Der Tote im Eiskeller / Rosina Bd.7
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Der Toteim Eiskeller von Petra Oelker
LESEPROBE
September 1771
Das Licht des späten Nachmittags, matt und golden wie einVorbote des nahen Herbstes, verwandelte die verwüsteten Marschen zu einerLandschaft von bizarrer Schönheit. Anstatt der Gerüche warmer spätsommerlicherÄcker und Wiesen und frischen fliessenden Wassers trieb der sanfte Wind dieAusdünstungen von Morast und Brackwasser heran, von verwesendem Fleisch undverfaultem Fisch. Wo gewöhnlich der Flickenteppich von fetten Weiden, Äckernund Gärten sein Gelb, Braun und Grün ausbreitete, lagen klebrig-nasser grauerSand, zu wirren Haufen zusammengeschobener Unrat, entwurzeltes Gesträuch,zwischen sterbenden Bäumen von der Flut zerdrückte und auseinander gerisseneSchuppen, Ställe und Katen. Selbst von den festeren Häusern waren viele nichtmehr bewohnbar.
Die eigentümliche Stille, die oft auf ein grosses Unglückfolgt, wurde nur von den Schwärmen der Krähen und Möwen durchbrochen, wenn siesich mit Gekrächz und schrillem Geschrei um Beute stritten. Hin und wiederauch von einem zornigen menschlichen Schrei, wenn jemand die Kraft erübrigte,die gierigen Fresser für einen kurzen Moment aufzuscheuchen. Die Vögel schienengross und siegreich, unbeirrbar wie die nun wieder in trügerischer Trägheit inihren Betten dahinfliessenden Wasser. Die Menschen hingegen wirkten in dieserWüstenei wie müde Ameisen. Einige suchten noch Reste ihrer Habe. Die meistenmühten sich, mit Händen und Schaufeln ihre immer wieder im Morast einsinkenden Karren mit Unrat undden Kadavern ertrunkenen Viehs und Wildgetiers zu beladen. Andere schoben denschlammigen Sand und alles was die grosse Flut sonst noch zurückgelassen hatte,aus den Dielen ihrer Gehöfte.
Als diePferde endlich wieder trockenen Grund unter den Hufen spürten und kräftiganzogen, sagte der Kutscher: «Es ist eine Schande. Dieser Deichbruch ist eine echteSchande. Die Leute in der Stadt meinen, die Wühlmäuse waren schuld, aber dassind nur dumme Kreaturen. Wühlmäuse wühlen. Was sonst? Und abgesoffen sind die sowiesozuerst. Ich sage, der Vogt ist schuld. Die Flut war wochenlang vorauszusehen,und als sie näher kam, da ist er die Deiche abgegangen und hat befunden, dasskeine Gefahr besteht. Ein Vogt, der nicht sieht, dass die Wühlmäuse im Deichsind, ist schuld, wenn der bei Hochwasser bricht.»
Er blicktedie junge Frau, die neben ihm auf dem Bock sass, erwartungsvoll an. Vergeblich,auch diesmal antwortete sie nicht. Sagte kein <Tatsächlich?>, kein<Wie Recht Ihr habt>, sie nickte ihm nur mit ihrem schmalen Lächeln zu,das immerhin, und es war bei aller Sprödigkeit doch ein hübsches Lächeln.
Als die Kutsche nach der Überquerung der Elbe bei Zollenspiekervon der Fähre gerollt war und die Reisenden wieder ihre Plätze einnahmen,hatte sie gefragt, ob sie sich zu ihm setzen dürfe. Sie sei so neugierig aufdie grosse Stadt und könne den Anblick kaum erwarten. Ihm war es recht gewesenund dem Postillion auch. Die Kutsche war ein einfaches Gefährt, schlechtgefedert, die Bänke nur mit durchgesessenem Stroh gepolstert, doch derPostillion war müde wie die Pferde und tauschte gerne für ein Weilchen denPlatz im Staub gegen einen im Wagen. Ins Horn konnte er auch zum Fenster hinausblasen. Oder sich, wenn die Stadt nah genug war, auf eines der Pferdeschwingen. Das tat er immer gern, wenn Röcke und Hauben in der Nähe waren.
In Lüneburgwaren zwei Reisende ausgestiegen, der Postillion musste die beiden Bänke nurnoch mit zwei weiteren Männern teilen. Der jüngere, ein kurzbeiniger dicklicherMensch mit einem Kindergesicht, war ein Student, sein Gepäck bestand aus nichtsals einer abgeschabten Tasche. Während der ganzen Reise versuchte er sie aufdem Schoss zu halten, was bei dem Geschaukel der Kutsche unermüdlicheAufmerksamkeit erforderte. Dabei sah die Tasche aus, als berge sie nichts alslangweilige gelehrte Bücher, einen Schreibkasten und ein zweites reines Hemd.
