Das Geheimnis des Felskojoten
Roman
Serenas Bruder Fabian, ein begabter Physiker, kommt den dunklen Machenschaften eines mächtigen Konzerns auf die Spur.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Geheimnis des Felskojoten “
Serenas Bruder Fabian, ein begabter Physiker, kommt den dunklen Machenschaften eines mächtigen Konzerns auf die Spur.
Klappentext zu „Das Geheimnis des Felskojoten “
Die 26-jährige Serena wird durch einen Anruf ihres Bruders in Angst und Schrecken versetzt: Fabian, ein begabter Physiker, ist den dunklen Machenschaften eines mächtigen Konzerns auf die Spur gekommen und in Nordamerika untergetaucht. Von vorahnungsvollen Träumen geplagt, macht Serena sich gemeinsam mit Fabians Freund, dem Indianer Shane Storm Hawk auf, ihren Bruder zu finden. Die Suche, bei der sie schnell selbst zu Verfolgten werden, führt sie durch den Westen der USA bis nach Kanada. Serena fühlt sich stark zu Shane hingezogen, doch nun stehen auch ihre Leben auf dem Spiel. Sie muss auf die mystischen Zeichen vertrauen, nicht nur um Fabians Willen, sondern auch um ihrer Liebe zu Shane eine Chance zu geben.
Lese-Probe zu „Das Geheimnis des Felskojoten “
Das Geheimnis des Felskojoten von Sanna Seven DeersI
Der Mond schien hell. Der Pier war verlassen. Nur das gleichmäßige Schwappen der Wellen unterbrach die Stille. Das kalte Licht der Hafenlaternen erleuchtete den Anlegeplatz und ließ den dichten Nebel noch unheimlicher wirken. Der salzige Geruch von Seetang hing in der Luft. Aus der Ferne ertönte ein Schiffshorn, und irgendwo schrie eine Möwe.
Dimitri Csaba strich sich über das kurzgeschorene dunkelblonde Haar und sah sich nervös um. Die anderen Matrosen waren längst von Bord gegangen. Mit schnellen Schritten überquerte er den Landungsplatz.
Dimitri - wie fremd ihm der Name war. Wie viel in den vergangenen Tagen passiert war.
Der junge Mann seufzte tief und zerrte an dem Halsausschnitt seines T-Shirts. Es fiel ihm schwer, sich wieder an moderne Kleidung zu gewöhnen. Nun schon zum dritten Mal in seinem Leben war er im Begriff, alle Brücken hinter sich abzubrechen und eine neue Identität anzunehmen. Vor drei Jahren war er einem Kloster beigetreten. Damals war aus Fabian Eckehard Bruder Simeon geworden. Nun hatte Bruder Simeon dem Kloster für immer den Rücken zugekehrt. Unter dem Namen Dimitri Csaba und mit gefälschtem ungarischen Pass hatte er in Rotterdam auf einem Schiff nach Nordamerika angeheuert. Fabian wusste selbst kaum mehr, wer er wirklich war. Bruder Simeon kam seinem wahren Ich am nächsten, und Fabian konnte von sich nur schwer als jemand anderem als den Mönch denken, der er noch vor weniger als drei Wochen gewesen war. Er spürte in seinem Herzen, dass es auch in Zukunft dabei bleiben würde. Und noch einer Sache war er sich eindeutig bewusst: dass er erreichen musste, was er sich vorgenommen hatte.
... mehr
Fabian blickte sich unruhig um. Er musste von der Bildfläche verschwinden. Das Gelingen seines Vorhabens hing allein davon ab, dass niemand herausfand, wo er sich aufhielt. Er musste untertauchen, seine Spuren verwischen. Und dazu musste er erneut seine wahre Identität verbergen.
Fabian kam an einem Abfalleimer vorbei. Er blieb kurz stehen, fischte Dimitris ungarischen Pass aus der Jackentasche und warf ihn, ohne zu zögern, hinein. Dann zog er einen kanadischen Ausweis hervor und schlug ihn auf. Der Pass zeigte sein Bild. Doch daneben stand: Michael Hall.
