Der Trotzkopf
Eine Pensionsgeschichte für erwachsene Mädchen
Jugendbuchklassiker von 1885. »Vorschriften lasse ich mir nicht machen, nie!« Die temperamentvolle Ilse wird ins Internat gesteckt. Dort soll sie standesgemäss erzogen werden. Sie findet gute Freundinnen, lernt aber auch die traurigen Seiten des Lebens...
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Produktinformationen zu „Der Trotzkopf “
Jugendbuchklassiker von 1885. »Vorschriften lasse ich mir nicht machen, nie!« Die temperamentvolle Ilse wird ins Internat gesteckt. Dort soll sie standesgemäss erzogen werden. Sie findet gute Freundinnen, lernt aber auch die traurigen Seiten des Lebens kennen. Die Natürlichkeit des »Trotzköpfchens« begeistert bis heute! Ab 10 Jahren.
Klappentext zu „Der Trotzkopf “
Ein Klassiker der »Backfisch-Literatur«: Die temperamentvolle Ilse wird vom väterlichen Hof ins Internat geschickt. Hier soll sie, die bisher eher wild aufgewachsen ist, standesgemäss erzogen werden. Sie findet Freundinnen, mit denen sie heitere Stunden verlebt, lernt aber auch die traurigen Seiten des Lebens kennen. Die grossen Gefühle und die Natürlichkeit des »Trotzkopfs« begeistern bis heute ungebrochen.Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT+KRITIK.
Lese-Probe zu „Der Trotzkopf “
Der Trotzkopf von Emmy von Rhoden1
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»Papa, Diana hat Junge!« Mit diesen Worten trat ungestüm ein junges, schlankes Mädchen von fünfzehn Jahren in das Zimmer, in dem sich außer dem Angeredeten, dessen Frau und dem Pfarrer des Ortes noch Besuch aus der Nachbarschaft, ein Herr von Schäffer mit seiner Frau und seinem erwachsenen Sohne, befand.
Alle lachten und wandten sich dem Backfisch zu, der ohne jede Verlegenheit auf den Papa zueilte und ausführlich über das wichtige Ereignis berichtete.
»Es sind vier Stück, Papa«, erzählte das Mädchen lebhaft, »und braun sehen sie aus, wie Diana. Komm, sieh dir sie an, es sind zu reizende Tierchen! Vorn an den Pfötchen haben sie weiße Flecke. Ich habe gleich einen Korb geholt und mein Kopfkissen hineingelegt; sie müssen doch warm liegen, die kleinen Dinger!«
Herr Oberamtmann Macket hatte den Arm um die Schultern seines Lieblings gelegt und strich ihm das wirre Lockenhaar aus dem erhitzten Gesicht; dabei sah er sein Kind mit wohlgefälligen Blicken an, was eigentlich verwundern konnte, da das Äußere Ilses durchaus nicht geeignet war, Wohlgefallen zu erregen, besonders in diesem Augenblick, wo fremde Augen es musterten. Das blusenartige und abgetragene dunkelblaue Waschkleid, das von einem Ledergürtel gehalten wurde, mochte wohl recht bequem sein, aber kleidsam war es nicht, und einige Flecke und Risse darin waren ebenfalls nicht geeignet, sein Aussehen zu heben. Die hohen, plumpen Lederstiefel, die unter dem kurzen Kleide hervorblickten, waren sehr staubig und sahen eher grau als schwarz aus. Aber, wie gesagt, Herrn Macket störte dies alles nicht; er sah in die fröhlichen braunen Augen seines Lieblings, die Kleider machten ihm gar nichts aus.
Er war eben im Begriff, sich zu erheben, um den Wunsch seines Kindes zu erfüllen, als seine Gattin, eine vornehme Erscheinung mit sanften und doch bestimmten Zügen, ihm zuvorkam. Sie war aufgestanden und auf Ilse zugegangen. »Liebe Ilse«, sagte sie in freundlichem Tone und nahm sie bei der Hand, »ich möchte dir etwas sagen. Willst du mir für einen Augenblick in mein Zimmer folgen?«
Sehr ruhig, aber sehr bestimmt hatte sie diese Worte gesprochen, und Ilse fühlte, daß ein Widerstand vergeblich sein würde. Ungern und gezwungen folgte sie der Mutter in das anstoßende Zimmer.
