bergab. Ich wollte, dass Joe es seinem Vater sagte. Joe wollte weiter so tun, als wäre alles in Ordnung. Er konnte sich die Wahrheit kaum selbst eingestehen, geschweige denn seinem Vater von der schlechten Geschäftslage erzählen. Dann, in einem unbedachten Moment, hatte er etwas von einer überfälligen Rechnung gesagt und wie langsam die Inventur voranging, woraufhin ich ausflippte und er sofort zumachte - ein Muster, dem wir seit Monaten verfallen waren. Joe hatte sich vom Schrank abgestoßen, war zu mir gekommen, hatte meine Schultern umfasst und gesagt: »Wir müssen einen Weg finden, über die schwierigen Dinge zu reden.« Ich nickte. Wir waren uns einig, dass es bis vor kurzem kaum schwierige Dinge zu bereden gegeben hatte.
Ich zählte uns zu den Glücklichen. »Annie, Zach. Wir ...« Anstatt in dem Moment das heikle Thema anzugehen, hatte ich ihn geküsst und ins Schlafzimmer geführt.
Ich tat, als ruderte ich durch den engen Flur, machte einen großen Schritt über Zachs Brontosaurus und ein halbfertiges Lego-Schloss hinweg, bis ich außer Sichtweite war. In der Küche flocht ich mein unbändiges rotes Haar im Nacken zu einem Zopf. Unser Haus war ein bisschen wie meine Haare - viel Farbe und Durcheinander. Wir hatten die Wand zwischen Küche und Wohnzimmer herausgerissen, so dass ich von hier aus die deckenhohen Regale sehen konnte, bis obenhin vollgestopft mit Büchern und Pflanzen und diversen Kunstprojekten - unter anderem einem gelb und lila angemalten Eisstiel und einer schiefen Tonvase, auf der mit Makkaroni Herzlichen Glückwunsch zum Muttertag stand. Das M war schon lange abgefallen, aber die Vertiefung noch gut zu sehen. An den wenigen freien Stellen ohne Einbauten oder Fenster hingen patchworkartig Joes gerahmte Schwarzweißfotografien. Eine große Terrassentür führte auf die vordere Veranda und unser Grundstück. Das alte Glas schützte nur wenig vor Kälte, aber wir konnten uns einfach nicht davon trennen - die welligen Scheiben gefielen uns. Es war, als würde man durch einen Wasservorhang auf die Hortensien rund um die Veranda blicken, auf das Lavendelfeld, das bald abgeerntet werden musste, den Hühnerstall, die Brombeerbüsche und die alte, windschiefe Scheune. Die stammte noch aus der Zeit, bevor Großvater Sergio das Land in den dreißiger Jahren gekauft hatte. Und nicht zu vergessen der Gemüsegarten gegenüber der Wiese mit den Redwoods und Eichen, unser Stolz und Glück. Ungefähr einen Morgen groß, lag er über der Hochwassergrenze und größtenteils in der Sonne, und von einer Stelle aus konnte man sogar den Fluss sehen.
Joe und ich gärtnerten gern, und das war nicht zu übersehen. Aber weder wir noch die Kinder schafften es, im Haus Ordnung zu halten. Das störte mich jedoch nicht sonderlich. In meinem früheren Haus - und Leben - war ich extrem ordentlich gewesen, aber auch ernsthaft und leer, weshalb ich die Unordnung als notwendige Begleiterscheinung eines erfüllten Lebens betrachtete.
Ich nahm die Milch aus dem Kühlschrank und heftete Joes Nachricht mit einem Magnet an die Tür. Warum ich sie aufhob, weiß ich nicht; wahrscheinlich wollte ich die Erinnerung an unsere liebevolle Versöhnung der letzten Nacht festhalten, das Ella Bella ...
Ich heiße Ella Beene, was mir, wie man sich leicht vorstellen kann, jede Menge Spitznamen eingebracht hat. Doch der von Joe hat mir sofort am besten gefallen. Ich bin keine Schönheit - zwar auch nicht hässlich, aber nicht annähernd so, wie ich aussehen würde, wenn ich dabei ein Wörtchen hätte mitreden können. Ich habe helle Haut und Sommersprossen, ein passables Gesicht - braune Augen, recht hübsche Lippen -, das besser aussieht, wenn ich daran denke, mich zu schminken, und bin manchen Leuten zu groß und zu dünn. Aber das Beste ist: Joe mochte alles an mir. Das Innen und das Außen, die Zwischenräume, die ganzen ein Meter siebenundsiebzig. Und da alle meine Spitznamen zur jeweiligen Zeit auf mich gepasst hatten, schwelgte ich in diesem: Bella. Das war ich also, fünfunddreißig Jahre alt, schön auf Italienisch und an einem Samstagmorgen dabei, mir einen starken Kaffee und unseren Kindern einen Teller mit Plätzchen und Milch hinzustellen.
