Das Meer der Lügen / Lord John Bd.1
Gabaldon-Fans ist er als Freund von Claire und Jamie bekannt - nun wird er selbst zum Helden spannender Abenteuer: Lord John Grey!An einem ganz normalen Tag im August 1757 wird er in einem ehrenwerten Londoner Club in einen Strudel ungeheuerlicher...
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Gabaldon-Fans ist er als Freund von Claire und Jamie bekannt - nun wird er selbst zum Helden spannender Abenteuer: Lord John Grey!An einem ganz normalen Tag im August 1757 wird er in einem ehrenwerten Londoner Club in einen Strudel ungeheuerlicher Ereignisse hineingezogen. Um seine Familie vor einem Skandal zu bewahren, begibt er sich in grösste Gefahr.
Diana Gabaldon, geboren 1952, gelang mit ihrem Debüt ''Feuer und Stein'' der grosse Durchbruch.
''Es kann nur eine geben: Diana Gabaldon ist die Mutter aller Highlander.''
Brigitte
London, 1757. Soeben aus dem schottischen Zwangsexil zurückgekehrt, wird Lord John mit einem äusserst heiklen Auftrag betraut. Und gerät unversehens in ein gefährliches Netz aus Mord, Intrige, Erpressung - und verzweifelter Liebe.
Das Meer der LügenvonDiana Gabaldon
LESEPROBE
...wenn wir nach Trug und Täuschung streben
London, Juni 1757
Die Gesellschaft zur Wertschätzung des englischen Beefsteaks, einHerrenclub
Es war eines dieser Dinge, von denen man im ersten Moment hofft,man hätte falsch hingesehen - weil das Leben so viel angenehmer wäre, wenn manes nicht gesehen hätte.
Besagtes Ding an sich hatte kaum etwas Schockierendes; Lord JohnGrey hatte schon Schlimmeres gesehen, konnte jederzeit Schlimmeres sehen, wenner einfach nur aus dem "Beefsteak" auf die Strasse trat. DasBlumenmädchen, das ihm auf dem Weg zum Club einen Veilchenstrauss verkaufthatte, trug eine klaffende Wunde auf dem Handrücken, die halb verheilt war undeine nässende Kruste hatte. Der Türsteher, ein Veteran, der in Amerika gekämpfthatte, hatte eine wulstige Tomahawknarbe, die ihm vom Haaransatz bis zum Kinnlief und die Höhle seines erblindeten Auges in zwei Hälften spaltete. ImVergleich dazu war die wunde Stelle auf dem besten Stück des Ehrenwerten JosephTrevelyan ziemlich klein. Beinahe diskret.
"Nicht so tief wie ein Brunnen, noch so weit wie eineKirchtür", brummte Grey vor sich hin. "Aber es reicht hin.Verdammt."
Er trat hinter dem chinesischen Paravent hervor und hielt sich dieVeilchen an die Nase. Deren süsser Duft kam gegen den durchdringenden Geruch,der ihm von den Pissoiren her folgte, nicht an. Es war Anfang Juni, und wiejedes andere Etablissement in London roch auch das "Beefsteak" nachBier und Spargelpisse.
Trevelyan hatte die Zurückgezogenheit der chinesischen Wand schon vorGrey verlassen und nichts von dessen Entdeckung mitbekommen. Der EhrenwerteJoseph stand jetzt am anderen Ende des Speisezimmers und war in ein Gesprächmit Lord Hanley und dem jüngeren Mr. Pitt vertieft - der Inbegriff des gutenGeschmacks und der nüchternen Eleganz. Etwas schmalbrüstig, dachte Greyhartherzig - obwohl der Anzug aus feinem, rotbraunem Stoff darauf zugeschnittenwar, der schlanken Figur des Mannes zu schmeicheln. Storchenbeine noch dazu;Trevelyan verlagerte das Gewicht und auf seinem linken Bein erschien einSchatten an der Stelle, wo sein Wadenpolster sich unter dem besticktenSeidenstrumpf verschob.
Lord John wendete das Sträusschen kritisch in der Hand, als suchteer nach welken Stellen, während er den Mann mit gesenkten Wimpern beobachtete.Er wusste sehr gut, wie man jemanden beobachtete, ohne dass es ihm anzusehenwar. Er wünschte, diese Gabe der unauffälligen Betrachtung wäre ihm nicht sosehr zur Angewohnheit geworden - dann stünde er jetzt nicht vor diesem Dilemma.
