Das zweite Königreich
England 1064: Ein Piratenüberfall setzt der unbeschwerten Kindheit des jungen Caedmon of Helmsby ein jähes Ende - ein Pfeil verletzt ihn so schwer, dass er zum Krüppel wird. Sein Vater schiebt ihn ab und schickt ihn in die normannische Heimat seiner...
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England 1064: Ein Piratenüberfall setzt der unbeschwerten Kindheit des jungen Caedmon of Helmsby ein jähes Ende - ein Pfeil verletzt ihn so schwer, dass er zum Krüppel wird. Sein Vater schiebt ihn ab und schickt ihn in die normannische Heimat seiner Mutter.
Zwei Jahre später kehrt Caedmon mit Herzog William und dessen Eroberungsheer zurück. Nach der Schlacht von Hastings und Williams Krönung gerät Caedmon in eine Schlüsselposition, die er niemals wollte: Er wird zum Mittler zwischen Eroberern und Besiegten. In dieser Rolle schafft er sich erbitterte Feinde, doch er hat das Ohr des despotischen, oft grausamen Königs.
Bis zu dem Tag, an dem William erfährt, wer die normannische Dame ist, die Caedmon liebt.
''Deutsche Königin des historischen Romans''
Welt am Sonntag
Das zweite Königreich von Rebecca Gablé
LESEPROBE
1. Buch
Dann erschien in ganz England ein Zeichen am Himmel, wieman es nie zuvor gesehen hatte. Manche sagten, es sei der Stern Comet, den manden "langhaarigen" Stern nennt, und er leuchtete eine ganze Woche lang Nachtfür Nacht. Angelsachsenchronik, 1066
Helmsby, März 1064
"Bei Gott, was für ein Treffer, Cædmon! Wer so mit einerSchleuder umgehen kann wie du, kann seinen Bogen getrost verfeuern." Dunstanklopfte seinem jüngeren Bruder so kräftig auf den Rücken, dass dieser sich unauffälligmit der Linken auf den Sattelknauf stützte.
Cædmon strahlte, glitt aus dem Sattel und lief die fünfzigoder sechzig Schritte, die ihn von seiner erlegten Beute trennten. Es war eineinjähriger Rehbock. Er lag reglos auf der Seite, auch die Vorderläufe zucktennicht mehr. Sein braunes Auge starrte in den weissgrauen Himmel hinauf, der nochweitaus mehr nach Winter denn nach Frühling aussah. Auch der Waldboden unterCædmons dünnen, knöchelhohen Lederschuhen fühlte sich noch hart an. Die alten,dichtstehenden Bäume zeigten nicht den leisesten Hauch von Grün, aber dieersten verwegenen Narzissen blühten im struppigen Gras des Vorjahres.
Dunstan war ebenfalls abgesessen und trat zu seinem Bruder."Meisterhaft", wiederholte er und nickte nachdrücklich. "Mitten zwischen dieAugen. Ich wette, er war schon tot, ehe er umfiel. Wie machst du das nur?"
Der Junge hob unbehaglich die Schultern und winkte verlegenab. Dunstan war sechzehn, zwei Jahre älter als er, und für gewöhnlich sehrsparsam mit seinem Lob. "Ich weiss nicht. Ich seh auf den Punkt, den ichtreffen will, und hör auf das Singen der Schleuder über meinem Kopf. Und dann"
Dunstan verpasste ihm eine Kopfnuss der eher sanften Sorte."Ja, ja. Erspar mir den lehrreichen Vortrag."
Aber du hast gefragt, dachte Cædmon verständnislos.
"Jetzt ist jedenfalls endlich Schluss mit dem verfluchtenPökelfleisch", bemerkte Dunstan zufrieden, beugte sich über den Bock und bandihm mit einer dünnen Lederschnur die Läufe zusammen. Dann sah er stirnrunzelndauf. "Was ist? Hilfst du mir oder hast du Angst, dass dir schlecht wird, wenn duBlut siehst?"
Cædmon seufzte verstohlen, zückte sein Jagdmesser undsetzte es dem Bock an die Halsschlagader. Er vermied es, in das tote, brauneRehauge zu sehen.
Wenig später waren sie auf dem Heimweg. Der ausgebluteteBock lag vor Cædmon über dem Sattel, und das stämmige, gedrungene Pferd trugdie doppelte Last ohne erkennbare Mühe. Eine fahle Märzsonne glitzerte auf demWasser des Ouse, an dessen östlichen Ufer sie entlangritten. Der Nebel, dersich den ganzen Tag über nicht so recht hatte lichten wollen, war hier am Uferdichter. Ein paar Eisschollen trieben noch auf dem Wasser, aber der Fluss warschon wieder befahrbar. Ein Lastkahn tauchte vor ihnen aus den dichten Schwadenauf, beladen mit Fässern und Holzkohle. Der Schiffer hielt sein Gefährt miteiner langen Stange in der Strommitte und liess sich flussabwärts treiben. Als erdie beiden Reiter auf dem Uferpfad entdeckte, hob er eine Hand von seinerRuderstange und winkte ihnen zu. Cædmon winkte zurück.