Fabian seufzte erneut. Er würde sich auch an diesen Namen gewöhnen müssen. Wenn sein Freund und ehemaliger Arbeitskollege Shane Storm Hawk, ein Blackfoot- Indianer, ihn jetzt sehen könnte, würde er über Fabian lachen. Bei den Blackfoot und vielen anderen indianischen Völkern war es üblich, im Laufe seines Lebens mehrere Male den Namen zu ändern. Aber Fabian war in Deutschland aufgewachsen, und dort waren Namensänderungen nicht gerade üblich.
Er rief sich zur Ordnung. Er durfte keine Zeit verschwenden. Er musste verschwinden, bevor man ihn fand. Aber vorher hatte er noch etwas Wichtiges zu erledigen.
Die sechsundzwanzigjährige Serena Eckehard hatte es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer ihrer kleinen Berliner Wohnung gemütlich gemacht. Diffuses Sonnenlicht strömte durch die hellen Gardinen an den Fenstern, und obwohl es noch früh am Vormittag war, war es drückend heiß. Serena hatte ihr schulterlanges schwarzes Haar mit ihrer Lieblingshaarnadel aufgesteckt und blätterte in einer Zeitschrift. Sie fächerte sich beim Lesen Luft zu, aber es half nicht viel.
Verärgert ließ Serena die Zeitschrift sinken. Sie hätte sich einen dieser elektrischen Tischventilatoren besorgen sollen, als noch welche zu haben waren. Mittlerweile waren alle ausverkauft. Aber eine derartige Hitzewelle war auch wirklich ungewöhnlich, selbst für August. Sie konnte kaum einen Temperaturunter- schied zu Tunesien feststellen, von wo aus sie erst vor wenigen Tagen zurückgekehrt war. Serena war freiberufliche Fotografin und oft auf Reisen. Besonders seit ihr Bruder sich vor drei Jahren ganz überraschend in ein Kloster zurückgezogen hatte, hielt sie nicht viel in ihrem Heimatland. Wieder zu Hause, hatte sie sich eigentlich nach ein wenig Ruhe und Erholung gesehnt. Aber davon konnte bei dieser Hitze keine Rede sein.
Das schrille Klingeln des Telefons ließ Serena aus ihren Gedanken aufschrecken. Sie sprang vom Sofa auf, erfreut über die Ablenkung.
Das Display des Telefons zeigte eine Nummer aus Nordamerika an. Verwundert meldete sie sich.
»Ich bin es«, ertönte die vertraute Stimme ihres Bruders.
Serena stockte der Atem. Es konnte doch unmöglich wahr sein! Als Fabian damals ins Kloster gegangen war, hatten sie einander für immer Lebewohl gesagt. Sie hatte es sich nicht träumen lassen, seine Stimme in diesem Leben noch einmal zu hören.
»Fabian«, hauchte sie, »bist du es wirklich?« Tränen stiegen ihr in die Augen. Und für einen kurzen herrlichen Augenblick glaubte sie, dass ihr geliebter großer Bruder zu ihr zurückkehren würde. Aber dieses Wunschbild wurde ihr schon mit seinen nächsten Worten genommen.
»Serena, hör mir gut zu«, sagte Fabian. »Ich habe nicht viel Zeit.« Seine Stimme klang nervös, seine Worte überstürzt. »Ich habe das Kloster verlassen. Ich werde nicht dorthin zurückkehren. Meine Gebete sind erhört worden. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe.«
»Ich verstehe nicht ...«, begann Serena, aber Fabian fiel ihr ins Wort.