»Plätzchen! Wir wollen Plätzchen!« Die Seefahrer hatten das sinkende Schiff verlassen und nahmen sich - mit weit aufgerissenen Augen, als wären sie am Verhungern - die Milch und Haferplätzchen von der Anrichte. Callie, unsere Hündin, eine gelbe LabradorHusky-Mischung, die genau wusste, wie sie dreinschauen musste, um herzzerreißend einsam zu wirken, saß so lange da und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden, bis ich ihr einen Hundekeks gab und sie nach draußen ließ. Ich nippte an meinem Kaffee und sah Annie und Zach zu, wie sie sich schmatzend und reichlich krümelnd die Plätzchen in den Mund stopften. Das Vorbild des Krümelmonsters war das Einzige aus der ansonsten lehrreichen Sesamstraße, worauf ich gern verzichtet hätte.
Da uns die Sonne nach draußen lockte, bat ich die Kinder, sich mit dem Anziehen zu beeilen, schlüpfte in meine Shorts und füllte noch schnell die Waschmaschine mit dunkler Wäsche. Ich stopfte gerade die letzte Jeans hinein, als Zach splitternackt und mit seinem Schlafanzug in der Hand angelaufen kam. »Ich mach das selber«, sagte er. Beeindruckt, dass das Kleidungsstück ausnahmsweise mal nicht auf dem Fußboden gelandet war, nahm ich Zach auf den Arm, damit er es in die alte Toplader-Maschine werfen konnte. Sein Po fühlte sich kühl auf meiner Haut an. Bei geöffnetem Deckel sahen wir zu, wie der flauschige blaue Stoff mit den Feuerwehrautos im schaumigen Wasser hin- und hergeworfen wurde. Dann setzte ich Zach wieder ab, und er wackelte durch den Flur davon, wobei er mit den nackten Füßen auf den Holzboden patschte. Bis auf das Schnüren der Schuhe, das Zach erst in ein paar Jahren lernen würde, waren beide Kinder schon erschreckend eigenständig. Annie würde bald in die Grundschule und Zach in den Kindergarten kommen - auch wenn ich noch mit der Vorstellung haderte, sie gehen zu lassen.
Dieses Jahr sollte ein ganz besonderes werden: Joe würde den Lebensmittelladen, der seit drei Generationen in seiner Familie war, vor dem Untergang retten, und ich würde im Herbst einen Job als Naturführerin bei Fisch- und Wildbeobachtungen antreten. Annie und Zach würden jeden Morgen aus dem Haus gehen und mit immer länger werdenden Beinen immer größere Schritte auf dem Weg heraus aus ihrer Kindheit machen.
Als ich die beiden kennenlernte, war Annie drei Jahre alt und Zach sechs Monate. Ich hatte San Diego verlassen, um ein neues Leben zu beginnen, doch ohne genaue Vorstellung, wo und wie ich das bewerkstelligen sollte. In Nordkalifornien machte ich in einer kleinen, seltsamen Stadt namens Elbow halt. Elbow lag in einer Fünfundvierziggradbiegung des Redwoods River, was dem Ort den Namen - Ellbogen - eingebracht hatte, wobei Einheimische gern witzelten, er wäre nach den Hörnchennudeln benannt, weil so viele Italiener hier lebten. Ich wollte mir ein Sandwich und einen Eistee kaufen und vielleicht ein bisschen die Füße vertreten, denn ich hatte gelesen, dass es einen Weg hinunter zum Sandstrand am Fluss gab. Doch gerade, als ich zum Lebensmittelladen kam, war ein dunkelhaariger Mann mit einem Baby auf dem Arm im Begriff, die Tür abzuschließen. Das kleine Mädchen, das er an der anderen Hand hielt, riss sich los und lief schnurstracks in mich hinein. Lachend warf es den blonden Schopf nach hinten und streckte mir die Arme entgegen. »Hoch!«
»Annie!«, rief der Mann. Er war schlank, etwas zerzaust und angespannt, aber definitiv ein schöner Anblick.
»Ist das in Ordnung?«, fragte ich ihn.
Er lachte erleichtert. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht?« Mir etwas ausmachen? Ich nahm die Kleine auf den Arm, und sie fing sofort an, mit meinem Zopf zu spielen. »Wirklich kein bisschen schüchtern, das Kind«, sagte er. Sie hatte ihre strammen Beinchen um meine Hüften geschlungen, und der Duft von Babyshampoo, von frisch gemähtem Gras, Holzfeuerrauch und Erde stieg mir in die Nase. Ihr nach Traubensaft riechender Atem strich mir über die Wange, und sie hielt meinen Zopf fest in der Faust, aber ohne daran zu ziehen.
