Das deutschsprachige Operettenlibretto
Figuren, Stoffe, Dramaturgie. Diss.
Einzigartiger Überblick der Operetten des 19. Jahrhunderts
Spielstrukturen und Handlungsstänge
Musiknummern und Charaktere
Charaktere, Schauplätze, Themen und Stoffe
Spielstrukturen und Handlungsstänge
Musiknummern und Charaktere
Charaktere, Schauplätze, Themen und Stoffe
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Produktinformationen zu „Das deutschsprachige Operettenlibretto “
Einzigartiger Überblick der Operetten des 19. Jahrhunderts
Spielstrukturen und Handlungsstänge
Musiknummern und Charaktere
Charaktere, Schauplätze, Themen und Stoffe
Spielstrukturen und Handlungsstänge
Musiknummern und Charaktere
Charaktere, Schauplätze, Themen und Stoffe
Klappentext zu „Das deutschsprachige Operettenlibretto “
Auf der Basis einer fundierten Kenntnis der deutschsprachigen Operette entwirft das Buch eine Systematik der Gattung. Anhand der Libretti werden Spielstrukturen, Textgestalten, Handlungsstränge, Aktschemata, Musiknummern, Operettencharaktere, Schauplätze, Themen und Stoffe übersichtlich und umfassend beschrieben. Dieses einzigartige Werk ist eine Fundgrube für alle Operettenliebhaber und von hohem praktischen Nutzen für alle Dramaturgen und Theaterhistoriker. Zugleich ein Referenzwerk für die Librettoforschung allgemein.
Auf der Basis einer fundierten Kenntnis der deutschsprachigen Operette entwirft das Buch eine Systematik der Gattung. Anhand der Libretti werden Spielstrukturen, Textgestalten, Handlungsstränge, Aktschemata, Musiknummern, Operettencharaktere, Schauplätze, Themen und Stoffe übersichtlich und umfassend beschrieben. Dieses einzigartige Werk ist eine Fundgrube für alle Operettenliebhaber und von hohem praktischen Nutzen für alle Dramaturgen und Theaterhistoriker. Zugleich ein Referenzwerk für die Librettoforschung allgemein.
Lese-Probe zu „Das deutschsprachige Operettenlibretto “
Das deutschsprachige Operettenlibretto von Heike QuissekVerzeichnis der untersuchten deutschsprachigen Operetten
Adieu Mimi
Die Bajadere
Eine Ballnacht
Der Bettelstudent
Die blaue Mazur
Die Blume von Hawaii
Boccaccio
Bruder Straubinger
Brüderlein Fein
Casanova
Cloclo
Die Csárdásfürstin
Die Dollarprinzessin
Das Dorf ohne Glocke
Das Dreimäderlhaus
Die Faschingsfee
Fatinitza
Der fidele Bauer
Die Fledermaus
Frasquita
Frau Luna
Friederike
Das Fürstenkind
Gasparone
Die geschiedene Frau
Giuditta
Die gold'ne Meisterin
Der Graf von Luxemburg
Gräfin Mariza
Ein Herbstmanöver
Die Herzogin von Chicago
Das Hollandweibchen
Die Juxheirat
Die Kaiserin
Lady Hamilton
Das Land des Lächelns
Der letzte Walzer
Der liebe Augustin
Die lustige Witwe
Die lustigen Nibelungen
Madame Pompadour
Mädi
Majestät Mimi
Der Mann mit den drei Frauen
Eine Nacht in Venedig
Der Opernball
Der Orlow
Paganini
Prinzeß Gretl
Der Rastelbinder
Die Rose von Stambul
Rund um die Liebe
Die schöne Galathée
Schützenliesl
Schwarzwaldmädel
Die spanische Nachtigall
Der süße Kavalier
Die süßen Grisetten
Die Tanzgräfin
Der tapfere Soldat
Der Tenor der Herzogin
Der unsterbliche Lump
Das Veilchen vom Montmartre
Der Vetter aus Dingsda
Viktoria und ihr Husar
Der Vogelhändler
Ein Walzertraum
Im weißen Rössl
Wiener Blut
Wiener Frauen
Das Wirtshaus im Spessart
Der Zarewitsch
Der Zigeunerbaron
Zigeunerliebe
