Das Kindermädchen / Joachim Vernau Bd.1
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Die Leiche einer alten Ukrainerin im Landwehrkanal stellt Vernaus Leben mit einem Schlag auf den Kopf. Wer ist Natalja Tscherednitschenkowa, die von dem alten Zernikow Entschädigung fordert? Und warum will dieser nicht zahlen? Als Vernau sich an einen Heizkörper gefesselt einer Pistolenmündung gegenüber sieht, weiss er, dass hier mehr auf dem Spiel steht als ein schwarzer Fleck auf der blütenweissen Weste der Familie Zernikow.
Nominiert für den Glauser, den wichtigsten deutschen Krimipreis.
Das Kindermädchen von Elisabeth Herrmann
LESEPROBE
DieFlugzeuge.
Mitzitternden Händen versucht sie, das Schwarzpapier dort zu befestigen, wo essich am Fenster gelöst hat. Das Sirenengeheul kündigt sie an, die zehntenReiter der Apokalypse. Noch ist es mehr zu ahnen, das dunkle Dröhnen, doch eskommt näher. Vielleicht Richtung Neukölln. Vielleicht wird es auch Spandau treffen. Oder Köpenick. Vielleicht aber auch den Grunewald dieses Mal, diese Strasse und dieses Haus. Wo Olgajetzt sein mag? Nicht nachdenken. Bloss nicht nachdenken. Vielleicht hilftWachs.
Sie löschtdie Kerze und taucht den Finger in die heisse Flüssigkeit. Damit bestreicht sieden Holzrahmen und versucht erneut, das Fenster korrekt zu verdunkeln. DerSirenenton jagt den Schrecken in den Körper, der nur noch einen Impuls kennt:fliehen, sich verkriechen, Schutz suchen. Beten.
Vor dirsind tausend Jahre wie ein Tag. Lehre uns, Herr, unsere Tage zu zählen. Duwarst unsere Zuflucht, von Geschlecht zu Geschlecht.
»Paula?«
Die Tür zudem kleinen Kabuff über dem Ofen wird aufgerissen. Im Licht einer Kerzeerscheinen die angsterstarrten Züge eines Kindes.
»Paula!«
Flinkklettert der Junge in den engen Raum, der sogar für ihn zu niedrig zum Stehenist.
»Du sollstschlafen.«
Sielächelt, als sie sein Gesicht unter den verstrubbelten Haaren
sieht. Erstellt die Kerze ab und kriecht neben sie. »Was machst du da?«
»Ichstricke.«
Er deutetauf die vielen Päckchen mit Verbandmull. Eines ist geöffnet, sie hat gerade denweissen Strang zu einem Ärmel verarbeitet, als der Alarm begann.
»Das istverboten. Ich muss das melden.«
Sie lachtund fährt ihm mit der Hand durch die Haare. Vor zwei Jahren, als sie in diesesHaus gekommen war, wäre ihr bei diesen Worten himmelangst geworden. Das war dieZeit, in der er sie kaum angesehen hatte und die einzigen Worte, die er an sierichtete, Befehle waren. Ihm fehlt der Vater. Die Mutter hat keine Zeit, sichum ihn zu kümmern. Sie ist oft ausser H. Manchmal bringt sie die Männer auchmit, dann versucht sie, den Jungen abzulenken. Der Junge hatte sie dafürgehasst, weil sie wusste, was seine Mutter tat. Er hatte sie gehasst, bis erdas Fieber bekommen hatte und ihm nichts mehr helfen konnte. Nur noch nasseUmschläge und eine kühle Hand auf der Stirn. Ihre Hand, nicht die der Mutter.Als die Krise kam, hatte sie sich zu ihm gelegt und ihn festgehalten.
Er warnicht gegangen. Seitdem ist er ihr Sohn. Jetzt ist sie vierzehn und er elf,und die tausend Tage sind wie ein dunkler Tag. Herr, wann geht er vorüber?
»Der letzteWinter war kalt.«
Sie schiebtseinen Pyjamaärmel hoch und probiert die Länge an. »Du sollst nicht frierendieses Mal.«
»Siekommen«, sagt er.
Beideblicken auf das verdunkelte Fenster. Sie legt das Strickzeug zur Seite undzieht ihn an sich. Augenblicklich schmiegt er sich an ihre Schulter. Er tut esnur, wenn die Flieger kommen. Wenn es dunkel und die Mutter nicht zu Hause ist.Er ist kein zärtliches Kind. Manchmal kneift er sie, oder er boxt sie leicht.Das ist seine Art zu zeigen, dass er sie mag.
