Der Fluch des neuen Jahrtausends
''In der ihm eigenen...
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''In der ihm eigenen unsentimentalen Art (...) macht Scholl-Latour deutlich, dass die Welt nun einmal nicht gut und der Mensch schon gar nicht lieb ist.''
Roland Detsch
''Peter Scholl-Latour gehört zu den kenntnisreichsten, seriösesten Journalisten deutscher Sprache.''
Süddeutsche Zeitung
Der Fluch des neuen Jahrtausends von PeterScholl-Latour
LESEPROBE
Erfahrungen im Krieg
27. Juni 1999
Der französischeIndochina-Krieg, der bei den Linksparteien im Mutterland
als »sale guerre« - alsschmutziger Krieg - verschrien war, steckte
für das HäufleinKorrespondenten, die damals von Hanoi ausschwärmten,
voller Tücken. Aberirgendwie nahmen wir diese Gefahren nicht so recht
wahr. Viele französischeReporter hatten vorher selbst in der Fernost-Armee
gedient und setzten sichden gleichen Risiken aus wie die kämpfende
Truppe. Man fuhr im Jeepüber unsägliche Schlammpisten in die Gefechtszone
bei Vinh Yen und schobsich zum Schutz gegen Minenexplosionen einen
Sandsack unter denHintern. Im Fall von Verwundungen im Dschungel
stand damals keineinziger Hubschrauber zum Abtransport zur Verfügung.
Ich war nicht einmal inirgendeiner Form versichert.
Ab 1951 kamen auchamerikanische Kollegen hinzu, und wir wussten ohnehin,
dass der Krieg, der sichnoch bis 1954 hinschleppen sollte, verloren
war. DieVolksbefreiungs-Armee Mao Tse-tungs hatte nämlich die Nordgrenze
von Französisch-Indochinaerreicht. Mir war es damals vergönnt, den
äussersten verbliebenenAussenposten unter der Trikolore am Rande von
Yünan an Bord einer Ju 52zu erreichen und von dort aus in Begleitung
eines französischenOberst und eines Trupps Thai-Partisanen nach Norden
zu reiten. »Wenn Siewollen, können Sie ein Stück nach China vordringen«,
hatte der Colonel gesagt;»dort drüben gibt es noch ein paar Kuomintang-Partisanen,
die wir unterstützen.« InWirklichkeit waren sie mehr Banditen als
Freiheitskämpfer, und ichwar froh, als ich mit meinem Thai-Dolmetscher
im Galopp wieder denGrenzfluss Nam Kum erreichte. Das war das einzige
journalistischeUnternehmen, bei dem ich eine Waffe getragen habe.
Die Nacht desfranzösischen Waffenstillstandes habe ich im Reisfeld
etwa 100 Kilometersüdlich von Hanoi verbracht. Die Soldaten des dortigen
Regiments derKolonial-Infanterie hatten zu meinem Schutz eine rechteckige
Grube ausgehoben, wo ichauf einem Feldbett wie in einem Grab schlief,
soweit das die Artilleriedes Vietminh erlaubte. Die Partisanen Ho
Tschi Minhs schossen ausallen Richtungen, feierten ihren Sieg in
Erwartung der nahen Feuereinstellung.Am nächsten Morgen verabschiedete
mich der französischeKommandant mit den Worten: »In Nord-Afrika sehen
wir uns demnächstwieder.« Auf der Rückfahrt nach Hanoi passierten
wir mehrere brennendeLastwagen, die auf Minen gefahren waren.
Der Algerien-Feldzug derFranzosen war ein wenig rühmliches Kapitel
der auslaufendenKolonial-Epoche. Das Land war weitgehend »pazifiziert«,
und man konnte sich überweite Strecken ohne Geleitschutz bewegen.
