Das Gold von Sparta / Fargo Adventures Bd.1
Roman
Die Schatzjäger Sam und Remi erforschen die Sümpfe um den Pocomoke River in Delaware. Zu ihrer Überraschung entdecken sie dort ein deutsches U-Boot aus dem 2. Weltkrieg - und darin eine Weinflasche aus dem Nachlass Napoleons. Sie...
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Produktinformationen zu „Das Gold von Sparta / Fargo Adventures Bd.1 “
Die Schatzjäger Sam und Remi erforschen die Sümpfe um den Pocomoke River in Delaware. Zu ihrer Überraschung entdecken sie dort ein deutsches U-Boot aus dem 2. Weltkrieg - und darin eine Weinflasche aus dem Nachlass Napoleons. Sie beschließen weiterzusuchen und begeben sich dabei auf gefährliches Terrain.
Klappentext zu „Das Gold von Sparta / Fargo Adventures Bd.1 “
Die Schatzjäger Sam und Remi Fargo erforschen die Sümpfe um den Pocomoke River in Delaware. Niemals hätten sie damit gerechnet, hier ein deutsches U-Boot aus dem zweiten Weltkrieg zu entdecken. Im Inneren finden sie eine Weinflasche, die aus einem Set von zwölf Flaschen stammt, das einst Napoleon Bonaparte gehörte. Fasziniert von ihrem Fund beschliessen die Fargos, auch den Rest der Sammlung aufzuspüren. Doch auch der Milliardär Hadoin Bondaruk ist an ihrem Fund interessiert - und an dem sagenhaften Schatz, zu dem er führt ...Archäologie, Action und Humor für Indiana-Jones-Fans! Verpassen Sie kein Abenteuer des Schatzjäger-Ehepaars Sam und Remi Fargo. Alle Romane sind einzeln lesbar.
Lese-Probe zu „Das Gold von Sparta / Fargo Adventures Bd.1 “
Das Gold von Sparta von Clive CusslerProlog
Großer Sankt Bernard, Walliser Alpen
Mai 1800
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Ein Windstoß peitschte den Schnee um die Beine des Hengstes, der auf den Namen Styrie hörte, und so schnaubte er nervös, tänzelte an den Rand des schmalen Pfades, bis der Reiter mehrmals mit der Zunge schnalzte und ihn beruhigte. Napoleon Bonaparte, Kaiser der Franzosen, klappte den Kragen seines Überziehers hoch und kniff die Augen vor dem Schneeregen zusammen. Im Osten konnte er undeutlich die viertausendachthundert Meter hohe, gezackte Silhouette des Mont Blanc erkennen.
Er beugte sich im Sattel nach vorn und tätschelte Styries Hals. »Du hast schon viel Schlimmeres erlebt, mon ami.
Styrie, ein Araberhengst, den Napoleon zwei Jahre zuvor von seinem Ägypten-Feldzug mitgebracht hatte, mochte zwar ein hervorragendes Schlachtross sein, die Kälte und der Schnee entsprachen aber ganz und gar nicht seiner Natur. In der Wüste geboren und aufgewachsen, war Styrie eher daran gewöhnt, von Sand, aber nicht von Eis überschüttet zu werden.
Napoleon wandte sich um und winkte seinem Helfer, Constant, der gut drei Meter hinter ihm stand und einige Maultiere an einer Leine führte. Und hinter ihm, auf mehrere Kilometer des windumtosten Weges gestreckt, folgten die vierzigtausend Soldaten von Napoleons Reservearmee mitsamt ihren Pferden, Maultieren und Munitionskisten.
Constant band das erste Maultier los und eilte vor. Napoleon reichte ihm Styries Zügel, stieg dann aus dem Sattel und vertrat sich die Beine im knietiefen Schnee.
»Gönnen wir ihm eine Ruhepause«, sagte er. »Ich glaube, es ist dieses Hufeisen, das ihm wieder Probleme macht.«
»Ich kümmere mich darum, mon général.« In der Heimat bevorzugte Napoleon den Titel Erster Konsul, doch während eines Feldzugs ließ er sich mit General anreden. Er atmete die kalte Luft tief ein, dann drückte er sich seinen blauen Zweispitz fester auf den Kopf und blickte zu den Granittürmen hinauf, die über ihnen aufragten.
»Ein richtig schöner Tag, nicht wahr, Constant?« »Wenn Sie es sagen, mon général«, brummte der Diener.
Napoleon lächelte versonnen. Constant, der ihm seit vielen Jahren zu Diensten war, gehörte zu den wenigen Untergebenen, denen er ein kleines Maß an Spott durchaus nachsah. Immerhin, dachte er, Constant war schon ein alter Mann. Die Kälte drang ihm sicher bis in die Knochen.
Napoleon Bonaparte war mittelgroß, hatte einen kräftigen Hals und breite Schultern. Seine Adlernase beherrschte eine energische Mundpartie, ein kantiges Kinn - seine Augen zeigten ein durchdringendes Grau und schienen alles und jeden in seiner näheren Umgebung zu sezieren.
»Gibt es irgendeine Nachricht von Laurent? «, wollte er von Constant wissen.
»Nein, mon général.«
General de Division, oder Generalmajor, Arnaud Laurent, einer von Napoleons getreuesten Kommandeuren und engsten Freunden, hatte am vorangegangenen Tag mit einem Trupp Soldaten eine Erkundungstour zum Gebirgspass unternommen. Es war zwar höchst unwahrscheinlich, dass sie hier auf einen Feind treffen würden, aber Napoleon hatte schon vor langer Zeit gelernt, stets auf das Unmögliche vorbereitet zu sein. Zu viele große Männer waren auf Grund falscher Mutmaßungen gestürzt worden. Hier hingegen zählten eher das Wetter und das Terrain zu ihren schlimmsten Feinden.