»Ich habe dir damals nicht die ganze Wahrheit gesagt «, erklärte er hastig. »Diese Leute wollten, dass ich für sie arbeite. Aber ich konnte mich nicht dazu durchringen. Sie sind in schlimme Sachen verwickelt, Serena. Sehr schlimme. Und ich habe gesehen, was sie machen. Sie hätten mich umgebracht. Mein einziger Ausweg war das Kloster. Sie ließen mich gewähren, denn dort stellte ich keine Gefahr für sie dar. Aber ich konnte und kann nicht mit dem Wissen um die Verbrechen leben, die sie begehen. Ich muss versuchen, sie aufzuhalten, koste es, was es wolle.«
»Fabian, wo bist du?« Serenas Stimme stockte. Wovon sprach ihr Bruder nur? »Sag mir, was los ist. Vielleicht kann ich dir helfen!«
»Niemand kann mir helfen«, erwiderte Fabian. »Und es ist besser, wenn du keine Einzelheiten kennst. Ich will dich nicht unnötig in Gefahr bringen. Jetzt, wo ich nicht mehr im Kloster bin, werden sie nach mir suchen. Vielleicht auch bei dir. Deshalb rufe ich an - um dich zu warnen. Diese Leute schrecken vor nichts zurück.«
»Wer, um Himmels willen, Fabian? Bitte lass mich doch ...«
»Und ich wollte, dass du mich in guter Erinnerung behältst«, unterbrach Fabian sie. »Egal was du irgendwann einmal über mich liest oder was dir jemand einmal über mich weismachen will. Ich habe immer versucht, das Richtige zu tun, das weißt du. Nur dieses eine Mal habe ich es nicht getan. Aus Angst. Das werde ich jetzt geradebiegen.«
»Das hört sich so an, als ob ...«
»Ich hab dich lieb, kleine Schwester. Vergiss mich nicht.«
»Fabian!«, rief Serena aufgebracht. »Fabian!«
Aber alles, was sie hörte, war ein monotones Dröhnen. Die Verbindung war abgebrochen.
»Ich hab dich auch lieb«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. Dann legte sie das Telefon zurück auf den Tisch und ließ sich aufs Sofa fallen. Entsetzt presste sie die Hand vor den Mund. Worin war Fabian nur verwickelt?
Willst du eine freie Seele haben, so musst du entweder arm sein oder wie ein Armer leben, hatte Fabian Seneca zitiert, als er ihr von seinem Vorhaben, Mönch zu werden, erzählt hatte - Fabian hatte eine Schwäche für Zitate. Dabei hatten eine solche Entschlossenheit und Willensstärke in seinem Blick gelegen, dass Serena nicht einen Augenblick an seinen Motiven gezweifelt hatte. Doch überrascht hatte sie sein Entschluss schon. Natürlich waren sie beide katholisch erzogen worden. Aber Fabian hatte nie viel auf den Glauben gegeben. Im Gegenteil, er war ein sehr praktisch veranlagter Mensch, jemand, der alles hinterfragte, jemand mit sehr viel Köpfchen. Deshalb hatte er erfolgreich Physik studiert, nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland. Seitdem war er immer viel unterwegs gewesen, aber er hatte seine zehn Jahre jüngere Schwester nie vergessen. Von überall, wo er sich aufhielt, hatte er ihr lange Briefe geschrieben, Postkarten geschickt und ihr Souvenirs mitgebracht. Und wann immer er zu Hause gewesen war, hatten sie viel Zeit miteinander verbracht. Das Alter, in dem man sich als junger Mensch fragt, warum man eigentlich auf dieser Welt ist, woher man kommt und wohin es einen führen wird, hatte er zu dem Zeitpunkt, als er sich entschloss, ins Kloster zu gehen, längst hinter sich gelassen. Es war damals vielmehr Serena gewesen, die sich mit all diesen Fragen beschäftigt hatte, ohne zu einem wirklichen Ergebnis zu kommen. Trotzdem hatte es bei Fabian diesen plötzlichen Sinneswandel gegeben.
Als Serena jetzt an den Tag des Abschieds zurückdachte, wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass zu jener Zeit noch etwas anderes in dem Blick ihres Bruders gelegen hatte: ein Hauch von unterdrückter Verzweiflung, von Ausweglosigkeit, den Serena bisher versucht hatte zu verdrängen. Das Telefonat eben hatte es ihr wieder in Erinnerung gerufen. Sollte sie die Motive ihres Bruders bisher missdeutet haben? Hatte er damals ihre Hilfe gebraucht und ihr war es nicht aufgefallen? Wie dem auch sei, jetzt hatte sie es bemerkt und sie würde handeln.
