Der kleine Ritter Trenk Bd.1
Ein Lieblingsbuch für die ganze Familie zum Vorlesen und Selberlesen!
Bauernjunge Trenk findet es ungerecht, dass alle Bauern ihrem Herrn gehören. So bricht er mit seinem Ferkelchen in die Stadt auf, um sein Glück zu...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der kleine Ritter Trenk Bd.1 “
Ein Lieblingsbuch für die ganze Familie zum Vorlesen und Selberlesen!
Bauernjunge Trenk findet es ungerecht, dass alle Bauern ihrem Herrn gehören. So bricht er mit seinem Ferkelchen in die Stadt auf, um sein Glück zu machen. Doch das ist gar nicht einfach. Gut, dass er immer wieder Freunde findet, die ihm weiterhelfen. So wird er schließlich selbst zum Ritter und kämpft sogar mit einem Drachen.
Klappentext zu „Der kleine Ritter Trenk Bd.1 “
In "Der kleine Ritter Trenk" von Kirsten Boie entflieht der junge Bauernsohn Trenk der starren Ordnung des mittelalterlichen Lehnswesens, um für ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen. Mit nichts als Mut im Herzen und seinem treuen Ferkel an der Seite begibt sich Trenk auf eine abenteuerliche Reise, die ihn nicht nur in die Welt der Ritter und Burgen, sondern auch vor die Herausforderung stellt, einen echten Drachen zu bezwingen. Während seiner Odyssee lernt Trenk den Wert wahrer Freundschaft kennen, stärkt sein Selbstbewusstsein und entdeckt, dass Klugheit und Mut mächtiger sind als das Schwert. Dieses Buch bietet jungen Lesern eine faszinierende Einführung in das mittelalterliche Leben, vermittelt wichtige Werte wie Mut, Solidarität und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Die lebendigen Illustrationen von Barbara Scholz ergänzen die packende Erzählung und machen "Der kleine Ritter Trenk" zu einem idealen Vorlesebuch für Kinder ab 5 Jahren sowie zu einem spannenden Selbstlesebuch für Kinder ab 8 Jahren.
- Historisches Setting mit lehrreichem Wert: Die Geschichte bietet einen anschaulichen Einblick in die mittelalterliche Gesellschaft und ihre Hierarchien.
- Starke Charakterentwicklung: Trenk wächst mit seinen Herausforderungen und wird zum Vorbild in Sachen Mut und Gerechtigkeit.
- Förderung von Lesekompetenz und Vorstellungskraft: Durch die spannende Handlung und die detailreichen Illustrationen werden junge Leser*innen zum Mitdenken angeregt und ihre Fantasie gefördert.
- Thematisierung universeller Werte: Die Geschichte thematisiert die Bedeutung von Freundschaft, Mut und dem Kampf für das eigene Recht - wichtige Werte für die Entwicklung junger Menschen.
- Vielfältiges Lesevergnügen: "Der kleine Ritter Trenk" eignet sich hervorragend zum Vorlesen für jüngere Kinder sowie zum Selbstlesen für die Älteren, was das Buch zu einer wertvollen Ergänzung jeder Kinderbuchsammlung macht.
Lese-Probe zu „Der kleine Ritter Trenk Bd.1 “
Der kleine Ritter Trenk von Kirsten Boie3. Kapitel,
In dem erzählt wird, wie Trenk von zu Hause aufbricht
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Bestimmt kannst du dir vorstellen, wie zornig und verzweifelt Trenk sich fühlte, als der Büttel in der Dämmerung verschwunden war. Vielleicht schämte er sich sogar ein ganz kleines bisschen. Es ist ja schließlich keine Kleinigkeit, wenn der eigene Vater abgeholt wird, damit man ihn verprügeln kann!
Natürlich hatte Trenk in jedem Jahr wieder erlebt, wie der Büttel seinen Vater auf die Burg führte, aber in diesem Jahr war er wohl auf einmal groß genug, um zu begreifen, wie schrecklich ungerecht das alles war.
„Nein, das kann doch wohl nicht sein!", rief Trenk. „Der Herr Ritter . . ."
„Gott behüte ihn!", rief seine Mutter und machte einen kleinen Knicks. Dabei konnte der Büttel sie ja längst nicht mehr sehen.
„. . . gibt uns ein Stück Land, das so mager ist, dass nichts darauf wächst, und dann prügelt er den Herrn Vater dafür, dass der ihm nichts von der Ernte abliefert! Soll er uns doch ein besseres Stück Land geben!", und er schlug mit der Faust auf den hölzernen Tisch, dass es dröhnte. „Aber das gute Land behält er natürlich für sich! Dieser Schurke! Dieser Bandit!"
„Dieser Bandit!", rief Mia-Mina auch, aber da hielt Trenks Mutter ihr schnell die Hand vor den Mund, denn wer weiß, was geschehen wäre, wenn irgendjemand sie belauscht und dem Ritter berichtet hätte, wie in der kleinen Kate über ihn gesprochen wurde.
„Seid leise, ich flehe euch an!", sagte sie. „Ist es nicht schlimm genug, wie es ist? Muss es noch schlimmer kommen?"
„Noch schlimmer?", sagte Trenk böse. „Wie sollte das denn wohl sein? Wir haben nichts zu essen, unseren Vater prügelt der Herr Ritter windelweich, und unser Ferkel nimmt er uns jetzt auch noch weg!"
Mia-Mina heulte auf. „Ferkelchen!", schrie sie und schmiss sich lang auf den Boden, um das Ferkel zu greifen. Dann presste sie es an sich und streichelte ihm den graurosa Rücken, auf dem ganz zaghaft und weich die ersten Borsten zu wachsen begannen.
Inzwischen war es in der Kate ganz und gar dunkel geworden, denn Lampen gab es damals natürlich noch nicht, und glaub bloß nicht, dass so ein armer Bauer genug Geld für Kerzen gehabt hätte. Wenn es dunkel war, dann war es eben dunkel und basta, da konnte man gar nichts machen. Das einzige Licht kam dann nur noch vom Feuer in der Mitte der Kate, aber allzu viel Holz konnte man schließlich auch nicht verbrauchen, und darum brannte es längst nicht die ganze Nacht.