Mit knapp zweitausendfünfhundert Metern Meereshöhe galt der Große Sankt Bernhard seit Jahrhunderten als eine wichtige Passstraße für Reisende. Im Grenzgebiet von Schweiz, Italien und Frankreich gelegen, waren die Walliser Alpen, als deren wichtigster Pass der Große Sankt Bernhard bezeichnet wurde, bereits von zahlreichen Armeen überwunden worden: 390 v. Chr. von den Galliern auf ihrem Feldzug, um Rom zu zerstören; von Hannibal mit seinen Elefanten im Jahr 217 v. Chr.; und um 800 n. Chr. dann von Karl dem Großen, als er nach seiner Krönung in Rom als erster Kaiser des Heiligen Römischen Reiches nach Hause zurückkehrte.
Eine wahrlich ruhmreiche Gesellschaft, dachte Napoleon. Sogar einer seiner Vorgänger, Pippin der Kleine, König von Frankreich, hatte im Jahr 755 auf seinem Weg nach Italien - um mit Papst Stefan II. zusammenzutreffen - die Walliser Alpen überquert.
Aber wo andere Könige in ihrem Streben nach Größe gescheitert waren, werde ich siegreich sein, dachte er weiter. Sein Reich würde erblühen und die wildesten Träume all jener noch übertreffen, die vor ihm geherrscht hatten. Nichts würde sich ihm in den Weg stellen. Keine Armeen, nicht einmal das Wetter, auch kein Berg - und ganz gewiss keine österreichischen Emporkömmlinge.
Ein Jahr zuvor, während er und seine Armee Ägypten unterwarfen, hatten die Österreicher die Dreistigkeit besessen, das italienische Gebiet einzunehmen, das Frankreich im Friedensvertrag von Campo Formio zugesprochen worden war. Ihr Sieg sollte allerdings nicht von langer Dauer sein. Weder würden sie nämlich so früh im Jahr mit einem Angriff rechnen, noch könnten sie sich gewiss vorstellen, dass eine Armee versuchen mochte, die Walliser Alpen im Winter zu überqueren. Und dies aus gutem Grund.
Mit ihren steilen Felswänden und tiefen Schluchten waren die Walliser Alpen ja schon für Alleinreisende ein geografischer Albtraum, besonders aber für eine Armee von vierzigtausend Soldaten. Seit dem September versank der Pass unter zehn Metern Schnee, und zwar bei Temperaturen, die so gut wie ständig unter dem Gefrierpunkt lagen. Schneewechten, so hoch wie zehn Männer, überragten sie auf Schritt und Tritt und drohten sie und ihre Pferde unter sich zu begraben. Selbst an sonnigen Tagen verhüllte ein dichter Nebel das Gelände bis in den Nachmittag hinein. Stürme brachen ohne Vorwarnung los und konnten einen bis dahin ruhigen Tag in ein tobendes Inferno aus Schnee und Eis verwandeln, in dem ihre Sicht nicht mehr als einen Meter weit reichte. Das Entsetzlichste aber waren die Lawinen - Schneewalzen, manchmal einen halben Kilometer breit, die sich über die Berghänge ergossen und jeden zu verschlingen drohten, der das Pech hatte, ihren Weg zu kreuzen. Bisher war Gott immerhin so gnädig gewesen, die Armee Napoleons weitgehend zu verschonen, was soviel bedeutete wie: bis auf zweihundert Männer.
Er wandte sich an Constant. »Wo ist der Bericht des Quartiermeisters?«
»Ich habe ihn hier, mon général.« Der Diener zog ein Bündel Papiere aus seinem Mantel und reichte es Napoleon, der die Zahlen mit einem schnellen Blick überflog. Wahrlich, eine Armee konnte nur mit vollem Magen kämpfen. Bisher hatten seine Männer 19 817 Flaschen Wein, eine Tonne Käse und 1 700 Pfund Fleisch konsumiert.
Vor ihnen, unterhalb des Passes, erklang ein Ruf, der von den Vorreitern kam: »Laurent, Laurent ...!«
»Na endlich«, murmelte Napoleon.
Eine Gruppe von zwölf Reitern tauchte aus dem Schneetreiben auf. Ebenso wie sein Kommandeur waren es vorbildliche Soldaten, sogar die besten, über die er verfügen konnte. Niemand saß gebeugt im Sattel, alle hielten sich kerzengerade, das Kinn entschlossen vorgereckt. Generalmajor Laurent zügelte sein Pferd vor Napoleon, salutierte und saß ab. Napoleon umarmte ihn, dann trat er zurück und winkte Constant, der sogleich herbeieilte und Laurent eine Flasche Branntwein reichte. Laurent trank einen Schluck, dann einen zweiten und gab die Flasche zurück.
Napoleon sagte: »Berichten Sie, alter Freund.«
»Wir sind zehn Kilometer weit geritten. Keine Spur von feindlichen Streitkräften. Das Wetter bessert sich in den tieferen Regionen, auch wird die Schneedecke dünner. Ab hier wird der Weg leichter.«
»Gut ... sehr gut.«
»Da ist noch etwas Interessantes«, sagte Laurent, fasste Napoleon am Ellbogen und führte ihn ein Stück beiseite. »Wir haben etwas gefunden, mon général.«
»Würden Sie mir die Art Ihres Fundes vielleicht näher erläutern?«
»Es wäre besser, wenn Sie selbst einen Blick darauf werfen würden.«
Napoleon studierte Laurents Miene. In seinen Augen lag ein kaum unterdrücktes Glänzen gespannter Vorfreude. Er kannte Laurent, seit sie beide sechzehn Jahre alt waren und als Leutnants in der La Fere Artillerie gedient hatten. Laurent neigte weder zu Übertreibungen, noch war er leicht aus der Ruhe zu bringen. Was auch immer er gefunden haben mochte, es musste etwas Bedeutendes sein.
»Wie weit?«, fragte Napoleon.