Serena holte ihre Handtasche und wühlte hastig darin herum. Wo hatte sie den Zettel nur hingesteckt? Da war er! Vorsichtig faltete sie das zerknitterte Papierstückchen auseinander. Darauf war in ihrer klaren, geschwungenen Handschrift eine Telefonnummer vermerkt. Sie hatte sich geschworen, niemals weich zu werden und die Nummer nur im äußersten Notfall zu gebrauchen. Aber jetzt musste es sein.
Serena griff nach dem Telefon und wählte mit zitternder Hand die Rufnummer. Nach zweimaligem Klingeln meldete sich eine Männerstimme.
»Kloster Engelstein.«
»Guten Tag«, sagte Serena, so ruhig es ging. »Ich muss meinen Bruder in einer dringenden Familienangelegenheit sprechen. Würden Sie ihm bitte ausrichten, er möge sich umgehend bei mir melden?«
»Wer bitte ist Ihr Bruder?«, fragte die Männerstimme.
»Fabian Eckehard.«
»Warten Sie bitte einen Augenblick.«
Stille. Serena rutschte nervös auf dem Sofa hin und her. Endlich meldete sich jemand. Ein Mann. Aber es war nicht Fabian.
»Man sagte mir, dass Sie Bruder Simeon in einer wichtigen Familienangelegenheit sprechen möchten.«
»Fabian Eckehard, das ist richtig«, erklärte Serena mit stockender Stimme.
»Es tut mir aufrichtig leid, verehrte Frau, aber Bruder Simeon ist nicht mehr bei uns.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Meine Tochter, ich stehe diesem Kloster vor, ich weiß, wovon ich spreche.« Dann fügte er mitfühlend hinzu: »Es tut mir wirklich sehr leid.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Serena leise und legte auf. Es war also tatsächlich wahr. Alles war wahr. Fabian hielt sich nicht mehr im Kloster auf. Er war irgendwo da draußen, und er brauchte Hilfe. Sie musste ihn finden!
Serena nahm erneut das Telefon. Diesmal rief sie ihre Eltern an. Mit wenigen Worten berichtete sie, was vorgefallen war.
»Fabian ist aus dem Kloster verschwunden, Vati. Und ich glaube, er ist in irgendwelchen Schwierigkeiten «, beendete sie ihren Bericht.
»Das Leben deines Bruders ist für deine Mutter und mich nicht mehr von Belang«, erwiderte ihr Vater kühl. »Als er vor drei Jahren ins Kloster ging, habe ich ihm ins Gesicht gesagt, dass er für uns gestorben ist, sollte er bei seiner Entscheidung bleiben. Nun, er ist dabei geblieben. Dann muss er auch für die Konsequenzen geradestehen.«
»Aber Vati«, versuchte Serena es noch einmal, »es hat sich wirklich angehört, als ob ...«
»Bitte spar dir deine Worte«, wehrte ihr Vater ab. »Es bleibt dabei.« Dann hängte er einfach auf.
Serena seufzte. Ihr Vater konnte so starrköpfig sein! Er hatte es Fabian nie verziehen, dass er seine brillante Karriere, sein gesamtes Leben aufgegeben hatte, um Mönch zu werden.
Serena wusste, sie hatte diesen Starrsinn von ihrem Vater geerbt. Wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann blieb sie dabei. Und jetzt hatte sie sich vorgenommen, ihrem geliebten Bruder zu helfen, und das würde sie auch tun!
Aber um Fabian zu helfen, musste sie zunächst einmal herausfinden, wo er sich aufhielt.
Fabian hat aus Nordamerika angerufen, ging es ihr durch den Kopf. Und plötzlich kam ihr eine Idee.
Copyright © by Ullstein TB (Verlag)
Fabian blickte sich unruhig um. Er musste von der Bildfläche verschwinden. Das Gelingen seines Vorhabens hing allein davon ab, dass niemand herausfand, wo er sich aufhielt. Er musste untertauchen, seine Spuren verwischen. Und dazu musste er erneut seine wahre Identität verbergen.
Fabian kam an einem Abfalleimer vorbei. Er blieb kurz stehen, fischte Dimitris ungarischen Pass aus der Jackentasche und warf ihn, ohne zu zögern, hinein. Dann zog er einen kanadischen Ausweis hervor und schlug ihn auf. Der Pass zeigte sein Bild. Doch daneben stand: Michael Hall.