Callie bellte, und beim Blick aus dem Küchenfenster sah ich Frank Civilettis Streifenwagen. Das war merkwürdig, denn Frank wusste, dass Joe nicht zu Hause sein würde. Sie waren seit ihrer Grundschulzeit Freunde und tranken jeden Morgen im Laden einen Kaffee. Ich hatte Frank nicht kommen hören, doch er war es wirklich, fuhr langsam und mit knirschenden Reifen die Kieseinfahrt hoch. Das war auch seltsam: Frank fuhr niemals langsam. Und er stellte auch immer das Martinshorn an, wenn er von der Hauptstraße auf unser Grundstück einbog, extra für die Kinder. Ich sah auf die Uhr an der Mikrowelle:
8:53. Schon? Ich griff zum Telefon, legte es wieder zurück. Joe hatte nicht angerufen, als er im Laden angekommen war. Joe rief immer an.
»Hier.« Ich nahm den Eierkorb und gab ihn den Kindern. »Seht mal bei den Hühnerdamen nach und bringt was zum Frühstück mit.« Ich öffnete die Küchentür und blickte ihnen nach, als sie winkend zum Hühnerstall liefen und riefen: »Onkel Frank! Mach die Sirene an!«
Doch das machte er nicht. Er parkte den Wagen. Ich stand in der Küche, starrte den Kompostbehälter mit Joes morgendlichem Kaffeesatz und der Bananenschale von seinem Frühstück auf der Küchentheke an. Die Enden meines Glücks begannen braun zu werden, sich langsam aufzurollen.
Ich hörte Franks Autotür auf- und wieder zuklappen, seine Schritte auf dem Kies, der Veranda. Das Klopfen an der Haustürscheibe. Annie und Zach waren damit beschäftigt, im Hühnerstall nach Eiern zu suchen. Zach lachte ausgelassen, und ich wollte die Welt anhalten und unser Leben in sein Lachen einpacken, damit es heil und unbeschädigt blieb. Ich zwang mich, aus der Küche zu gehen, den Flur entlang, den Spielsachen am Boden auszuweichen. Durch die wellige Glasscheibe sah ich Frank, der nach unten auf seine Uniform starrte. Sieh mich an, schenk mir dein Jim-Carrey-Grinsen. Komm einfach rein, so wie du es immer tust, du Mistkerl. Plündere den Kühlschrank noch vor der Begrüßung. Doch wir standen nur da, die Tür zwischen uns. Dann blickte er auf. Ich drehte mich um, ging den Flur wieder zurück, hörte ihn die Tür öffnen.
»Ella«, sagte er. »Komm, wir setzen uns hin.«
»Nein.« Seine Schritte folgten mir. Ohne mich umzudrehen, machte ich eine abwehrende Handbewegung. Er sollte wieder gehen. »Nein.«
»Ella. Es war eine Monsterwelle, draußen bei Bodega Head«, erklärte er meinem Rücken. »Sie kam aus dem Nichts.«
Er sagte, Joe hätte das Kliff draußen am First Rock fotografiert. Zeugen hätten berichtet, sie hätten ihn laut schreiend gewarnt, doch er hatte sie nicht gehört - der Wind, das Meer ... Die Welle hatte ihn umgeworfen und hinausgetragen. Er war verschwunden, noch bevor irgendjemand zu Hilfe kommen konnte.
»Wo ist er?« Als Frank nicht antwortete, drehte ich mich um und packte ihn am Kragen. »Wo?«
Wieder senkte er den Blick, zwang sich dann aber, mich anzusehen. »Wir wissen es nicht. Er ist noch nicht wieder aufgetaucht.«
Eine kleine Hoffnung keimte in mir auf, begann sofort zu wachsen. »Er lebt noch. Bestimmt! Ich muss dahin. Wir müssen dahin. Ich rufe Marcella an. Wo ist das Telefon? Wo sind meine Schuhe?«
»Lizzie ist schon auf dem Weg hierher, um die Kinder abzuholen.«
Ich lief zum Schlafzimmer, trat auf den Brontosaurus, fiel auf die Knie und stand wieder auf, noch bevor Frank mir helfen konnte.
»El, hör mir zu. Wenn es auch nur die geringste Chance gäbe, dass er noch lebt, würde ich das jetzt nicht sagen. Aber jemand hat sogar Blut gesehen. Wir glauben, er ist mit dem Kopf aufgeschlagen. Er ist nie zum Luftholen aufgetaucht.« Dann sagte er noch, dass so etwas jedes Jahr passiere, als wäre ich irgendeine Touristin. Als wäre Joe nicht von hier.
»Joe passiert so etwas nicht.«
Joe konnte meilenweit schwimmen. Er hatte zwei Kinder, die ihn brauchten. Er hatte mich. Ich wühlte im Schrank nach meinen Wanderstiefeln. Joe lebte, und ich musste ihn finden. »Ein bisschen Blut? Wahrscheinlich hat er sich den Arm aufgeschürft.« Ich fand die Stiefel, zog die warme Decke vom Bett. Er fror bestimmt. Ich riss das Fernglas von der Garderobe, machte die Fliegengittertür auf und trat auf die Veranda, stolperte über die am Boden schleifende Decke. »Soll ich allein fahren? Oder kommst du mit?«, rief ich nach hinten.