»Es ist ein Ritt von etwa vier Stunden.«
Napoleon blickte zum Himmel. Es war bereits vorgerückter Nachmittag. Über den Bergspitzen zeichnete sich ein Streifen dunkler Wolken ab. Ein Sturm kündigte sich an. »Nun gut«, sagte er und klopfte Laurent auf die Schulter. »Wir reiten bei Tagesanbruch los.«
Wie üblich schlief Napoleon fünf Stunden und stand um sechs Uhr morgens, also noch vor Tagesanbruch, auf. Er frühstückte und las dann die im Laufe der Nacht eingetroffenen Depeschen seiner Unterführer, während er eine Tasse bitteren schwarzen Tees trank. Laurent erschien um kurz vor sieben Uhr mit seinem Reitertrupp, dann ritten sie ins Tal hinab, wobei sie dem Weg folgten, auf dem Laurent am Vortag gekommen war.
Der Sturm der vorangegangenen Nacht hatte zwar nur wenig Schnee ergeben, aber der heftige Wind hatte frische Verwehungen geschaffen: senkrecht aufragende weiße Mauern, die um Napoleon und seine Reiter herum eine tiefe Schlucht bildeten. Der Atem der Pferde trieb in Dampfschwaden durch die eisige Morgenluft, und bei jedem Schritt wurden Schneewolken aufgewirbelt. Napoleon ließ Styries Zügel locker und vertraute darauf, dass sich der Araberhengst seinen Weg selbst suchte, während er selbst fasziniert die Schneeverwehungen betrachtete, deren Wände der Wind zu Wirbeln und Wellen geformt hatte.
»Ein wenig unheimlich, nicht wahr, mon général?«, sagte Laurent.
»Es ist sehr ruhig«, murmelte Napoleon. »Eine solche Stille habe ich noch nie erlebt.«
»Es ist wunderschön«, pflichtete ihm Laurent bei. »Und gefährlich.«
Wie ein Schlachtfeld, dachte Napoleon. Außer vielleicht in seinem Bett und zusammen mit Josephine fühlte sich Napoleon auf einem Schlachtfeld heimischer als sonst irgendwo. Das Donnern der Kanonen, das Krachen der Musketen, der stechende Geruch von Schwarzpulver in der Luft ... all das liebte er. Und in ein paar Tagen, dachte er, sobald wir diese verdammten Berge hinter uns gelassen haben ... Er musste unwillkürlich lächeln.
Weiter vorn stieß der führende Reiter eine geballte Faust in die Luft und gab das Zeichen zum Anhalten. Napoleon beobachtete, wie sich der Mann aus dem Sattel schwang und durch den knietiefen Schnee stapfte. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und suchte die Wände der Schneeverwehungen ab, dann verschwand er um eine Wegbiegung.
»Wonach hält er Ausschau?«, fragte Napoleon.
»Die Morgendämmerung ist die gefährlichste Zeit für Lawinen«, erwiderte Laurent. »Über Nacht härtet der Wind die oberste Schneeschicht zu einer festen Decke, während der Pulverschnee darunter weich bleibt. Wenn die Sonne auf die Schale trifft, beginnt sie aufzutauen. Oft ist die einzige Warnung ein ganz bestimmtes Geräusch oder ein Ton - so als würde Gott im Himmel seine Stimme erheben.«
Nach ein paar Minuten kam der führende Reiter zurück. Er gab Laurent ein Zeichen, dass alles klar sei, dann bestieg er wieder sein Pferd und setzte den Weg fort.
Sie ritten zwei weitere Stunden und folgten dem gewundenen Verlauf des Tals, das zu den Vorbergen hinun terführte. Schon bald gelangten sie in eine enge Schlucht aus grauem Granit, mit Blankeis bedeckt. Der führende Reiter ließ wieder anhalten und saß ab. Laurent tat das Gleiche, gefolgt von Napoleon.
Napoleon blickte sich um. »Ist es hier?«
Sein Generalmajor lächelte verschmitzt. »Dort, mon général.« Laurent hakte zwei Öllampen von seinem Sattel los. »Folgen Sie mir.«
Sie gingen den Weg hinunter und kamen an den sechs Pferden der Vorhut vorbei, deren Reiter vor ihrem General Haltung annahmen. Napoleon nickte jedem Soldaten nacheinander ernst zu, bis sie die Spitze der Kolonne erreichten, wo er und Laurent stehen blieben. Einige Minuten verstrichen, dann erschien ein Soldat - der führende Reiter - hinter einem Felsvorsprung zu ihrer Linken und stapfte durch den tiefen Schnee auf sie zu.
Laurent stellte vor: »Mon général, sicher erinnern Sie sich an Sergeant Pelletier.«
»Natürlich«, erwiderte Napoleon. »Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Pelletier. Gehen Sie voraus.«
Pelletier salutierte, nahm ein zusammengerolltes Seil vom Sattel seines Pferdes und ging auf dem Weg zurück, den er soeben von den brusthohen Schneeverwehungen freigeräumt hatte. Er stieg den Abhang zur Basis einer senkrechten Granitwand hinauf, ging dort parallel zu ihr etwa fünfzig Meter weit und blieb vor einer rechtwinkelig in den Fels getriebenen Nische stehen.
»Sehr interessant, Laurent. Und was soll das sein, was ich da vor mir sehe?«, fragte Napoleon.
Laurent nickte Pelletier zu, der mit seiner Muskete wie mit einer Keule ausholte und den Kolben gegen den Fels schmetterte. Anstelle des üblichen Krachens von Holz auf Stein hörte Napoleon das Klirren von Eis. Pelletier schlug noch vier Mal zu, bis ein vertikaler Riss im Eis erschien. Er war gut einen halben Meter breit und fast zwei Meter hoch.
Napoleon blickte hinein, konnte außer tiefer Dunkelheit jedoch nichts sehen.