Der Zigeunerprimas
Die Zirkusprinzessin
Prolegomena
... mehr
Im Kontext der Entwicklung des komischen musikoliterarischen Theaters im 19. Jahrhundert entsteht eine neue bürgerlich geprägte Gattung: die Operette. Sukzessiv generiert sie unterschiedliche nationale Ausprägungen, so z.B. die französische Operette eines Florimond Hervé, Jacques Offenbach oder Alexandre Charles Lecocq, spanische Zarzuelas, die englische Operette eines William Gilbert und Arthur Sullivan oder Sidney Jones, die ungarischen Népszínmu. oder die amerikanische Frühform des klassischen Musicals von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein. Ausgehend von den Werken Jacques Offenbachs und ihrer von Johann Nestroy geförderten Verbreitung und Popularisierung in Wien, etabliert sich schon bald eine eigenständige deutschsprachige Gattung, die während ihrer rund 80-jährigen Blütezeit zu den wichtigsten Formen der zeitgenössischen Unterhaltung zählt.
Forschungsstand
Obwohl sich die deutschsprachige Gattung neben der englischen und französischen Spielart weltweit durchzusetzen vermag und obwohl sie im rezeptionsgeschichtlichen Rückblick ein vitales, fortschrittliches und stimulierendes Genre ist, gilt die Operette lange als zu leichtgewichtig und kurzlebig, um sich ernsthaft als Forschungsgegenstand in den klassischen Themenkanon der Musik-, Theater-, Kultur- und Literaturwissenschaften einzureihen. Eine Tatsache, die darauf zurückzuführen ist, daß ihr gesellschaftskritisches Potential in Verbindung mit zeitgenössischen ideologischen Entwicklungen in der gesellschaftstragenden Schicht des Bürgertums als zu gering eingeschätzt wurde und wird. Dieser scheinbare Mangel an Substanz führt dazu, daß der Gattungsbegriff dieses neuzeitlichen Massenmediums in heftig geführten publizistischen Diskussionen wirkungs-, rezeptions- und gattungshistorisch seit den 1880er Jahren als ästhetische Urteilsinstanz verwendet wird. Die Operette wird hierin im allgemeinen »mit der Etikette eines Vorbehalts [...] versehen, der weder einer gerechten Beurteilung ihrer unterschiedlichsten musikalischen Ausdrucksmittel, ihrer Formensprache, noch ihrer sozialhistorischen Einordnung dienlich sein kann.«
Erst in der Zwischenkriegszeit bemüht sich eine sich allmählich entwickelnde interdisziplinäre Operettenforschung darum, den Kernbereich, die Analyse klassischer deutschsprachiger Meisterwerke, aufzubauen und damit die Operette per se als Forschungsgegenstand ernst zu nehmen. Die ideologische Überbordung sämtlicher Kultur zur Zeit des Nazi-Regimes führt zu einer tiefen Zäsur in allen Forschungsgebieten, so daß das oberste Anliegen der Operettenforschung nach dem Krieg ist, zu eben jener zentralen Kompetenz zurückzukehren und sie fortzuführen.
Im Anschluß an die Zeit der 1968er ›Kultur-Revolution‹ wird die deutschsprachige Operette als repräsentatives Beispiel einer »überholten, zudem mit kulinarischem Konsum und bürgerlichem Establishment identifizierten Gattung« gesehen. Maßgeblich für die Sichtweise dieser säkularisierten Kunst sind die wissenschaftstheoretischen Einschätzungen Theodor W. Adornos in seiner 1962 erschienenen Einführung in die Musiksoziologie sowie Walter Benjamins kunstkritische Positionen in seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit von 1935.