Die Entdeckung, dass ein Bekannter an der Franzosenkrankheit litt,hätte normalerweise schlimmstenfalls eine angewiderte Reaktion hervorgerufen,bestenfalls neutrales Mitgefühl - gepaart mit tiefer Dankbarkeit, dass mannicht selbst von dergleichen betroffen war. Unglücklicherweise war derEhrenwerte Joseph Trevelyan nicht einfach nur eine Clubbekanntschaft; er warmit Greys Cousine verlobt.
Der Steward murmelte ihm etwas zu; aus einem Reflex heraus reichteer dem Mann den Blumenstrauss und machte eine abwinkende Handbewegung.
"Nein, ich esse noch nicht. Ich warte noch auf OberstQuarry."
"Sehr wohl, Mylord."
Trevelyan hatte sich wieder zu seinen Begleitern an einen Tisch amanderen Ende des Zimmer gesetzt, und sein schmales Gesicht errötete gerade vorLachen über einen Witz, den Pitt gemacht hatte.
Grey konnte nicht einfach so dastehen und den Mann finsterenBlickes anstarren; er zögerte, unsicher, ob er sich ins Raucherzimmer begebenund dort auf Quarry warten sollte, oder vielleicht den Flur entlang in dieBibliothek gehen sollte. Schliesslich kam ihm jedoch das plötzliche Eintretenvon Malcolm Stubbs zuvor, eines Leutnants aus seinem Regiment, der ihn angenehmüberrascht begrüsste.
"Major Grey! Was führt Euch denn hierher? Ich dachte, Ihrwärt Stammgast bei White's. Habt wohl die Nase voll von den Politikern,was?"
Stubbs war nicht grösser als Grey, aber doppelt so breit. Er hatteein pausbäckiges Engelsgesicht, grosse, blaue Augen und eine unverkrampfte Art,die ihn bei seinen Männern sehr beliebt machte, wenn auch nicht immer beiseinen vorgesetzten Offizieren.
"Hallo, Stubbs." Grey lächelte trotz seiner innerenUnruhe. Stubbs war ein guter Bekannter, wenn sich ihre Pfade auch ausserhalb desRegiments kaum kreuzten. "Nein, Ihr verwechselt mich mit meinem BruderHal. Ich überlasse ihm das Räuberschach."
Stubbs wurde rot im Gesicht und prustete leise.
"Räuberschach! Guter Witz, Grey, ehrlich. Den muss ichunbedingt dem Alten erzählen." Der Alte war Stubbs' Vater, einunbedeutender Baronet, der mit Sicherheit sowohl mit dem White's Club als auchmit Lord Johns Bruder vertraut war.
"Nun, Grey, seid Ihr hier Mitglied? Oder Gast, so wieich?" Stubbs, der sich wieder von seinem Lachanfall erholt hatte, wies miteiner Handbewegung auf das geräumige, weiss eingedeckte Speisezimmer und warfeinen bewundernden Blick auf die beeindruckende Sammlung von Dekantern, die derSteward auf einer Anrichte zurechtstellte.
"Mitglied."
Trevelyan nickte gerade dem Herzog von Gloucester zu, der denfreundschaftlichen Gruss erwiderte. Himmel, Trevelyan kannte auch wirklichjeden. Mit einem kleinen Ruck wandte Grey seine Aufmerksamkeit wieder Stubbszu.
"Mein Patenonkel hat mich schon bei meiner Geburt imÝBeefsteak angemeldet. Seit ich sieben bin, das Alter, in dem seiner Meinungnach die Vernunft einsetzt, hat er mich jeden Mittwoch zum Mittagessenmitgenommen. Auf diese Gewohnheit musste ich natürlich unterwegs verzichten,aber wenn ich in der Stadt bin, finde ich mich regelmässig hier ein."
Der Steward beugte sich zu Trevelyan hinab, um ihm einen Dekantermit Portwein anzubieten; Grey erkannte das goldene Siegelrelief am Hals desGefässes - Vielle St. Moreau, hundert Guineen per Fass. Gut betucht, reich anBeziehungen... und mit der Syphilis infiziert. Verdammt, wie bekam er das nurin den Griff?
"Ist Euer Gastgeber noch nicht da?" Er berührte Stubbsam Ellbogen und wandte ihn zur Tür. "Dann kommt - trinken wir einschnelles Glas in der Bibliothek."