»Was willst du mir sagen, Mama?« fragte sie und sah Frau Macket trotzig an.
»Nichts weiter, mein Kind, als daß du sogleich auf dein Zimmer gehst und dich umkleidest. Du wußtest wohl nicht, daß wir Gäste haben?«
»Doch, ich wußte es, aber ich mache mir nichts daraus«, gab Ilse kurz zur Antwort.
»Aber ich, Ilse. Mir kann es nicht gleichgültig sein, wenn du in einem so unordentlichen Kleide dich blicken läßt. Du bist kein Kind mehr mit deinen fünfzehn Jahren; bedenke, daß du seit Ostern konfirmiert bist! Eine angehende junge Dame aber muß den Anstand wahren. Was soll der junge Schäffer von dir denken! Er wird dich auslachen und dich verspotten.«
»Der dumme Mensch!« fuhr Ilse auf. »Ob der über mich lacht oder spottet, ist mir ganz gleichgültig. Ich lache auch über ihn. Tut, als ob er ein Herr wäre mit seiner Hornbrille, und geht doch noch in die Schule!«
»Er ist Primaner und neunzehn Jahre alt. Nun sei vernünftig und kleide dich um, Kind. Hörst du?«
»Nein, ich ziehe kein anderes Kleid an! Ich will mich nicht aufputzen.«
»Wie du willst. Aber dann bitte ich dich, ja, ich wünsche es entschieden, daß du in deinem Zimmer bleibst und dein Abendbrot dort verzehrst«, gab Frau Macket mit großer Ruhe zur Antwort.
Ilse biß sich auf die Unterlippe und trat mit dem Fuße heftig auf den Fußboden, aber sie sagte nichts. Mit einer schnellen Wendung ging sie zur Tür hinaus und warf sie unsanft hinter sich zu. Oben in ihrem Zimmer ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und weinte Tränen des bittersten Unmutes. »Oh, wie schrecklich ist es jetzt!« stieß sie schluchzend heraus. »Warum hat auch der Papa wieder eine Frau genommen! Es war alles viel schöner, als wir beide allein waren. Alle Tage muß ich lange Reden hören über Sitte und Anstand, und ich will doch keine Dame sein, ich will es nicht, und wenn sie es zehnmal sagt! «
Als sie mit ihrem Vater noch allein war, führte sie freilich ein ungebundeneres und lustigeres Leben. Niemand hatte ihr Vorschriften zu machen oder durfte sie an ihren dummen Streichen hindern; was sie auch tat, es galt als unübertrefflich. Das Lernen wurde als langweilige Nebensache betrachtet, und die Erzieherinnen fügten sich entweder dem Willen ihrer Schülerin oder sie gingen davon. Beklagte sich dann mal diese oder jene bei dem Vater und hatte der Vater wirklich den festen Entschluß gefaßt, ein Machtwort gegen sein unbändiges Kind zu sprechen, so kam er doch nicht dazu, seinen Vorsatz auszuführen. Sobald er mit ernster Miene Ilse gegenübertrat, fiel sie ihm um den Hals, nannte ihn ihren >einzigen, kleinen Papa‹, obgleich Herr Macket ein sehr großer und kräftiger Mann war, und küßte ihn stürmisch. Versuchte er, ihr ernste Vorstellungen zu machen, hielt sie ihm den Mund zu.
>Ich weiß ja alles, was du mir sagen willst, und ich will mich ganz gewiß bessern!‹ Mit solchen und ähnlichen Worten und Versprechungen tröstete sie den Papa. Ach, wie gern ließ er sich so trösten! Er konnte dem Kinde nie ernstlich zürnen, es war ja sein Alles.
Als Ilses Mutter starb, hatte sie ihm das kleine, hilflose Ding in den Arm gelegt. Es hatte die schönen und frohen Augen der früh verstorbenen Mutter, und blickte es den Vater an, dann war es ihm, als ob die Gattin, die er so sehr geliebt hatte, ihn anlächle.
