Der Gefangene
In der Tradition von Truman Capotes "Kaltblütig" widmet sich John Grisham einem Kriminalfall, der erschütterndes Zeugnis ablegt über die Ungerechtigkeit eines modernen Rechtssystems.
Brillant erzählt und getragen von...
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
In der Tradition von Truman Capotes "Kaltblütig" widmet sich John Grisham einem Kriminalfall, der erschütterndes Zeugnis ablegt über die Ungerechtigkeit eines modernen Rechtssystems.
Brillant erzählt und getragen von großer Sympathie für seinen Helden, wird Ron Williamsons Schicksal zu einem packenden Thriller, der nicht mehr aus der Hand zu legen ist.
Elf Jahre sitzt Ron Williamson in der Todeszelle. Für einen Mord, den er nicht begangen hat. Kurz vor der Hinrichtung gibt es Hinweise auf seine Unschuld. Die Wiederaufnahme wird zu einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit.
»Der Gefangene« ist die wahre Geschichte eines unbegreiflichen Justizskandals - aus der Feder eines der erfolgreichsten Thrillerautoren unserer Zeit.
Der Gefangene von JohnGrisham
LESEPROBE
In sanften Wellenerstrecken sich die Hügel des südöstlichen Oklahoma von Norman bis nachArkansas. Wenig erinnert hier an die Ausbeutung der riesigen Ölvorkommen, dieeinst unter der Erde lagen. Da und dort sind noch einige träge, alteÖlförderpumpen in Betrieb, doch der Vorbeikommende fragt sich, ob sich derAufwand lohnt. Viele andere wurden irgendwann stillgelegt, und ihre reglosen, rostigenSkelette erinnern an die glorreichen Tage, als man hier bei Erstbohrungen Springquellenentdecken und im Handumdrehen ein Vermögen machen konnte. Solche Ölförderpumpenfinden sich auch gelegentlich noch in der Umgebung von Ada, einer Stadt mitsechzehntausend Einwohnern, einem College und dem Gericht der County. Aberdiese Pumpen sind nicht mehr in Betrieb, die Ölvorkommen ausgebeutet. Heutewerden die Einwohner nach Stunden bezahlt und sind in Fabriken, der Tierfutter oderHolzverarbeitung beschäftigt.
Ada ist eine geschäftigeStadt. An der Main Street finden sich keine unbewohnten Häuser mit zugenageltenFenstern. Der Einzelhandel hat überlebt, obwohl viele Geschäfte an den Stadtrandumgezogen sind. Die Lokale im Zentrum sind um die Mittagszeit sehr gut besucht.Das Gerichtsgebäude von Pontotoc County ist ein altes, schmales Haus, in demsich die Anwälte und ihre Mandanten drängen. In der Nachbarschaft f indet mandie übliche Ansammlung von Kanzleien und kommunalen Einrichtungen. DasGefängnis, ein flacher, fensterloser, an einen Bunker erinnernder Bau, wurdeaus irgendeinem vergessenen Grund auf dem Rasen vor dem Gericht errichtet. DieSchwemme synthetischer Drogen sorgt dafür, dass es immer gut belegt ist.
Die Main Street endet amCampus der East Central University, an der viertausend Studierendeeingeschrieben sind, von denen viele zwischen Ada und ihrem Wohnort pendeln. Diejungen Menschen tragen zur Vitalität und Vielfalt des Lebens in Ada und imsüdöstlichen Oklahoma bei. Den aufgeweckten Journalisten der Ada Evening News entgeht nur wenig - dieTageszeitung der Region gibt sich viel Mühe, im Konkurrenzkampf mit dem Oklahoman zu bestehen, der grösstenZeitung des Bundesstaates. Auf der Titelseite finden sich internationale undnationale Nachrichten, gefolgt von Neuigkeiten aus dem Staat, der Region und wichtigenörtlichen Themen - Highschool-Sport, Lokalpolitik, Veranstaltungen, Nachrufe. Inder Bevölkerungsstruktur Adas und der Pontotoc County mischen sich aufsympathische Weise Einflüsse des kleinstädtischen Südens und desfreiheitsliebenden Westens. Der Akzent mit den lang gezogenen Vokalen erinnertan den von Osttexas oder von Arkansas. Es ist das Land der Chikasaw. InOklahoma gibt es mehr Nachfahren amerikanischer Ureinwohner als in jedemanderen Bundesstaat, und nach einhundert Jahren der Vermischung f liesst auch inden Adern vieler Weisser indianisches Blut. Heutzutage ist das längst kein Makelmehr; tatsächlich ist man zunehmend stolz auf dieses Erbe.