Sie spazierten den wohnlichen Teppich entlang, der über den Flurlief, und betrieben Konversation.
"Warum so herausgeputzt?", fragte Grey beiläufig undversetzte die geflochtene Tresse an Stubbs' Schulter in Bewegung. Das"Beefsteak" war keine Anlaufstelle für Soldaten; obwohl ein paarOffiziere des Regiments Mitglieder waren, trugen sie hier selten Uniform, essei denn, sie waren auf dem Weg zu einem offiziellen Termin. Auch Grey war nurdeshalb uniformiert, weil er mit Quarry verabredet war, der niemals etwasanderes in der Öffentlichkeit trug.
"Muss noch zu einem Witwenbesuch", erwiderte Stubbs mitresignierter Miene. "Keine Zeit, mich vorher noch umzuziehen."
"Oh? Wer ist denn gestorben?" Ein Witwenbesuch war einoffizieller Besuch, den man der Familie eines kürzlich verstorbenenRegimentsmitgliedes abstattete, um das Beileid der Truppe zu entbieten und sichnach dem Wohlergehen der Witwe zu erkundigen. War der Mann Berufssoldat,beinhaltete der Besuch möglicherweise auch die Aushändigung einer kleinen Summein bar, das von den Kameraden und den direkten Vorgesetzten des Mannesgesammelt worden war - mit etwas Glück genug für eine anständige Beerdigung.
"Timothy O'Connell."
"Tatsächlich? Wie ist das denn passiert?" O'Connell warein Ire in den mittleren Jahren, mürrisch, aber fähig; er war sein Leben langSoldat gewesen und hatte es aufgrund seiner Fähigkeit, seine Untergebeneneinzuschüchtern, bis zum Sergeanten gebracht - eine Fähigkeit, um die ihn Greyals siebzehnjähriger Subalterner beneidet hatte und vor der er zehn Jahrespäter immer noch Respekt hatte.
"Ist bei einer Prügelei auf der Strasse umgekommen, vorletzteNacht."
Bei diesen Worten fuhren Greys Augenbrauen in die Höhe.
"Da muss ihm aber eine ganze Bande nachgestellt haben",sagte er, "oder ihn überrascht haben; ich hätte alles auf O'Connellgesetzt, wenn der Kampf auch nur halbwegs fair gewesen ist."
"Ich weiss nichts Genaues; ich soll die Witwe danachfragen."
Grey nahm auf einem der antiken, aber gemütlichen Sessel des"Beefsteaks" Platz und winkte einem Bediensteten.
"Brandy - für Euch auch, Stubbs? Ja, zwei Brandy bitte. Undsorgt dafür, dass man mich holt, wenn Oberst Quarry eintrifft, ja?"
"Danke, Kumpel, nächstes Mal kommt Ihr zu Boodie's, und danngebe ich einen aus." Stubbs schnallte sein Paradeschwert ab und reichte esdem wartenden Bediensteten, um es sich dann ebenfalls bequem zu machen.
"Habe übrigens neulich Eure Cousine getroffen", merkteer an, während er seinen nicht unbeträchtlichen Hintern tief in den Sesselbohrte. "Ist im Row Park ausgeritten - hübsche junge Dame. GuterSitz", fügte er umsichtig hinzu.
"Ach, wirklich. Und welche Cousine war das?", fragteGrey, während ihm das Herz in die Knie sank. Er hatte eine ganze Reihe vonCousinen, aber nur eine, von der er sich vorstellen konnte, dass Stubbs siebewunderte, und so, wie dieser Tag sich anliess...
"Die Pearsall", sagte Stubbs fröhlich und bestätigteGreys Vorahnung. "Olivia? War das der Name? Ist sie nicht mit diesemTrevelyan verlobt? Dachte, ich hätte ihn eben im Speisezimmer gesehen."
"Das habt Ihr auch", sagte Grey knapp. Er brannte imAugenblick nicht sehr darauf, sich über den Ehrenwerten Joseph zu unterhalten.Doch wenn Stubbs erst einmal einen Gesprächskurs eingeschlagen hatte, war er soschwer davon abzubringen wie ein bergab rollender Zwanzigpfünder, und Grey kamnicht umhin, sich alles Mögliche über Trevelyans Tun und seine herausragendegesellschaftliche Stellung anzuhören - Dinge, deren er sich nur allzu gutbewusst war.
"Irgendwelche Neuigkeiten aus Indien?", fragte erschliesslich verzweifelt.