Viele Jahre war Herr Macket einsam geblieben und hatte nur für sein Kind gelebt. Da lernte er seine zweite Frau kennen. Ihr kluges und sanftes Wesen sprach ihn so sehr an, daß er sie heiratete.
Frau Anne betrat das Haus ihres Mannes mit dem festen Vorsatz, seinem Kinde die treueste, liebevollste Mutter zu sein und alles aufzubieten, ihm die früh verlorene Mutter zu ersetzen; aber jede herzliche Annäherung von ihrer Seite scheiterte an Ilses trotzigem Widerstand. Fast ein Jahr waltete sie nun schon als Frau Macket im Hause, und noch immer hatte sie es nicht vermocht, Ilses Liebe zu gewinnen.
Die Gäste blieben zum Abendessen auf Moosdorf. So hieß das große Gut des Oberamtmannes Macket. Als der Tisch gedeckt war und alle sich gesetzt hatten, fragte Herr Macket, warum Ilse noch nicht da sei.
Frau Anne erhob sich und zog an der Klingelschnur. Dem eintretenden Mädchen befahl sie, das Fräulein zu Tisch zu rufen.
Ilse saß noch in derselben Stellung am Fenster. Sie hatte sich eingeschlossen, und die Magd mußte erst tüchtig pochen und rufen, ehe Ilse sich bequemte, die Tür zu öffnen.
»Sie sollen herunterkommen, Fräulein! Die gnädige Mama hat es befohlen«, sagte Katharine und betonte das ›sollen‹ und ›befohlen‹ unverkennbar stark.
»Ich soll«, rief Ilse und wandte den Kopf hastig zu Katharine, »aber ich will nicht! Sag das der gnädigen Frau Mama!«
»Ja«, sagte Katharine, so recht befriedigt von dieser Antwort, denn auch sie war durchaus nicht damit einverstanden gewesen, daß wieder eine Frau ins Haus gekommen war, die der schönen Freiheit ein Ende bereitet hatte. »Ja, ich werd's bestellen. Gnädiges Fräulein haben ganz recht, das ewige Befehlen, wenn man selbst alt genug ist, ist höchst unpassend, noch dazu, wenn fremde Leute dabei sind.«
Sie ging hinunter in das Speisezimmer und gab Ilses Antwort wörtlich wieder.
Herr Macket blickte seine Frau verlegen an; er wußte gar nicht, was diese Antwort bedeuten sollte.
Sie verstand seine stumme Frage, und ohne sich im geringsten den Unmut anmerken zu lassen, den sie empfand, sagte sie gelassen: »Ilse ist nicht ganz wohl, mein lieber Mann, sie klagte etwas über Kopfschmerzen. Katharine hat ihre Antwort ungeschickt wiedergegeben.«
Alle Anwesenden errieten sofort, daß Frau Anne eine Ausrede gebrauchte, nur Herr Macket glaubte, daß sie die Wahrheit sagte. »Wollen wir nicht lieber einen Boten zum Arzt schicken?« fragte er besorgt.
Die Antwort darauf gab ihm seine Tochter selbst, das heißt, sie bewies ihm, daß ihr nicht das geringste fehlte. Laut jubelnd und lachend trieb sie einen Reifen mit einem Stock über den großen Rasenplatz und Tyras, der Jagdhund, sprang ihr nach. Wenn er mit seinen Pfoten den Reifen beinahe erhascht hatte und ihn doch nicht halten konnte, stieß er ein verärgertes Geheul aus, worüber Ilse gar nicht genug lachen konnte.
Herrn Mackets Gesicht verklärte sich sichtlich bei diesem Anblick. Er stand auf und trat in die offenstehende Flügeltür des Zimmers.
Er war eben im Begriff, Ilse zu rufen, da hielt ihn Frau Anne zurück. »Laß sie, ich bitte dich, lieber Mann!« bat sie, vor Unwillen leicht errötend, und zu den Gästen gewendet, setzte sie hinzu: »Es tut mir leid, nun doch die Wahrheit sagen zu müssen, aber Ilses Benehmen zwingt mich dazu.« Und sie erzählte in gemilderter Form den kleinen Vorfall.