Fabian seufzte erneut. Er würde sich auch an diesen Namen gewöhnen müssen. Wenn sein Freund und ehemaliger Arbeitskollege Shane Storm Hawk, ein Blackfoot- Indianer, ihn jetzt sehen könnte, würde er über Fabian lachen. Bei den Blackfoot und vielen anderen indianischen Völkern war es üblich, im Laufe seines Lebens mehrere Male den Namen zu ändern. Aber Fabian war in Deutschland aufgewachsen, und dort waren Namensänderungen nicht gerade üblich.
Er rief sich zur Ordnung. Er durfte keine Zeit verschwenden. Er musste verschwinden, bevor man ihn fand. Aber vorher hatte er noch etwas Wichtiges zu erledigen.
Die sechsundzwanzigjährige Serena Eckehard hatte es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer ihrer kleinen Berliner Wohnung gemütlich gemacht. Diffuses Sonnenlicht strömte durch die hellen Gardinen an den Fenstern, und obwohl es noch früh am Vormittag war, war es drückend heiß. Serena hatte ihr schulterlanges schwarzes Haar mit ihrer Lieblingshaarnadel aufgesteckt und blätterte in einer Zeitschrift. Sie fächerte sich beim Lesen Luft zu, aber es half nicht viel.
Verärgert ließ Serena die Zeitschrift sinken. Sie hätte sich einen dieser elektrischen Tischventilatoren besorgen sollen, als noch welche zu haben waren. Mittlerweile waren alle ausverkauft. Aber eine derartige Hitzewelle war auch wirklich ungewöhnlich, selbst für August. Sie konnte kaum einen Temperaturunter- schied zu Tunesien feststellen, von wo aus sie erst vor wenigen Tagen zurückgekehrt war. Serena war freiberufliche Fotografin und oft auf Reisen. Besonders seit ihr Bruder sich vor drei Jahren ganz überraschend in ein Kloster zurückgezogen hatte, hielt sie nicht viel in ihrem Heimatland. Wieder zu Hause, hatte sie sich eigentlich nach ein wenig Ruhe und Erholung gesehnt. Aber davon konnte bei dieser Hitze keine Rede sein.
Das schrille Klingeln des Telefons ließ Serena aus ihren Gedanken aufschrecken. Sie sprang vom Sofa auf, erfreut über die Ablenkung.
Das Display des Telefons zeigte eine Nummer aus Nordamerika an. Verwundert meldete sie sich.
»Ich bin es«, ertönte die vertraute Stimme ihres Bruders.
Serena stockte der Atem. Es konnte doch unmöglich wahr sein! Als Fabian damals ins Kloster gegangen war, hatten sie einander für immer Lebewohl gesagt. Sie hatte es sich nicht träumen lassen, seine Stimme in diesem Leben noch einmal zu hören.
»Fabian«, hauchte sie, »bist du es wirklich?« Tränen stiegen ihr in die Augen. Und für einen kurzen herrlichen Augenblick glaubte sie, dass ihr geliebter großer Bruder zu ihr zurückkehren würde. Aber dieses Wunschbild wurde ihr schon mit seinen nächsten Worten genommen.
»Serena, hör mir gut zu«, sagte Fabian. »Ich habe nicht viel Zeit.« Seine Stimme klang nervös, seine Worte überstürzt. »Ich habe das Kloster verlassen. Ich werde nicht dorthin zurückkehren. Meine Gebete sind erhört worden. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe.«
»Ich verstehe nicht ...«, begann Serena, aber Fabian fiel ihr ins Wort.