Ada liegt mitten im »BibleBelt«. In der Stadt gibt es fünfzig Kirchen und ein Dutzend verschiedenechristliche Glaubensgemeinschaften. Die Gotteshäuser sind gut besucht, nichtnur an Sonntagen. Es finden sich eine katholische Kirche und eine für die Episkopalen,aber weder ein Tempel noch eine Synagoge. Viele Einwohner sind Christen oder gebenvor, es zu sein. Dass man zu einer Glaubensgemeinschaft gehört, wird mehr oderweniger erwartet. Oft ist die gesellschaftliche Stellung von der religiösenZugehörigkeit abhängig. Mit seinen sechzehntausend Einwohnern gilt Ada im ländlichenOklahoma fast schon als Grossstadt, und die Beschäftigten und Kunden vielerFabriken und Discounter kommen aus mehreren Countys hierher. Ada liegthundertzwanzig Kilometer südöstlich von Oklahoma City und drei Autostundennördlich von Dallas. Alle kennen jemanden, der in Texas lebt oder arbeitet. Dergrösste Stolz der Einwohner ist das Quarter-Horse-Business. Viele der bestenPferde stammen von Züchtern aus Ada. Und wenn die Ada High Cougars wiedereinmal die Footballmeisterschaft des Bundesstaates gewinnen, ist das noch langeein Grund zum Prahlen. Es ist ein angenehmer Ort, in dem die Menschenmiteinander reden, Fremden gegenüber aufgeschlossen und stets hilfsbereit sind.In den schattigen Vorgärten spielen Kinder. Tagsüber stehen die Haustürenoffen. Die Teenager machen nachts kaum einmal Ärger.
Wären nicht die beiden berüchtigtenMorde zu Beginn der Achtzigerjahre gewesen, hätte die Welt nie von Ada Notiz genommen.Was den Einwohnern der Pontotoc County ganz recht gewesen wäre. Als hätte einungeschriebenes Gesetz der Stadtverwaltung existiert, befanden sich in Ada die meistenKneipen und Bars am Stadtrand, damit ihre zweifelhafte Klientel, die nurUnglück bringen konnte, die rechtschaffenen Bürger nicht behelligte. Einerdieser Läden war das Coachlight. In dem schummrig beleuchteten, höhlenartigenMetallschuppen gab es billiges Bier, Jukeboxes, eine Tanzfläche und Liveacts amWochenende.
Auf dem grossen, mit Kiesbestreuten Parkplatz vor dem Eingang standen deutlich mehr staubige Pick-upsals gepflegte Pkw. Die Stammkundschaft entsprach den Erwartungen - Fabrikarbeiter,die nach Feierabend einen Drink kippten, Landjugendliche auf der Suche nachSpass, Endzwanziger, die spät nachts kamen, Musikliebhaber und Tanzwütige, diesich von den Liveacts angezogen fühlten. Im Frühstadium ihrer Karriere hattenauch die Countrysänger Vince Gill und Randy Travis hier gespielt.
Das Coachlight war beliebtund gut besucht, und die Inhaber beschäftigten etliche Teilzeitkräfte -Barkeeper, Rausschmeisser und Kellnerinnen. Eine von ihnen war Debbie Carter,eine einundzwanzigjährige Frau aus der Stadt, die vor ein paar Jahren in Adadie Highschool abgeschlossen hatte und das Leben als Single genoss. Sie hattezwei weitere Teilzeitjobs und arbeitete gelegentlich auch als Babysitterin. Debbiebesass ein Auto und lebte allein in einer Drei-Zimmer-Wohnung über einerWerkstatt in der Eighth Street nahe der East Central University. Sie war eingut aussehendes, dunkelhaariges Mädchen, schlank und athletisch, bei den Jungsbeliebt und sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht. Ihre Mutter, Peggy Stillwell,war der Ansicht, Debbie verbringe zu viel Zeit im Coachlight und anderen Bars.Sie hatte ihre Tochter nicht nach den Vorschriften des Glaubens grossgezogen,damit sie so ein Leben führte. Doch nach der Highschool war sie abends immerhäuf iger ausgegangen und spät nach Hause gekommen. Gelegentlich führte ihr neuerLebensstil zu Streit. Debbie beschloss, ihr Leben nach ihren eigenenVorstellungen zu führen, suchte eine Wohnung und zog aus, ohne jedoch das sehrenge Verhältnis zu ihrer Mutter aufzugeben.