»Soweit wir feststellen können«, erklärte Laurent, »ist der Eingang von dichtem Buschwerk zugewuchert, und im Winter verschwindet er hinter hohen Schneewehen. Ich vermute, dass sich irgendwo da drin so etwas wie eine Wasserquelle befindet, was die Eisschicht auf dem Gestein erklären würde. Wahrscheinlich entsteht sie jede Nacht aufs Neue.«
»Interessant. Und wer hat diese Nische gefunden?«
»Das war ich, mon général«, antwortete Pelletier. »Wir haben angehalten, um den Pferden eine kurze Rast zu gönnen, und ich musste ... nun ja, ich hatte ein Bedürfnis...«
»Ich verstehe, Sergeant, fahren Sie bitte fort.«
»Also gut, ich nehme an, ich bin ein wenig zu weit gewandert, général. Als ich fertig war, lehnte ich mich an den Felsen, um mich ein wenig zu sammeln, als die Eiswand plötzlich hinter mir nachgab. Ich ging ein Stück hinein und dachte mir nicht viel dabei, bis ich es sah ... Nun, schauen Sie es sich mit eigenen Augen an, mon général.«
Napoleon wandte sich an Laurent. »Waren Sie drin?« »Ja, mon général. Ich und Sergeant Pelletier. Niemand sonst.«
»Sehr gut, Laurent. Gehen Sie voraus, ich folge Ihnen.«
Der Höhlengang setzte sich weitere fünf Meter fort und wurde dabei immer enger und niedriger, so dass sie gezwungen waren, sich in zunehmend geduckter Haltung fortzubewegen. Plötzlich weitete sich der Tunnel, und Napoleon fand sich in einer Höhle wieder. Da sie vor ihm eingetreten waren, machten ihm Laurent und Pelletier Platz und hoben dann ihre Laternen so hoch, dass ihr flackerndes gelbliches Licht die Wände erhellte.
Mit einer Grundfläche von gut siebzehn mal zwanzig Metern stellte die Höhle einen regelrechten Eispalast dar. Die Wände und der Boden waren mit einer glitzernden Schicht bedeckt, die an einigen Stellen meterdick, an anderen jedoch so dünn zu sein schien, dass Napoleon den matten Schatten von grauem Felsgestein darunter erkennen konnte. Glitzernde Stalaktiten hingen stellenweise so tief von der Decke herab, dass sie mit den vom Boden aufragenden Stalagmiten verschmolzen und gemeinsam stundenglasförmige Eisskulpturen bildeten. Anders als an den Wänden und auf dem Boden war das Eis an der Decke jedoch aufgeraut und reflektierte das Licht der Laternen wie ein mit Sternen übersäter Himmel. Irgendwo tief in der Höhle erklang ein Geräusch von tropfendem Wasser, und noch weiter entfernt war das leise Pfeifen des Windes zu hören.
»Überwältigend«, murmelte Napoleon.
»Und das hier hat Pelletier gleich hinter dem Eingang entdeckt«, sagte Laurent und ging auf die Höhlenwand zu. Napoleon folgte ihm zu einer Stelle, an der Laurent mit seiner Laterne einen Gegenstand beleuchtete, der auf dem Boden lag. Es war ein Schild.
Knapp zwei Meter hoch und gut einen halben Meter breit, dabei geformt wie die Zahl 8, bestand er aus Weidengeflecht und war mit Leder überzogen, das mit verblichenen roten und schwarzen Quadraten bemalt war.
»Der ist uralt«, murmelte Napoleon.
»Mindestens zweitausend Jahre, würde ich schätzen«, bemerkte Laurent. »Ich weiß zwar, was Geschichte betrifft, gewiss nicht sehr gut Bescheid und habe sicherlich auch einiges vergessen, aber ich glaube doch, dieser Schild wird Gerron genannt. Er wurde von der leichten persischen Infanterie benutzt.«
»Mon dieu ...«
»Da ist noch mehr, mon général. Hier entlang.«
Indem er sich seinen Weg durch den Wald von Stalaktiten suchte, führte ihn Laurent in den hinteren Teil der Höhle und dort zu einem anderen Tunneleingang, der oval und etwa einen Meter dreißig hoch war.
Hinter ihnen hatte Pelletier das Seil auf den Boden fallen lassen und war im Laternenschein bereits damit beschäftigt, eines seiner Enden um die Basis eines der Stalaktiten zu knoten.
»Gehen wir hinunter?«, fragte Napoleon. »In diesen Höllenschlund?«
»Heute nicht, mon général«, antwortete Laurent. »Wir gehen lieber nur hinüber.«
Laurent leuchtete mit seiner Laterne in den Tunnel. Ein paar Schritte entfernt befand sich eine Eisbrücke, kaum einen halben Meter breit, die sich über eine tiefe Spalte spannte und dann in einem anderen Tunnel verschwand.
»Waren Sie schon drüben?«, wollte Napoleon wissen.
»Sie ist ziemlich stabil. Außerdem befindet sich unter dem Eis solider Fels. Trotzdem kann man nicht vorsichtig genug sein.«
Er band das Seil zuerst um Napoleons Taille, dann um seine eigene. Pelletier zog noch einmal probeweise am festgeknoteten Ende, dann nickte er Laurent zu. Dieser meinte: »Achten Sie darauf, wohin Sie treten, mon général. « Dann drang er in den Tunnel ein. Napoleon wartete einen kurzen Augenblick und folgte ihm schließlich.
Sie tasteten sich möglichst vorsichtig über die Felsspalte. Auf halbem Weg blickte Napoleon zur Seite und in die Tiefe, sah dort aber nichts anderes als jene unergründliche Schwärze, in der sich die bläulich schimmernden Eiswände verloren.
Nach einiger Zeit erreichten sie die gegenüberliegende Seite. Sie folgten dem nächsten Tunnel, der gut sechs Meter weit einen Zickzackkurs beschrieb, und gelangten in eine weitere Eishöhle, die zwar deutlich kleiner als die erste, dafür aber mit einer hohen gewölbten Decke versehen war. Die Laterne emporhaltend, ging Laurent bis in die Mitte der Höhle und blieb neben zwei offensichtlich mit Eis umhüllten Stalagmiten stehen. Beide waren ungefähr vier Meter hoch und an den Spitzen abgebrochen.
