Der Mathematikverführer
Zahlenspiele für alle Lebenslagen vom Autor der Zeit-Kolumne "Stimmt's". Wie findet Frau den Traumprinz? Wie viel muss Mann aus der Bierdose trinken, damit sie am Strand nicht umkippt? Sind DNA-Tests wirklich sicher? Und liegt Goethes Atem...
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Zahlenspiele für alle Lebenslagen vom Autor der Zeit-Kolumne "Stimmt's". Wie findet Frau den Traumprinz? Wie viel muss Mann aus der Bierdose trinken, damit sie am Strand nicht umkippt? Sind DNA-Tests wirklich sicher? Und liegt Goethes Atem noch in unserer Luft? All diese Dinge kann man tatsächlich ausrechnen! Christoph Drösser erklärt gängige Rechenverfahren anhand von spannenden und überraschenden Alltagsgeschichten:
- Dreisatz
- Analysis
- Kurvendiskussion
- Bruch- oder Wahrscheinlichkeitsrechnung
- u.v.m.
Chrismon
Wie findet Frau den Traumprinz? Und wie viel muss Mann aus der Bierdose trinken, damit sie am Strand nicht umkippt? Sind DNA-Tests wirklich sicher? Liegt Goethes Atem noch in unserer Luft? - Doch, dass alles kann man ausrechnen! Bestsellerautor Christoph Drösser ("Stimmt's?") erklärt gängige Rechenverfahren anhand von spannenden und überraschenden Alltagsgeschichten. Ein pfiffiges Buch für Mathe-Fans und Mathe-Muffel.
KEINE ANGST VOR GROßEN ZAHLEN
ODER SECHS MOLEKÜLE VON GOETHE
Wie viele Hartz-IV-Empfänger ließen sich für den Preis eines Eurofighters
ein Jahr lang mit dem Regelsatz versorgen? 180, 1 800 oder
18 000? Das auszurechnen ist gar nicht so schwer – und hilft ,
politisch wie finanziell, ein Gefühl für Größenordnungen zu
entwickeln. 11
DER TANKSTELLENMÖRDER
ODER EIN BEDINGT WARSCHEINLICHER TÄTER
Mord an der B 91. Und kaum verwertbare Spuren – bis auf das Blut
unter den Fingernägeln des Opfers. Volltreff er! Eine DNAAnalyse
überführt den vorbestraft en Matthias Bernsdorf als
Täter. Mit «an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit».
Aber reicht das aus? Wie zuverlässig ist eigentlich der Gentest?
Über Statistik und Polizeiarbeit. 18
ODER AUCH GENIES KÖNNEN IRREN
Viele tun sich schwer,
aus einem Endpreis die Mehrwertsteuer «rauszurechnen».
Das ist nämlich ein Dreisatz. Und an einer solchen
Dreisatz-Rechnung ist sogar schon einmal eine Frau gescheitert,
Marilyn vos Savant, die als intelligenteste Frau der Welt gilt.
Sie hatte sich mit Hühnern vertan. Aber das war in Wahrheit
eine Denksportaufgabe. 27 DURCHSCHNITTSVERDIENER
ODER AB DURCH DIE MITTE
Gehaltsverhandlungen in
der Firma Brauner Elektronik. Die Mitarbeiter verdienen
im Schnitt 2 850 Euro. Zu wenig, findet der Betriebsrat und
fordert Nachbesserung. Denn der Durchschnittsverdienst in
der Branche liegt bei 3 000 Euro. Doch was genau beschreibt
der Durchschnitt eigentlich? Verdient der «typische» Mitarbeiter
bei Brauner 2 850 Euro? Nein, die meisten bekommen
deutlich weniger. 35
DAS HEIRATSPROBLEM
ODER:::OB SICH NICHT DOCH WAS BESSERES FINDET
Marina ist eine begehrenswerte Frau. Gerade hat Karsten ihr einen
Heiratsantrag gemacht. Ganz romantisch. Doch Marina
zögert. Nicht zum ersten Mal. Es könnte ja noch ein Besserer
kommen. Klarer Fall von Traumprinz-Syndrom, meint
ihre Freundin. Dabei lässt sich die Wahrscheinlichkeit sogar
berechnen, welcher Bewerber aus einer bestimmten Anzahl
von Interessenten der beste sein dürfte. Eine mathematische
Liebeshilfe. 47
DER ERRECHNETE WAHLSIEG
ODER WENIGER IST MANCHMAL MEHR
Dicke Luft in Hoppenstadt.