Am Abend des 7. Dezember1982 arbeitete Debbie im Coachlight. Während sie Drinks servierte, schaute sieimmer wieder auf die Uhr. Es war nicht viel los, und sie fragte ihren Chef, obsie ihre Schicht beenden und sich zu ein paar Freunden setzen könne. Er hattenichts dagegen, und bald sass sie mit einem Drink bei einigen Bekannten amTisch, unter ihnen Gina Vietta, eine Freundin von der Highschool. Ein Freundaus dieser Zeit war auch Glen Gore, der kurz darauf hereinschneite und Debbiezum Tanzen aufforderte. Sie willigte ein, hatte aber nach der Hälfte des Songsdie Nase voll und liess Gore wütend stehen. Später sagte sie auf derDamentoilette, sie würde sich sicherer fühlen, wenn eine ihrer Freundinnen beiihr übernachte, aber über den Grund ihrer Besorgnis äusserte sie sich nicht. DasCoachlight machte zeitig dicht, etwa um halb eins, und Gina Vietta lud einigeaus der Gruppe auf einen Drink in ihre Wohnung ein. Die meisten stimmten zu,aber Debbie sagte, sie sei müde und hungrig und wolle nach Hause. Sie verliessendas Lokal ohne besondere Eile. Als das Coachlight schloss, sahen mehrere Leute,wie sich Debbie auf dem Parkplatz mit Glen Gore unterhielt. Tommy Glover kannteDebbie gut, weil beide bei einer örtlichen Glasfirma arbeiteten. Auch Gorekannte er. Als er in seinen Pick-up stieg, sah er, wie Debbie auf derFahrerseite die Tür ihres Autos öffnete. Wie aus dem Nichts tauchte Gore auf. Sieredeten ein paar Sekunden miteinander, dann stiess Debbie ihn weg. Mike undTerri Carpenter arbeiteten im Coachlight, er als Rausschmeisser, sie alsKellnerin. Auf dem Weg zu ihrem Wagen kamen sie an Debbies Auto vorbei. Sie sasshinter dem Steuer und sprach mit Glen Gore, der neben der Tür stand. EinenMonat zuvor hatte Debbie Mike erzählt, Gore mache ihr wegen seines CharaktersAngst. Toni Ramsey arbeitete als Schuhputzerin im Coachlight. Im Jahr 1982boomte das Ölgeschäft in Oklahoma noch, und in Ada wurde jede Menge hübschesSchuhwerk spazieren geführt. Irgendjemand musste es auf Hochglanz polieren, undToni verdiente auf diese Weise dringend benötigtes Geld. Sie kannte Gore gut.Als sie in dieser Nacht Feierabend machte, sah sie Debbie hinter dem Lenkradihres Autos sitzen.
Gore kauerte vor deroffenen Tür auf der Beifahrerseite. Sie unterhielten sich auf eine offenbarzivilisierte Weise. Alles schien in Ordnung zu sein. Gore, der kein eigenesAuto besass, hatte sich von einem Bekannten namens Ron West zum Coachlightmitnehmen lassen. Als sie gegen halb zwölf eingetroffen waren, hatte West Bierbestellt und sich mit seinem Glas an einen Tisch gesetzt, während Gore eineRunde durch den Laden machte. Er schien jeden zu kennen. Als die letzteBestellung angekündigt wurde, zog West Gore am Ärmel und fragte ihn, ob er mitihm mitfahren wolle. Gore bejahte, und West trat auf den Parkplatz hinaus, umauf ihn zu warten. Ein paar Minuten später kam Gore angestürmt und stieg ein. Dabeide Hunger hatten, fuhr West zu Waffler, einem Lokal im Zentrum, wo sie einFrühstück bestellten. West bezahlte, wie schon im Coachlight. Er hatte denAbend im Harolds begonnen, wo er ein paar Geschäftsfreunde gesucht hatte,stattdessen aber über Gore gestolpert war, der dort gelegentlich als Barkeeperund Discjockey arbeitete. Die beiden kannten sich kaum, doch als Gore fragte,ob West ihn zum Coachlight bringen könne, wollte dieser nicht Nein sagen. Westwar glücklich verheiratet und Vater zweier junger Töchter. Normalerweise trieber sich nicht zu später Stunde
in Bars herum. Er wollteeigentlich nach Hause, blieb aber in Gores Gesellschaft hängen, die ihnstündlich teurer kam. Als sie das Waffler verliessen, fragte West Gore, wohin erwolle. Zum Haus seiner Mutter, antwortete Gore, sie wohne an der Oak Street,nur ein paar Strassen weiter nördlich. West kannte die Stadt gut und fuhr indiese Richtung, doch bevor sie die Oak Street erreichten, überlegte Gore essich plötzlich anders. Nachdem er stundenlang mit West herumgefahren war,wollte er nun plötzlich laufen. Die Temperatur war eisig, es ging ein scharferWind. Eine Kaltfront näherte sich.