Franks Frau, Lizzie, setzte Zach zu ihrer Tochter Molly in den Bollerwagen, während Annie ihren Arm durch den Zuggriff schob, die Hände um den Mund legte und rief: »Wir rudern mit dem Boot an Land. Vorsicht vor Piraten.«
Ich winkte und bemühte mich, fröhlich zu klingen. »Verstanden. Danke, Lizzie.« Sie nickte ernst. Lizzie Civiletti war keineswegs meine Freundin, was sie mir schon bald nach meiner Ankunft in der Stadt klargemacht hatte. Gleichwohl war sie nicht unfreundlich. Sie würde nicht zulassen, dass die Kinder meine Panik spürten. Und so sehr ich zu ihnen gehen und sie an mich drücken wollte, lächelte ich doch nur, winkte noch einmal und pustete ihnen Luftküsschen zu.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Man wird als glücklicher Mensch geboren, nicht dazu gemacht. Das habe ich neulich in einer Studie gelesen. Glück, hieß es darin, ist nichts weiter als Genetik - ein fröhliches Gen wird fröhlich weitervererbt, von einer lächelnden Generation zur nächsten. Ich kenne das Leben gut genug, um die alten Redensarten, dass man Glück nicht kaufen oder dass ein Mensch einen anderen nicht glücklich machen kann, zu verstehen. Und doch halte ich nichts von der Theorie, dass das persönliche Glück nur so groß sein kann wie der eigene Genpool.
Drei Jahre lang schwelgte ich im Glück.
Meine Seligkeit war augenfällig und oft schrill. Doch manchmal auch zart und leise - Zachs milchiger Atem an meinem Hals, Annies seidiges Haar beim Flechten zwischen meinen Fingern oder Joe, der in der Dusche einen alten Crowded-House-Song trällerte, während ich mir die Zähne putzte. Der beschlagene Spiegel trübte meine Sicht, verschleierte mein Spiegelbild, glättete meine Falten wie ein unscharfes Foto. Doch selbst die hatten mich nicht gestört. Nur wer nicht lächelt, bekommt keine Krähenfüße. Und ich lächelte viel.
Aber jetzt, Jahre danach, weiß ich noch etwas anderes: Auch das größte Glück kann nicht so rein, so tief oder so blind sein.
In den frühen Morgenstunden jenes ersten Sommertages zog Joe mir die Bettdecke vom Kopf und küsste mich auf die Stirn. Ich schlug ein Auge auf. Er hatte sein graues Sweatshirt an, die Kameratasche über der Schulter, und flüsterte mit zahnpasta- und kaffeegeschwängertem Atem, dass er erst nach Bodega fahre und danach den Laden aufmache. Mit dem Finger zeichnete er an der Stelle meines Armes die Sommersprossen nach, wo sie seinen Namen buchstabierten, wie er gern behauptete. Und dass es so viele seien, dass er nicht nur die Buchstaben für Joe sehen könne, sondern seinen vollen Namen: Joseph Anthony Capozzi jr. - alle auf meinem Arm. An diesem Morgen fügte er noch hinzu: »Wow, und junior ist sogar ausgeschrieben.« Er zog mir die Bettdecke wieder über den Kopf. »Du bist ein Phänomen.«
»Und du bist ein Klugscheißer«, sagte ich, schon halb wieder eingedöst. Aber mit einem Lächeln im Gesicht. Wir hatten eine gute Nacht gehabt. Er flüsterte noch, dass er mir eine Nachricht hingelegt habe, und ich hörte ihn aus der Tür gehen, die Verandastufen hinunter. Dann ging die Autotür knarrend auf, der Motor wurde laut und lauter und wieder leiser, verklang langsam. Und schon war er weg.
Später an diesem Morgen kletterten die Kinder kichernd zu mir ins Bett. Zach hob das sonnengesprenkelte Laken hoch und hielt es wie ein Segel über seinen Kopf. Annie ernannte sich wie immer selbst zum Kapitän. Noch vor dem Frühstück brachen wir in fremde Gewässer auf, um uns herum unsichtbare, glitschige Wesen unter der glatten Oberfläche, Ziel unbekannt.
Aneinandergeklammert lagen wir auf dem alten, durchgelegenen Boxspringbett, hatten die alles verändernde Nachricht noch nicht gehört. Wir spielten Schiff.