Darüber wurde allgemein gelacht, ja, Herr von Schäffer behauptete, die Kleine habe Temperament, und es sei schade, daß sie kein Junge sei. Seine Frau vermochte ihm jedoch nicht beizustimmen, sie fand das wilde Mädchen geradezu entsetzlich und nannte es auf dem Heimwege ein ›enfant terrible‹.
»Papa, Diana hat Junge!« Mit diesen Worten trat ungestüm ein junges, schlankes Mädchen von fünfzehn Jahren in das Zimmer, in dem sich außer dem Angeredeten, dessen Frau und dem Pfarrer des Ortes noch Besuch aus der Nachbarschaft, ein Herr von Schäffer mit seiner Frau und seinem erwachsenen Sohne, befand.
Alle lachten und wandten sich dem Backfisch zu, der ohne jede Verlegenheit auf den Papa zueilte und ausführlich über das wichtige Ereignis berichtete.
»Es sind vier Stück, Papa«, erzählte das Mädchen lebhaft, »und braun sehen sie aus, wie Diana. Komm, sieh dir sie an, es sind zu reizende Tierchen! Vorn an den Pfötchen haben sie weiße Flecke. Ich habe gleich einen Korb geholt und mein Kopfkissen hineingelegt; sie müssen doch warm liegen, die kleinen Dinger!«
Herr Oberamtmann Macket hatte den Arm um die Schultern seines Lieblings gelegt und strich ihm das wirre Lockenhaar aus dem erhitzten Gesicht; dabei sah er sein Kind mit wohlgefälligen Blicken an, was eigentlich verwundern konnte, da das Äußere Ilses durchaus nicht geeignet war, Wohlgefallen zu erregen, besonders in diesem Augenblick, wo fremde Augen es musterten. Das blusenartige und abgetragene dunkelblaue Waschkleid, das von einem Ledergürtel gehalten wurde, mochte wohl recht bequem sein, aber kleidsam war es nicht, und einige Flecke und Risse darin waren ebenfalls nicht geeignet, sein Aussehen zu heben. Die hohen, plumpen Lederstiefel, die unter dem kurzen Kleide hervorblickten, waren sehr staubig und sahen eher grau als schwarz aus. Aber, wie gesagt, Herrn Macket störte dies alles nicht; er sah in die fröhlichen braunen Augen seines Lieblings, die Kleider machten ihm gar nichts aus.
Er war eben im Begriff, sich zu erheben, um den Wunsch seines Kindes zu erfüllen, als seine Gattin, eine vornehme Erscheinung mit sanften und doch bestimmten Zügen, ihm zuvorkam. Sie war aufgestanden und auf Ilse zugegangen. »Liebe Ilse«, sagte sie in freundlichem Tone und nahm sie bei der Hand, »ich möchte dir etwas sagen. Willst du mir für einen Augenblick in mein Zimmer folgen?«
Sehr ruhig, aber sehr bestimmt hatte sie diese Worte gesprochen, und Ilse fühlte, daß ein Widerstand vergeblich sein würde. Ungern und gezwungen folgte sie der Mutter in das anstoßende Zimmer.
»Was willst du mir sagen, Mama?« fragte sie und sah Frau Macket trotzig an.
»Nichts weiter, mein Kind, als daß du sogleich auf dein Zimmer gehst und dich umkleidest. Du wußtest wohl nicht, daß wir Gäste haben?«
»Doch, ich wußte es, aber ich mache mir nichts daraus«, gab Ilse kurz zur Antwort.