Dieser Schachzug funktionierte; dem Grossteil Londons war zwarbewusst, dass Robert Clive nach den Fersen des Nawabs von Bengalen schnappte,doch Stubbs hatte einen Bruder im 46sten Infantrieregiment, das derzeit mitClive Kalkutta belagerte, und war daher in der Lage, einige grausige Detailsbeizusteuern, die es noch nicht bis in die Zeitung geschafft hatten.
"...so viele britische Gefangene auf engstem Raumzusammengedrängt, sagt mein Bruder, dass es, wenn sie vor Hitze umgefallensind, keinen Platz gab, wo sie die Leichen lassen konnten; die Überlebendenwaren gezwungen, auf den Gestürzten herumzutrampeln. Er sagt -" Stubbs sahsich um und senkte ein wenig die Stimme. "Er sagt, ein paar der armenKerle sind vor Durst wahnsinnig geworden. Haben das Blut getrunken. Wenn einervon ihnen gestorben ist, meine ich. Sie haben ihm die Kehle aufgeschlitzt, dieHandgelenke, die Leiche ausbluten lassen und sie dann liegen gelassen. Brycesagt, sie konnten der Hälfte der Toten keinen Namen mehr zuordnen, als sie siedort herausgezogen haben, und -"
"Meint Ihr, sie schicken uns auch dorthin?", unterbrachGrey. Er leerte sein Glas und bestellte mit einer Handbewegung zwei weitereGläser Brandy, um sich vielleicht doch noch einen Rest seines Appetits auf dasMittagessen zu bewahren.
"Weiss nicht. Vielleicht - obwohl ich letzte Woche ein Gerüchtgehört habe, das sehr danach klang, als könnte es Amerika werden." Stubbsschüttelte stirnrunzelnd den Kopf. "Kann nicht sagen, dass ich einengrossen Unterschied zwischen einem Hindu und einem Mohawk sehe - alles brüllendeBarbaren -, aber wenn Ihr mich fragt, sind die Chancen, sich zu profilieren, inIndien sehr viel grösser."
"Wenn man die Hitze, die Insekten, die Giftschlangen und denDurchfall überlebt, ja", sagte Grey. Er schloss für einen Moment derGlückseligkeit die Augen und genoss den sanften Hauch des englischen Junitages,der zum offenen Fenster hereinwehte.
Es wurde überall spekuliert, was den nächsten Posten des Regimentsanging, und die Gerüchteküche florierte. Frankreich, Indien, die amerikanischenKolonien... vielleicht Prag oder die russische Front, einer der deutschenStaaten oder gar die Westindischen Inseln. Indem es Österreichs strittigeThronfolge als Vorwand benutzte, kämpfte Grossbritannien auf drei Kontinentenmit Frankreich um die Vorherrschaft, und kein Soldat konnte über Mangel anBeschäftigung klagen.
Sie verbrachten noch eine angenehme Viertelstunde mit ähnlichsubstanzlosen Vermutungen. Währenddessen konnte sich Greys Verstand ungehinderterneut den Schwierigkeiten zuwenden, die sich durch seine unpassende Entdeckungergaben. Hätten die Dinge ihren normalen Lauf genommen, wäre Trevelyan dasProblem seines älteren Bruders gewesen. Doch Hal war zurzeit auf Reisen inFrankreich und unerreichbar, was Grey zum Mann vor Ort machte. Die Hochzeitzwischen Trevelyan und Olivia Pearsall sollte in sechs Wochen stattfinden; esmusste etwas unternommen werden, und zwar schnell.
Vielleicht zog er besser Paul oder Edgar zu Rate - aber keinerseiner Halbbrüder bewegte sich in gesellschaftlichen Kreisen; Paul führte eingemütliches Landleben auf seinem Anwesen in Sussex und setzte kaum je einen Fussin den nächsten Marktflecken. Was Edgar anging... nein, Edgar würde keine Hilfesein. Seine Vorstellung von einer diskreten Erledigung der Angelegenheit würdees sein, Trevelyan auf den Stufen von Westminster auszupeitschen.
Ein Steward, der in der Tür erschien und Oberst Quarrys Eintreffenverkündete, setzte seinen abschweifenden Gedanken vorerst ein Ende.
Er erhob sich und berührte Stubbs an der Schulter.