"Das war Godric", murmelte er.
"Ich habe Augen", erwiderte Dunstan trocken.
"Ich hab ihn den ganzen Winter nicht gesehen."
"Nein, weil er sich den Winter über in seiner Hütteverkriecht wie ein Bär in seiner Höhle, sich von früh bis spät mit Biervollaufen lässt oder eine seiner zahllosen Schwestern bespringt, bis dasTauwetter kommt und er wieder hinausfahren kann."
"Dunstan!" rief Cædmon schockiert aus.
Sein Bruder schnitt eine verächtliche Grimasse."Entschuldige, Schwesterchen _"
Cædmon schwieg beleidigt. Der Uferpfad verengte sich, sodass sie hintereinander reiten mussten, und das war ihm nur recht. Dunstan sollteja nicht sehen, dass ihm das Blut in die Wangen geschossen war, und Cædmondrückte seinem struppigen Kaltblüter die Fersen in die Seiten und zog eineLänge vor. Lass ihn nur reden, dachte er. Aber ich war es, der den Bock erlegthat.
"Sag, Cædmon, jetzt mal ganz ehrlich. Bist du nochJungfrau?" fragte Dunstan mit vermeintlichem brüderlichen Wohlwollen. DochCædmon hörte das mutwillige Grinsen in seiner Stimme, er brauchte sich nichteinmal umzuwenden, um es zu sehen.
Er errötete schon wieder. Das schien ihm in letzter Zeitganz besonders häufig zu passieren. Über den Winter hatte sein Körper begonnen,sich auf geradezu bestürzende Weise zu verändern. Er hatte einen ordentlichenSchuss getan und war jetzt ebenso gross wie Dunstan und sein Vater, aber das wares nicht allein. Sein Bartwuchs hatte eingesetzt, seine Stimme veränderte sich,er wurde von Träumen geplagt, an die er nicht denken konnte, ohne wieder aufsneue rot anzulaufen, und all das erschien ihm fremd, machte ihn so unsicher,dass es ihm manchmal vorkam, als lebe er im Körper eines Fremden.
"Antworte, Cædmon", befahl Dunstan mit der befehlsgewohntenStimme des Älteren. "Wenn es so ist, wüsste ich, wie wir Abhilfe schaffenkönnten. Ehe du auf die Idee kommst, dich an den Schafen zu versuchen."
Ein neuerliches, empörtes "Dunstan!" lag Cædmon auf derZunge, aber er besann sich und wandte lediglich den Kopf, um seinem Brudereinen vernichtenden Blick zuzuwerfen. Doch statt dessen weiteten sich seineAugen vor Entsetzen.
"Heiliger Edmund, steh uns bei ... Reite, Dunstan! Los,komm schon!"
Dunstans Miene zeigte eine Mischung aus Verwunderung undgönnerhafter Belustigung, und statt dem guten Rat zu folgen, wandte er denBlick ebenfalls zum Fluss. "Oh, mein Gott ... Ein Drache!"
Dunstan hatte genug gesehen. Er rammte seinem Pferd dieHacken in die Seiten. Cædmon war schon angaloppiert. Er hörte ein seltsamsurrendes Geräusch, wie das Summen einer Hornisse, und zog den Kopf ein. Imnächsten Moment spürte er einen stechenden Schmerz im linken Bein und schrieentsetzt auf. Sein sonst so gleichmütiges Pferd bäumte sich plötzlich auf,legte die Ohren an und bockte. Cædmon warf sich nach vorn, um im Sattel zubleiben, doch das Tier wieherte angstvoll, stieg, und dann pflügte DunstansPferd in seine Seite. Sie stürzten in einem wirren Durcheinander aus Hufen,Armen und Beinen. Ein harter Stoss traf Cædmon in den Rücken, und er lag einenMoment still, unfähig zu atmen oder sich zu rühren. Wieder erklang dasunheilvolle Surren, und er überwand seine Schwäche und kroch auf dem Bauch indas dichte Unterholz neben dem Pfad. Dann lag er still, hielt sein Beinumklammert und lauschte.
Es kam ihm vor, als habe er Stunden so gelegen. Die Stillewar beinah vollkommen, nur ganz leise war das Plätschern des Flusses zuvernehmen.