An einen von diesen trat Napoleon näher heran. Und blieb jäh stehen. Er verengte die Augen zu Schlitzen. Das war kein Stalagmit, erkannte er, sondern eine solide Säule aus Eis. Er stützte sich mit einer Hand dagegen und nahm sie genau in Augenschein.
Aus dem Eis sah ihn das goldene Gesicht einer Frau an.
Übersetzung: Michael Kubiak
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011
by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Ein Windstoß peitschte den Schnee um die Beine des Hengstes, der auf den Namen Styrie hörte, und so schnaubte er nervös, tänzelte an den Rand des schmalen Pfades, bis der Reiter mehrmals mit der Zunge schnalzte und ihn beruhigte. Napoleon Bonaparte, Kaiser der Franzosen, klappte den Kragen seines Überziehers hoch und kniff die Augen vor dem Schneeregen zusammen. Im Osten konnte er undeutlich die viertausendachthundert Meter hohe, gezackte Silhouette des Mont Blanc erkennen.
Er beugte sich im Sattel nach vorn und tätschelte Styries Hals. »Du hast schon viel Schlimmeres erlebt, mon ami.
Styrie, ein Araberhengst, den Napoleon zwei Jahre zuvor von seinem Ägypten-Feldzug mitgebracht hatte, mochte zwar ein hervorragendes Schlachtross sein, die Kälte und der Schnee entsprachen aber ganz und gar nicht seiner Natur. In der Wüste geboren und aufgewachsen, war Styrie eher daran gewöhnt, von Sand, aber nicht von Eis überschüttet zu werden.
Napoleon wandte sich um und winkte seinem Helfer, Constant, der gut drei Meter hinter ihm stand und einige Maultiere an einer Leine führte. Und hinter ihm, auf mehrere Kilometer des windumtosten Weges gestreckt, folgten die vierzigtausend Soldaten von Napoleons Reservearmee mitsamt ihren Pferden, Maultieren und Munitionskisten.
Constant band das erste Maultier los und eilte vor. Napoleon reichte ihm Styries Zügel, stieg dann aus dem Sattel und vertrat sich die Beine im knietiefen Schnee.
»Gönnen wir ihm eine Ruhepause«, sagte er. »Ich glaube, es ist dieses Hufeisen, das ihm wieder Probleme macht.«
»Ich kümmere mich darum, mon général.« In der Heimat bevorzugte Napoleon den Titel Erster Konsul, doch während eines Feldzugs ließ er sich mit General anreden. Er atmete die kalte Luft tief ein, dann drückte er sich seinen blauen Zweispitz fester auf den Kopf und blickte zu den Granittürmen hinauf, die über ihnen aufragten.
»Ein richtig schöner Tag, nicht wahr, Constant?« »Wenn Sie es sagen, mon général«, brummte der Diener.
Napoleon lächelte versonnen. Constant, der ihm seit vielen Jahren zu Diensten war, gehörte zu den wenigen Untergebenen, denen er ein kleines Maß an Spott durchaus nachsah. Immerhin, dachte er, Constant war schon ein alter Mann. Die Kälte drang ihm sicher bis in die Knochen.
Napoleon Bonaparte war mittelgroß, hatte einen kräftigen Hals und breite Schultern. Seine Adlernase beherrschte eine energische Mundpartie, ein kantiges Kinn - seine Augen zeigten ein durchdringendes Grau und schienen alles und jeden in seiner näheren Umgebung zu sezieren.
»Gibt es irgendeine Nachricht von Laurent? «, wollte er von Constant wissen.
»Nein, mon général.«
General de Division, oder Generalmajor, Arnaud Laurent, einer von Napoleons getreuesten Kommandeuren und engsten Freunden, hatte am vorangegangenen Tag mit einem Trupp Soldaten eine Erkundungstour zum Gebirgspass unternommen. Es war zwar höchst unwahrscheinlich, dass sie hier auf einen Feind treffen würden, aber Napoleon hatte schon vor langer Zeit gelernt, stets auf das Unmögliche vorbereitet zu sein. Zu viele große Männer waren auf Grund falscher Mutmaßungen gestürzt worden. Hier hingegen zählten eher das Wetter und das Terrain zu ihren schlimmsten Feinden.
Mit knapp zweitausendfünfhundert Metern Meereshöhe galt der Große Sankt Bernhard seit Jahrhunderten als eine wichtige Passstraße für Reisende. Im Grenzgebiet von Schweiz, Italien und Frankreich gelegen, waren die Walliser Alpen, als deren wichtigster Pass der Große Sankt Bernhard bezeichnet wurde, bereits von zahlreichen Armeen überwunden worden: 390 v. Chr. von den Galliern auf ihrem Feldzug, um Rom zu zerstören; von Hannibal mit seinen Elefanten im Jahr 217 v. Chr.; und um 800 n. Chr. dann von Karl dem Großen, als er nach seiner Krönung in Rom als erster Kaiser des Heiligen Römischen Reiches nach Hause zurückkehrte.
Eine wahrlich ruhmreiche Gesellschaft, dachte Napoleon. Sogar einer seiner Vorgänger, Pippin der Kleine, König von Frankreich, hatte im Jahr 755 auf seinem Weg nach Italien - um mit Papst Stefan II. zusammenzutreffen - die Walliser Alpen überquert.
Aber wo andere Könige in ihrem Streben nach Größe gescheitert waren, werde ich siegreich sein, dachte er weiter. Sein Reich würde erblühen und die wildesten Träume all jener noch übertreffen, die vor ihm geherrscht hatten. Nichts würde sich ihm in den Weg stellen. Keine Armeen, nicht einmal das Wetter, auch kein Berg - und ganz gewiss keine österreichischen Emporkömmlinge.