Da wegen einer Gebietsreform die Wahlkreise
neu zugeschnitten werden müssen, sieht die Bürgerpartei ihre
Chancen schwinden. Da ist Kreativität gefordert. Denn es
ist durchaus möglich, mit weniger Stimmen mehr Mandate
zu erringen. Ebenso ist es möglich, durch zu viele Stimmen
Mandate zu verlieren. Erklären kann das nur die Wahl-Mathematik.59
DIE GEFÄLSCHTE SEMINARARBEIT
ODER BEFORDS SELTSAMES GESETZ
Wenn man irgendeineZeitung nimmt und alle darin notierten Zahlen
heraussucht,von den Börsenkursen über den Wetterbericht bis
zum Sport, dann beginnen 30 Prozent dieser Zahlen mit der
Ziffer 1, 18 Prozent mit der Ziffer 2 und so weiter. Das heißt,
die Ziffern sind ungleich verteilt. Das hat Frank Benford
herausgefunden. Mit seinem Gesetz lassen sich gefälschte
Seminararbeiten ebenso leicht erkennen wie geschönteBilanzen. 70 FAIRPLAY
ODER EIN PERFEKTES SYSTEM
Frank Burmeister kennt ein
nahezu sicheres System, um beim Roulette zu gewinnen. Er
setzt konsequent auf Schwarz und verdoppelt seinen Einsatz,
wenn Rot fällt. Doch das nahezu Unwahrscheinliche passiert.
Elfmal hintereinander bleibt die Kugel auf einer roten Zahl
liegen. Frank Burmeister verliert über 10 000 Euro – und hat
etwas gelernt: über Erwartungswerte und das «Gesetz derSerie». 82
EIN MÖRDERISCHER GEHEIMBUND ODER DER «GOLDENE SCHNITT»
Hippasos gehört den Pythagoreern
an, die das Erbe des längst verstorbenen Pythagoras
ehren. «Alles ist Zahl», hatte dieser gelehrt, alle Verhältnisse
in unserer Welt lassen sich durch ganze Zahlen ausdrücken.
Aber Hippasos hat herausgefunden, dass das nicht stimmt,
und dabei die irrationalen Zahlen entdeckt, zum Beispiel das
«schöne» Phi, auch bekannt als «Goldener Schnitt». 96 FRAUENFRAGEN
ODER MEHR IST MANCHMAL WENIGER
Die Frauenbeauftragte
der Erlanger Hochschule für Übersetzungswesen ist
alarmiert. Die neuesten Zulassungszahlen belegen nachdrücklich,
dass Frauen bei der Auswahl benachteiligt werden. Nur
31 Prozent der weiblichen Bewerber wurden angenommen,
gegenüber 47 Prozent bei den Männern. Aber in jedem einzelnen
Fachbereich wurden prozentual mehr Bewerberinnen
zugelassen. Ein Paradox namens Simpson. 111 MÄNNERPHANTASIEN
ODER BIER, BEINE UND ANDERE EXTREME Frühlingserwachen
am Elbstrand. Kolja und Jens genießen die ersten
Sonnenstrahlen und die ersten Frauenbeine der Saison. Wenn
nur die im Sand abgestellte Bierdose nicht immer umkippen
würde. Wann die Dose den sichersten Stand hat und aus
welcher Entfernung man ein Frauenbein am besten in den
Blick nehmen kann, hilft die Analysis herauszufinden. Aber
Vorsicht! Das sind «Extremwertaufgaben». 112
ZEIT IST GELD
ODER EIN VERLOCKENDES ANGEBOT
Die Beraterin der Sparbank,Frau Weichmann, bietet sagenhafte Konditionen.