„Wir können es nicht ändern", flüsterte Trenks Mutter, und ihre Stimme war jetzt so klein und kummervoll, dass es Trenk fast das Herz zerriss. Niemand kann es ja gut aushalten, wenn seine Mutter so traurig ist. „Es ist einfach nur so wie in jedem Jahr. Euer guter Vater tut, was er kann, aber wo keine Ernte ist, da ist auch kein Zins." „Und wo kein Zins ist, da sind Prügel", sagte Trenk. „Jedes Jahr und jedes Jahr und jedes Jahr! Und niemals, niemals wird es anders sein! Man muss sich ja schämen, wenn der eigene Vater schon den Spitznamen Tausendschlag trägt, weil er vom Herrn Ritter so oft den Ochsenziemer zu schmecken bekommt!"
„Wir können es nicht ändern", flüsterte seine Mutter wieder und legte sich auf ihrem Strohsack schlafen. „Leibeigen geboren, leibeigen gestorben, leibeigen ein Leben lang!", und jetzt war Trenk sich ganz sicher, dass er sie schluchzen hörte, und seine kleine Schwester Mia-Mina schluchzte auch.
Da merkte Trenk, wie die Wut in seinem Bauch immer größer und stärker und größer und stärker wurde, und am liebsten wäre er sofort hochgestürmt auf die Burg und hätte dem Herrn Ritter eins mit dem Besen übergezogen oder ihm wenigstens ordentlich etwas erzählt; aber so klug war Trenk schon, dass er wusste, was dann mit ihm passieren würde. Dann würde er nämlich auch zu seinem Vater in den dunklen Kerker unter der Burg geworfen werden, wo es kalt und feucht war und nicht einmal am Tag ein Lichtstrahl hineinfiel; und das hätte ja nun niemandem genützt.
„Leibeigen geboren, leibeigen gestorben, leibeigen ein Leben lang!", flüsterte Trenk, und in seiner Wut trat er mit dem Fuß in die Luft, und dabei traf er aus Versehen das Ferkel, das mit einem lauten Quieker im hintersten Winkel der Kate verschwand.
„Deshalb darfst du trotzdem meinem Ferkelchen nicht wehtun!", flüsterte Mia-Mina böse. „Wo es sowieso bald oben auf der Burg in den Kochtopf wandert!" Und dann schluchzte sie wieder, und plötzlich wusste Trenk, dass es so nicht weitergehen durfte. Es musste etwas passieren. Und wie das oft so ist im Leben: Wenn der Kummer am größten ist, fällt einem plötzlich eine Lösung ein.
„Mia-Mina!", flüsterte Trenk. „Hör auf zu weinen! Ich weiß jetzt, was ich tun kann!"
Auf der anderen Seite des winzigen Häufleins Glut, das vom Feuer noch übrig geblieben war, seufzte seine Mutter auf ihrem Strohsack im Schlaf. Du hast ja wohl nicht geglaubt, dass arme Bauern damals ein richtiges Bett hatten, aber wenn man so viel arbeitet, dass man abends fast tot umfällt, dann schläft man auch auf einem Strohsack gut.
„Weißt du gar nicht!", flüsterte Mia-Mina böse. „Du willst mich nur trösten! Wo man nichts tun kann, da kann man nichts tun."
„Man kann etwas tun!", flüsterte Trenk so laut, dass seine Mutter fast davon aufgewacht wäre. Aber zum Glück nur fast. Denn das hätte Trenk im Augenblick nun wirklich nicht gebrauchen können. „Leibeigen geboren, leibeigen gestorben, ja, so heißt es wohl! Aber es heißt auch: Stadtluft macht frei!"
„Stadtluft macht frei!", flüsterte Mia-Mina andächtig, denn das hatte sie auch schon gehört, und das hieß nichts anderes, als dass ein Leibeigener, der seinem Besitzer ausriss und in die Stadt zog, dort plötzlich sich selber gehörte, wenn er ein Jahr lang nicht von seinem Grundherrn aufgestöbert wurde.
„Ich geh in die Stadt!", flüsterte Trenk. „Und Ferkelchen nehme ich mit! Das wäre ja noch schöner, wenn der Herr Ritter unser Ferkelchen essen würde!"
Mia-Mina wurde plötzlich ganz aufgeregt. „Ganz alleine?", fragte sie. „Du ganz alleine, Trenk? Hast du denn gar keine Angst, dass der gefährliche Drache dich unterwegs auffrisst?"
Denn von dem gefährlichen Drachen, der sich in den Wäldern der Umgebung herumtrieb und aus seinen Nüstern Feuer spie, dass der Qualm hoch auf bis zum Himmel stieg, war zu der Zeit gerade viel die Rede.
„Pah!", sagte Trenk, obwohl er einen Schrecken bekam. An den gefährlichen Drachen hatte er nämlich noch gar nicht gedacht. „Der soll sich mal trauen!"
„Was willst du denn in der Stadt machen, Trenk?", fragte Mia- Mina. „Du bist doch noch ein Junge!"
„Aber ich bin stark!", sagte Trenk. Das wusste er nämlich zufällig ganz genau, weil er im Sommer selbst die schwersten Säcke mit Korn heben konnte und auf dem Hof den kräftigsten Ochsen am Hinterteil vorwärtsschieben, wenn der plötzlich beschlossen hatte, störrisch zu sein und sich keinen Schritt vom Fleck zu bewegen. „Und wenn alles in Ordnung ist, hole ich euch alle nach, und wir machen uns ein schönes Leben, heißa-ho-he! Niemand soll zu unserem Vater jemals mehr Haug Tausendschlag sagen dürfen!"
„Nein, Haug Tausendschlag, das ist wirklich zu traurig", flüsterte Mia-Mina. „Wirst du dann reich, Trenk? Baust du uns dann ein Haus, das uns ganz alleine gehört und nicht dem Herrn Ritter?"
Da bekam Trenk doch ein kleines bisschen Angst, weil er ja noch nie in einer Stadt gewesen war und nicht wusste, wie es da aussah und was er tun sollte, um sein Essen und seine Kleidung zu verdienen und das Futter für Ferkelchen noch dazu. Er war ja wirklich noch ein kleiner Junge, musst du bedenken. Aber er wollte Mia-Mina nicht beunruhigen.