Nach langer Zeit wissenschaftlicher Vernachlässigung erfährt die deutschsprachige Operette seit gut 25 Jahren ein neues interdisziplinäres Forschungsinteresse, das durch ein breitgefächertes Publikationsspektrum gekennzeichnet ist. Grundsätzlich liegen weitgehend disparate Forschungsansätze zur Operette vor, die an die Gattung Fragestellungen der Mentalitätsgeschichte, der historischen Anthropologie oder der Geschichte des Theaters als Institution herantragen. Das Gros dieser Arbeiten definiert sich oft vor dem Hintergrund normativer Prinzipien, die von der poetologischen Qualität des Operettenlibrettos weitgehend oder sogar vollständig abstrahieren. Die Frage, ob es eine spezifische Poetik bzw. Dramaturgie des Operettenlibrettos gibt, ist kaum diskutiert.
Christian Glanz (1989) beobachtet den Aspekt des Osmanischen bzw. Balkanischen in der Gattung; Thorsten Stegemann (1995) versucht durch die detaillierte Interpretation ausgewählter französischer, englischer und deutscher Libretti das Verhältnis von Operette und Gesellschaft im europäischen Vergleich zu bestimmen und das daraus resultierende zeitkritische Potential ihres Wesens zu ermitteln. Moritz Csáky (1996) sieht die Verwurzelung des Genres im Unterhaltungsbedürfnis des großstädtischen Publikums und betont die Funktion der deutschsprachigen Operette als Träger einer Gesamtstaatsidee.
Marion Linhardt (1997) untersucht die Rolle der Frau in der Operette des 19. Jahrhunderts und die Art und Weise, wie das weibliche Geschlecht präsentiert wird. In einem anderen Konvolut stellt sie 2006 die Entwicklung der Operette in direkten Zusammenhang mit »institutions- und rezeptionsgeschichtlichen Rahmenbedingungen, die durch die besonderen politischen, wirtschaftlichen und bevölkerungsstrukturellen Gegebenheiten in Wien ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etabliert wurden.« Über die Analyse dieser theatralischen Topographie kommt sie zu dem Schluß, daß sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwei Formen der deutschsprachigen Operette gegenüberstehen, die idealtypisch von zwei Darstellern verkörpert werden: Die »Residenzstadt-Operette« eines Alexander Girardi und die »Metropolen-Operette« eines Louis Treumann. Ferner finden sich in ihrer publizistischen Arbeit zur Gattung Studien zur Körperinszenierung bzw. zur Tanzdramaturgie (2000/2005), zur komischen (Operetten-) Figur (2003), zur Judenrolle (2008) sowie zwei Sammelbände (2001/2009) zu ideologischen Diskursen und Debatten bezüglich des musikalischen Unterhaltungstheaters im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Vergleichbar interessant erweisen sich Aufsatzsammlungen zu bestimmten Einzelphänomenen wie der Musik-Konzepte Band 133/134 zur Operette Im weißen Rössl (2006) oder der Sammelband Glitter And Be Gay (Kevin Clarke, 2007), dessen Aufsätze sich dem Thema der Homoerotik und Homosexualität in der Operette widmen.