Die Kinder verkündeten, dass wir einen brenzligen Morgen auf See vor uns hatten, doch ich brauchte einen Kaffee, und zwar dringend. Ich setzte mich auf und warf ihnen über das Segel hinweg einen kurzen Blick zu. Ihr goldblondes Haar war noch vom Schlaf zerzaust. »Ich rudere zur Kücheninsel und besorge Vorräte.«
»Nicht wenn so große Gefahr lauert«, warnte An-nie. Lauert?, dachte ich. Hatte ich dieses Wort mit sechs überhaupt schon gekannt? Annie schoss hoch auf die Füße, die Hände in die Taille gestemmt, und balancierte auf der wackligen Matratze. »Wir könnten dich verlieren.«
Ich stand auf, froh, vor dem Einschlafen letzte Nacht meine Unterwäsche und Joes T-Shirt wieder angezogen zu haben. »Aber wie sollen wir denn ohne Plätzchen im Bauch mit den Piraten fertig werden?«
Die beiden sahen sich an, in den Augen die unausgesprochene Frage: Vor dem Frühstück? Hat sie den Verstand verloren?
Plätzchen vor dem Frühstück ... warum denn nicht? Ich war ein bisschen in Feierlaune, auch wegen des ersten nebelfreien Morgens seit Wochen. Das ganze Haus erstrahlte mit der Rückkehr der verloren geglaubten Sonne, und die Angst, die mich die ganze Zeit bedrückt hatte, war gewichen. Ich nahm das Wasserglas und den Zettel, den Joe darunter gelegt hatte. Die Worte waren vom feuchten Glasabdruck leicht verwischt: Ella Bella, fahre zur Küste, um alles im Bild festzuhalten, und mache dann den Laden auf. Letzte Nacht war wunderbar. Küsse für A & Z. Komm doch später vorbei, wenn ... aber seine letzten Worte verschwammen in Tintenflecken.
Auch mir hatte die Nacht gefallen. Nachdem die Kinder im Bett waren, hatten wir noch lange in der Küche gestanden und geredet, an die Unterschränke gelehnt und er wie stets mit den Händen in den Taschen. Wir hatten uns an die ungefährlichen Themen gehalten: Annie und Zach, das für Sonntag geplante Picknick sowie abstrusen Stadtklatsch, den er im Laden gehört hatte - aber kein Wort über den Laden selbst. Wegen einer Bemerkung von mir hatte er lachend den Kopf zurückgeworfen. Was hatte ich gesagt? Ich erinnerte mich nicht mehr.
Tags zuvor hatten wir gestritten. Neunundfünfzig Jahre nach der Gründung von Capozzi's Market ging es mit dem Laden bergab. Ich wollte, dass Joe es seinem Vater sagte. Joe wollte weiter so tun, als wäre alles in Ordnung. Er konnte sich die Wahrheit kaum selbst eingestehen, geschweige denn seinem Vater von der schlechten Geschäftslage erzählen. Dann, in einem unbedachten Moment, hatte er etwas von einer überfälligen Rechnung gesagt und wie langsam die Inventur voranging, woraufhin ich ausflippte und er sofort zumachte - ein Muster, dem wir seit Monaten verfallen waren. Joe hatte sich vom Schrank abgestoßen, war zu mir gekommen, hatte meine Schultern umfasst und gesagt: »Wir müssen einen Weg finden, über die schwierigen Dinge zu reden.« Ich nickte. Wir waren uns einig, dass es bis vor kurzem kaum schwierige Dinge zu bereden gegeben hatte.
Ich zählte uns zu den Glücklichen. »Annie, Zach. Wir ...« Anstatt in dem Moment das heikle Thema anzugehen, hatte ich ihn geküsst und ins Schlafzimmer geführt.
Ich tat, als ruderte ich durch den engen Flur, machte einen großen Schritt über Zachs Brontosaurus und ein halbfertiges Lego-Schloss hinweg, bis ich außer Sichtweite war. In der Küche flocht ich mein unbändiges rotes Haar im Nacken zu einem Zopf. Unser Haus war ein bisschen wie meine Haare - viel Farbe und Durcheinander. Wir hatten die Wand zwischen Küche und Wohnzimmer herausgerissen, so dass ich von hier aus die deckenhohen Regale sehen konnte, bis obenhin vollgestopft mit Büchern und Pflanzen und diversen Kunstprojekten - unter anderem einem gelb und lila angemalten Eisstiel und einer schiefen Tonvase, auf der mit Makkaroni Herzlichen Glückwunsch zum Muttertag stand. Das M war schon lange abgefallen, aber die Vertiefung noch gut zu sehen. An den wenigen freien Stellen ohne Einbauten oder Fenster hingen patchworkartig Joes gerahmte Schwarzweißfotografien. Eine große Terrassentür führte auf die vordere Veranda und unser Grundstück. Das alte Glas schützte nur wenig vor Kälte, aber wir konnten uns einfach nicht davon trennen - die welligen Scheiben gefielen uns. Es war, als würde man durch einen Wasservorhang auf die Hortensien rund um die Veranda blicken, auf das Lavendelfeld, das bald abgeerntet werden musste, den Hühnerstall, die Brombeerbüsche und die alte, windschiefe Scheune. Die stammte noch aus der Zeit, bevor Großvater Sergio das Land in den dreißiger Jahren gekauft hatte. Und nicht zu vergessen der Gemüsegarten gegenüber der Wiese mit den Redwoods und Eichen, unser Stolz und Glück. Ungefähr einen Morgen groß, lag er über der Hochwassergrenze und größtenteils in der Sonne, und von einer Stelle aus konnte man sogar den Fluss sehen.