West hielt in der Nähe derOak Avenue Baptist Church, nicht weit entfernt von der Strasse, wo Gore zufolgedessen Mutter wohnte. Gore sprang aus dem Wagen, bedankte sich für alles undging in westlicher Richtung davon. Von der Oak Avenue Baptist Church waren esetwa eineinhalb Kilometer bis zu Debbie Carters Wohnung. Gores Mutter wohnteauf der anderen Seite der Stadt, mitnichten in der Nähe der Kirche. Gegen halbdrei erhielt Gina Vietta, die noch einige Freunde zu Gast hatte, zwei Anrufe,beide von Debbie Carter. Beim ersten Telefonat bat Debbie Gina, sie mit demAuto zu holen, weil in ihrer Wohnung ein Besucher sei, in dessen Gesellschaftsie sich unbehaglich fühle. Gina fragte, wer bei ihr sei. Das Gespräch wurdeunterbrochen, unverständliche Stimmen und Geräusche liessen darauf schliessen,dass um das Telefon gekämpft wurde. Gina war aufrichtig besorgt und fand dieBitte merkwürdig. Debbie hatte ein Auto - ein Oldsmobile Baujahr 1975 - undkonnte an sich doch selbst fahren, wohin sie wollte. Als Gina ihre Wohnunggerade eilig verlassen wollte, klingelte das Telefon erneut. Es war Debbie, undsie sagte, sie habe ihre Meinung geändert. Bei ihr sei alles in Ordnung, Ginabrauche sich keine Sorgen zu machen. Als diese erneut fragte, wer bei ihr sei,wechselte Debbie das Thema, ohne den Namen zu nennen. Sie bat Gina, sie amMorgen durch einen Telefonanruf zu wecken, damit sie nicht zu spät zur Arbeitkomme. Eine seltsame Bitte, die Debbie noch nie geäussert hatte. Sie fuhrdennoch los, überlegte es sich unterwegs aber anders. In ihrer Wohnung warennoch Gäste. Es war sehr spät. Debbie Carter konnte gut allein auf sichaufpassen, und wenn ein Mann bei ihr war, wollte sie nicht stören. Irgendwann gingsie ins Bett, und ein paar Stunden später hatte sie vergessen, dass sie beiDebbie anrufen sollte.
Am 8. Dezember hielt DonnaJohnson um elf Uhr morgens vor Debbies Wohnung, um Hallo zu sagen. Bevor Donnanach Shawnee gezogen war - etwa eine Autostunde entfernt -, waren die beidenauf der Highschool eng befreundet gewesen. Donna war nach Ada gekommen, um ihreEltern und ein paar Freunde zu besuchen. Als sie die schmale Aussentreppe zuDebbies Wohnung über der Werkstatt hinauf lief, hielt sie inne, nachdem ihrbewusst geworden war, dass sie auf Scherben trat. Die Scheibe des kleinen Fenstersin der Tür war zerbrochen. Aus irgendeinem Grund kam ihr zuerst der Gedanke,dass Debbie sich ausgesperrt hatte und gezwungen gewesen war, das Fenstereinzuschlagen, um in die Wohnung und an die Schlüssel zu gelangen. Donna klopfte.Keine Reaktion. Dann hörte sie von drinnen Musik aus einem Radio. Sie drehteden Türknauf, es war nicht abgeschlossen. Sobald sie in der Wohnung stand, warihr klar, dass etwas nicht stimmte. Das kleine Wohnzimmer war ein einzigesChaos - auf den Boden gefallene Sofakissen, herumliegende Kleidungsstücke. Aufdie Wand zu ihrer Rechten hatte jemand mit einer rötlichen Flüssigkeitgeschrieben: »Als Nächstes stirbt Jim Smith.«
Donna rief Debbies Namen;keine Reaktion. Da sie schon einmal in der Wohnung gewesen war, wusste sie, wodas Schlafzimmer war. Sie ging dorthin, noch immer rufend. Das Bett warverrückt, Bezüge und Laken waren heruntergerissen worden. Plötzlich sah sieeinen Fuss, dann Debbie - sie lag auf der anderen Seite des Betts auf dem Boden,mit dem Gesicht nach unten, nackt, blutverschmiert. Und auf ihrem Rücken standetwas geschrieben.
© Verlagsgruppe Random House
Übersetzung:Dr. BernhardLiesen, Bea Reiter, Kristiana Ruhl, Imke Walsh-Araya
- Autor: John Grisham
- 2008, Erstmals im TB, 464 Seiten, Masse: 11,7 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Bernhard Liesen, Bea Reiter, Kristiana Dorn-Ruhl, Imke Walsh-Araya
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453811747
- ISBN-13: 9783453811744
- Erscheinungsdatum: 09.01.2008
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 7Schreiben Sie einen Kommentar zu "Der Gefangene".
Kommentar verfassen