»Der Maiist schon fast vorbei«, sagt er.
Sie nickt.Sie weiss, was die Leute flüsterten. Sie hat gute Ohren. Keiner zeigt seineAngst, aber ernst sind sie geworden, die Deutschen. Die Invasion muss direktbevorstehen.
Sie weissnicht genau, was das ist, die Invasion. Es muss der Auslöser für die längstüberfällige Vergeltung sein, mit der man den Feind bestrafen will. DerLuftterror wird mit jedem Tag schlimmer. Die Verdunkelungen machen die Menschennervös und trübsinnig. Der Junge erzählt flüsternd von Luftüberlegenheit, alsob er wüsste, wie frevlerisch allein schon das Denken dieses Wortes ist. Mitder Invasion soll alles anders werden. So wie ein Gewitter erst unangenehm istund dann die Luft reinigt. Wir werden sie hereinlassen, sagt der Junge, sie werdensich sicher fühlen, und dann werden wir sie vernichten.
DerSirenenton mahnt durchdringend und unmissverständlich. Sie versteht nicht,warum nicht wenigstens der Junge in den Keller darf. Warum die Freifrau eseinen Tag lang gestattet und den anderen Tag verbietet. Der Sirenenton istanders heute. Sie weiss nicht, ob es nur das Blut ist, das in ihren Ohrenrauscht, oder der Wind in den Bäumen im Garten oder ob die Flugzeuge tatsächlichwiederkommen.
Lass siewoanders hinfliegen, Herr. Wir vergehen durch deinen Zorn, werden vernichtetdurch deinen Grimm, und wir beenden unsere Jahre wie einen Seufzer. Sende dasFeuer in die Hölle, aus der es kam, aber nicht hierher, nicht hierher, Herr. Herr,wende dich uns doch endlich zu. Hab Mitleid mit allen Knechten! »Hör doch aufmit dem Beten! Wenn nicht bald was passiert, wird es in diesem Jahr für unswieder zu spät sein.«
Zu spät fürden Frieden, von Sieg redet keiner mehr. Nur der Junge glaubt noch daran.Kinder und Verrückte.
»Wir müssenLuft bekommen, um im Osten wieder stärker einzugreifen.«
»Jaja.«
»Undendlich die Vergeltungswaffen einsetzen. Mit der Invasion wird alles anders.Erst lassen wir sie rein, Lind dann ...« Er fährt mit dem Zeigefinger überseine Kehle. Ihre Hand schnellt vor und hält ihn fest.
»Nicht«,sagt sie.
Der Bäckeram Roseneck hat seine Uk-Stellung verloren und mussdie Uniform noch einmal anziehen. Im Weltkrieg ist er verwundet worden, unddazu ist er noch Jahrgang 84. »Die nehmen mich doch nicht mehr«, hatte ergesagt.
Jetzt ister auf der Krim. Seine Frau hat es ihr erzählt. Eine robuste, zuversichtlicheFrau. Sie hat sich heimlich mit der Schürze die Augen ausgewischt. Sind dennalle taub und blind?
Die Russenstehen schon in Rumänien, im Generalgouvernement und vor Ungarn und derSlowakei. Man muss nur den Wehrmachtsbericht hören, dann kann man sich denken,wie das alles enden wird. Noch vor einer halben Stunde haben sie gemeldet, dasReichsgebiet sei feindfrei. Und jetzt das.
»Dieses Malkommen sie von Potsdam«, flüstert er.
Die Luftbeginnt zu vibrieren.
Hoffentlichhat Olga dort einen Graben. Olga ist so zart Lind dünn, Lind sie hat doch ihrerMutter versprochen, auf sie aufzupassen, Olga ist doch ein halbes Jahr jünger,ein Kind fast noch, Olga, die jetzt einen ganzen Hofversorgt, das schafft siedoch gar nicht. Aber er soll nett sein, ihr Bauer. Und eine Kirche haben sie daauch. Nur evangelisch, aber sie darf zum Gottesdienst. »Die kommen hierher!«
Herr, duwarst unsere Zuflucht, von Geschlecht zu Geschlecht. Von fahr zu Jahr säst dudie Menschen aus, sie gleichen dem sprossenden Gras. Am Morgen grünt es undblüht, am Abend wird es geschnitten wie Gras ...