„Das wird man alles sehen", sagte er tapfer. „Eines Tages hole ich euch nach in die Stadt, und dann soll niemand mehr unseren Vater verprügeln dürfen."
„Und unser Ferkelchen essen dürfen sie auch nicht", sagte Mia- Mina. „Oh, du bist so mutig, Trenk!"
„Das bin ich!", sagte Trenk, und er war froh, dass Mia-Mina das Zittern in seiner Stimme nicht hörte. „Und wenn du morgen früh aufwachst, erzählst du niemandem, was ich dir gerade gesagt habe. Wir wollen schließlich nicht, dass der Herr Ritter mir seine Leute hinterherschickt, um mich wieder einzufangen. Mit ihren Pferden sind sie tausendmal schneller als ich auf meinen bloßen Sohlen, da haben sie mich gleich! Und gib der Mutter einen dicken Kuss von mir und sag ihr, es wird alles gut."
Dann wickelte er den Ferkelstrick fest um seine Hand und zog und zerrte, denn das faule Ferkel wollte überhaupt nicht einsehen, warum es mitten in der Nacht aufstehen und auf Wanderschaft gehen sollte, wo doch jetzt eigentlich die Zeit für einen tiefen, festen Schlummer war. Aber Trenk war natürlich stärker und mit einem unzufriedenen Quieken zappelte das Ferkel hinter ihm her.
Und Trenk machte sich auf in die sternenklare Nacht, in der der Weg weiß und einladend im Mondschein schimmerte, immer nach Norden zu, wo die Stadt lag, von der er schon so viel gehört hatte und in der er sein Glück machen wollte.
Aber dann ist alles ganz anders gekommen.
4. Kapitel,
In dem erzählt wird, wie Trenk ein merkwürdiges Mädchen kennenlernt
Ich weiß nicht, ob du nachts schon einmal im Mondlicht auf Wanderschaft warst; das kann sehr unheimlich sein, vor allem, wenn man noch ein kleiner Junge ist und ganz allein.
Trenk jedenfalls war noch keine hundert Schritte gegangen, da sehnte er sich schon zurück nach der Kate und seinem Strohsack und dem Nachtgeruch nach Rauch und Tieren und Schlaf, und wenn er nicht immerzu an das Schluchzen seiner Mutter gedacht hätte und an Mia-Minas Kummer und wie sein Vater die Nacht auf der Burg im Kerker verbrachte und außerdem daran, dass Ferkelchen geschlachtet werden sollte, wer weiß, ob er dann nicht ganz schnell umgekehrt wäre.
Aber so warf Trenk nicht einmal einen Blick zurück auf das stille Dorf, in dem jetzt nur ab und zu einmal eine Kuh im Schlaf muhte; stattdessen zerrte er an seinem Ferkelstrick und sah nach vorne auf den Weg und versuchte tapfer, nur ganz wenig Angst zu haben.
„Weil wir beide jetzt nämlich in die Welt hinausziehen, Ferkelchen!", sagte Trenk, aber in der dunklen Nacht klang seine eigene Stimme so unheimlich, dass er lieber ganz schnell wieder still war. Da hörte man nur noch die Nachtgeräusche über den Feldern, und das waren nicht sehr viele, denn es gab ja noch keine Autos, deren Brummen von einer entfernten Autobahn hätte herüberklingen können, und keine Flugzeuge und überhaupt gar nichts, außer vielleicht ab und zu einmal einen Uhu, der seine unheimlichen Nachtschreie ausstieß, oder einen kleinen Vogel, der in seinem Nest im Schlaf fiepte. Aber sonst war es totenstill auf dem Weg, und du kannst mir glauben, dass Trenk ziemlich froh war, dass er wenigstens Ferkelchen dabeihatte, auch wenn es ja ziemlich störrisch war und er immerzu am Strick zerren musste, damit es überhaupt mitkam.
Ja, es war wirklich mutig von Trenk, da so alleine durch die Nacht zu laufen. Zum Glück stand wenigstens der Mond groß und rund am Himmel, und hunderttausend Sterne leuchteten auch, sonst hätte Trenk vielleicht noch nicht einmal den Weg erkennen können. Aber so sah er ihn immerzu weiß und staubig vor seinen Füßen, mit tief eingefahrenen Rillen von den Rädern der Karren, die auf ihm entlanggerollt waren, und hubbelig und aufgewühlt von den Hufen der Kühe und Ochsen, die man zu ihren Weiden getrieben hatte. Da fühlte Trenk sich immer noch ein kleines bisschen zu Hause. Aber dann kam der Wald.
Es war nur ein kleiner Wald, und bei Tag waren Trenk und Mia- Mina schon manches Mal zum Beerenpflücken oder Pilzesammeln durch sein Dickicht gekrochen; aber nachts war er wirklich sehr, sehr dunkel und sehr, sehr wild und verlassen; und du musst bedenken, dass es damals in den Wäldern auch noch Bären und Wölfe gab, die vielleicht lange nichts Vernünftiges mehr gefressen hatten und darum gerade auf ein leckeres kleines Ferkel und zur Not auch auf einen mageren kleinen Bauernjungen warteten, um sich mal wieder ein Festmahl zu genehmigen. Und außerdem gab es ja auch noch den Drachen.
„Ferkelchen?", flüsterte Trenk. „Ferkelchen, jetzt musst du ganz, ganz leise sein!"
Aber wer schon einmal mit einem Schwein in der Nacht durch den Wald gewandert ist, der weiß, das ist keine einfache Angelegenheit. Ferkelchen grunzte und quiekte und zerrte an seinem Strick, denn furchtbar mutig sind Schweine meistens nicht, und der Wald roch fremd und gefährlich für seinen kleinen Schweinerüssel. Darum rannte Ferkelchen aufgeregt mal hierhin und mal dahin, dass sich der Strick um die Stämme der Bäume wickelte und die Vögel oben in den Ästen vor Schreck schlaftrunken aus ihren Nestern flogen.
„Ferkelchen!", flüsterte Trenk. „So weckst du die Bären und die Wölfe und all die anderen wilden Tiere doch auf!"