Stefan Frey präsentiert umfassende Lebensbilder und Werkverzeichnisse der Komponisten Franz Lehár (1995/1999), Emmerich Kálmán (2003) und Leo Fall (2010) und untersucht exemplarische Einzelwerke. Ähnlich verfahren Norbert Rubey (2012), Fritz Hennenberg (2009), Hans-Dieter Roser (2007), Eugen Semrau (2002), Norbert Linke (2001), Anton Mayer (1998) und Albrecht Dümling (1992) mit ihren biographischen Arbeiten zu Johann Strauß Sohn, Ralph Benatzky, Franz von Suppé, Robert Stolz, Franz Lehár und Leon Jessel. Kevin Clarke erfaßt in seiner Kálmán-Biographie (2007) das Genre der deutschsprachigen Operette erstmals aus der Perspektive des US-Musicals und untersucht die Verbindungslinien zwischen Kálmáns Spätwerken und Walt Disneys Silly Symphonies, den Ziegfeld Follies, Cole Porter, Rudolf Frimls Broadway-Operette Rose-Marie und Josephine Baker. Bieten diese Hagiographien hinsichtlich ihres beschränkten Rahmens und Materialkanons keinen allgemeinen Überblick über die Gattung, sondern nur eine spezifische Sichtweise, präsentieren sie im Vergleich zu den zumeist nur anekdotenhaft gehaltenen Komponistenbiographien der Nachkriegszeit (Ernst Decsey, Franz Lehár, 1930, Robert Maria Prosl, Edmund Eysler, 1947, Maria Peteani, Franz Lehár, 1950, Franz Mailer, Oscar Straus, 1985 oder Rudolf Österreicher, Emmerich Kálmán, 1988 sowie mehrere vermeintliche Autobiographien von Robert und Einzi Stolz) in jedem Fall eine gründliche Aufarbeitung der Nachlässe.
Mehrere Arbeiten beleuchten die Gattung unter musikwissenschaftlichen Aspekten. Dieter Zimmerschied (1988) und Michael Klügl (1992) beschreiben die Entwicklungsgeschichte der Operette über die unterschiedlichen Schlagerformen und die Herrschaft der verschiedenen Tänze; Norbert Linke beschäftigt sich mit der kompositorischen Arbeitsweise von Johann Strauß Sohn (1992).
Der Historiker und Filmwissenschaftler Richard Traubner (1983) und die Musikwissenschaftlerin Camille Crittenden (2000) setzen sich in den USA mit der deutschsprachigen Operette auseinander. Während Crittenden sich speziell um Johann Strauß Sohn und dessen Einfluß auf die Kulturpolitik der österreichisch-ungarischen Monarchie bemüht, versucht Traubner eine umfangreiche Darstellung der Gattung hinsichtlich deren Entwicklung im internationalen Kontext und deren Rezeption in den USA. Andràs Bátta untersucht den ungarischen Einfluß auf die deutschsprachige Operette sowohl aus volkstheatralischer als auch musikalischer Sicht (1992). Ingrid Grünberg (1984),Volker Klotz (1990/2007), Ingo Fulfs (1995), Philip Flottau (1999) und Christoph Dompke (2011) erfassen Varianten der Operette aus der NS-Zeit.
Abseits der akademischen Arbeit tragen unterschiedliche Stiftungen und Gesellschaften Sorge, die wissenschaftliche Aufarbeitung und künstlerische Pflege der Operette zu fördern. Dem OEuvre der Strauß-Familie widmen sich gleich zwei Gesellschaften im deutschen Sprachraum: Die 1936 gegründete Johann Strauß Gesellschaft Wien, Peter Widholz, und die 1975 ins Leben gerufene Deutsche Johann Strauß Gesellschaft Coburg, Ingolf Roßberg. Die Internationale Franz Lehár Gesellschaft (Vera Svoboda- Macku) bemüht sich seit 1949 um die künstlerische Pflege und wissenschaftliche Erforschung der Werke Lehárs; die Jacques-Offenbach-Gesellschaft Bad Ems (Ralf-Olivier Schwarz) sieht sich seit 1979 verpflichtet, das Werk Offenbachs weit über die Grenzen bekannt zu machen. Die Europäische Stiftung zur Pflege und Erneuerung der Operette (E.S.O., Marguerite Kollo) verfolgt seit 2004 den Zweck, öffentliche wie private Operettenprojekte zu fördern und in Kooperation mit den Musikhochschulen und Theatern operettenspezifische Bühnenfächer auszubilden. Die Erfassung und Bereitstellung neuester wissenschaftlicher Publikationen zum Genre hat sich das 2006 gegründete Operetta Research Center Amsterdam (ORCA, Kevin Clarke) zum Ziel gemacht; die Deutsche Sullivan-Gesellschaft e.V. (Albert Gier, Meinhard Saremba) engagiert sich seit 2009 für die Verbreitung der Werke Arthur Sullivans in der deutschsprachigen Kulturlandschaft, insbesondere seiner Savoy Operas. Und die im August 2011 gegründete Bayerische Kammeroperette e.V. (Iris Steiner) will als Verein die Operette ins Bewußtsein der Kulturinteressierten zurückrufen, um sie auf diese Weise neu zu beleben.