Der Terror beschränktesich im wesentlichen auf Bombenanschlägein
den Städten oder aufblutige Gemetzel in der Kabylei und imAures-Gebirge,
wo die Algerier derBefreiungsfront und die auf französischer Seite
kämpfenden »Harki« sichwie beim Schlachten von Hammeln die Gurgeln
aufschnitten zum sogenannten»sourire berbère«, zum »Lächeln der Berber«,
wie man damals etwaszynisch sagte. Mit zwei Zügen Fallschirmjägern
und Fremdenlegionärenhabe ich im Akfadu-Wald, im Herzen der Kabylei,
aus dem Hubschrauberspringend, die Vernichtung einer algerischen
»Katiba« ausunmittelbarer Nähe miterlebt, und ich entzifferte auf
der grünen Uniformjackedes getöteten Unterführers der »Befreiungsfront«
jenen Koran-Spruch, derfür mich fortan zum Leitmotiv wurde: »Allah
ist mit den Standhaften.«Der wirkliche Totentanz für die Europäer
von Algier begann erst,als die Generäle gegen de Gaulle putschten
und dieTerror-Organisation OAS neben dem wahllosen Mord vermutlicher
Gegner auch zurGeiselnahme von Journalisten überging.
Dem ausser Rand und Bandgeratenen Kongo der frühen 60er Jahre blieb
es vorbehalten, denRomantitel Joseph Conrads, »Das Herz der Finsternis«,
mit aktuellem Inhaltauszufüllen. Den Stammeskriegen Afrikas war die
multinationale»Ordnungsmacht« der Blauhelme Dag Hammarskjölds in
keiner Weise gewachsen.Italienische Piloten der Uno, die für verhasste
belgische Kolonialistengehalten wurden, fielen in Kindu, der Heimat
der »Leopardenmenschen«,dem Kannibalismus zum Opfer. Persönlich habe
ich am Ufer desTanganjika-Sees - bei einem Abstecher zu den »Simbas«,
den Löwen, wie sie sichselbst nannten - das grösste Entsetzen meiner
Karriere empfunden. Ichsah mich plötzlich wie auf der »Zeitmaschine«
H. G. Wells' in eineandere Phase der Menschheit, in den Horror der
Steinzeit zurückversetzt,und mitsamt dem Kamera-Team waren wir einer
Horde von Speerträgernausgeliefert, die Tierfelle trugen und sich
durch den Wassersegenihrer Zauberer gegen Kugeln gefeit wähnten.
Der amerikanischeVietnam-Feldzug zwischen 1965 und 1975 mit seinem
enormen Material-Aufwandhatte mit dem französischen Indochina-Krieg
sehr wenig gemeinsam. Dieakkreditierten Journalisten genossen während
dieser Kampagne alle nurdenkbaren Privilegien. Es genügte, einen
Flecken auf der Landkarteanzugeben - auch wenn es sich um den bedrängtesten
Stützpunkt der U.S. Armyhandelte -, und man wurde per Hubschrauber
dorthin transportiert.Bedenklich waren vor allem die Explosiv-Fallen
und die »Booby-Traps« desVietcong. Zahlreiche Verluste entstanden
auch durch sogenanntes»friendly fire«. Zu Füssen der Höhe 875, die
später in einem Film als»Hamburger Hill« glorifiziert wurde, war
ich im laotischenGrenzgebiet bei Dak-To Augenzeuge, wie die Bomben
der U.S. Air Force in deneigenen Stellungen einschlugen und schwere
Verluste verursachten.Zur Entschuldigung der Piloten muss gesagt werden,
dass die Nord-Vietnamesenihre Sappen und Tunnel so nahe an die Amerikaner
herangetrieben hatten,dass eine Unterscheidung kaum noch möglich war.
In Erinnerung bleibt mirauch die kuriose Praxis des »Body-Counts«,
der »Leichen-Zählung«beim Presse-Briefing in Saigon. Jeden Tag wurden
horrende Zahlen vongetöteten Vietcong gemeldet, denen zufolge längst
kein Partisane Ho TschiMinhs mehr hätte leben dürfen. Wie diese Ziffern
zustande kamen, habe ichbei einer Patrouille in Zentral-Annam entdecken
können. Ich hatte micheiner Kompanie der First Cav, einer Traditions-Division
der Indianer-Kriege,angeschlossen. Von Zeit zu Zeit liess der Captain
Granatwerferfeuer auf dieumliegenden Dschungelhöhen eröffnen und
meldete per Sprechfunkjedesmal eine willkürliche Zahl getöteter Vietcong.