Ein Jahr zuvor, während er und seine Armee Ägypten unterwarfen, hatten die Österreicher die Dreistigkeit besessen, das italienische Gebiet einzunehmen, das Frankreich im Friedensvertrag von Campo Formio zugesprochen worden war. Ihr Sieg sollte allerdings nicht von langer Dauer sein. Weder würden sie nämlich so früh im Jahr mit einem Angriff rechnen, noch könnten sie sich gewiss vorstellen, dass eine Armee versuchen mochte, die Walliser Alpen im Winter zu überqueren. Und dies aus gutem Grund.
Mit ihren steilen Felswänden und tiefen Schluchten waren die Walliser Alpen ja schon für Alleinreisende ein geografischer Albtraum, besonders aber für eine Armee von vierzigtausend Soldaten. Seit dem September versank der Pass unter zehn Metern Schnee, und zwar bei Temperaturen, die so gut wie ständig unter dem Gefrierpunkt lagen. Schneewechten, so hoch wie zehn Männer, überragten sie auf Schritt und Tritt und drohten sie und ihre Pferde unter sich zu begraben. Selbst an sonnigen Tagen verhüllte ein dichter Nebel das Gelände bis in den Nachmittag hinein. Stürme brachen ohne Vorwarnung los und konnten einen bis dahin ruhigen Tag in ein tobendes Inferno aus Schnee und Eis verwandeln, in dem ihre Sicht nicht mehr als einen Meter weit reichte. Das Entsetzlichste aber waren die Lawinen - Schneewalzen, manchmal einen halben Kilometer breit, die sich über die Berghänge ergossen und jeden zu verschlingen drohten, der das Pech hatte, ihren Weg zu kreuzen. Bisher war Gott immerhin so gnädig gewesen, die Armee Napoleons weitgehend zu verschonen, was soviel bedeutete wie: bis auf zweihundert Männer.
Er wandte sich an Constant. »Wo ist der Bericht des Quartiermeisters?«
»Ich habe ihn hier, mon général.« Der Diener zog ein Bündel Papiere aus seinem Mantel und reichte es Napoleon, der die Zahlen mit einem schnellen Blick überflog. Wahrlich, eine Armee konnte nur mit vollem Magen kämpfen. Bisher hatten seine Männer 19 817 Flaschen Wein, eine Tonne Käse und 1 700 Pfund Fleisch konsumiert.
Vor ihnen, unterhalb des Passes, erklang ein Ruf, der von den Vorreitern kam: »Laurent, Laurent ...!«
»Na endlich«, murmelte Napoleon.
Eine Gruppe von zwölf Reitern tauchte aus dem Schneetreiben auf. Ebenso wie sein Kommandeur waren es vorbildliche Soldaten, sogar die besten, über die er verfügen konnte. Niemand saß gebeugt im Sattel, alle hielten sich kerzengerade, das Kinn entschlossen vorgereckt. Generalmajor Laurent zügelte sein Pferd vor Napoleon, salutierte und saß ab. Napoleon umarmte ihn, dann trat er zurück und winkte Constant, der sogleich herbeieilte und Laurent eine Flasche Branntwein reichte. Laurent trank einen Schluck, dann einen zweiten und gab die Flasche zurück.
Napoleon sagte: »Berichten Sie, alter Freund.«
»Wir sind zehn Kilometer weit geritten. Keine Spur von feindlichen Streitkräften. Das Wetter bessert sich in den tieferen Regionen, auch wird die Schneedecke dünner. Ab hier wird der Weg leichter.«
»Gut ... sehr gut.«
»Da ist noch etwas Interessantes«, sagte Laurent, fasste Napoleon am Ellbogen und führte ihn ein Stück beiseite. »Wir haben etwas gefunden, mon général.«
»Würden Sie mir die Art Ihres Fundes vielleicht näher erläutern?«
»Es wäre besser, wenn Sie selbst einen Blick darauf werfen würden.«
Napoleon studierte Laurents Miene. In seinen Augen lag ein kaum unterdrücktes Glänzen gespannter Vorfreude. Er kannte Laurent, seit sie beide sechzehn Jahre alt waren und als Leutnants in der La Fere Artillerie gedient hatten. Laurent neigte weder zu Übertreibungen, noch war er leicht aus der Ruhe zu bringen. Was auch immer er gefunden haben mochte, es musste etwas Bedeutendes sein.
»Wie weit?«, fragte Napoleon.
»Es ist ein Ritt von etwa vier Stunden.«
Napoleon blickte zum Himmel. Es war bereits vorgerückter Nachmittag. Über den Bergspitzen zeichnete sich ein Streifen dunkler Wolken ab. Ein Sturm kündigte sich an. »Nun gut«, sagte er und klopfte Laurent auf die Schulter. »Wir reiten bei Tagesanbruch los.«
Wie üblich schlief Napoleon fünf Stunden und stand um sechs Uhr morgens, also noch vor Tagesanbruch, auf. Er frühstückte und las dann die im Laufe der Nacht eingetroffenen Depeschen seiner Unterführer, während er eine Tasse bitteren schwarzen Tees trank. Laurent erschien um kurz vor sieben Uhr mit seinem Reitertrupp, dann ritten sie ins Tal hinab, wobei sie dem Weg folgten, auf dem Laurent am Vortag gekommen war.
Der Sturm der vorangegangenen Nacht hatte zwar nur wenig Schnee ergeben, aber der heftige Wind hatte frische Verwehungen geschaffen: senkrecht aufragende weiße Mauern, die um Napoleon und seine Reiter herum eine tiefe Schlucht bildeten. Der Atem der Pferde trieb in Dampfschwaden durch die eisige Morgenluft, und bei jedem Schritt wurden Schneewolken aufgewirbelt. Napoleon ließ Styries Zügel locker und vertraute darauf, dass sich der Araberhengst seinen Weg selbst suchte, während er selbst fasziniert die Schneeverwehungen betrachtete, deren Wände der Wind zu Wirbeln und Wellen geformt hatte.