Ein erstarkendes Interesse an der Gattung Operette zeigt sich auch darin, daß sich die Label Cantus und CPO bemühen, durch Neuerscheinungen von Gesamtaufnahmen viele ›verschollene‹ Werke zu neuer Blüte erwecken.
Operette in der Literaturwissenschaft?
Überblickt man die neuere und neueste Forschung zur deutschsprachigen Operette, treten nur vereinzelt Beiträge unter librettologischen bzw. literaturwissenschaftlichen Blickwinkeln in den Vordergrund. Quantitativ herausragend erweisen sich dabei die einzelwerkzentrierten Analysen des Stuttgarter Literaturwissenschaftlers Volker Klotz, vor allem sein Hauptwerk, die Monographie Operette, Portrait und Handbuch einer unerhörten Kunst von 1991 und deren wesentlich erweiterte 2. Auflage von 2004 sowie Martin Lichtfußens Standardwerk, Operette im Ausverkauf aus dem Jahr 1989. Klotz, der ›Operettenpapst‹ des ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts, stützt sich in seiner Arbeit zur Gattung zwar auf eine recht umfangreiche Materialgrundlage, aus der er die »durchgängigen charakteristischen Eigenschaften« der behandelten Werke herausarbeitet. Unter dem Eindruck des ästhetischen Diktums unterscheidet er allerdings zwischen ›guten‹, weil kritischen und ›schlechten‹, weil affirmativen Operetten. Seinem Verdikt fallen dabei eine ganze Reihe bis heute populärer Stücke zum Opfer, weshalb er einen »Gegen-Spielplan« entwirft, der zum großen Teil aus »vergessenen« Werken besteht. Da für Klotz Jacques Offenbach der einzig ›authentische‹ Operettenkomponist ist, wird der Eindruck erweckt, alle Operetten, die nicht dessen Modell folgen, seien keine richtigen Operetten. Daß diese Definition fast so problematisch ist wie die geschichts- und zeitlose Etikettierung der deutschsprachigen Operette in eine künstlerisch überlegene »goldene Ära« und eine ästhetisch minderwertigere »silberne Ära«, bemerkt nicht nur Kevin Clarke treffend. Auch Albert Gier hegt angesichts dieser subjektiven Darstellungsmethode berechtigte Zweifel, weist er doch gerade bei den von Klotz so hoch geschätzten Offenbach-Einaktern nach, daß sich durchaus konträre Lesarten entwickeln lassen. Lichtfuß bemüht sich zwar um die Darstellung gattungssystematischer Elemente im Operettenlibretto. Indem er den Werkskanon jedoch auf den Untersuchungszeitraum der 1920er Jahre beschränkt, sind seine Ergebnisse nur bedingt gattungsübergreifend.
Linhardt spricht der Erforschung des Genres unter literaturwissenschaftlichen Gesichtspunkten und Blickwinkeln gar die grundsätzliche Sinnhaftigkeit ab:
Muß eine literaturwissenschaftliche Analyse von Texten des Musiktheaters schon im allgemeinen problematisch erscheinen, so ist ihre Anwendung auf Operettenlibretti, deren Struktur am allerwenigsten von literarischen Kriterien bestimmt ist, besonders fragwürdig.