Der andere,ein Herr von mittleren Jahren und gewaltigem Umfang, schien kaum interessanter.Sein Passpapier wies ihn als einen Mann von Adel aus, aber solche gab es wieSand am Meer. Echte und falsche. Und wer in dieser Kutsche und ohne Dienerreiste, mit dessen Adel konnte es nicht weit her sein. So oder so - dasTrinkgeld würde mager ausfallen.
(...)
© 2005 byRowohlt Verlag GmbH
Interview mitPetra Oelker
Die Hauptfigur im"Tod am Zollhaus" und in den folgenden Bestseller-Romanen ist die pfiffige undentschlossene Komödiantin Rosina, die einen Mordfall nach dem anderen aufklärt.Wie und wann haben Sie diese Protagonistin für sich entdeckt?
Die Idee zu "Tod am Zollhaus"entstand, nachdem ich die Biografie der Prinzipalin und WanderkomödiantinFriederike Caroline Neuber geschrieben hatte. Deren Welt - das Theater des 18.Jahrhunderts, die kulturellen, sozialen und politischen Umbrüche jener Zeit -blieb beharrlich in meinem Kopf. "Die Neuberin" in ihrem engagierten, unruhigenLeben wurde so zur Patin meiner Romanheldin. Hamburg
als hauptsächlicher Schauplatzschien mir nur plausibel. Eine turbulente grosse Hafenstadt mit schon damalsreicher Kultur, mit Menschen aller Schichten und Berufe, mit der Verbindung zurweiten Welt, bietet ideale Voraussetzungen für (Kriminal-)Romane. Ausserdem: Ichlebe hier und hatte mich schon lange mit der Geschichte der Stadt beschäftigt.
Die ehrbare Hamburger Gesellschaft und die Schauspielereines Wandertheaters stehen sich in "Tod am Zollhaus" gegenüber. Warum habenSie sich diese beiden Milieus für Ihren ersten historischen Krimi ausgesucht?
Weil ihr Aufeinandertreffenreichlich Spannung und Turbulenzen bietet. Das Theatermilieu war dereigentliche Auslöser für diese Romane, als Kontrast lag die Gesellschaft derhonorigen Bürger und auch der "Gelehrten" auf der Hand. Aber viele Mitgliederdieser oft als steif und ignorant verkannten Gesellschaft waren gerade im 18.Jh., der Zeit der Aufklärung, über ihr Streben nach Erfolg und Gewinn hinausoffen für die Welt und interessiert an neuen, auch geistigen Entwicklungen. Sowaren Begegnungen immer möglich.
Sie sind bekannt für Ihre akribisch recherchiertenhistorischen Romane. Hatten Sie schon immer eine Neigung zur Geschichte?
Jedenfalls habe ich dieGeschichtsstunden in der Schule nie als langweilig empfunden - trotz desschrecklichen Abfragens von Jahreszahlen. Spätestens als ich begann, darübernachzudenken, verstand ich besonders die untrennbar verbundenen Bereiche derKultur-, Sozial- und Religionsgeschichte als zunehmend spannende Wurzelnmeiner/unserer Gegenwart. Das konzentrierte Interesse an regionaler Historieentstand allerdings erst spät. Trotzdem bleiben Geschichte, Entwicklung undSchicksal jeder Region für mich immer eng mit dem Rest der Welt verknüpft.
Wann und wie haben Sie Ihren Hang zur Kriminalistik entdeckt?
Der ist gar nicht so ausgeprägt, wiees scheint. Das kriminelle Geschehen ist für mich der rote Faden, an dementlang ich meine Geschichte und die Geschichten meiner Charaktere erzähle.Letztlich sind mir die in jedem Roman eingebauten Gewerbe oder besonderenLebensbereiche wichtiger. Und natürlich ist so ein Verbrechen praktisch: DieTat, ihre Aufklärung und die damit verbundenen Konflikte liefern die nötigePortion Spannung beinahe wie von selbst.
Haben Sie, abgesehen vom historischen Kriminalroman, nochandere Pläne, was Ihre schriftstellerische Laufbahn angeht? Worauf können SichIhre Leser jetzt schon freuen?
Das Recherchieren und Schreibensolcher Romane ist mein Lieblingsmetier und wird es sicher bleiben. Trotzdemwarten in meinem Kopf auch andere Projekte auf ihre Zeit, in meinen Regalendrängt sich schon Material. Es ist zu früh, darüber zu reden. Aber sicher werdeich demnächst wieder eine Biografie schreiben.
Die Fragenstellte Sandy Brunzel, literaturtest.de.
- Autor: Petra Oelker
- 2005, 10. Aufl., 446 Seiten, mit Abbildungen, Masse: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499238691
- ISBN-13: 9783499238697
- Erscheinungsdatum: 01.06.2005
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