Und da hörte er es auch schon! In einem Eibengebüsch, nicht weitab vom Weg, regte sich etwas, und dem Geräusch nach zu urteilen, das es machte, war es kein kleines Etwas wie zum Beispiel eine Haselmaus oder ein Kaninchen oder meinetwegen auch ein Wiesel, sondern ziemlich, ziemlich groß.
„Ferkelchen!", flüsterte Trenk, und vor lauter Schreck blieb er wie angewurzelt stehen, und sogar Ferkelchen stellte für einen Augenblick sein Quieken ein.
Denn „Ha!" schrie jetzt das Etwas, das gerade vor den beiden aus dem Gebüsch gesprungen kam und einen dicken Knotenstock schwang, und „Ho!" und „Potzblitz!" und was die Menschen damals noch so alles geschrien haben, wenn sie jemandem ordentlich Angst einjagen wollten. Aber die hatten Trenk und Ferkelchen ja sowieso schon.
In den Wäldern, das weißt du vielleicht nicht, hausten damals nämlich nicht nur wilde Bären und Wölfe und manchmal vielleicht sogar Drachen, sondern auch wildes Gesindel wie zum Beispiel Räuber und Banditen, die im Dickicht den Bauern auflauerten, wenn sie mit ihrem Obst und Gemüse auf dem Weg zum Markt waren; und ganz besonders gerne lauerten sie den reichen Herren Rittern und Damen Ritterfräulein auf, bei denen sich ein Raub ordentlich lohnte, weil sie ja meistens Gold und Geschmeide und überhaupt lauter Sachen bei sich hatten, die die Räuber und Banditen gut gebrauchen konnten. Und wenn jetzt jemand mitten in der Nacht aus dem Gebüsch gestürzt kam und „Ha!" und „Ho!" und „Potzblitz!" schrie, was sollte Trenk da wohl denken? Natürlich glaubte er, dass es ein Räuber war, der da mit seinem Knotenstock auf ihn und Ferkelchen losgestürzt kam.
„Nichts tun!", rief Trenk darum auch mit einer schrillen Stimme, die ihm selber ganz fremd vorkam, und Ferkelchen rannte in seiner Panik immerzu rundherum um seine Beine, sodass Trenk von dem Ferkelstrick ganz und gar eingewickelt war und nicht einmal mehr wegrennen konnte, selbst wenn er das gewollt hätte. „Wir haben nichts, was sich zu rauben lohnt! Wir sind nur ein Junge und sein Schwein auf dem Weg in die Stadt!"
„Was?", sagte der Räuber verblüfft. „Na so was!"
Inzwischen war er auf den Weg getreten, sodass Trenk ihn in dem spärlichen Mondlicht, das durch die dichten Kronen der Bäume fiel, besser erkennen konnte, und da wäre er vor Verblüffung (und ein bisschen vielleicht auch, weil ja der Ferkelstrick so fest um seine Beine gewickelt war) fast umgefallen.
„Du bist ja ein Mädchen!"
Denn das war der schreckliche, gefährliche Räuber aus dem Eibengebüsch tatsächlich! Ein mageres Mädchen mit einem Schürzenkleid und langen blonden Zöpfen, das noch nicht einmal viel größer war als Trenk selbst und mit einer krächzigen, rauen Stimme sprach.
„Man muss schon ziemlich verrückt sein, um nachts mit einem Schwein durch den Wald zu wandern", sagte das Mädchen. „So was hab ich ja noch nie gehört."
„Hattest du dich vor uns versteckt?", fragte Trenk hoffnungsvoll und befreite seine Beine von dem Strick, was gar nicht so einfach war, weil Ferkelchen jetzt nämlich immerzu an den Füßen des Mädchens schnupperte, und das gefiel Trenk überhaupt nicht. Ferkelchen sollte sich nicht gleich mit jedem anfreunden, dem sie zufällig nachts im Wald begegneten. „Hast du uns kommen hören und dich im Gebüsch vor uns versteckt?"
Und Trenk merkte, wie er sich plötzlich ganz zufrieden fühlte. Es war doch schön, dass der Jemand aus dem Gebüsch nicht nur kein gefährlicher Bär oder Wolf oder Räuber war, sondern sogar noch Angst vor ihm und Ferkelchen gehabt hatte.
„Quatsch!", sagte das Mädchen mit ihrer krächzigen Stimme und kraulte Ferkelchen im Nacken. „Ich war nur vorsichtig."
Trenk dachte, dass das ja eigentlich haargenau das Gleiche war, aber das sagte er lieber nicht.
„Wenn du auch in die Stadt willst, kannst du mit uns kommen", sagte er großzügig. Denn das Mädchen war natürlich nur ein Mädchen, und damals glaubten die Menschen tatsächlich, dass Mädchen zart und schwach und ängstlich und, wenn es ums Kämpfen ging, nicht sehr nützlich wären; aber trotzdem hatte Trenk das Gefühl, dass er sich vielleicht ein bisschen wohler fühlen würde, wenn er auf seinem Weg durch die Nacht außer einem Schweinekind auch noch ein Menschenkind bei sich hätte. „Ich kann dich auch beschützen." „Du mich beschützen, haha!", sagte das Mädchen und lachte, und wenn die Menschen sich damals schon einen Vogel gezeigt hätten, hätte sie das bestimmt getan. „Du kleiner Knotenfurz!"
Das war ja kein schönes Wort und eine Beleidigung noch dazu für einen Jungen, der mutig genug war, in der finstersten Nacht allein in die Stadt zu wandern, aber Trenk dachte trotzdem, dass er es ihr für dieses Mal verzeihen wollte. Die Hauptsache war schließlich, dass sie zusammen weiterziehen konnten.
„Also, kommst du jetzt mit oder nicht?", fragte er darum.
Da nahm das Mädchen den Stock und Trenk nahm den Ferkelstrick, und dann wanderten sie schweigend zusammen unter dem Sternenhimmel, bis er begann, sich am Horizont rosa zu färben. Und Trenk fühlte sich nicht mehr so allein und kein bisschen ängstlich. Nur sehr, sehr müde.
Bestimmt kannst du dir vorstellen, wie zornig und verzweifelt Trenk sich fühlte, als der Büttel in der Dämmerung verschwunden war. Vielleicht schämte er sich sogar ein ganz kleines bisschen. Es ist ja schließlich keine Kleinigkeit, wenn der eigene Vater abgeholt wird, damit man ihn verprügeln kann!