Das eigenständige musikdramatische Genre Libretto, wie die führende Studie von Albert Gier dokumentiert, bezeichnet bekanntermaßen nicht nur den zur Vertonung und Aufführung bestimmten, sondern jeden vertonbaren dramatischen Text. Ein Libretto wartet deshalb »nicht darauf, in Musik gesetzt zu werden, sondern enthält als Text bereits (virtuelle) Musik, so wie jedes Werk des Sprech- und Musiktheaters eine (virtuelle) Inszenierung enthält.« Auch hinsichtlich der Verwendung von musikalischen Nummern gibt es in dieser musikoliterarischen Gattung erfahrungsgemäß keine bindenden Vereinbarungen. Die »semantische Unterdetermination« des Librettos bestimmt die musikalische Ästhetik, so daß innerhalb eines zu vertonenden Textes das, was die Musik an Information zu ergänzen hat, zumindest angedeutet sein muß. Dabei fügt die Musik nichts hinzu, was nicht schon im Text enthalten wäre, sondern verdoppelt dessen Aussage nur, indem sie ihn deutet und modifiziert, bewertet und interpretiert. Der Librettotext stellt insofern die »conditio sine qua non« im Musiktheater dar, was sich auch dann nicht ändert, wenn der Komponist musikalisch zuerst die Farbe und die Dramaturgie beschreibt. Daneben kommt dem Text rezeptionsästhetisch ein hoher Stellenwert zu. Da es mittlerweile verbreitet ist, den Inszenierungstext einer Operette im Programmheft abzudrucken, hat der Zuschauer während der Vorstellung grundsätzlich die Möglichkeit, Dialog und Gesangstext Wort für Wort zu verfolgen. Dementsprechend kann das Operettenlibretto die gleichen literarischen Regeln in Anspruch nehmen wie ein Schauspieltext. Als literarisches Phänomen muß es folglich sehr wohl »vor dem Hintergrund des Systems literarischer Gattungen [...] mit den Methoden der Literaturwissenschaft« analysiert werden. Der Text mit seiner spezifischen Form von Poetizität erhält bei der Erforschung des Genres also bedeutungstragende Funktion, so daß sich in diesem Zusammenhang die Frage erhebt, warum das Libretto als eigenständige literarische Gattung immer noch keine geeignete Position in der (deutschen) Literaturwissenschaft gefunden hat. Es ist daher dringend geboten, sich mit dem Text der Operette, mit seinen besonderen Merkmalen und Möglichkeiten sowie mit den Zwängen, denen er unterliegt, zu beschäftigen.
Desgleichen sind Aufgabe und Rolle der Librettisten - der Textproduzenten - bei Untersuchungen zum Thema wesentlich zu berücksichtigen, denn daß nur die Komponisten eines musikalischen Werkes Anerkennung finden, beklagt noch 1924 Alfred Grünwald, der zusammen mit seinem kongenialen Partner Julius Brammer als versierter Meister seines Faches fast alle führenden Komponisten der deutschsprachigen Operette mit Texten versorgte:
Dem Librettisten flicht die Mitwelt keine Kränze/Sein Schaffen bleibt verborgen in der Gänze./Wer Mozart ist, das weiß ein jeder,/Doch niemand kennt den Schikaneder!/Man merkt sich nur die Komponisten,/Kein Mensch gedenkt der Librettisten!/Der Komponist genießt die Huld/Wenn's durchfällt, sind die Dichter schuld/So war's schon anno Offenbach,/ Die Nachwelt macht es einfach nach./Dabei wär'n selbst die größten Komponisten/ Von Gott verlassen ohne Librettisten!