»Ich habe dir damals nicht die ganze Wahrheit gesagt «, erklärte er hastig. »Diese Leute wollten, dass ich für sie arbeite. Aber ich konnte mich nicht dazu durchringen. Sie sind in schlimme Sachen verwickelt, Serena. Sehr schlimme. Und ich habe gesehen, was sie machen. Sie hätten mich umgebracht. Mein einziger Ausweg war das Kloster. Sie ließen mich gewähren, denn dort stellte ich keine Gefahr für sie dar. Aber ich konnte und kann nicht mit dem Wissen um die Verbrechen leben, die sie begehen. Ich muss versuchen, sie aufzuhalten, koste es, was es wolle.«
»Fabian, wo bist du?« Serenas Stimme stockte. Wovon sprach ihr Bruder nur? »Sag mir, was los ist. Vielleicht kann ich dir helfen!«
»Niemand kann mir helfen«, erwiderte Fabian. »Und es ist besser, wenn du keine Einzelheiten kennst. Ich will dich nicht unnötig in Gefahr bringen. Jetzt, wo ich nicht mehr im Kloster bin, werden sie nach mir suchen. Vielleicht auch bei dir. Deshalb rufe ich an - um dich zu warnen. Diese Leute schrecken vor nichts zurück.«
»Wer, um Himmels willen, Fabian? Bitte lass mich doch ...«
»Und ich wollte, dass du mich in guter Erinnerung behältst«, unterbrach Fabian sie. »Egal was du irgendwann einmal über mich liest oder was dir jemand einmal über mich weismachen will. Ich habe immer versucht, das Richtige zu tun, das weißt du. Nur dieses eine Mal habe ich es nicht getan. Aus Angst. Das werde ich jetzt geradebiegen.«
»Das hört sich so an, als ob ...«
»Ich hab dich lieb, kleine Schwester. Vergiss mich nicht.«
»Fabian!«, rief Serena aufgebracht. »Fabian!«
Aber alles, was sie hörte, war ein monotones Dröhnen. Die Verbindung war abgebrochen.
»Ich hab dich auch lieb«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. Dann legte sie das Telefon zurück auf den Tisch und ließ sich aufs Sofa fallen. Entsetzt presste sie die Hand vor den Mund. Worin war Fabian nur verwickelt?
Willst du eine freie Seele haben, so musst du entweder arm sein oder wie ein Armer leben, hatte Fabian Seneca zitiert, als er ihr von seinem Vorhaben, Mönch zu werden, erzählt hatte - Fabian hatte eine Schwäche für Zitate. Dabei hatten eine solche Entschlossenheit und Willensstärke in seinem Blick gelegen, dass Serena nicht einen Augenblick an seinen Motiven gezweifelt hatte. Doch überrascht hatte sie sein Entschluss schon. Natürlich waren sie beide katholisch erzogen worden. Aber Fabian hatte nie viel auf den Glauben gegeben. Im Gegenteil, er war ein sehr praktisch veranlagter Mensch, jemand, der alles hinterfragte, jemand mit sehr viel Köpfchen. Deshalb hatte er erfolgreich Physik studiert, nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland. Seitdem war er immer viel unterwegs gewesen, aber er hatte seine zehn Jahre jüngere Schwester nie vergessen. Von überall, wo er sich aufhielt, hatte er ihr lange Briefe geschrieben, Postkarten geschickt und ihr Souvenirs mitgebracht. Und wann immer er zu Hause gewesen war, hatten sie viel Zeit miteinander verbracht. Das Alter, in dem man sich als junger Mensch fragt, warum man eigentlich auf dieser Welt ist, woher man kommt und wohin es einen führen wird, hatte er zu dem Zeitpunkt, als er sich entschloss, ins Kloster zu gehen, längst hinter sich gelassen. Es war damals vielmehr Serena gewesen, die sich mit all diesen Fragen beschäftigt hatte, ohne zu einem wirklichen Ergebnis zu kommen. Trotzdem hatte es bei Fabian diesen plötzlichen Sinneswandel gegeben.
Als Serena jetzt an den Tag des Abschieds zurückdachte, wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass zu jener Zeit noch etwas anderes in dem Blick ihres Bruders gelegen hatte: ein Hauch von unterdrückter Verzweiflung, von Ausweglosigkeit, den Serena bisher versucht hatte zu verdrängen. Das Telefonat eben hatte es ihr wieder in Erinnerung gerufen. Sollte sie die Motive ihres Bruders bisher missdeutet haben? Hatte er damals ihre Hilfe gebraucht und ihr war es nicht aufgefallen? Wie dem auch sei, jetzt hatte sie es bemerkt und sie würde handeln.