Natürlich hatte Trenk in jedem Jahr wieder erlebt, wie der Büttel seinen Vater auf die Burg führte, aber in diesem Jahr war er wohl auf einmal groß genug, um zu begreifen, wie schrecklich ungerecht das alles war.
„Nein, das kann doch wohl nicht sein!", rief Trenk. „Der Herr Ritter . . ."
„Gott behüte ihn!", rief seine Mutter und machte einen kleinen Knicks. Dabei konnte der Büttel sie ja längst nicht mehr sehen.
„. . . gibt uns ein Stück Land, das so mager ist, dass nichts darauf wächst, und dann prügelt er den Herrn Vater dafür, dass der ihm nichts von der Ernte abliefert! Soll er uns doch ein besseres Stück Land geben!", und er schlug mit der Faust auf den hölzernen Tisch, dass es dröhnte. „Aber das gute Land behält er natürlich für sich! Dieser Schurke! Dieser Bandit!"
„Dieser Bandit!", rief Mia-Mina auch, aber da hielt Trenks Mutter ihr schnell die Hand vor den Mund, denn wer weiß, was geschehen wäre, wenn irgendjemand sie belauscht und dem Ritter berichtet hätte, wie in der kleinen Kate über ihn gesprochen wurde.
„Seid leise, ich flehe euch an!", sagte sie. „Ist es nicht schlimm genug, wie es ist? Muss es noch schlimmer kommen?"
„Noch schlimmer?", sagte Trenk böse. „Wie sollte das denn wohl sein? Wir haben nichts zu essen, unseren Vater prügelt der Herr Ritter windelweich, und unser Ferkel nimmt er uns jetzt auch noch weg!"
Mia-Mina heulte auf. „Ferkelchen!", schrie sie und schmiss sich lang auf den Boden, um das Ferkel zu greifen. Dann presste sie es an sich und streichelte ihm den graurosa Rücken, auf dem ganz zaghaft und weich die ersten Borsten zu wachsen begannen.
Inzwischen war es in der Kate ganz und gar dunkel geworden, denn Lampen gab es damals natürlich noch nicht, und glaub bloß nicht, dass so ein armer Bauer genug Geld für Kerzen gehabt hätte. Wenn es dunkel war, dann war es eben dunkel und basta, da konnte man gar nichts machen. Das einzige Licht kam dann nur noch vom Feuer in der Mitte der Kate, aber allzu viel Holz konnte man schließlich auch nicht verbrauchen, und darum brannte es längst nicht die ganze Nacht.
„Wir können es nicht ändern", flüsterte Trenks Mutter, und ihre Stimme war jetzt so klein und kummervoll, dass es Trenk fast das Herz zerriss. Niemand kann es ja gut aushalten, wenn seine Mutter so traurig ist. „Es ist einfach nur so wie in jedem Jahr. Euer guter Vater tut, was er kann, aber wo keine Ernte ist, da ist auch kein Zins." „Und wo kein Zins ist, da sind Prügel", sagte Trenk. „Jedes Jahr und jedes Jahr und jedes Jahr! Und niemals, niemals wird es anders sein! Man muss sich ja schämen, wenn der eigene Vater schon den Spitznamen Tausendschlag trägt, weil er vom Herrn Ritter so oft den Ochsenziemer zu schmecken bekommt!"
„Wir können es nicht ändern", flüsterte seine Mutter wieder und legte sich auf ihrem Strohsack schlafen. „Leibeigen geboren, leibeigen gestorben, leibeigen ein Leben lang!", und jetzt war Trenk sich ganz sicher, dass er sie schluchzen hörte, und seine kleine Schwester Mia-Mina schluchzte auch.
Da merkte Trenk, wie die Wut in seinem Bauch immer größer und stärker und größer und stärker wurde, und am liebsten wäre er sofort hochgestürmt auf die Burg und hätte dem Herrn Ritter eins mit dem Besen übergezogen oder ihm wenigstens ordentlich etwas erzählt; aber so klug war Trenk schon, dass er wusste, was dann mit ihm passieren würde. Dann würde er nämlich auch zu seinem Vater in den dunklen Kerker unter der Burg geworfen werden, wo es kalt und feucht war und nicht einmal am Tag ein Lichtstrahl hineinfiel; und das hätte ja nun niemandem genützt.
„Leibeigen geboren, leibeigen gestorben, leibeigen ein Leben lang!", flüsterte Trenk, und in seiner Wut trat er mit dem Fuß in die Luft, und dabei traf er aus Versehen das Ferkel, das mit einem lauten Quieker im hintersten Winkel der Kate verschwand.
„Deshalb darfst du trotzdem meinem Ferkelchen nicht wehtun!", flüsterte Mia-Mina böse. „Wo es sowieso bald oben auf der Burg in den Kochtopf wandert!" Und dann schluchzte sie wieder, und plötzlich wusste Trenk, dass es so nicht weitergehen durfte. Es musste etwas passieren. Und wie das oft so ist im Leben: Wenn der Kummer am größten ist, fällt einem plötzlich eine Lösung ein.
„Mia-Mina!", flüsterte Trenk. „Hör auf zu weinen! Ich weiß jetzt, was ich tun kann!"
Auf der anderen Seite des winzigen Häufleins Glut, das vom Feuer noch übrig geblieben war, seufzte seine Mutter auf ihrem Strohsack im Schlaf. Du hast ja wohl nicht geglaubt, dass arme Bauern damals ein richtiges Bett hatten, aber wenn man so viel arbeitet, dass man abends fast tot umfällt, dann schläft man auch auf einem Strohsack gut.
„Weißt du gar nicht!", flüsterte Mia-Mina böse. „Du willst mich nur trösten! Wo man nichts tun kann, da kann man nichts tun."
„Man kann etwas tun!", flüsterte Trenk so laut, dass seine Mutter fast davon aufgewacht wäre. Aber zum Glück nur fast. Denn das hätte Trenk im Augenblick nun wirklich nicht gebrauchen können. „Leibeigen geboren, leibeigen gestorben, ja, so heißt es wohl! Aber es heißt auch: Stadtluft macht frei!"