"Holt mich nach dem Essen ab, ja?", sagte er. "WennIhr möchtet, begleite ich Euch bei Eurem Witwenbesuch. O'Connell war ein guterSoldat."
"Oh, würdet Ihr das tun? Das ist wirklich anständig von Euch,Grey; danke." Stubbs machte ein dankbares Gesicht; den Hinterbliebenensein Beileid auszusprechen, war nicht seine Stärke.
Glücklicherweise hatte Trevelyan seine Mahlzeit beendet und wargegangen; die Stewards waren gerade dabei, die Krümel von dem frei gewordenenTisch zu fegen, als Grey das Zimmer betrat. Auch gut; es hätte ihm den Magenumgedreht, wenn er den Mann beim Essen hätte sehen müssen.
Er begrüsste Harry Quarry herzlich und zwang sich dann, während derSuppe Konversation zu betreiben, obwohl er mit seinen Gedanken anderswo war. Erzögerte und tauchte seinen Löffel in die Suppe. Quarry benahm sich oft derb undunbeholfen, doch er besass grosse Treffsicherheit, wenn es darum ging, denCharakter eines Menschen einzuschätzen, und er kannte sich mit unschönenAffären aus. Er stammte aus einer guten Familie und wusste, wie die bessereGesellschaft funktionierte. Vor allem konnte man sich darauf verlassen, dass erein Geheimnis für sich behalten würde.
Also dann. Über die Sache zu sprechen, würde die Situationmöglicherweise zumindest für ihn selbst klarer machen. Er schluckte den letztenRest Brühe hinunter und legte den Löffel hin.
"Kennt Ihr Mr. Joseph Trevelyan?"
"Den Ehrenwerten Mr. Trevelyan? Vater Baronet, Bruder imParlament, ein Vermögen in Zinn aus Cornwall, bis über die Ohren an derOstindischen Handelsgesellschaft beteiligt?" Harry zog ironisch dieAugenbrauen hoch. "Nur vom Sehen. Wieso?"
"Er ist mit meiner Cousine Olivia Pearsall verlobt. Ich...ich hatte mich nur gefragt, ob Euch vielleicht irgendetwas in Bezug auf seinenCharakter zu Ohren gekommen ist."
"Bisschen spät für derartige Erkundigungen - oder nicht, wennsie schon verlobt sind?" Quarry löffelte ein Stück unidentifizierbarenGrünzeugs aus seiner Suppentasse, betrachtete es kritisch, dann zuckte er mitden Achseln und ass es. "Geht Euch doch sowieso nichts an, oder? Ihr Vaterist doch bestimmt zufrieden?"
"Sie hat keinen Vater mehr. Und keine Mutter. Sie istverwaist und ist seit zehn Jahren das Mündel meines Bruders Hal. Sie lebt imHaushalt meiner Mutter."
"Mm? Oh. Das wusste ich nicht." Quarry kaute langsam aufseinem Brot herum und betrachtete seinen Freund mit nachdenklich gesenktenAugenbrauen. "Was hat er denn angestellt? Trevelyan, meine ich, nicht EuerBruder."
Lord John zog seinerseits die Augenbrauen hoch und spielte mitseinem Suppenlöffel.
"Nichts, soweit ich weiss. Warum sollte er denn etwasangestellt haben?"
"Sonst würdet Ihr Euch doch nicht nach seinem Charaktererkundigen", führte Quarry in aller Logik an. "Raus damit, John; washat er getan?"
"Es ist nicht so sehr, was er getan hat, als vielmehr dieFolgen." Lord John lehnte sich zurück und wartete ab, bis der Steward dasSuppengeschirr abgeräumt und sich ausser Hörweite begeben hatte. Er beugte sichein wenig vor, senkte die Stimme bis weit unter den Flüsterton, und dennochspürte er, wie ihm das Blut in die Wangen stieg.
Es war absurd, sagte er sich. Jeder Mann warf dann und wann einenbeiläufigen Blick auf seinen Nebenmann - doch seine persönlichen Vorliebenmachten ihn in einer solchen Situation mehr als angreifbar; er konnte dieVorstellung, dass ihn jemand einer vorsätzlichen Inspektion bezichtigen könnte,nicht ertragen. Nicht einmal Quarry - der in einer ähnlichen SituationTrevelyan wahrscheinlich am Glied des Anstosses gepackt und lauthals eineErklärung für das Ganze verlangt hätte.