»Aber ich, Ilse. Mir kann es nicht gleichgültig sein, wenn du in einem so unordentlichen Kleide dich blicken läßt. Du bist kein Kind mehr mit deinen fünfzehn Jahren; bedenke, daß du seit Ostern konfirmiert bist! Eine angehende junge Dame aber muß den Anstand wahren. Was soll der junge Schäffer von dir denken! Er wird dich auslachen und dich verspotten.«
»Der dumme Mensch!« fuhr Ilse auf. »Ob der über mich lacht oder spottet, ist mir ganz gleichgültig. Ich lache auch über ihn. Tut, als ob er ein Herr wäre mit seiner Hornbrille, und geht doch noch in die Schule!«
»Er ist Primaner und neunzehn Jahre alt. Nun sei vernünftig und kleide dich um, Kind. Hörst du?«
»Nein, ich ziehe kein anderes Kleid an! Ich will mich nicht aufputzen.«
»Wie du willst. Aber dann bitte ich dich, ja, ich wünsche es entschieden, daß du in deinem Zimmer bleibst und dein Abendbrot dort verzehrst«, gab Frau Macket mit großer Ruhe zur Antwort.
Ilse biß sich auf die Unterlippe und trat mit dem Fuße heftig auf den Fußboden, aber sie sagte nichts. Mit einer schnellen Wendung ging sie zur Tür hinaus und warf sie unsanft hinter sich zu. Oben in ihrem Zimmer ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und weinte Tränen des bittersten Unmutes. »Oh, wie schrecklich ist es jetzt!« stieß sie schluchzend heraus. »Warum hat auch der Papa wieder eine Frau genommen! Es war alles viel schöner, als wir beide allein waren. Alle Tage muß ich lange Reden hören über Sitte und Anstand, und ich will doch keine Dame sein, ich will es nicht, und wenn sie es zehnmal sagt! «
Als sie mit ihrem Vater noch allein war, führte sie freilich ein ungebundeneres und lustigeres Leben. Niemand hatte ihr Vorschriften zu machen oder durfte sie an ihren dummen Streichen hindern; was sie auch tat, es galt als unübertrefflich. Das Lernen wurde als langweilige Nebensache betrachtet, und die Erzieherinnen fügten sich entweder dem Willen ihrer Schülerin oder sie gingen davon. Beklagte sich dann mal diese oder jene bei dem Vater und hatte der Vater wirklich den festen Entschluß gefaßt, ein Machtwort gegen sein unbändiges Kind zu sprechen, so kam er doch nicht dazu, seinen Vorsatz auszuführen. Sobald er mit ernster Miene Ilse gegenübertrat, fiel sie ihm um den Hals, nannte ihn ihren >einzigen, kleinen Papa‹, obgleich Herr Macket ein sehr großer und kräftiger Mann war, und küßte ihn stürmisch. Versuchte er, ihr ernste Vorstellungen zu machen, hielt sie ihm den Mund zu.
>Ich weiß ja alles, was du mir sagen willst, und ich will mich ganz gewiß bessern!‹ Mit solchen und ähnlichen Worten und Versprechungen tröstete sie den Papa. Ach, wie gern ließ er sich so trösten! Er konnte dem Kinde nie ernstlich zürnen, es war ja sein Alles.
Als Ilses Mutter starb, hatte sie ihm das kleine, hilflose Ding in den Arm gelegt. Es hatte die schönen und frohen Augen der früh verstorbenen Mutter, und blickte es den Vater an, dann war es ihm, als ob die Gattin, die er so sehr geliebt hatte, ihn anlächle.
Viele Jahre war Herr Macket einsam geblieben und hatte nur für sein Kind gelebt. Da lernte er seine zweite Frau kennen. Ihr kluges und sanftes Wesen sprach ihn so sehr an, daß er sie heiratete.
Frau Anne betrat das Haus ihres Mannes mit dem festen Vorsatz, seinem Kinde die treueste, liebevollste Mutter zu sein und alles aufzubieten, ihm die früh verlorene Mutter zu ersetzen; aber jede herzliche Annäherung von ihrer Seite scheiterte an Ilses trotzigem Widerstand. Fast ein Jahr waltete sie nun schon als Frau Macket im Hause, und noch immer hatte sie es nicht vermocht, Ilses Liebe zu gewinnen.
Die Gäste blieben zum Abendessen auf Moosdorf. So hieß das große Gut des Oberamtmannes Macket. Als der Tisch gedeckt war und alle sich gesetzt hatten, fragte Herr Macket, warum Ilse noch nicht da sei.