Joe und ich gärtnerten gern, und das war nicht zu übersehen. Aber weder wir noch die Kinder schafften es, im Haus Ordnung zu halten. Das störte mich jedoch nicht sonderlich. In meinem früheren Haus - und Leben - war ich extrem ordentlich gewesen, aber auch ernsthaft und leer, weshalb ich die Unordnung als notwendige Begleiterscheinung eines erfüllten Lebens betrachtete.
Ich nahm die Milch aus dem Kühlschrank und heftete Joes Nachricht mit einem Magnet an die Tür. Warum ich sie aufhob, weiß ich nicht; wahrscheinlich wollte ich die Erinnerung an unsere liebevolle Versöhnung der letzten Nacht festhalten, das Ella Bella ...
Ich heiße Ella Beene, was mir, wie man sich leicht vorstellen kann, jede Menge Spitznamen eingebracht hat. Doch der von Joe hat mir sofort am besten gefallen. Ich bin keine Schönheit - zwar auch nicht hässlich, aber nicht annähernd so, wie ich aussehen würde, wenn ich dabei ein Wörtchen hätte mitreden können. Ich habe helle Haut und Sommersprossen, ein passables Gesicht - braune Augen, recht hübsche Lippen -, das besser aussieht, wenn ich daran denke, mich zu schminken, und bin manchen Leuten zu groß und zu dünn. Aber das Beste ist: Joe mochte alles an mir. Das Innen und das Außen, die Zwischenräume, die ganzen ein Meter siebenundsiebzig. Und da alle meine Spitznamen zur jeweiligen Zeit auf mich gepasst hatten, schwelgte ich in diesem: Bella. Das war ich also, fünfunddreißig Jahre alt, schön auf Italienisch und an einem Samstagmorgen dabei, mir einen starken Kaffee und unseren Kindern einen Teller mit Plätzchen und Milch hinzustellen.
»Plätzchen! Wir wollen Plätzchen!« Die Seefahrer hatten das sinkende Schiff verlassen und nahmen sich - mit weit aufgerissenen Augen, als wären sie am Verhungern - die Milch und Haferplätzchen von der Anrichte. Callie, unsere Hündin, eine gelbe LabradorHusky-Mischung, die genau wusste, wie sie dreinschauen musste, um herzzerreißend einsam zu wirken, saß so lange da und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden, bis ich ihr einen Hundekeks gab und sie nach draußen ließ. Ich nippte an meinem Kaffee und sah Annie und Zach zu, wie sie sich schmatzend und reichlich krümelnd die Plätzchen in den Mund stopften. Das Vorbild des Krümelmonsters war das Einzige aus der ansonsten lehrreichen Sesamstraße, worauf ich gern verzichtet hätte.
Da uns die Sonne nach draußen lockte, bat ich die Kinder, sich mit dem Anziehen zu beeilen, schlüpfte in meine Shorts und füllte noch schnell die Waschmaschine mit dunkler Wäsche. Ich stopfte gerade die letzte Jeans hinein, als Zach splitternackt und mit seinem Schlafanzug in der Hand angelaufen kam. »Ich mach das selber«, sagte er. Beeindruckt, dass das Kleidungsstück ausnahmsweise mal nicht auf dem Fußboden gelandet war, nahm ich Zach auf den Arm, damit er es in die alte Toplader-Maschine werfen konnte. Sein Po fühlte sich kühl auf meiner Haut an. Bei geöffnetem Deckel sahen wir zu, wie der flauschige blaue Stoff mit den Feuerwehrautos im schaumigen Wasser hin- und hergeworfen wurde. Dann setzte ich Zach wieder ab, und er wackelte durch den Flur davon, wobei er mit den nackten Füßen auf den Holzboden patschte. Bis auf das Schnüren der Schuhe, das Zach erst in ein paar Jahren lernen würde, waren beide Kinder schon erschreckend eigenständig. Annie würde bald in die Grundschule und Zach in den Kindergarten kommen - auch wenn ich noch mit der Vorstellung haderte, sie gehen zu lassen.
Dieses Jahr sollte ein ganz besonderes werden: Joe würde den Lebensmittelladen, der seit drei Generationen in seiner Familie war, vor dem Untergang retten, und ich würde im Herbst einen Job als Naturführerin bei Fisch- und Wildbeobachtungen antreten. Annie und Zach würden jeden Morgen aus dem Haus gehen und mit immer länger werdenden Beinen immer größere Schritte auf dem Weg heraus aus ihrer Kindheit machen.