Aber welche der verlockenden Varianten – «klassisch», «geradlinig»
oder «dynamisch» – ist tatsächlich die beste? Um das herauszufinden,
gilt es, zwischen linearem, quadratischem und
exponentiellem Wachstum zu unterscheiden. Im Endeffekt ist
das exponentielle Wachstum unschlagbar. Das musste auch
der Viktoriasee erfahren. 123 ROUTENPLANUNG
ODER MINISTER AUF REISEN
Außenminister sind viel
unterwegs. Wie aber findet man für eine Antrittsreise in
neun Städte den kürzesten Weg? Prinzipiell ist es einfach,
das sogenannte Problem des Handlungsreisenden zu lösen,
aber tatsächlich ist es schwieriger als erwartet. Für eine Rundtour
durch neun Städte beispielsweise gibt es 20 160 mögliche
Routen. Da ist der Routenplaner schnell überfordert und eine
Optimierungs strategie gefragt. 152
IN DEN STRASSEN VON MANHATTAN
ODER PYTHAGORAS VOR GERICHT
In der Nähe einer
Schule wird ein Drogendealer festgenommen. Aber wie
nah genau? Denn davon hängt ab, ob sein Verbrechen vor
Gericht als «besonders schwerer Fall» gilt. Anstatt vor Ort
nachzumessen, genügt der Staatsanwältin ein Stadtplan und
der Satz des Pythagoras – der vielleicht bekannteste Satz der
Mathematik. 165
KLINGENDE MATHEMATIK
ODER DER JOHANN-SEBASTOAM-CPDE
Als der Musiktheoretiker
Andreas Werckmeister eine neue Art der Klavierstimmung
entwickelte, war Johann Sebastian Bach begeistert
und schrieb gleich ein ganzes Klavierwerk für die «wohltemperierte
» Stimmung. Und nicht nur das. Auf dem Titelblatt
seines Werkes, das will der Pianist Bradley Lehmann 2005
herausgefunden haben, hat er zugleich den mathematischen
Code für diese Stimmung festgehalten. 175
ALLES FLIESST
ODER BANKRÄUBER IM STAU
55 000 Euro in kleinen Scheinen
auf der Rückbank des gestohlenen BMW – und nichts geht
mehr. Manni und Harry stehen im Stau, während die Polizei
übers Radio schon die Fahrzeugbeschreibung durchgibt. Ja,
der Verkehrsfl uss ist scheinbar unberechenbar – und lässt
sich doch berechnen. Zwar sind lineare Gleichungssysteme
und Extremwertaufgaben nicht ohne – aber das Ergebnis ist
äußerst überraschend. 186 KREISQUADRIERER
ODER WAHRHEIT PER GESETZ
5. Februar 1897. Im Abgeordnetenhaus
des US-Bundesstaates Indiana wird heftig
debattiert. Von der Quadratur des Kreises ist die Rede und
davon, dass ein neuer, korrekter Wert für Pi gesetzlich festgelegt
werden soll. Aber wissen die Abgeordneten überhaupt,
wovon sie da reden? Nein, sie sind dem «Kreisquadrierer»
Edwin J. Goodwin auf den Leim gegangen. Und die Goodwins
dieser Welt sind immer noch nicht ausgestorben. 205 ANHANG
MERKSACHEN 217
AUSGERECHNET: LÖSUNGEN 229
QUELLENANGABEN 232
INDEX 235
KEINE ANGST VOR GROßEN ZAHLENoder
Sechs Moleküle von Goethe
«Die Mathematik als Fachgebiet ist so ernst,
dass man keine Gelegenheit versäumen sollte,sie unterhaltsamer zu gestalten.»Blaise Pascal (1623–1662)
«Mehr Licht!», soll Johann Wolfgang von Goethe gesagt haben, bevor er seinen letzten Atemzug tat. Dann entschlief der große deutsche Dichter. Der letzte Atemzug Goethes – gewiss ein kostbarer Hauch für eingefleischte Fans des Geheimrats (und vielleicht eine unappetitliche Vorstellung für andere). Aber wo ist er hin? Ist in der Luft, die wir hier und heute in unsere Lungen ziehen, ein Molekül enthalten, das Goethe einmal ausgeatmet hat? Vielleicht sogar eines aus diesem einen, letzten Atemzug? Man kann über so eine Frage ins Philosophieren verfallen. Oder aber ins Rechnen. Die wenigsten Leute kommen auf die letztere Idee – dabei ist die Sache gar nicht so schwierig, wenn man ein paar grundlegende Zahlenwerte kennt. Manche erinnern sich vielleicht noch aus der Schule an die
Einheit «Mol». Ein Mol eines Stoffes ist eine Menge von 6·10²³ Molekülen.