© Verlagsgruppe Random House
Übersetzung: Barbara Schnell
Interviewmit Diana Gabaldon
"Feuerund Stein" ist der erste Band einer historischen Saga, die den Leser insSchottland des 18. Jahrhunderts entführt. Was reizt Ihre Leser an einer solchenZeitreise?
Na ja, dieseFrage sollten Sie eigentlich den Lesern stellen, oder? Aber ich werde Ihnen einbisschen davon erzählen, was ich von meinen Lesern gehört habe...
Viele mögen es,mit mir Zeitreisen zu unternehmen; sie sagen, die Lebendigkeit der Story gebeihnen das Gefühl, Teil der Geschichte zu sein. Als wären sie mittendrin im 18.Jahrhundert, mit seinen Gebäuden, Tönen und Gerüchen. Viele mögen die Art undWeise, in der ich ihnen Wissen und Informationen vermittle - über Geschichte(bei mir stimmen alle Fakten), über Schottland, die Kräutermedizin und vieleandere Dinge, von denen ich im Buch erzähle. Viele lieben die Abenteuer, vondenen ich berichte. "Es sind Abenteuer ohne Ende", sagt mein Mannimmer. Einige mögen auch die Liebesgeschichten, die sich durch meine Bücherziehen. Während es in Liebesromanen um das Werben geht, handeln meine Büchervom Heiraten. Natürlich ist es sehr interessant, was Menschen zusammenbringt.Aber für mich ist viel interessanter, was Leute dazu bringt, 50 Jahrezusammenzubleiben.
Einige Lesermögen das Spekulative an meinen Büchern: die Theorien zu Zeitreisen und diemoralischen Schwierigkeiten, denen sich ein Zeitreisender ausgesetzt sieht.Wenn man sich bewusst ist, was mit einem passiert - hat man dann dieVerpflichtung, die Sache zu stoppen? Wenn ja, könnte man das? Und was ist, wennnicht? Wie lebt man mit der "Bürde" des Wissens, wenn man keine Krafthat, den Ereignissen entgegenzuwirken? Und wenn du denkst, du könntest etwasunternehmen, ist der Preis, den du dafür bezahlst, nicht zu hoch?
So ziemlich alleLeute mögen die Helden meiner Bücher. Sie sagen, Figuren wie Jamie Fraser undClaire Randall seien so realistisch, dass sie unbedingt wissen wollen, wasmeinen Helden als nächstes passiert!
Eine meinerliebsten Leserstimmen der letzten Wochen kam von einer jungen Frau aus Sachsen.Sie schrieb: "Mein Onkel, der alle ihre Bücher zwei Mal gelesen hat, meinte:"Die Geschichten sind verrückt, unrealistisch, abgedreht und abstrakt.Aber warum sind sie bloss so kurz?""
Wiekamen Sie, eine Amerikanerin aus Arizona, auf die Idee, ausgerechnet dasschottische Hochland als Schauplatz Ihres Abenteuerromans auszuwählen?
Nun, das hat mitder Frage zu tun, wie ich - als erfolgreiche Wissenschaftlerin - auf denGedanken gekommen bin, einen Abenteuerroman zu schreiben. Eigentlich war dasalles eher Zufall. Ich wollte schon immer Schriftstellerin werden und sah dasals meine Bestimmung an. Ich komme allerdings aus einer sehr konservativenFamilie und bekam ständig Sprüche zu hören wie: "Bei deiner schlechtenMenschenkenntnis wirst du eines Tages einen Herumtreiber heiraten. Sorge dafür,dass du eine gute Ausbildung bekommst, damit du später deine Kinderunterstützen kannst!" Ich habe dann aber einen sehr netten Mann geheiratet, wirsind mittlerweile seit 32 Jahren zusammen und haben drei wundervolle Kinder,die jetzt selber schon erwachsen sind.
Wie dem auch sei,vor diesem familiären Hintergrund hielt ich es für besser, nicht über meinegeplante Schriftstellerkarriere zu sprechen, denn eine solche Laufbahn ist jaganz und gar nicht sicher und vorhersehbar. Ausserdem wusste ich auch gar nicht,wie ich das Roman schreiben anpacken sollte. Als ich dann aber so Mitte 30 war,dachte ich mir: Wenn du Romane schreiben willst, solltest dus jetzt versuchenund nicht warten, bis du in den Ruhestand gehst. Hätte sich erst dann herausgestellt,dass ich gut bin, hätte ich schliesslich eine Menge Zeit verloren!