»Ein wenig unheimlich, nicht wahr, mon général?«, sagte Laurent.
»Es ist sehr ruhig«, murmelte Napoleon. »Eine solche Stille habe ich noch nie erlebt.«
»Es ist wunderschön«, pflichtete ihm Laurent bei. »Und gefährlich.«
Wie ein Schlachtfeld, dachte Napoleon. Außer vielleicht in seinem Bett und zusammen mit Josephine fühlte sich Napoleon auf einem Schlachtfeld heimischer als sonst irgendwo. Das Donnern der Kanonen, das Krachen der Musketen, der stechende Geruch von Schwarzpulver in der Luft ... all das liebte er. Und in ein paar Tagen, dachte er, sobald wir diese verdammten Berge hinter uns gelassen haben ... Er musste unwillkürlich lächeln.
Weiter vorn stieß der führende Reiter eine geballte Faust in die Luft und gab das Zeichen zum Anhalten. Napoleon beobachtete, wie sich der Mann aus dem Sattel schwang und durch den knietiefen Schnee stapfte. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und suchte die Wände der Schneeverwehungen ab, dann verschwand er um eine Wegbiegung.
»Wonach hält er Ausschau?«, fragte Napoleon.
»Die Morgendämmerung ist die gefährlichste Zeit für Lawinen«, erwiderte Laurent. »Über Nacht härtet der Wind die oberste Schneeschicht zu einer festen Decke, während der Pulverschnee darunter weich bleibt. Wenn die Sonne auf die Schale trifft, beginnt sie aufzutauen. Oft ist die einzige Warnung ein ganz bestimmtes Geräusch oder ein Ton - so als würde Gott im Himmel seine Stimme erheben.«
Nach ein paar Minuten kam der führende Reiter zurück. Er gab Laurent ein Zeichen, dass alles klar sei, dann bestieg er wieder sein Pferd und setzte den Weg fort.
Sie ritten zwei weitere Stunden und folgten dem gewundenen Verlauf des Tals, das zu den Vorbergen hinun terführte. Schon bald gelangten sie in eine enge Schlucht aus grauem Granit, mit Blankeis bedeckt. Der führende Reiter ließ wieder anhalten und saß ab. Laurent tat das Gleiche, gefolgt von Napoleon.
Napoleon blickte sich um. »Ist es hier?«
Sein Generalmajor lächelte verschmitzt. »Dort, mon général.« Laurent hakte zwei Öllampen von seinem Sattel los. »Folgen Sie mir.«
Sie gingen den Weg hinunter und kamen an den sechs Pferden der Vorhut vorbei, deren Reiter vor ihrem General Haltung annahmen. Napoleon nickte jedem Soldaten nacheinander ernst zu, bis sie die Spitze der Kolonne erreichten, wo er und Laurent stehen blieben. Einige Minuten verstrichen, dann erschien ein Soldat - der führende Reiter - hinter einem Felsvorsprung zu ihrer Linken und stapfte durch den tiefen Schnee auf sie zu.
Laurent stellte vor: »Mon général, sicher erinnern Sie sich an Sergeant Pelletier.«
»Natürlich«, erwiderte Napoleon. »Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Pelletier. Gehen Sie voraus.«
Pelletier salutierte, nahm ein zusammengerolltes Seil vom Sattel seines Pferdes und ging auf dem Weg zurück, den er soeben von den brusthohen Schneeverwehungen freigeräumt hatte. Er stieg den Abhang zur Basis einer senkrechten Granitwand hinauf, ging dort parallel zu ihr etwa fünfzig Meter weit und blieb vor einer rechtwinkelig in den Fels getriebenen Nische stehen.
»Sehr interessant, Laurent. Und was soll das sein, was ich da vor mir sehe?«, fragte Napoleon.
Laurent nickte Pelletier zu, der mit seiner Muskete wie mit einer Keule ausholte und den Kolben gegen den Fels schmetterte. Anstelle des üblichen Krachens von Holz auf Stein hörte Napoleon das Klirren von Eis. Pelletier schlug noch vier Mal zu, bis ein vertikaler Riss im Eis erschien. Er war gut einen halben Meter breit und fast zwei Meter hoch.
Napoleon blickte hinein, konnte außer tiefer Dunkelheit jedoch nichts sehen.
»Soweit wir feststellen können«, erklärte Laurent, »ist der Eingang von dichtem Buschwerk zugewuchert, und im Winter verschwindet er hinter hohen Schneewehen. Ich vermute, dass sich irgendwo da drin so etwas wie eine Wasserquelle befindet, was die Eisschicht auf dem Gestein erklären würde. Wahrscheinlich entsteht sie jede Nacht aufs Neue.«
»Interessant. Und wer hat diese Nische gefunden?«
»Das war ich, mon général«, antwortete Pelletier. »Wir haben angehalten, um den Pferden eine kurze Rast zu gönnen, und ich musste ... nun ja, ich hatte ein Bedürfnis...«
»Ich verstehe, Sergeant, fahren Sie bitte fort.«
»Also gut, ich nehme an, ich bin ein wenig zu weit gewandert, général. Als ich fertig war, lehnte ich mich an den Felsen, um mich ein wenig zu sammeln, als die Eiswand plötzlich hinter mir nachgab. Ich ging ein Stück hinein und dachte mir nicht viel dabei, bis ich es sah ... Nun, schauen Sie es sich mit eigenen Augen an, mon général.«
Napoleon wandte sich an Laurent. »Waren Sie drin?« »Ja, mon général. Ich und Sergeant Pelletier. Niemand sonst.«
»Sehr gut, Laurent. Gehen Sie voraus, ich folge Ihnen.«
Der Höhlengang setzte sich weitere fünf Meter fort und wurde dabei immer enger und niedriger, so dass sie gezwungen waren, sich in zunehmend geduckter Haltung fortzubewegen. Plötzlich weitete sich der Tunnel, und Napoleon fand sich in einer Höhle wieder. Da sie vor ihm eingetreten waren, machten ihm Laurent und Pelletier Platz und hoben dann ihre Laternen so hoch, dass ihr flackerndes gelbliches Licht die Wände erhellte.
