Dass ich nicht ersticke am Leisesein
Gesammelte Texte
Sie gilt vor allem als faszinierende Lyrikerin: Inge Müller, die früh starb und deren Werk bisher nur in Auszügen vorliegt. Doch sie ist mehr. Dieser Band mit überwiegend unveröffentlichtem Material präsentiert erstmals komplett ihre literarischen Texte....
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Produktinformationen zu „Dass ich nicht ersticke am Leisesein “
Klappentext zu „Dass ich nicht ersticke am Leisesein “
Sie gilt vor allem als faszinierende Lyrikerin: Inge Müller, die früh starb und deren Werk bisher nur in Auszügen vorliegt. Doch sie ist mehr. Dieser Band mit überwiegend unveröffentlichtem Material präsentiert erstmals komplett ihre literarischen Texte. Er zeigt Inge Müllers Vielseitigkeit und die beeindruckende Kraft ihrer Stimme in den verschiedensten Genres. In atemloser, insistierender Dringlichkeit umkreisen ihre Gedichte, ihre Prosa und ihre dramatischen Arbeiten das zentrale Thema: das Trauma vom Krieg und Verschüttetsein. Daneben stehen präzise, bis ins Detail fixierte Beobachtungen des Alltags und der Umwelt, bei aller Schärfe voll Komik und Ironie. Die Sammlung bietet eine überraschende Entdeckung: das Gewicht der dramatischen Arbeiten, selbst unvollendeter Szenen, steht in nichts dem der Lyrik nach. Die Herausgeberin Sonja Hilzinger hat den fragmentarischen Nachlass Inge Müllers zu einem Mosaik geordnet, das ein so genaues Bild vom Werk Inge Müllers bietet, wie es heute möglich ist.
Lese-Probe zu „Dass ich nicht ersticke am Leisesein “
"Du sollst zu deinem Grossvater kommen", sagte die Nachbarin, als ich auf ihr Klingeln öffnete."Nein", sagte ich und schob die Tür zu."Sags deiner Mutter", rief die Nachbarin."Was ist?" fragte Mutter hinter meinem Rücken und schob die Tür wieder auf."Ihr Schwiegervater ist unten auf der Strasse. Die Kleine soll ihm helfen, sagt er. Er hat sein Fahrrad verloren.""Danke", sagte meine Mutter und schlug die Tür zu. "Der versoffene Kerl. Es ist eine Schande." Sie redete weiter, aber ich hörte es nicht mehr. Ich rannte die Treppe hinunter. Ich wusste jetzt, dass es nicht Grossvater war, der auf mich wartete. Auf der kleinen Mauer vorm Haus sass Opa Meier."Ich war gleich gekommen", sagte ich, "aber sie sagte, es war Grossvater. Sie weiss nicht Bescheid."Opa Meier starrte auf einen Käfer, der auf den Steinen zu seinen Füssen herumkrabbelte. "Ich bin nicht dein Grossvater, was?" Er hob den Käfer auf und setzte ihn auf die Hecke neben der Mauer."Nein", sagte ich. "Du bist mein Opa Meier.""Nach der Schrift bin ich dein Grossvater. Dein Vater ist mein Sohn. Stimmt doch, was?" sagte Opa Meier und sah noch immer auf den Käfer. "Flieg", sagte er und stiess ihn mit einem Finger an. "Wer fliegen kann, wird nicht zertreten.""Nein", schrie ich. "Du bist nicht mein Grossvater. Ich hab nur einen. Du bist mein Opa Meier.""Schrei nicht", sagte er. "Du hast recht. Zum Teufel mit dem Grossvater."Ich war zufrieden. "Wo hast du dein Rad verloren?" fragte ich. Opa Meier sah mit einem schnellen Blick zur Haustür. "Ist sie oben?"Ich wusste, dass er meine Mutter meinte. Ich nickte und setzte mich zu ihm auf die Mauer. "Leise", sagte er und zog mich näher zu sich heran. "Sonst holt sie dich weg. Sie meints gut, aber sie versteht nichts."Ich sah schnell zur Haustür und flüsterte auch. "Sie schimpft. Ich sag ihr das nicht mit dem Fahrrad. Wir können es im Garten besprechen.""Ich geh in den Garten. Komm nach, aber sag ihr Bescheid, wo du hingehst", sagte Opa Meier und stand mühsam auf."Wo ist dein Fahrrad", fragte
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ich und dachte nicht daran, nach oben zu gehen."Verloren", sagte Opa Meier. "Auf einmal wars weg. Vielleicht hab ichs verschenkt. Ich muss überlegen. Verdammt. Ich geh in den Garten.""Verdammt", sagte ich. "Ich werds schon finden. Ich find es bestimmt.""Wir gehn zusammen", sagte Opa Meier. "Ich muss überlegen."Dann gingen wir in unsern Garten. Es war nicht weit. Nur eine Querstrasse weiter. Vor der Gartentür stand Zigeunerfranz, ein Freund von Opa Meier. Neben ihm stand Opa Meiers Rad."Du bist zu gutmütig", sagte Zigeunerfranz. "Das ist schon dämlich, wie gutmütig du bist. Hier ist dein Rad. Ich habs dem Bäckerheini abgenommen. Er wollt mirs verkaufen.""Er hat bloss ein Bein", sagte Opa Meier. "Und er kriegt noch keine Rente. Ich hab zwei. Ich kann laufen zum Gaswerk, wenn ich mal wieder arbeiten kann. Es war geborgt, bis er ein neues Bein kriegt. Er hat sein Holzbein zerbrochen, beim Kohlenklaun am Bahnhof. Und dann hat ers verheizt. Er muss ein halbes Jahr arbeiten für ein neues.""Er wollt mirs verkaufen. Er hat