Die Angaben waren freierfunden, aber der Offizier hielt eine plausible
Erwiderung parat. »Wennich keine Erfolge melde, stehe ich gegenüber
den anderen Einheiten,die ähnlich wie ich operieren, ja dann steht
die First Cav gegenüberder Nachbar-Division, die vor keiner Übertreibung
zurückschreckt, ziemlichdumm da, und wir werden von unseren Vorgesetzten
gerügt.« MeineGefangennahme durch den Vietcong, die 1973 nur 60 Kilometer
nördlich von Saigonerfolgte, hat mich in meiner Erfahrung bestätigt,
dass die Vietnamesen sehrdisziplinierte und ideologisch motivierte
Gegner waren, durchauskeine Wilden. Wäre ich den »Roten Khmer« in
Kambodscha hingegen indie Hände gefallen, wäre ich auf der Stelle
gefoltert und zu Todegeprügelt worden.
Der erste Golfkrieg, derzwischen Iran und Irak, zwischen dem Ayatollah
Khomeini und dem DiktatorSaddam Hussein acht Jahre lang andauerte
und der etwa eine MillionTote gefordert hat, war viel dramatischer
als die nachfolgendeamerikanische Operation »Wüstensturm«, von der
die Presse weitgehendausgeschlossen blieb und die beim TV-Publikum
als Computerspiel ankam.Meine persönliche Beziehung zu Khomeini öffnete
mir hier viele Wege, unddas Ufer des Schatt-el-Arab nach derZurückeroberung
des Hafen Khorramshahrdurch die iranischen Revolutionswächter und
dasHalbwüchsigen-Aufgebot der »Bassidji« - mit Hunderten von in der
Sonne verwesenden Leichen toter Iraker - bot einBild des Grauens.
In jener Stunde wäre einsiegreicher Vorstoss der Iraner auf Basra
möglich gewesen. Derscheiterte am Einspruch der Mullahs. Der grausigsten
Gefahr, die den Kriegsschauplatz in denSümpfen Mesopotamiens heimsuchte,
dem systematischenGas-Krieg gegen die todesmutigen, aber völlig ungeschützten
Angriffswellen derIraner, bin ich durch ein glückliches Geschick
nicht ausgesetzt gewesen.Der völkerrechtswidrige Einsatz hochentwickelter
toxischer Stoffe durchSaddam Hussein, das sollte dennoch festgehalten
werden, ist von derwestlichen Berichterstattung verschwiegen worden.
Er war ja durch die USA,durch die Sowjetunion und mehrere europäische
Staaten unter flagranterVerletzung aller Menschenrechtskonventionen
abgesegnet und beliefertworden.
Der endlose Bürgerkriegim Libanon ist mir als Vabanque-Spiel, als
eine Art russischesRoulette in Erinnerung. Wenn wir als Reporter
die feindlichen Linien am Museum von Beirutund an der Karantina
passierten, dann hiess es,an den offenen Schneisen Vollgas zu geben,
um den Scharfschützenbeider Seiten zu entgehen. Im April 1986 fand
meine Ankunft in Beirutin Begleitung eines Geo-Fotografen per purem
Zufall präzis an einemTag statt, als die U.S. Air Force versuchte,
den libyschen StaatschefGaddhafi mit ihren Bomben auszulöschen. Mit
meinen Kollegenverbrachten wir als einzige Gäste eine beklemmende
Nacht im Hotel»Commodore«, nachdem wir erfahren hatten, dass der britische
Journalist MacCarthy beiseinem verzweifelten Fluchtversuch in Richtung
Flugplatz als Geiselverhaftet wurde. Er sollte mehrere Jahre in qualvollen
Kellerverliesenverbringen. Am nächsten Morgen erreichten wir auf
Schleichwegen das sichereDrusen-Gebirge, wo unsere Gastgeber uns
mit konsternierten Mienendie Leichen von drei eben ermordeten angelsächsischen
Geiseln vorführten, die sie am Strassenrand entdeckthatten. Im Hotel
»Summerland«, vonschwerbewaffneten Drusen geschützt, fühlten wir
uns in Sicherheit undkonnten nicht ahnen, dass genau an dieser Stelle
wenige Wochen später zweideutsche Ingenieure von Siemens von Terroristen
verschleppt würden, diesich dem Hotel über das Meer genähert hatten.
Ich bezweifle, ob mir beieiner Entführung durch die schiitische Hisbollah
mein Vorzeige-Foto mitdem Ayatollah Khomeini viel genutzt hätte.