Also 600 000 000 000 000 000 000 000 Moleküle.
Solche Einheiten braucht man im Umgang mit diesen winzigen Bausteinen der Materie. Für Gase aller Art gilt: Bei normalem atmosphärischem Druck hat ein Mol des Gases ein Volumen von etwa 25 Litern. Ein Atemzug – zum Beispiel der letzte von Goethe – hat etwa ein Volumen von einem Liter, enthält also ein fünfundzwanzigstel Mol oder 2,4·10²² Moleküle. Wir atmen im Durchschnitt vielleicht
20-mal pro Minute, das macht in 83 Jahren (so alt wurde Goethe) 20 · 60 · 24 · 365 · 83 = 872 496 000 Atemzüge – oder aber 2·10³¹ Moleküle. (Hier steckt schon mal eine grobe Vereinfachung drin: Sicher hat Goethe eine Menge der Moleküle zweimal ein- und ausgeatmet, insbesondere wenn nachts das Fenster geschlossen war). Man kann davon ausgehen, dass sich die Luft in unserer Atmosphäre seit Goethes Tod sehr gut durchmischt hat und deshalb in jedem Liter Luft etwa gleich viele Goethe-Moleküle enthalten sind. Wie viel Luft enthält die Atmosphäre? Ihre Masse, das habe ich irgendwo nachgelesen, beträgt 5·10²¹ Gramm. Ein Mol Luft wiegt etwa 30 Gramm. Das macht also
5·10²¹ : 30 = 1,7·10²º Mol Luft – oder auch die unvorstellbar große Zahl von 10 Molekülen. Nun haben wir alle Zahlen zusammen für die finale Rechnung: Wir dividieren die Zahl aller Luftmoleküle durch die
Zahl der Goethe-Moleküle und erhalten: Eines von 5·10¹² (oder 5 Billionen) Luftmolekülen hat Goethe irgendwann mal geatmet, eines von 4·10²¹ Molekülen war sogar in jenem letzten Atemzug. Da wir, wie schon Goethe, mit jedem Atemzug 2,4·10²² Moleküle einatmen, sind darunter im Durchschnitt
5 Milliarden Moleküle, die Goethe irgendwann einmal geatmet hat – und 6 Moleküle aus dem Atemzug, mit dem der Dichter sein Leben aushauchte. Im Durchschnitt. Auf ähnliche Weise kann man übrigens die Zahl der Moleküle in einem Glas Wasser berechnen, die irgendwann einmal durch
Goethes Körper gegangen sind. Sechs Moleküle aus Goethes letztem Hauch in jedem Liter Luft , den wir einatmen! Da atmet man gleich sehr viel ehrfürchtiger. Zwar ist die ganze Rechnung eine ziemliche Spinnerei. Ich habe sehr grobe Schätzungen vorgenommen und das Ergebnis bei jedem Schritt großzügig auf- oder abgerundet. Aber darum geht es gar nicht. Gefragt war hier nach der
Größenordnung: Ob es plausibel ist, dass wir ständig Goethe-Moleküle einatmen. Und das ist es offenbar – egal ob es nun 6 sind oder 2 oder 20. Die Fragestellung ist natürlich völlig irrelevant, aber
die Beschäftigung mit solchen Zahlen gibt uns ein Gefühl für Größenordnungen. Und ein solches Gefühl zu haben ist wichtig, spätestens wenn es um Geld geht: Es ist eben nicht egal, ob man 100 oder 10 000 Euro ausgibt. Wir hatten einmal einen Wirtschaftsminister, der auf die Frage eines
Reporters, wie viele Nullen eine Milliarde hat, raten musste: «Ach du lieber Gott! Sieben? Acht?» Es sind neun, Herr Bangemann! Nun kann es jedem einmal die Sprache verschlagen, wenn er plötzlich eine Fernsehkamera oder ein Mikrofon auf sich gerichtet sieht. Ein bisschen Bedenkzeit muss schon erlaubt sein. Aber vielen Politikern muss man leider zutrauen, dass sie es tatsächlich nicht wissen. Und trotzdem täglich über Beträge mit sieben, acht oder neun Nullen entscheiden. Auch wenn wir ständig in den Nachrichten mit Berichten über Milliarden-Beträge überschüttet werden – ein richtiges Gefühl dafür, wie groß so eine Milliarde ist, haben die wenigsten Menschen. Psychologen haben das