dich übers Ohr gehauen", sagte Zigeunerfranz."Nein", sagte Opa Meier. "Er wird das Geld schnell gebraucht haben. Vielleicht könnt er billig ein Holzbein kriegen. Ein gebrauchtes.""Ich habs ihm abgenommen, das Rad", knurrte Zigeunerfranz. "Ich hab mir deinetwegen das Geschäft versaut. Bäckerheini ist ein Gauner.""Sie haben ihm sein Bein genommen im Krieg. Bäckerheini hat mir Brot gebracht, die Hälfte von seinem Lohnbrot, als meine Frau krank war und ich arbeitslos. Verstehst du.""Du Idiot", sagte Zigeunerfranz. "Was ist nun mit dem Rad?" Er schneuzte sich und zerrte an seinem schwarzen Knebelbart. "Das bringt mindestens zwanzig Mark."Opa Meier schloss die Gartentür auf. "Wieviel?" fragte er und liess Zigeunerfranz den Vortritt."Zwanzig. Weil dus bist."Opa Meier sah mich an. Ich'hatte ihn schon dreimal am Ärmel gezogen. "Nein", flüsterte ich."Nein", sagte Opa Meier. "Wir verkaufen nicht."Zigeunerfranz war böse. "Koch dir dein Rad sauer. Nochmal bring ichs dir nicht.""Du bist mein Freund", sagte Opa Meier und nestelte eine kleine Flasche aus seiner Hosentasche. "Du bist mein Freund. Aber du hast keine Menschenkenntnis. Man muss die Menschen kennen. Verstehst du?"Er reichte Zigeunerfranz die Flasche. Der trank einen Schluck.Dann trank Opa Meier einen Schluck und steckte die Flasche wieder ein."Pastor hältst du werden solin!" sagte Zigeunerfranz und spuckte aus."Beleidigen lass ich mich nicht", sagte Opa Meier. "Trink noch einen und nimm das zurück." Er nestelte die Flasche wieder aus der Tasche und sie tranken beide."Wir wollten gerade das Rad suchen. Du hast mir geholfen. Sag was du dafür haben willst. Viel hab ich nicht, aber ich halt was auf meine Freunde.""Ich muss gehn", sagte Zigeunerfranz."Komm mal wieder vorbei", sagte Opa Meier. "Ich machs wieder gut.""Nicht nötig." Zigeunerfranz nickte uns zu und ging.Nach ein paar Schritten drehte er sich um. "Unkosten ist erledigt: falls du die Lampe suchst.""Hat er sie gestohlen?" fragte ich. Ich hatte Zigeunerfranz immer bewundert."Verrechnet", sagte Opa Meier. "Er hätte mein Rad verkaufen können. Aber er hats nicht gemacht. Sowas macht der nicht."Opa Meier sah auf das Rad: die Lampe war nicht mehr da."Er brauchts ja nur am Tag, der Bäckerheini", sagte er zu mir. "Der Zigeunerfranz, das ist einer." Ich sah Zigeunerfranz nach."Mutter hätte geschimpft", sagte ich."Ja. Sie schimpft", sagte Opa Meier. "Du brauchst nicht mitzukommen.""Wohin?" fragte ich."Zum Bäckerheini." Aus dem "Jona"-Fragment.
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Autoren-Porträt von Inge Müller
Inge Müller wurde 1925 in Berlin geboren, im Januar 1945 als Luftwaffenhelferin eingezogen, drei Tage nach einem Bombenangriff auf Berlin verschüttet. Nach Kriegsende verschiedenste Tätigkeiten als Sekretärin, Trümmerfrau, Arbeiterin, Journalistin, Volkskorrespondentin. Von 1951 bis 1959 lebte sie in Lehnitz bei Oranienburg, dann wieder in Berlin. 1953 Bekanntschaft mit Heiner Müller, 1955 Eheschliessung. Freischaffend ab 1953, Zusammenarbeit mit Heiner Müller an mehreren Stücken ("Die Korrektur", 1958; "Der Lohndrücker", 1958; "Klettwitzer Bericht", 1959), Kinderbuchautorin (u.a. "Wölfchen Ungestüm", 1955), Hörspiele ("Die Weiberbrigade, 1960), Texte für das Theater, Prosaszenen, Romanfragmente, Lyrik. 1966 Freitod.Die bisher einzigen Gedichtbände erschienen nach ihrem Tode: Poesiealbum Inge Müller, 1976; Wenn ich schon sterben muss. Gedichte, hrsg. von Richard Pietrass, 1985.Hilzinger, SonjaSonja Hilzinger, geboren 1955, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Publizistik. Promotion 1985, Habilitation 1997. Sie ist Privatdozentin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Mainz, lebt in Berlin und arbeitet als freie Autorin und Hochschullehrerin. Herausgeberin der zwölfbändigen Werkausgabe Christa Wolfs sowie der Edition "Inge Müller. Dass ich nicht ersticke am Leisesein. Gesammelte Texte" (2002). Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. zum Werk von Anna Seghers: "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers. Texte, Daten, Bilder (Hg., 1990), Anna Seghers (2000).
Bibliographische Angaben
- Autor: Inge Müller
- 2002, 660 Seiten, Masse: 13,9 x 22,4 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben von Hilzinger, Sonja
- Herausgegeben: Sonja Hilzinger
- Verlag: Aufbau-Verlag
- ISBN-10: 3351029373
- ISBN-13: 9783351029371
Rezension zu „Dass ich nicht ersticke am Leisesein “
»Zu entdecken ist eine Dichterin, die kompromisslos wie kaum eine andere DDR-Autorin ihre lyrische Innerlichkeit gegen den politischen Zeitgeist behauptete.« Die WELT 20030208
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