„Stadtluft macht frei!", flüsterte Mia-Mina andächtig, denn das hatte sie auch schon gehört, und das hieß nichts anderes, als dass ein Leibeigener, der seinem Besitzer ausriss und in die Stadt zog, dort plötzlich sich selber gehörte, wenn er ein Jahr lang nicht von seinem Grundherrn aufgestöbert wurde.
„Ich geh in die Stadt!", flüsterte Trenk. „Und Ferkelchen nehme ich mit! Das wäre ja noch schöner, wenn der Herr Ritter unser Ferkelchen essen würde!"
Mia-Mina wurde plötzlich ganz aufgeregt. „Ganz alleine?", fragte sie. „Du ganz alleine, Trenk? Hast du denn gar keine Angst, dass der gefährliche Drache dich unterwegs auffrisst?"
Denn von dem gefährlichen Drachen, der sich in den Wäldern der Umgebung herumtrieb und aus seinen Nüstern Feuer spie, dass der Qualm hoch auf bis zum Himmel stieg, war zu der Zeit gerade viel die Rede.
„Pah!", sagte Trenk, obwohl er einen Schrecken bekam. An den gefährlichen Drachen hatte er nämlich noch gar nicht gedacht. „Der soll sich mal trauen!"
„Was willst du denn in der Stadt machen, Trenk?", fragte Mia- Mina. „Du bist doch noch ein Junge!"
„Aber ich bin stark!", sagte Trenk. Das wusste er nämlich zufällig ganz genau, weil er im Sommer selbst die schwersten Säcke mit Korn heben konnte und auf dem Hof den kräftigsten Ochsen am Hinterteil vorwärtsschieben, wenn der plötzlich beschlossen hatte, störrisch zu sein und sich keinen Schritt vom Fleck zu bewegen. „Und wenn alles in Ordnung ist, hole ich euch alle nach, und wir machen uns ein schönes Leben, heißa-ho-he! Niemand soll zu unserem Vater jemals mehr Haug Tausendschlag sagen dürfen!"
„Nein, Haug Tausendschlag, das ist wirklich zu traurig", flüsterte Mia-Mina. „Wirst du dann reich, Trenk? Baust du uns dann ein Haus, das uns ganz alleine gehört und nicht dem Herrn Ritter?"
Da bekam Trenk doch ein kleines bisschen Angst, weil er ja noch nie in einer Stadt gewesen war und nicht wusste, wie es da aussah und was er tun sollte, um sein Essen und seine Kleidung zu verdienen und das Futter für Ferkelchen noch dazu. Er war ja wirklich noch ein kleiner Junge, musst du bedenken. Aber er wollte Mia-Mina nicht beunruhigen.
„Das wird man alles sehen", sagte er tapfer. „Eines Tages hole ich euch nach in die Stadt, und dann soll niemand mehr unseren Vater verprügeln dürfen."
„Und unser Ferkelchen essen dürfen sie auch nicht", sagte Mia- Mina. „Oh, du bist so mutig, Trenk!"
„Das bin ich!", sagte Trenk, und er war froh, dass Mia-Mina das Zittern in seiner Stimme nicht hörte. „Und wenn du morgen früh aufwachst, erzählst du niemandem, was ich dir gerade gesagt habe. Wir wollen schließlich nicht, dass der Herr Ritter mir seine Leute hinterherschickt, um mich wieder einzufangen. Mit ihren Pferden sind sie tausendmal schneller als ich auf meinen bloßen Sohlen, da haben sie mich gleich! Und gib der Mutter einen dicken Kuss von mir und sag ihr, es wird alles gut."
Dann wickelte er den Ferkelstrick fest um seine Hand und zog und zerrte, denn das faule Ferkel wollte überhaupt nicht einsehen, warum es mitten in der Nacht aufstehen und auf Wanderschaft gehen sollte, wo doch jetzt eigentlich die Zeit für einen tiefen, festen Schlummer war. Aber Trenk war natürlich stärker und mit einem unzufriedenen Quieken zappelte das Ferkel hinter ihm her.
Und Trenk machte sich auf in die sternenklare Nacht, in der der Weg weiß und einladend im Mondschein schimmerte, immer nach Norden zu, wo die Stadt lag, von der er schon so viel gehört hatte und in der er sein Glück machen wollte.
Aber dann ist alles ganz anders gekommen.
4. Kapitel,
In dem erzählt wird, wie Trenk ein merkwürdiges Mädchen kennenlernt
Ich weiß nicht, ob du nachts schon einmal im Mondlicht auf Wanderschaft warst; das kann sehr unheimlich sein, vor allem, wenn man noch ein kleiner Junge ist und ganz allein.
Trenk jedenfalls war noch keine hundert Schritte gegangen, da sehnte er sich schon zurück nach der Kate und seinem Strohsack und dem Nachtgeruch nach Rauch und Tieren und Schlaf, und wenn er nicht immerzu an das Schluchzen seiner Mutter gedacht hätte und an Mia-Minas Kummer und wie sein Vater die Nacht auf der Burg im Kerker verbrachte und außerdem daran, dass Ferkelchen geschlachtet werden sollte, wer weiß, ob er dann nicht ganz schnell umgekehrt wäre.
Aber so warf Trenk nicht einmal einen Blick zurück auf das stille Dorf, in dem jetzt nur ab und zu einmal eine Kuh im Schlaf muhte; stattdessen zerrte er an seinem Ferkelstrick und sah nach vorne auf den Weg und versuchte tapfer, nur ganz wenig Angst zu haben.
„Weil wir beide jetzt nämlich in die Welt hinausziehen, Ferkelchen!", sagte Trenk, aber in der dunklen Nacht klang seine eigene Stimme so unheimlich, dass er lieber ganz schnell wieder still war. Da hörte man nur noch die Nachtgeräusche über den Feldern, und das waren nicht sehr viele, denn es gab ja noch keine Autos, deren Brummen von einer entfernten Autobahn hätte herüberklingen können, und keine Flugzeuge und überhaupt gar nichts, außer vielleicht ab und zu einmal einen Uhu, der seine unheimlichen Nachtschreie ausstieß, oder einen kleinen Vogel, der in seinem Nest im Schlaf fiepte. Aber sonst war es totenstill auf dem Weg, und du kannst mir glauben, dass Trenk ziemlich froh war, dass er wenigstens Ferkelchen dabeihatte, auch wenn es ja ziemlich störrisch war und er immerzu am Strick zerren musste, damit es überhaupt mitkam.