Als ich die beiden kennenlernte, war Annie drei Jahre alt und Zach sechs Monate. Ich hatte San Diego verlassen, um ein neues Leben zu beginnen, doch ohne genaue Vorstellung, wo und wie ich das bewerkstelligen sollte. In Nordkalifornien machte ich in einer kleinen, seltsamen Stadt namens Elbow halt. Elbow lag in einer Fünfundvierziggradbiegung des Redwoods River, was dem Ort den Namen - Ellbogen - eingebracht hatte, wobei Einheimische gern witzelten, er wäre nach den Hörnchennudeln benannt, weil so viele Italiener hier lebten. Ich wollte mir ein Sandwich und einen Eistee kaufen und vielleicht ein bisschen die Füße vertreten, denn ich hatte gelesen, dass es einen Weg hinunter zum Sandstrand am Fluss gab. Doch gerade, als ich zum Lebensmittelladen kam, war ein dunkelhaariger Mann mit einem Baby auf dem Arm im Begriff, die Tür abzuschließen. Das kleine Mädchen, das er an der anderen Hand hielt, riss sich los und lief schnurstracks in mich hinein. Lachend warf es den blonden Schopf nach hinten und streckte mir die Arme entgegen. »Hoch!«
»Annie!«, rief der Mann. Er war schlank, etwas zerzaust und angespannt, aber definitiv ein schöner Anblick.
»Ist das in Ordnung?«, fragte ich ihn.
Er lachte erleichtert. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht?« Mir etwas ausmachen? Ich nahm die Kleine auf den Arm, und sie fing sofort an, mit meinem Zopf zu spielen. »Wirklich kein bisschen schüchtern, das Kind«, sagte er. Sie hatte ihre strammen Beinchen um meine Hüften geschlungen, und der Duft von Babyshampoo, von frisch gemähtem Gras, Holzfeuerrauch und Erde stieg mir in die Nase. Ihr nach Traubensaft riechender Atem strich mir über die Wange, und sie hielt meinen Zopf fest in der Faust, aber ohne daran zu ziehen.
Callie bellte, und beim Blick aus dem Küchenfenster sah ich Frank Civilettis Streifenwagen. Das war merkwürdig, denn Frank wusste, dass Joe nicht zu Hause sein würde. Sie waren seit ihrer Grundschulzeit Freunde und tranken jeden Morgen im Laden einen Kaffee. Ich hatte Frank nicht kommen hören, doch er war es wirklich, fuhr langsam und mit knirschenden Reifen die Kieseinfahrt hoch. Das war auch seltsam: Frank fuhr niemals langsam. Und er stellte auch immer das Martinshorn an, wenn er von der Hauptstraße auf unser Grundstück einbog, extra für die Kinder. Ich sah auf die Uhr an der Mikrowelle:
8:53. Schon? Ich griff zum Telefon, legte es wieder zurück. Joe hatte nicht angerufen, als er im Laden angekommen war. Joe rief immer an.
»Hier.« Ich nahm den Eierkorb und gab ihn den Kindern. »Seht mal bei den Hühnerdamen nach und bringt was zum Frühstück mit.« Ich öffnete die Küchentür und blickte ihnen nach, als sie winkend zum Hühnerstall liefen und riefen: »Onkel Frank! Mach die Sirene an!«
Doch das machte er nicht. Er parkte den Wagen. Ich stand in der Küche, starrte den Kompostbehälter mit Joes morgendlichem Kaffeesatz und der Bananenschale von seinem Frühstück auf der Küchentheke an. Die Enden meines Glücks begannen braun zu werden, sich langsam aufzurollen.
Ich hörte Franks Autotür auf- und wieder zuklappen, seine Schritte auf dem Kies, der Veranda. Das Klopfen an der Haustürscheibe. Annie und Zach waren damit beschäftigt, im Hühnerstall nach Eiern zu suchen. Zach lachte ausgelassen, und ich wollte die Welt anhalten und unser Leben in sein Lachen einpacken, damit es heil und unbeschädigt blieb. Ich zwang mich, aus der Küche zu gehen, den Flur entlang, den Spielsachen am Boden auszuweichen. Durch die wellige Glasscheibe sah ich Frank, der nach unten auf seine Uniform starrte. Sieh mich an, schenk mir dein Jim-Carrey-Grinsen. Komm einfach rein, so wie du es immer tust, du Mistkerl. Plündere den Kühlschrank noch vor der Begrüßung. Doch wir standen nur da, die Tür zwischen uns. Dann blickte er auf. Ich drehte mich um, ging den Flur wieder zurück, hörte ihn die Tür öffnen.