Frau Anne erhob sich und zog an der Klingelschnur. Dem eintretenden Mädchen befahl sie, das Fräulein zu Tisch zu rufen.
Ilse saß noch in derselben Stellung am Fenster. Sie hatte sich eingeschlossen, und die Magd mußte erst tüchtig pochen und rufen, ehe Ilse sich bequemte, die Tür zu öffnen.
»Sie sollen herunterkommen, Fräulein! Die gnädige Mama hat es befohlen«, sagte Katharine und betonte das ›sollen‹ und ›befohlen‹ unverkennbar stark.
»Ich soll«, rief Ilse und wandte den Kopf hastig zu Katharine, »aber ich will nicht! Sag das der gnädigen Frau Mama!«
»Ja«, sagte Katharine, so recht befriedigt von dieser Antwort, denn auch sie war durchaus nicht damit einverstanden gewesen, daß wieder eine Frau ins Haus gekommen war, die der schönen Freiheit ein Ende bereitet hatte. »Ja, ich werd's bestellen. Gnädiges Fräulein haben ganz recht, das ewige Befehlen, wenn man selbst alt genug ist, ist höchst unpassend, noch dazu, wenn fremde Leute dabei sind.«
Sie ging hinunter in das Speisezimmer und gab Ilses Antwort wörtlich wieder.
Herr Macket blickte seine Frau verlegen an; er wußte gar nicht, was diese Antwort bedeuten sollte.
Sie verstand seine stumme Frage, und ohne sich im geringsten den Unmut anmerken zu lassen, den sie empfand, sagte sie gelassen: »Ilse ist nicht ganz wohl, mein lieber Mann, sie klagte etwas über Kopfschmerzen. Katharine hat ihre Antwort ungeschickt wiedergegeben.«
Alle Anwesenden errieten sofort, daß Frau Anne eine Ausrede gebrauchte, nur Herr Macket glaubte, daß sie die Wahrheit sagte. »Wollen wir nicht lieber einen Boten zum Arzt schicken?« fragte er besorgt.
Die Antwort darauf gab ihm seine Tochter selbst, das heißt, sie bewies ihm, daß ihr nicht das geringste fehlte. Laut jubelnd und lachend trieb sie einen Reifen mit einem Stock über den großen Rasenplatz und Tyras, der Jagdhund, sprang ihr nach. Wenn er mit seinen Pfoten den Reifen beinahe erhascht hatte und ihn doch nicht halten konnte, stieß er ein verärgertes Geheul aus, worüber Ilse gar nicht genug lachen konnte.
Herrn Mackets Gesicht verklärte sich sichtlich bei diesem Anblick. Er stand auf und trat in die offenstehende Flügeltür des Zimmers.
Er war eben im Begriff, Ilse zu rufen, da hielt ihn Frau Anne zurück. »Laß sie, ich bitte dich, lieber Mann!« bat sie, vor Unwillen leicht errötend, und zu den Gästen gewendet, setzte sie hinzu: »Es tut mir leid, nun doch die Wahrheit sagen zu müssen, aber Ilses Benehmen zwingt mich dazu.« Und sie erzählte in gemilderter Form den kleinen Vorfall.
Darüber wurde allgemein gelacht, ja, Herr von Schäffer behauptete, die Kleine habe Temperament, und es sei schade, daß sie kein Junge sei. Seine Frau vermochte ihm jedoch nicht beizustimmen, sie fand das wilde Mädchen geradezu entsetzlich und nannte es auf dem Heimwege ein ›enfant terrible‹.
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Autoren-Porträt von Emmy von Rhoden
Die Autorin wurde 1839 in Magdeburg geboren. Sie lebte mit ihrer Familie in Berlin, Eisenach, Leipzig, Dresden. 1854 veröffentlichte sie erste Erzählungen unter dem Pseudonym Emmy von Rhoden. Ihr Roman »Der Trotzkopf« erschien 1885 posthum.
Bibliographische Angaben
- Autor: Emmy von Rhoden
- 2012, 2. Auflage, Neuausgabe, Masse: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596904919
- ISBN-13: 9783596904914
- Erscheinungsdatum: 09.10.2012
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