»Hör auf,. Hör auf!«
Er reisstihre betenden Hände auseinander und zieht die Pappe vom Fenster weg. ()
© GoldmannVerlag
Das Kindermädchen von Elisabeth Herrmann
LESEPROBE
DieFlugzeuge.
Mitzitternden Händen versucht sie, das Schwarzpapier dort zu befestigen, wo essich am Fenster gelöst hat. Das Sirenengeheul kündigt sie an, die zehntenReiter der Apokalypse. Noch ist es mehr zu ahnen, das dunkle Dröhnen, doch eskommt näher. Vielleicht Richtung Neukölln. Vielleicht wird es auch Spandau treffen. Oder Köpenick. Vielleicht aber auch den Grunewald dieses Mal, diese Strasse und dieses Haus. Wo Olgajetzt sein mag? Nicht nachdenken. Bloss nicht nachdenken. Vielleicht hilftWachs.
Sie löschtdie Kerze und taucht den Finger in die heisse Flüssigkeit. Damit bestreicht sieden Holzrahmen und versucht erneut, das Fenster korrekt zu verdunkeln. DerSirenenton jagt den Schrecken in den Körper, der nur noch einen Impuls kennt:fliehen, sich verkriechen, Schutz suchen. Beten.
Vor dirsind tausend Jahre wie ein Tag. Lehre uns, Herr, unsere Tage zu zählen. Duwarst unsere Zuflucht, von Geschlecht zu Geschlecht.
»Paula?«
Die Tür zudem kleinen Kabuff über dem Ofen wird aufgerissen. Im Licht einer Kerzeerscheinen die angsterstarrten Züge eines Kindes.
»Paula!«
Flinkklettert der Junge in den engen Raum, der sogar für ihn zu niedrig zum Stehenist.
»Du sollstschlafen.«
Sielächelt, als sie sein Gesicht unter den verstrubbelten Haaren
sieht. Erstellt die Kerze ab und kriecht neben sie. »Was machst du da?«
»Ichstricke.«
Er deutetauf die vielen Päckchen mit Verbandmull. Eines ist geöffnet, sie hat gerade denweissen Strang zu einem Ärmel verarbeitet, als der Alarm begann.
»Das istverboten. Ich muss das melden.«
Sie lachtund fährt ihm mit der Hand durch die Haare. Vor zwei Jahren, als sie in diesesHaus gekommen war, wäre ihr bei diesen Worten himmelangst geworden. Das war dieZeit, in der er sie kaum angesehen hatte und die einzigen Worte, die er an sierichtete, Befehle waren. Ihm fehlt der Vater. Die Mutter hat keine Zeit, sichum ihn zu kümmern. Sie ist oft ausser H. Manchmal bringt sie die Männer auchmit, dann versucht sie, den Jungen abzulenken. Der Junge hatte sie dafürgehasst, weil sie wusste, was seine Mutter tat. Er hatte sie gehasst, bis erdas Fieber bekommen hatte und ihm nichts mehr helfen konnte. Nur noch nasseUmschläge und eine kühle Hand auf der Stirn. Ihre Hand, nicht die der Mutter.Als die Krise kam, hatte sie sich zu ihm gelegt und ihn festgehalten.
Er warnicht gegangen. Seitdem ist er ihr Sohn. Jetzt ist sie vierzehn und er elf,und die tausend Tage sind wie ein dunkler Tag. Herr, wann geht er vorüber?
»Der letzteWinter war kalt.«
Sie schiebtseinen Pyjamaärmel hoch und probiert die Länge an. »Du sollst nicht frierendieses Mal.«
»Siekommen«, sagt er.
Beideblicken auf das verdunkelte Fenster. Sie legt das Strickzeug zur Seite undzieht ihn an sich. Augenblicklich schmiegt er sich an ihre Schulter. Er tut esnur, wenn die Flieger kommen. Wenn es dunkel und die Mutter nicht zu Hause ist.Er ist kein zärtliches Kind. Manchmal kneift er sie, oder er boxt sie leicht.Das ist seine Art zu zeigen, dass er sie mag.
»Der Maiist schon fast vorbei«, sagt er.
Sie nickt.Sie weiss, was die Leute flüsterten. Sie hat gute Ohren. Keiner zeigt seineAngst, aber ernst sind sie geworden, die Deutschen. Die Invasion muss direktbevorstehen.