© GoldmannVerlag
Autoren-Porträt von Peter Scholl-Latour
Peter Scholl-Latour, 1924 geboren, war nach seinem Studiumzunächst Korrespondent für die ARD in Afrika und Indochina, dann Studioleiterin Paris, für einige Jahre auch Fernsehdirektor des WDR und Herausgeber des"Stern". Zahlreiche Buchveröffentlichungen unterstreichen seinen Rufals kritischer Journalist. Für seine Arbeit wurde er u.a.mit dem Grimme-Preis und der Goldenen Kameraausgezeichnet.
Interview mit Peter Scholl-Latour
"Der Fluch des neuenJahrtausends" enthält über 100 Kolumnen und Filmskripte aus den Jahren1997 bis 2001. Was macht die Texte heute noch aktuell?
Zunächsteinmal finde ich es erstaunlich, welch hohe Auflage dieses Buch erreicht hat. Essind ja im Wesentlichen Artikel übernommen, die ich für die "SchweizerIllustrierte" geschrieben habe. Ich hatte meinen Lektor gebeten, er solle dieArtikel zusammenstellen. Aber der Erfolg beweist ja, wie aktuell meine Textesind und dass sich meine Prognosen fast durchgehend erfüllt haben.
Sie widmen sichKriegsschauplätzen weltweit - von Bosnien bis Kongo. Hat Sie eine der Regionen,in denen Sie gearbeitet haben, ganz besonders geprägt?
Ichfinde, im Alter von 80 Jahren und mit 60 Jahren Berufserfahrung kann man das sonicht sagen. Afrika zum Beispiel hat mich sehr geprägt. Ich halte "AfrikanischeTotenklage" für eines meiner besten Bücher. Die Berichterstattung aus Indochinahat mich wohl noch stärker beeinflusst. 1951 hatte ich meine erste grosseOrientreise unternommen. In Paris und Beirut studierte ich Politikwissenschaft sowieArabistik und Islamkunde. Ich berichtete aber auch über den Vietnamkrieg und warKorrespondent in Paris. Seit dem Frankreich-Exil von Ayatollah Khomeini lässtmich der Islam nicht mehr los. Den Irak kenne ich seit meiner erstenOrientreise. Ich war auch beim ersten Golfkrieg, dem bei weitem blutigstendabei, und ich kenne beide Seiten des Konfliktes - die irakische und dieiranische. Wenn man heute allerorten von Globalisierung spricht, ergibt sichdaraus auch eines: Man muss sämtliche Weltregionen kennen, die aufeinandereinwirken.
Alsdamals mein Buch "Das Schwert des Islam", eine Wiedergabe von Fernsehskripten,erschien, sind viele Orientalisten über mich hergefallen. Heute bin ichderjenige, der zur Mässigung rät und gegen antiislamische Tendenzen argumentiert.Wir haben es mit einer revolutionären Bewegung zu tun, die im Westen auftotales Unverständnis stösst.
Zum 11. September 2001:Hätte dieser bislang schlimmste aller Terroranschläge Ihrer Einschätzung nachverhindert werden können?
Dasist reine Spekulation. Man kann einen Terroranschlag nicht verhindern. Und wirkennen noch nicht alle Hintergründe der Anschläge. Sie sind nicht nur inAfghanistan und in Hamburg ausgeheckt worden. Es muss arabische Unterstützungin den USA gegeben haben. Die Familie bin Laden war ja zum Beispiel starkvertreten in den USA.
Wenn Sie ein Berater derBundesregierung wären - gibt es einen Rat, den Sie ihr für die künftigeAussenpolitik geben würden?
Ichwürde raten aufzurüsten. Wir brauchen eine schnelle Interventionsarmee, eine Elitetruppe,die zahlenmässig nicht gross sein muss. Und wir brauchen nukleare Abschreckung. Deutschlandmuss mit den starken europäischen Partnern zusammenarbeiten. Das sindGrossbritannien und Frankreich. Und da London stark an Washington gebunden ist,kommt als Partner im Moment nur Frankreich in Frage. Die NATO als Gremium istüberholt. Wenn die Amerikaner Torheiten begehen, muss Widerspruch möglich sein.Die Entscheidungsstränge müssen auch in Europa zusammenlaufen. Zum Beispielkann uns die Expedition nach Afghanistan noch teuer zu stehen kommen.
- Autor: Peter Scholl-Latour
- 2004, 442 Seiten, Masse: 12,5 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442152720
- ISBN-13: 9783442152728
- Erscheinungsdatum: 01.05.2004
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