Ja, es war wirklich mutig von Trenk, da so alleine durch die Nacht zu laufen. Zum Glück stand wenigstens der Mond groß und rund am Himmel, und hunderttausend Sterne leuchteten auch, sonst hätte Trenk vielleicht noch nicht einmal den Weg erkennen können. Aber so sah er ihn immerzu weiß und staubig vor seinen Füßen, mit tief eingefahrenen Rillen von den Rädern der Karren, die auf ihm entlanggerollt waren, und hubbelig und aufgewühlt von den Hufen der Kühe und Ochsen, die man zu ihren Weiden getrieben hatte. Da fühlte Trenk sich immer noch ein kleines bisschen zu Hause. Aber dann kam der Wald.
Es war nur ein kleiner Wald, und bei Tag waren Trenk und Mia- Mina schon manches Mal zum Beerenpflücken oder Pilzesammeln durch sein Dickicht gekrochen; aber nachts war er wirklich sehr, sehr dunkel und sehr, sehr wild und verlassen; und du musst bedenken, dass es damals in den Wäldern auch noch Bären und Wölfe gab, die vielleicht lange nichts Vernünftiges mehr gefressen hatten und darum gerade auf ein leckeres kleines Ferkel und zur Not auch auf einen mageren kleinen Bauernjungen warteten, um sich mal wieder ein Festmahl zu genehmigen. Und außerdem gab es ja auch noch den Drachen.
„Ferkelchen?", flüsterte Trenk. „Ferkelchen, jetzt musst du ganz, ganz leise sein!"
Aber wer schon einmal mit einem Schwein in der Nacht durch den Wald gewandert ist, der weiß, das ist keine einfache Angelegenheit. Ferkelchen grunzte und quiekte und zerrte an seinem Strick, denn furchtbar mutig sind Schweine meistens nicht, und der Wald roch fremd und gefährlich für seinen kleinen Schweinerüssel. Darum rannte Ferkelchen aufgeregt mal hierhin und mal dahin, dass sich der Strick um die Stämme der Bäume wickelte und die Vögel oben in den Ästen vor Schreck schlaftrunken aus ihren Nestern flogen.
„Ferkelchen!", flüsterte Trenk. „So weckst du die Bären und die Wölfe und all die anderen wilden Tiere doch auf!"
Und da hörte er es auch schon! In einem Eibengebüsch, nicht weitab vom Weg, regte sich etwas, und dem Geräusch nach zu urteilen, das es machte, war es kein kleines Etwas wie zum Beispiel eine Haselmaus oder ein Kaninchen oder meinetwegen auch ein Wiesel, sondern ziemlich, ziemlich groß.
„Ferkelchen!", flüsterte Trenk, und vor lauter Schreck blieb er wie angewurzelt stehen, und sogar Ferkelchen stellte für einen Augenblick sein Quieken ein.
Denn „Ha!" schrie jetzt das Etwas, das gerade vor den beiden aus dem Gebüsch gesprungen kam und einen dicken Knotenstock schwang, und „Ho!" und „Potzblitz!" und was die Menschen damals noch so alles geschrien haben, wenn sie jemandem ordentlich Angst einjagen wollten. Aber die hatten Trenk und Ferkelchen ja sowieso schon.
In den Wäldern, das weißt du vielleicht nicht, hausten damals nämlich nicht nur wilde Bären und Wölfe und manchmal vielleicht sogar Drachen, sondern auch wildes Gesindel wie zum Beispiel Räuber und Banditen, die im Dickicht den Bauern auflauerten, wenn sie mit ihrem Obst und Gemüse auf dem Weg zum Markt waren; und ganz besonders gerne lauerten sie den reichen Herren Rittern und Damen Ritterfräulein auf, bei denen sich ein Raub ordentlich lohnte, weil sie ja meistens Gold und Geschmeide und überhaupt lauter Sachen bei sich hatten, die die Räuber und Banditen gut gebrauchen konnten. Und wenn jetzt jemand mitten in der Nacht aus dem Gebüsch gestürzt kam und „Ha!" und „Ho!" und „Potzblitz!" schrie, was sollte Trenk da wohl denken? Natürlich glaubte er, dass es ein Räuber war, der da mit seinem Knotenstock auf ihn und Ferkelchen losgestürzt kam.
„Nichts tun!", rief Trenk darum auch mit einer schrillen Stimme, die ihm selber ganz fremd vorkam, und Ferkelchen rannte in seiner Panik immerzu rundherum um seine Beine, sodass Trenk von dem Ferkelstrick ganz und gar eingewickelt war und nicht einmal mehr wegrennen konnte, selbst wenn er das gewollt hätte. „Wir haben nichts, was sich zu rauben lohnt! Wir sind nur ein Junge und sein Schwein auf dem Weg in die Stadt!"
„Was?", sagte der Räuber verblüfft. „Na so was!"
Inzwischen war er auf den Weg getreten, sodass Trenk ihn in dem spärlichen Mondlicht, das durch die dichten Kronen der Bäume fiel, besser erkennen konnte, und da wäre er vor Verblüffung (und ein bisschen vielleicht auch, weil ja der Ferkelstrick so fest um seine Beine gewickelt war) fast umgefallen.
„Du bist ja ein Mädchen!"
Denn das war der schreckliche, gefährliche Räuber aus dem Eibengebüsch tatsächlich! Ein mageres Mädchen mit einem Schürzenkleid und langen blonden Zöpfen, das noch nicht einmal viel größer war als Trenk selbst und mit einer krächzigen, rauen Stimme sprach.
„Man muss schon ziemlich verrückt sein, um nachts mit einem Schwein durch den Wald zu wandern", sagte das Mädchen. „So was hab ich ja noch nie gehört."
„Hattest du dich vor uns versteckt?", fragte Trenk hoffnungsvoll und befreite seine Beine von dem Strick, was gar nicht so einfach war, weil Ferkelchen jetzt nämlich immerzu an den Füßen des Mädchens schnupperte, und das gefiel Trenk überhaupt nicht. Ferkelchen sollte sich nicht gleich mit jedem anfreunden, dem sie zufällig nachts im Wald begegneten. „Hast du uns kommen hören und dich im Gebüsch vor uns versteckt?"