Schliesslich sammelte Cædmon seinen Mut und hob den Kopf."Dunstan?"
Sein Pferd stand nur wenige Schritte entfernt auf dem Pfad.Offenbar war es ein Stück gerannt und dann zurückgekehrt; der Rehbock schleifteam Boden. Dunstans Brauner war hingegen nirgendwo zu sehen, doch sein Bruderselbst lag gleich neben ihm, halb auf dem Uferpfad, halb im Dickicht. SeinGesicht war Cædmon zugewandt, und was durch die wirren, blonden Haare hindurchdavon erkennbar war, wirkte todesbleich. Dunstan lag vollkommen reglos.
"Nein ..." Cædmon richtete sich halb auf. Ein neuerlicherSchmerz zuckte durch sein Bein, und er sah es zum erstenmal an. Ein kurzer, hellgefiederterPfeil steckte seitlich in seinem Oberschenkel. "Gott verflucht. Dunstan?"
Sein Bruder regte sich nicht. Cædmon robbte zu ihm hinüberund strich die Haare aus Dunstans Stirn. Dann legte er ihm furchtsam eine Handauf die Brust. Das Herz schlug gleichmässig und kräftig. Ein wenig erleichtertuntersuchte er den Kopf seines Bruders. Unter dem Haaransatz fand er eineanschwellende Beule. Anscheinend hatte Dunstan einen Huftritt vor die Stirnbekommen. Cædmon rüttelte ihn zaghaft an der Schulter. Nichts.
"Gott, was tu ich denn jetzt nur?"
Er sah auf den Fluss hinaus. Der Drache war verschwunden,zweifellos weiter flussaufwärts gezogen. Cædmon wusste, er musste nach Hausereiten. Seinen Vater und die anderen warnen.
"Und je länger du hier herumsitzt, um so dunkler und kälterwird es werden", murmelte er. Unbewusst versuchte er, Dunstans Stimme zuimitieren, denn nichts konnte ihn so dazu anspornen, über sich hinauszuwachsen,wie die Herablassung seines Bruders.
Cædmon zog das gesunde Bein an, biss die Zähne zusammen undstand auf. Doch sobald er das angeschossene Bein mit seinem Gewicht belastete,zuckte der Schmerz bis in die Hüfte hinauf. Als er die wenigen Schritte zuseinem Pferd zurückgelegt hatte, weinte er.
Er umfasste den Sattelknauf mit beiden Händen und sah imschwindenden Licht an seinem linken Bein hinab. Blut tränkte seine Hosen ausdunklem Wollstoff, der Fleck hatte beinah die gekreuzten Lederbänder erreicht,die seine Waden bis zum Knie umschlossen, und breitete sich weiter aus. Bessernicht hinsehen, dachte er. Er nahm sein geduldiges Reittier am Zügel. "Komm,Beorn. Wir müssen Dunstan nach Hause schaffen."
Der stämmige Grauschimmel liess sich willig führen, abernach drei Schritten musste Cædmon anhalten. Er hatte bis heute nicht gewusst, dasseinem übel werden konnte vor Schmerz. Der Nachmittag war weit fortgeschritten,und es wurde schnell kälter. Trotzdem erschien sein Gesicht ihm heiss. Er fuhrsich mit dem Ärmel über die Stirn, legte dem Pferd den rechten Arm um den Halsund hüpfte auf einem Bein neben ihm her.
Dunstan war nach wie vor besinnungslos. Cædmon beugte sichüber ihn und fühlte wieder seinen Herzschlag. Unverändert.
"Oh, Dunstan, werd wach. Bitte, wach doch auf, duverdammter Mistkerl ..."
Aber Dunstan war nicht gerade dafür bekannt, dass er sichnach den Wünschen seiner Brüder richtete. Er zeigte nicht die leiseste Regung.Cædmon sah zum Himmel auf. Er war nicht mehr weiss, sondern dunkelgrau. Einscharfer Wind hatte sich mit der Dämmerung erhoben und trieb schwere Wolkenheran.
"Ja, warum nicht", murmelte Cædmon bissig. "Das macht jetztkeinen grossen Unterschied."
Er wusste genau, was er tun musste. Aber im Augenblick fühlteer sich seiner Aufgabe nicht gewachsen. Fast war es, als könne er denmörderischen Schmerz schon jetzt spüren, und er schauderte unwillkürlich.
"Gott, Dunstan, das werde ich dir niemals verzeihen",drohte er an.
© für die deutscheAusgabe 1999/2000 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG - All rightsreserved.
- Autor: Rebecca Gablé
- 2002, 19. Aufl., 878 Seiten, Masse: 12 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404148088
- ISBN-13: 9783404148080
- Erscheinungsdatum: 17.10.2002
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