»Ella«, sagte er. »Komm, wir setzen uns hin.«
»Nein.« Seine Schritte folgten mir. Ohne mich umzudrehen, machte ich eine abwehrende Handbewegung. Er sollte wieder gehen. »Nein.«
»Ella. Es war eine Monsterwelle, draußen bei Bodega Head«, erklärte er meinem Rücken. »Sie kam aus dem Nichts.«
Er sagte, Joe hätte das Kliff draußen am First Rock fotografiert. Zeugen hätten berichtet, sie hätten ihn laut schreiend gewarnt, doch er hatte sie nicht gehört - der Wind, das Meer ... Die Welle hatte ihn umgeworfen und hinausgetragen. Er war verschwunden, noch bevor irgendjemand zu Hilfe kommen konnte.
»Wo ist er?« Als Frank nicht antwortete, drehte ich mich um und packte ihn am Kragen. »Wo?«
Wieder senkte er den Blick, zwang sich dann aber, mich anzusehen. »Wir wissen es nicht. Er ist noch nicht wieder aufgetaucht.«
Eine kleine Hoffnung keimte in mir auf, begann sofort zu wachsen. »Er lebt noch. Bestimmt! Ich muss dahin. Wir müssen dahin. Ich rufe Marcella an. Wo ist das Telefon? Wo sind meine Schuhe?«
»Lizzie ist schon auf dem Weg hierher, um die Kinder abzuholen.«
Ich lief zum Schlafzimmer, trat auf den Brontosaurus, fiel auf die Knie und stand wieder auf, noch bevor Frank mir helfen konnte.
»El, hör mir zu. Wenn es auch nur die geringste Chance gäbe, dass er noch lebt, würde ich das jetzt nicht sagen. Aber jemand hat sogar Blut gesehen. Wir glauben, er ist mit dem Kopf aufgeschlagen. Er ist nie zum Luftholen aufgetaucht.« Dann sagte er noch, dass so etwas jedes Jahr passiere, als wäre ich irgendeine Touristin. Als wäre Joe nicht von hier.
»Joe passiert so etwas nicht.«
Joe konnte meilenweit schwimmen. Er hatte zwei Kinder, die ihn brauchten. Er hatte mich. Ich wühlte im Schrank nach meinen Wanderstiefeln. Joe lebte, und ich musste ihn finden. »Ein bisschen Blut? Wahrscheinlich hat er sich den Arm aufgeschürft.« Ich fand die Stiefel, zog die warme Decke vom Bett. Er fror bestimmt. Ich riss das Fernglas von der Garderobe, machte die Fliegengittertür auf und trat auf die Veranda, stolperte über die am Boden schleifende Decke. »Soll ich allein fahren? Oder kommst du mit?«, rief ich nach hinten.
Franks Frau, Lizzie, setzte Zach zu ihrer Tochter Molly in den Bollerwagen, während Annie ihren Arm durch den Zuggriff schob, die Hände um den Mund legte und rief: »Wir rudern mit dem Boot an Land. Vorsicht vor Piraten.«
Ich winkte und bemühte mich, fröhlich zu klingen. »Verstanden. Danke, Lizzie.« Sie nickte ernst. Lizzie Civiletti war keineswegs meine Freundin, was sie mir schon bald nach meiner Ankunft in der Stadt klargemacht hatte. Gleichwohl war sie nicht unfreundlich. Sie würde nicht zulassen, dass die Kinder meine Panik spürten. Und so sehr ich zu ihnen gehen und sie an mich drücken wollte, lächelte ich doch nur, winkte noch einmal und pustete ihnen Luftküsschen zu.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Seré Prince Halverson
Seré Prince Halverson ist freie Texterin und Autorin und lebt mit ihrem Ehemann in Nordkalifornien. Sie haben vier erwachsene Kinder. Im FISCHER Taschenbuch erschienen ihr Bestseller 'Die andere Seite des Glücks' und ihr Roman 'Das Haus der gefrorenen Träume'. Augustin, HelgaHelga Augustin hat in Frankfurt am Main Neue Philologie studiert. Von 1986 - 1991 studierte sie an der City University of New York und schloss ihr Studium mit einem Magister in Liberal Studies mit dem Schwerpunkt 'Translations' ab. Die Übersetzerin lebt in Frankfurt am Main.
Bibliographische Angaben
- Autor: Seré Prince Halverson
- 2014, 1. Auflage, 480 Seiten, Masse: 9,3 x 14,5 cm, Leinen, Deutsch
- Übersetzer: Helga Augustin
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596513200
- ISBN-13: 9783596513208
- Erscheinungsdatum: 25.06.2014
Rezension zu „Die andere Seite des Glücks “
'Auf der anderen Seite des Glücks' ist ein aufrührender Roman voller Tragik, Liebe, Hoffnung und Einsicht. Ein Buch für kuschelige Kaminstunden, das die Seele wärmt. Saarländischer Rundfunk SR 3 Saarlandwelle 20131212
Pressezitat
'Auf der anderen Seite des Glücks' ist ein aufrührender Roman voller Tragik, Liebe, Hoffnung und Einsicht. Ein Buch für kuschelige Kaminstunden, das die Seele wärmt. Saarländischer Rundfunk SR 3 Saarlandwelle 20131212
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