Bis dahin hatteich schon alles Mögliche geschrieben: Textbücher, wissenschaftliche Beiträge,Artikel für Nachschlagewerke, Softwarerezensionen und Beiträge fürComputerzeitschriften, Lehrmaterialien, Stipendienanträge, Jahresberichte - undWalt-Disney-Comics. Wie man das macht, hatte mir nie jemand gesagt; ich hatteeinfach einige Beispiele gelesen und dann drauflosgeschrieben. Also war dasoffensichtlich auch der beste Weg, um zu lernen, wie man einen Roman schreibt -man muss ihn einfach schreiben.
Meine Mutterbrachte mir das Lesen bei, als ich drei war, und seitdem verschlang ich alles,was mir unter die Finger kam - über Romane wusste ich so gut Bescheid, dass ichselbst einen schreiben konnte.
Ich beschlossalso, versuchsweise einen Roman zu schreiben, um zu sehen, wie man das machtund wie viel Disziplin und Fleiss man dazu bracht. Danach wollte ichentscheiden, ob es wirklich das war, was ich wollte, und gegebenenfalls einkommerziell funktionierendes Thema wählen und einen "echten" Roman schreiben,der dann natürlich auch veröffentlicht werden sollte.
Nun, alsÜbungsobjekt wählte ich "Feuer und Stein", doch das Ganze ist etwas aus demRuder gelaufen Zu Beginn aber wares nur ein Übungsstück. Ich sagte mir: "Welche Art von Roman kann man amleichtesten schreiben? Es ist ja zum Üben, da machts keinen Sinn, wasSchwieriges auszuwählen." Und ich kam zu dem Schluss, dass für mich einhistorischer Roman am einfachsten zu schreiben sei. Bei Historienromanen gibtsja keine thematischen Einschränkungen; man kann über alles schreiben, solangeman ein lebendiges, überzeugendes und glaubwürdiges Setting hat, das dieVergangenheit lebendig werden lässt.
Nun, das wiederumhängt von lebendigen, überzeugenden und glaubwürdigen Details ab - und diebekommt man offensichtlich durch Recherchen. Okay, ich hatte eineForschungsprofessur (an der Universität hatte ich mich auf wissenschaftlicheBerechnungen spezialisiert, aber das war Zufall, denn eigentlich hatte ichBiologie, Meeresbiologie und Ökologie studiert), und ich wusste, wie man miteiner Bibliothek umgeht. Ich sagte mir also, dass es einfacher ist, Sachennachzuschlagen als sie sich auszudenken, und falls ich keine Fantasie habensollte, dann könnte ich mir ja immer noch alles Notwendige aus historischenBerichten zusammenklauen.
Die nächste Fragewar logischerweise die nach der Zeit und dem Ort für das Buch. Da ich mich inGeschichte nicht sonderlich auskannte und sowieso alles würde nachschlagenmüssen, war das eigentlich ziemlich egal. Zufällig sah ich dann dieWiederholung einer Folge von "Dr. Who" im Fernsehen. Da ich nicht weiss, ob mandie Serie in Deutschland auch kennt, erzähle ich kurz davon: "Dr. Who"ist ein Lord vom Planeten Gallifrey, der durch Zeit und Raum reist undzahlreiche Abenteuer zu bestehen hat. Auf seinem Weg wird er von Gefährten ausunterschiedlichen Epochen der Erdgeschichte begleitet, die je nachZeitabschnitt unterschiedlich sind. In dieser ziemlich alten Folge, die ichzufälligerweise sah (die Sendung läuft seit 30 Jahren in England), hatte derDoktor einen 17- oder 18-jährigen jungen Mann aus dem Schottland des Jahres1745 dabei - im Kilt. Als ich das sah, dachte ich bei mir: "Oh, das ist ja ganzreizend!". Ich überlegte bis zum nächsten Tag und sagte mir: "Nun, du willstein Buch schreiben. Es ist ziemlich egal, welche Zeit du dir raussuchst -wichtig ist allein, dass du dir eineZeit und einen Ort aussuchst und endlich anfängst. Also dann eben Schottland,achtzehntes Jahrhundert."