Und Trenk merkte, wie er sich plötzlich ganz zufrieden fühlte. Es war doch schön, dass der Jemand aus dem Gebüsch nicht nur kein gefährlicher Bär oder Wolf oder Räuber war, sondern sogar noch Angst vor ihm und Ferkelchen gehabt hatte.
„Quatsch!", sagte das Mädchen mit ihrer krächzigen Stimme und kraulte Ferkelchen im Nacken. „Ich war nur vorsichtig."
Trenk dachte, dass das ja eigentlich haargenau das Gleiche war, aber das sagte er lieber nicht.
„Wenn du auch in die Stadt willst, kannst du mit uns kommen", sagte er großzügig. Denn das Mädchen war natürlich nur ein Mädchen, und damals glaubten die Menschen tatsächlich, dass Mädchen zart und schwach und ängstlich und, wenn es ums Kämpfen ging, nicht sehr nützlich wären; aber trotzdem hatte Trenk das Gefühl, dass er sich vielleicht ein bisschen wohler fühlen würde, wenn er auf seinem Weg durch die Nacht außer einem Schweinekind auch noch ein Menschenkind bei sich hätte. „Ich kann dich auch beschützen." „Du mich beschützen, haha!", sagte das Mädchen und lachte, und wenn die Menschen sich damals schon einen Vogel gezeigt hätten, hätte sie das bestimmt getan. „Du kleiner Knotenfurz!"
Das war ja kein schönes Wort und eine Beleidigung noch dazu für einen Jungen, der mutig genug war, in der finstersten Nacht allein in die Stadt zu wandern, aber Trenk dachte trotzdem, dass er es ihr für dieses Mal verzeihen wollte. Die Hauptsache war schließlich, dass sie zusammen weiterziehen konnten.
„Also, kommst du jetzt mit oder nicht?", fragte er darum.
Da nahm das Mädchen den Stock und Trenk nahm den Ferkelstrick, und dann wanderten sie schweigend zusammen unter dem Sternenhimmel, bis er begann, sich am Horizont rosa zu färben. Und Trenk fühlte sich nicht mehr so allein und kein bisschen ängstlich. Nur sehr, sehr müde.
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Autoren-Porträt von Kirsten Boie
Kirsten Boie ist eine der renommiertesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Deutschen Jugendliteraturpreis und das Bundesverdienstkreuz. Barbara Scholz, 1969 geboren, studierte Grafikdesign in Münster. Sie illustriert mit grossem Erfolg Bilder- und Kinderbücher, darunter auch Bestseller wie "Der kleine Ritter Trenk" von Kirsten Boie.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kirsten Boie
- Altersempfehlung: 6 - 8 Jahre
- 2006, 21. Aufl., 288 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Oetinger
- ISBN-10: 3789131636
- ISBN-13: 9783789131639
- Erscheinungsdatum: 10.08.2006
Rezension zu „Der kleine Ritter Trenk Bd.1 “
"Hätte Kirsten Boie nicht längst ihre Meisterprüfung als Kinderbuchautorin durch unzählige andere Bücher schon belegt, dann müsste man dieses wunderschöne Buch ganz besonders hervorheben. Aber dieses Buch ist viel mehr als ein Meisterstück, denn der Autorin geht es nicht mehr nur darum, eine Geschichte möglichst gut zu erzählen, sie schreibt auch nicht mehr für irgendwelche Jurys, um einen Preis dafür zu bekommen - nein, sie schreibt mit aller Liebe nur für Kinder. Und niemand kennt Kinder besser als sie, und weiss, was sie brauchen, um sich aus der Abhängigkeit ihres Kindseins in die Selbständigkeit zu entwickeln. Zunächst brauchen sie eine rundum taugliche Identifikationsfigur. Besser als Trenk vom Tausendschlag, den schlauen, tapferen, netten Jungen, der auszieht um seinen Vater aus der Leibeigenschaft zu befreien, und besser als Thekla vom Hohenlob, die mehr sein will als nur ein Mädchen mit Stickrahmen, kann man Vorbilder nicht charakterisieren. Dann muss man natürlich mit den Helden einer Geschichte zusammen alle nur erdenklichen Abenteuer bestehen. Je jünger man ist, umso schneller braucht es helfende Kräfte, Lösungen und kurze Kapitel deren Ende man aufatmend geniessen kann. All das ist hier gewährleistet; und obwohl die Bösewichte, mit denen Trenk es zu tun bekommt, alle Facetten ihrer schwarzen Phantasien ausleben, bleiben die kleinen Leser immer auf der sicheren Seite. Trenk und Thekla erledigen stellvertretend für sie alle schwierigen Aufgaben. Und falls eines Tages die Kinder in ähnliche Situationen geraten sollten, haben sie, gelernt, wie auch sie selbst solche Probleme lösen können. Noch etwas kann diese Autorin besser als viele andere Kinderbuchautoren: sie erzählt mit verschmitztem Humor, so wie der kleine Ritter auf dem Umschlagbild seine Betrachter anschaut. Diese Warmherzigkeit ermöglicht es, im Erzählton jede Menge Informationen über das Leben im Mittelalter zu ermitteln, ohne belehrend zu sein. Sie besticht sogar erwachsene Leser so sehr, dass
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man gar nicht mehr aufhören möchte vorzulesen. Kinder würden sicher gerne mit dem kleinen Schweinchen tauschen, um mitten im Geschehen zusammen mit Trenk und Thekla zusammen noch mehr Abenteuer bestehen zu dürfen. Ein dickes Dankeschön an Kirsten Boie dafür, dass sie den vom Fernsehen gruselgeplagten Kindern dieses wunderbare Buch geschenkt hat." Gabriele Hoffmann (Leanders Leseladen, Heidelberg)
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Pressezitat
"Ihre Beschreibungen der mittelalterlichen Szenerie, der Sitten und der Denkungsart zeichnen ein genaues, anschauliches Bild jener Zeit - besser, als es manches Geschichtsbuch vermag. Denn Boies Erzählkunst spricht alle Sinne an." Frankfurter Rundschau, 04.10.2006
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