Verhältnis der Menschen zum Geld untersucht und festgestellt, dass sie bis etwa 500 000 (damals waren es noch D-Mark) noch eine sinnliche Vorstellung von der Höhe der Beträge haben («Eigenheim» antworten sie auf die Frage, was man dafür kaufen kann), aber dann hört es auf. Ein Minister mag dafür kämpfen, in diesem Jahr einen Etat von 21 Milliarden Euro zu bekommen, weil es letztes Jahr 20 Milliarden waren – aber ob er sich den Betrag wirklich vorstellen kann, darf man getrost bezweifeln. Aber auch wenn große Zahlen das sinnlich Fassbare oft übersteigen, ist es nicht nur für Minister sinnvoll, den Umgang mit ihnen zu üben, um sie auf Plausibilität überprüfen zu können, indem man sie mit anderen, bekannten Größen vergleicht. Das Rechnen mit ihnen ist eigentlich genauso einfach wie das Rechnen mit kleineren Zahlen, wie man an dem Goethe-Beispiel sehen konnte (dabei waren die Exponenten sehr nützlich: Näheres dazu steht im Anhang auf S. 223). Ein Beispiel zum Thema Geld: Nehmen wir an, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, sitzt an seinem Computer und arbeitet. Da erspäht er vor der Tür seines Büros einen 5-Euro-Schein auf dem Gang, den jemand verloren hat. Lohnt es sich für Ackermann, aufzustehen und den Geldschein aufzuheben? Dabei nehmen wir an, dass er in der Zeit, die er nicht am Computer sitzt, kein Geld verdient (was natürlich Unsinn ist). Die Frage ist also eigentlich: Wie lange muss Herr Ackermann für 5 Euro arbeiten? Schätzen Sie erst einmal, bevor Sie es ausrechnen! Im Jahr 2006 hat Ackermann etwa 12 Millionen Euro verdient. Das ist eine Menge Geld. Wir nehmen zu seinen Gunsten an, dass er dafür pro Woche 60 Stunden gearbeitet und keinen Urlaub genommen hat. Dann ergibt sich, bei 52 Wochen, ein Stundenlohn von 3 846 Euro. Runden wir die Zahl noch einmal ab und sagen 3 600 Euro. Das heißt: Jede Sekunde verdient Josef Ackermann einen Euro. Damit es sich lohnt, den 5-Euro-Schein aufzuheben, darf die Aktion also nicht länger als 5 Sekunden dauern. Sputen Sie sich, Herr Direktor! Ein anderer Vergleich, der verdeutlicht, wie viel unsere Spitzenmanager verdienen: Herr Ackermann muss 345 Sekunden oder knapp 6 Minuten arbeiten, bis er den Hartz-IV-Regelsatz von 345 Euro beisammen hat. Apropos Hartz IV: Schätzen Sie doch bitte noch einmal, wie viele Hartz-IV-Empfänger man für den Preis eines Eurofighters ein Jahr lang mit dem Regelsatz versorgen kann? 180, 1 800 oder 18 000? Ein Eurofighter kostet den Steuerzahler 75 Millionen Euro. Geteilt durch den Regelsatz, geteilt durch 12 – macht ungefähr 18 000. Das ist die Zahl sämtlicher Hartz-IV-Empfänger in einer Stadt wie Bochum. Nun gut, das kann man nicht gegeneinander aufrechnen. So ein Jet muss ja auch sein. Deutschland hat aber nicht einen dieser Flieger bestellt, sondern 180. Man kann gewiss politisch argumentieren, dass diese Rechnung demagogisch sei und Äpfel mit Birnen vergleiche. Dass wir die modernen Kampfjets zu unserer Verteidigung dringend bräuchten und der Preis gerechtfertigt sei. Das mag ja vielleicht so sein, die Rechnung stimmt aber trotzdem. Und wer sich für derartige Investitionen einsetzt, der darf nicht nur qualitativ argumentieren («Wir brauchen das, weil …»), sondern sollte auch quantitativ überzeugen: «Wir können uns diese Ausgabe leisten.» Und dann muss er sich auf einen entsprechenden Äpfel-Birnen-Vergleich einlassen, weil jeder Euro eben nur einmal ausgegeben werden kann.