Und da sind wirnun. Bis zum dritten Schreibtag handelte es sich um einen ziemlich geradlinigerzählten historischen Roman. Bis dahin hatte ich genug recherchiert, um denJakobiten-Aufstand von 1745 als historischen Hintergrund für die Geschichteauszuwählen. Ich wusste, dass es dabei vor allem um den Konflikt zwischenSchotten und Engländern ging, aber sagte mir: "Okay, wegen des Kiltfaktors brauche ich eine MengeSchotten - aber ich glaube, ich sollte auch eine weibliche Figur alsGegengewicht schaffen. Dann bekomme ich einen sexuellen Konflikt mit hinein,das wäre gut. Und da es um Schotten und Engländer geht, bekommen wir jede MengeKonflikte, wenn ich eine englische Frau einführe."
Ich führte alsodiese Engländerin ein, ohne eine Idee zu haben, wer sie war, wie sie in dieganze Geschichte hineinkam oder was sie dort tat. (Ich schreibe übrigens nichtam Stück, sondern in kleinen Abschnitten, die ich später dann zusammenklebe.)Und so setzte ich diese Frau in ein kleines Landhaus voller Schotten, um zusehen, was sie tun würde. Sie ging hinein, und alle drehten sich um undstarrten sie an. Einer erhob sich langsam und sagte: "Ich bin Dougal MacKenzie.Und wer bitteschön sind Sie?" Worauf sie (ohne jede Hilfe meinerseits)antwortete: "Ich bin Claire Elizabeth Beauchamp. Und wer zum Teufel sind Sie?"Ich hielt inne und sagte: "Du hörst dich ganz und gar nicht wie eine Frau ausdem 18. Jahrhundert an." Zwei oder drei Seiten lang kämpfte ich mit ihr, um siezurechtzustutzen und sie wie eine historische Person sprechen zu lassen. Abersie wollte partout nicht "historisch" werden, sondern machte ständig ziemlichfreche, moderne Bemerkungen und fing schliesslich sogar an, die Geschichteselbst zu erzählen. "Nun gut", sagte ich mir, "da das Buch sowieso niemand jezu Gesicht bekommen wird, ist es ziemlich egal, was für bizarre Sachen ich dirandichte. Sei also modern, und ich werde mir später überlegen, wie du dorthingekommen bist." Es ist also ihre Schuld, dass es in diesen BüchernZeitreisen gibt.
HättenSie erwartet, dass Ihre Romanreihe um die Heldin Claire Randall und ihrenLiebsten James Fraser so viele Leser in ihren Bann ziehen würde?
Nie im Leben!Schliesslich habe ich nicht damit gerechnet, dass überhaupt irgend jemand dasBuch je lesen geschweige denn veröffentlichen würde - und schon gar nichtdamit, dass Millionen Menschen in der ganzen Welt es lesen würden. Aber ich binnatürlich froh, dass es so gekommen ist.
Siemüssen sehr umfangreich recherchiert haben. Wie lange dauerten Ihre Vorarbeitenzu diesem ersten Band?
Ich habeüberhaupt keine Vorarbeiten gebraucht. Ich wollte lernen, wie man einen Romanschreibt, und nicht alles über Schottland im 18. Jahrhundert wissen. Daherbeschloss ich, sofort mit dem Schreiben anzufangen und parallel zurecherchieren. Wenn ich etwas schrieb, das sich hinterher als falschherausstellen sollte, könnte ich es einfach korrigieren. Wenn ich aber zuerstJahre mit Recherchen verbrachte, käme ich damit meinem Ziel keinen Schritt näher.
Also begann ich mitdem Schreiben und betrieb parallel dazu meine Recherchen. Ich arbeite übrigensimmer noch so; Schreiben und Recherchieren befruchten und stimulieren sich inder Regel gegenseitig. Und da ich nicht am Stück schreibe, sondern in Einzelteilenund Bruchstücken, muss ich auch nicht immer alles wissen, um an einer Szene zuarbeiten. Wenn ich zu irgendeinem Ort etwas Spezielles wissen muss, ist esziemlich einfach für mich, an diese Information heranzukommen. Ich habe nichtnur Zugang zu einer guten Universitätsbibliothek, sondern mittlerweile eineziemlich umfangreiche persönliche Bibliothek zusammengetragen. Sie enthältBücher über die Geschichte Schottlands, den amerikanischen Unabhängigkeitskriegund Dutzende Werke über Heilpflanzen, die gälische Kultur oder alle möglichenanderen Dinge, die einem sonst so einfallen könnten.
- Autor: Diana Gabaldon
- 2005, 480 Seiten, Masse: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Barbara Schnell
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442362644
- ISBN-13: 9783442362646
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