Serena holte ihre Handtasche und wühlte hastig darin herum. Wo hatte sie den Zettel nur hingesteckt? Da war er! Vorsichtig faltete sie das zerknitterte Papierstückchen auseinander. Darauf war in ihrer klaren, geschwungenen Handschrift eine Telefonnummer vermerkt. Sie hatte sich geschworen, niemals weich zu werden und die Nummer nur im äußersten Notfall zu gebrauchen. Aber jetzt musste es sein.
Serena griff nach dem Telefon und wählte mit zitternder Hand die Rufnummer. Nach zweimaligem Klingeln meldete sich eine Männerstimme.
»Kloster Engelstein.«
»Guten Tag«, sagte Serena, so ruhig es ging. »Ich muss meinen Bruder in einer dringenden Familienangelegenheit sprechen. Würden Sie ihm bitte ausrichten, er möge sich umgehend bei mir melden?«
»Wer bitte ist Ihr Bruder?«, fragte die Männerstimme.
»Fabian Eckehard.«
»Warten Sie bitte einen Augenblick.«
Stille. Serena rutschte nervös auf dem Sofa hin und her. Endlich meldete sich jemand. Ein Mann. Aber es war nicht Fabian.
»Man sagte mir, dass Sie Bruder Simeon in einer wichtigen Familienangelegenheit sprechen möchten.«
»Fabian Eckehard, das ist richtig«, erklärte Serena mit stockender Stimme.
»Es tut mir aufrichtig leid, verehrte Frau, aber Bruder Simeon ist nicht mehr bei uns.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Meine Tochter, ich stehe diesem Kloster vor, ich weiß, wovon ich spreche.« Dann fügte er mitfühlend hinzu: »Es tut mir wirklich sehr leid.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Serena leise und legte auf. Es war also tatsächlich wahr. Alles war wahr. Fabian hielt sich nicht mehr im Kloster auf. Er war irgendwo da draußen, und er brauchte Hilfe. Sie musste ihn finden!
Serena nahm erneut das Telefon. Diesmal rief sie ihre Eltern an. Mit wenigen Worten berichtete sie, was vorgefallen war.
»Fabian ist aus dem Kloster verschwunden, Vati. Und ich glaube, er ist in irgendwelchen Schwierigkeiten «, beendete sie ihren Bericht.
»Das Leben deines Bruders ist für deine Mutter und mich nicht mehr von Belang«, erwiderte ihr Vater kühl. »Als er vor drei Jahren ins Kloster ging, habe ich ihm ins Gesicht gesagt, dass er für uns gestorben ist, sollte er bei seiner Entscheidung bleiben. Nun, er ist dabei geblieben. Dann muss er auch für die Konsequenzen geradestehen.«
»Aber Vati«, versuchte Serena es noch einmal, »es hat sich wirklich angehört, als ob ...«
»Bitte spar dir deine Worte«, wehrte ihr Vater ab. »Es bleibt dabei.« Dann hängte er einfach auf.
Serena seufzte. Ihr Vater konnte so starrköpfig sein! Er hatte es Fabian nie verziehen, dass er seine brillante Karriere, sein gesamtes Leben aufgegeben hatte, um Mönch zu werden.
Serena wusste, sie hatte diesen Starrsinn von ihrem Vater geerbt. Wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann blieb sie dabei. Und jetzt hatte sie sich vorgenommen, ihrem geliebten Bruder zu helfen, und das würde sie auch tun!
Aber um Fabian zu helfen, musste sie zunächst einmal herausfinden, wo er sich aufhielt.
Fabian hat aus Nordamerika angerufen, ging es ihr durch den Kopf. Und plötzlich kam ihr eine Idee.
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Autoren-Porträt von Sanna Seven Deers
Seven Deers, SannaSanna Seven Deers ist geborene Hamburgerin. Sie heiratete einen kanadischen Indianer und zog mit ihm in die Wildnis der Rocky Mountains. Dort leben die beiden mit ihren vier Kindern.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sanna Seven Deers
- 2013, 1. Auflage., 416 Seiten, Masse: 12 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548285147
- ISBN-13: 9783548285146
- Erscheinungsdatum: 12.07.2013
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