MUT ZUR UNGENAUIGKEIT Stellen Sie sich – noch ein Beispiel – folgendes Spiel vor: Jemand hat am Rand der Autobahn von Hamburg nach Berlin eine zwei Zentimeter breite und zwei Meter hohe Latte in den Boden geschlagen. Irgendwo zwischen Hamburg und Berlin, Sie haben keine Ahnung, wo. Sie fahren die Strecke nachts mit dem Auto und haben eine Pistole dabei. Zu einem beliebigen Zeitpunkt, den Sie frei wählen können, kurbeln Sie die Fensterscheibe herunter und schießen in Richtung Straßenrand. Einmal. Wenn Sie die Latte treffen, haben Sie gewonnen. Würden Sie auch nur einen Euro auf dieses Spiel wetten, selbst wenn der Gewinn im Fall eines Treffers eine Million betrüge? Nein? Genau das machen aber Millionen von Menschen jede Woche, wenn sie einen Lottoschein ausfüllen. Die Chance, sechs Richtige zu tippen, ist nämlich genauso groß wie die Aussicht des nächtlichen Schützen, die Latte zu treffen, etwa 1 zu 14 Millionen. Viel Glück weiterhin! Wir haben auch für Wahrscheinlichkeiten nur wenig Intuition. Je nachdem, wie ein Problem formuliert ist, täuschen wir uns über unsere Chancen. Auch da hilft letztlich nur eines: Ausrechnen, zumindest überschlagsweise.
In der Schule wurde von uns erwartet, genau zu rechnen. Da genügte auf die Frage «Wie viel ist 7 mal 14?» nicht die Antwort «Ungefähr 100!» – die Lehrerin wollte die exakte Lösung hören, nämlich 98. Für die meisten praktischen Fälle aber ist 7 mal 14 ungefähr 100, die Kreiszahl π ist 3 (statt 3,14…, siehe S. 205), die Erdbeschleunigung 10 m/s2 (statt 9,81). Exakte Werte sind nur notwendig, wenn es auf wirkliche Präzision und feine Unterschiede ankommt. Im Sport beispielsweise wollen wir nicht wissen, ob jemand die 100 Meter in «ungefähr 10 Sekunden» gelaufen ist – da liegen zwischen 9,8 und 10,4 Sekunden ganze Klassen. Beim Rechnen mit Größenordnungen ist Präzision dagegen oft eine Scheinpräzision. Der Statistiker Walter Krämer bringt gern das Beispiel einer Tabelle aus einer britischen Publikation, die die Zahl der zivilen Opfer des 2. Weltkriegs auflistet: ZivilistenAlliierte Großbritannien 60 595Belgien 90 000China gewaltige AnzahlDänemark unbekanntFrankreich 242 000Norwegen 3 638UdSSR 6 000 000 6 548 233
Feinde Deutschland 500 000
Österreich 125 000
Italien 180 000
Japan 600 000
Polen 5 300 000Jugoslawien beträchtliche Anzahl 6 705 000
Insbesondere die erste Tabelle ist natürlich völlig unsinnig, weil sie präzise Zahlen (Norwegen) mit ungefähren (Belgien) oder gar nicht bekannten vermischt. Bei solchen Additionen kommt immer eine scheinbar exakte Zahl heraus, die unser Vertrauen erweckt, die aber mit Sicherheit falsch ist. Also: Haben Sie Mut zur Ungenauigkeit, solange die Größenordnung stimmt. Dann bekommen Sie mit etwas Übung das Reich der Zahlen in den Griff.
«AUSGERECHNET»Auf der Erde leben 6,5 Milliarden Menschen. Wenn sie alle dicht gedrängt nebeneinanderstünden, wie bei einem Rockkonzert – hätten sie dann auf dem Bodensee Platz? Erst schätzen, dann rechnen! (Der Bodensee hat eine Fläche von 536 Quadratkilometern.) Auflösung unter www.rowohlt.de/mathematikverfuehrer
© 2007 by Booklett Brodersen
- Autor: Christoph Drösser
- 2014, 16. Aufl., 238 Seiten, mit Abbildungen, Masse: 12,4 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499624265
- ISBN-13: 9783499624261
- Erscheinungsdatum: 18.11.2008
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