Mit einer Grundfläche von gut siebzehn mal zwanzig Metern stellte die Höhle einen regelrechten Eispalast dar. Die Wände und der Boden waren mit einer glitzernden Schicht bedeckt, die an einigen Stellen meterdick, an anderen jedoch so dünn zu sein schien, dass Napoleon den matten Schatten von grauem Felsgestein darunter erkennen konnte. Glitzernde Stalaktiten hingen stellenweise so tief von der Decke herab, dass sie mit den vom Boden aufragenden Stalagmiten verschmolzen und gemeinsam stundenglasförmige Eisskulpturen bildeten. Anders als an den Wänden und auf dem Boden war das Eis an der Decke jedoch aufgeraut und reflektierte das Licht der Laternen wie ein mit Sternen übersäter Himmel. Irgendwo tief in der Höhle erklang ein Geräusch von tropfendem Wasser, und noch weiter entfernt war das leise Pfeifen des Windes zu hören.
»Überwältigend«, murmelte Napoleon.
»Und das hier hat Pelletier gleich hinter dem Eingang entdeckt«, sagte Laurent und ging auf die Höhlenwand zu. Napoleon folgte ihm zu einer Stelle, an der Laurent mit seiner Laterne einen Gegenstand beleuchtete, der auf dem Boden lag. Es war ein Schild.
Knapp zwei Meter hoch und gut einen halben Meter breit, dabei geformt wie die Zahl 8, bestand er aus Weidengeflecht und war mit Leder überzogen, das mit verblichenen roten und schwarzen Quadraten bemalt war.
»Der ist uralt«, murmelte Napoleon.
»Mindestens zweitausend Jahre, würde ich schätzen«, bemerkte Laurent. »Ich weiß zwar, was Geschichte betrifft, gewiss nicht sehr gut Bescheid und habe sicherlich auch einiges vergessen, aber ich glaube doch, dieser Schild wird Gerron genannt. Er wurde von der leichten persischen Infanterie benutzt.«
»Mon dieu ...«
»Da ist noch mehr, mon général. Hier entlang.«
Indem er sich seinen Weg durch den Wald von Stalaktiten suchte, führte ihn Laurent in den hinteren Teil der Höhle und dort zu einem anderen Tunneleingang, der oval und etwa einen Meter dreißig hoch war.
Hinter ihnen hatte Pelletier das Seil auf den Boden fallen lassen und war im Laternenschein bereits damit beschäftigt, eines seiner Enden um die Basis eines der Stalaktiten zu knoten.
»Gehen wir hinunter?«, fragte Napoleon. »In diesen Höllenschlund?«
»Heute nicht, mon général«, antwortete Laurent. »Wir gehen lieber nur hinüber.«
Laurent leuchtete mit seiner Laterne in den Tunnel. Ein paar Schritte entfernt befand sich eine Eisbrücke, kaum einen halben Meter breit, die sich über eine tiefe Spalte spannte und dann in einem anderen Tunnel verschwand.
»Waren Sie schon drüben?«, wollte Napoleon wissen.
»Sie ist ziemlich stabil. Außerdem befindet sich unter dem Eis solider Fels. Trotzdem kann man nicht vorsichtig genug sein.«
Er band das Seil zuerst um Napoleons Taille, dann um seine eigene. Pelletier zog noch einmal probeweise am festgeknoteten Ende, dann nickte er Laurent zu. Dieser meinte: »Achten Sie darauf, wohin Sie treten, mon général. « Dann drang er in den Tunnel ein. Napoleon wartete einen kurzen Augenblick und folgte ihm schließlich.
Sie tasteten sich möglichst vorsichtig über die Felsspalte. Auf halbem Weg blickte Napoleon zur Seite und in die Tiefe, sah dort aber nichts anderes als jene unergründliche Schwärze, in der sich die bläulich schimmernden Eiswände verloren.
Nach einiger Zeit erreichten sie die gegenüberliegende Seite. Sie folgten dem nächsten Tunnel, der gut sechs Meter weit einen Zickzackkurs beschrieb, und gelangten in eine weitere Eishöhle, die zwar deutlich kleiner als die erste, dafür aber mit einer hohen gewölbten Decke versehen war. Die Laterne emporhaltend, ging Laurent bis in die Mitte der Höhle und blieb neben zwei offensichtlich mit Eis umhüllten Stalagmiten stehen. Beide waren ungefähr vier Meter hoch und an den Spitzen abgebrochen.
An einen von diesen trat Napoleon näher heran. Und blieb jäh stehen. Er verengte die Augen zu Schlitzen. Das war kein Stalagmit, erkannte er, sondern eine solide Säule aus Eis. Er stützte sich mit einer Hand dagegen und nahm sie genau in Augenschein.
Aus dem Eis sah ihn das goldene Gesicht einer Frau an.
Übersetzung: Michael Kubiak
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011
by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Clive Cussler, Grant Blackwood
Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein New-York-Times-Bestseller. Auch auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2020 in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.Grant Blackwood ist ein Veteran der U.S. Navy, wo er an Bord einer Fregatte als Chefoperator und Rettungsschwimmer Dienst tat. Er lebt in Colorado. Grant Blackwood ist ein Veteran der U.S. Navy, wo er an Bord einer Fregatte als Chefoperator und Rettungsschwimmer Dienst tat. Er lebt in Colorado.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Clive Cussler , Grant Blackwood
- 2011, Deutsche Erstausgabe, 510 Seiten, Masse: 11,7 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Michael Kubiak
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442376831
- ISBN-13: 9783442376834
- Erscheinungsdatum: 11.05.2011
Rezension zu „Das Gold von Sparta / Fargo Adventures Bd.1 “
"Wer Abenteuerschinken liebt, der kann hier bedenkenlos zugreifen."
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