Sie weissnicht genau, was das ist, die Invasion. Es muss der Auslöser für die längstüberfällige Vergeltung sein, mit der man den Feind bestrafen will. DerLuftterror wird mit jedem Tag schlimmer. Die Verdunkelungen machen die Menschennervös und trübsinnig. Der Junge erzählt flüsternd von Luftüberlegenheit, alsob er wüsste, wie frevlerisch allein schon das Denken dieses Wortes ist. Mitder Invasion soll alles anders werden. So wie ein Gewitter erst unangenehm istund dann die Luft reinigt. Wir werden sie hereinlassen, sagt der Junge, sie werdensich sicher fühlen, und dann werden wir sie vernichten.
DerSirenenton mahnt durchdringend und unmissverständlich. Sie versteht nicht,warum nicht wenigstens der Junge in den Keller darf. Warum die Freifrau eseinen Tag lang gestattet und den anderen Tag verbietet. Der Sirenenton istanders heute. Sie weiss nicht, ob es nur das Blut ist, das in ihren Ohrenrauscht, oder der Wind in den Bäumen im Garten oder ob die Flugzeuge tatsächlichwiederkommen.
Lass siewoanders hinfliegen, Herr. Wir vergehen durch deinen Zorn, werden vernichtetdurch deinen Grimm, und wir beenden unsere Jahre wie einen Seufzer. Sende dasFeuer in die Hölle, aus der es kam, aber nicht hierher, nicht hierher, Herr. Herr,wende dich uns doch endlich zu. Hab Mitleid mit allen Knechten! »Hör doch aufmit dem Beten! Wenn nicht bald was passiert, wird es in diesem Jahr für unswieder zu spät sein.«
Zu spät fürden Frieden, von Sieg redet keiner mehr. Nur der Junge glaubt noch daran.Kinder und Verrückte.
»Wir müssenLuft bekommen, um im Osten wieder stärker einzugreifen.«
»Jaja.«
»Undendlich die Vergeltungswaffen einsetzen. Mit der Invasion wird alles anders.Erst lassen wir sie rein, Lind dann ...« Er fährt mit dem Zeigefinger überseine Kehle. Ihre Hand schnellt vor und hält ihn fest.
»Nicht«,sagt sie.
Der Bäckeram Roseneck hat seine Uk-Stellung verloren und mussdie Uniform noch einmal anziehen. Im Weltkrieg ist er verwundet worden, unddazu ist er noch Jahrgang 84. »Die nehmen mich doch nicht mehr«, hatte ergesagt.
Jetzt ister auf der Krim. Seine Frau hat es ihr erzählt. Eine robuste, zuversichtlicheFrau. Sie hat sich heimlich mit der Schürze die Augen ausgewischt. Sind dennalle taub und blind?
Die Russenstehen schon in Rumänien, im Generalgouvernement und vor Ungarn und derSlowakei. Man muss nur den Wehrmachtsbericht hören, dann kann man sich denken,wie das alles enden wird. Noch vor einer halben Stunde haben sie gemeldet, dasReichsgebiet sei feindfrei. Und jetzt das.
»Dieses Malkommen sie von Potsdam«, flüstert er.
Die Luftbeginnt zu vibrieren.
Hoffentlichhat Olga dort einen Graben. Olga ist so zart Lind dünn, Lind sie hat doch ihrerMutter versprochen, auf sie aufzupassen, Olga ist doch ein halbes Jahr jünger,ein Kind fast noch, Olga, die jetzt einen ganzen Hofversorgt, das schafft siedoch gar nicht. Aber er soll nett sein, ihr Bauer. Und eine Kirche haben sie daauch. Nur evangelisch, aber sie darf zum Gottesdienst. »Die kommen hierher!«
Herr, duwarst unsere Zuflucht, von Geschlecht zu Geschlecht. Von fahr zu Jahr säst dudie Menschen aus, sie gleichen dem sprossenden Gras. Am Morgen grünt es undblüht, am Abend wird es geschnitten wie Gras ...
»Hör auf,. Hör auf!«
Er reisstihre betenden Hände auseinander und zieht die Pappe vom Fenster weg. ()
© GoldmannVerlag
- Autor: Elisabeth Herrmann
- 2007, 480 Seiten, Masse: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442464552
- ISBN-13: 9783442464555
- Erscheinungsdatum: 15.10.2007
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