Die hier angeführte Wort-Ton-Problematik geht offenbar auf die seit dem 17. Jahrhundert in schwelenden Debatten zur Programmatik der Oper gestellte Frage nach dem Vorrang von Musik oder Text und der daraus resultierenden ästhetischen Bewertung der Gattung zurück. Dennoch geht es in Oper wie Operette weniger um das Verhältnis der Bedeutungsebenen von Text und Musik, sondern vielmehr um das Verhältnis zwischen den Produzenten selbst. Die Operettenherstellung entwickelt sich überwiegend aus marktorientierten Produktionsmechanismen, die sie schon bald zu einem florierenden Zweig der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie machen, in der erfolgreiche Librettisten Operettentexte am ›Fließband produzieren‹ und sich ›ihre‹ Komponisten mehr oder weniger aussuchen können. Die Forschung spricht dabei von einer regelrechten »Operettenindustrie« oder gar vom »Warenhaus Operette.«
Die quasi industrielle Herstellung einer Operette beruht auf Arbeitsteilung und Zusammenarbeit meist mehrerer Librettisten und eines (selten auch mehrerer) Komponisten, die Dialogtext, Gesangstext und Musik in einem dynamischen Prozeß des ›work in progress‹ zusammenfügen. Dieses »Prinzip der literarischen Partnerschaft« führt dazu, daß »alle Gesetze von einheitlicher Konzeption und einheitlicher Ausführung« außer Kraft gesetzt und somit solche Gemeinschaftswerke »eher Spiegel sozialer Verhältnisse als Ausdruck künstlerischer Individualität« sind. In jedem Fall entsteht aus der Zusammenarbeit ein Zeichengebilde, das aus sich heraus verständlich ist.
Eine detaillierte Untersuchung zur kompositorischen Arbeitsweise von Johann Strauß Sohn weist beispielsweise nach, daß in den Partituren seiner Werke zahlreiche Eintragungen von Richard Genée enthalten sind, wenn dieser dort auch als Librettist verantwortlich zeichnet. Zusammengefaßt läßt sich die Zusammenarbeit zwischen Strauß und Genée deswegen folgendermaßen beschreiben:
Strauß lieferte Melodien an Genée, die dieser zu einem ›Teamwork-Particell‹ ausarbeitete, das von Strauß wiederum korrigiert und ergänzt wurde. Dieses Particell wurde von Genée weiter ausgearbeitet, dramaturgisch zubereitet, um eigene Melodievorschläge erweitert, textiert und in den Streichern instrumentiert. Danach brachte Strauß wiederum Korrekturen an und registrierte die Bläser. Genée vervollständigte dann die Instrumentation, Strauß übernahm die Schlußredaktion.
Genée und Zell nannte man deshalb nicht zu Unrecht die »Librettofabrik für die Musikfabrik.« Ähnlich intensive Zusammenarbeit zwischen Textdichtern und Komponisten findet sich später sowohl bei Leo Fall, der zu Beginn seiner Operettenlaufbahn mehr an den musikalischen Aufbau als an eine dramaturgische Verarbeitung des Textes dachte und daher auf die Führung seiner Librettisten angewiesen war, als auch bei Emmerich Kálmán und seinen Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald. Das wohl markanteste Beispiel einer »synthetischen Produktion« stellt aber unzweifelhaft die Operette Im weißen Rössl dar. Ihr Libretto hat drei Autoren: Hans Müller-Einigen, Erik Charell und Robert Gilbert, der die Gesangstexte schrieb und an der Musik sind nicht weniger als sechs Komponisten beteiligt: Ralph Benatzky, Robert Stolz, Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert, Hans Frankowski und der nicht genannte Eduard Künneke, der für Orchestrierung und Arrangements der Chöre zuständig war. Dennoch gilt sie als Hauptwerk Ralph Benatzkys und firmiert auch nur unter dessen Namen. Umgekehrt gilt allerdings auch der Einfluß von Komponisten auf die Arbeitsweise der Librettisten als nicht unerheblich bei der Erstellung eines Textbuches. Innerhalb der Produktionsmechanismen sind Librettisten wie Komponisten also in gleichem Maße für die Herstellung einer Operette verantwortlich, so daß eine Trennung der Kompetenzen bezüglich Text und Musik höchst problematisch ist:
Im Zuge der gemeinsamen Arbeit entstandene Varianten, Korrekturvorschläge des Komponisten etc. sind in ihrer Bedeutung mit Entwürfen zu vergleichen, die verschiedene Phasen der Entstehung eines Schauspieltextes dokumentieren. Über den biographisch-anekdotischen Aspekt hinaus ist die Partnerschaft von Librettist und Komponist ein auch in psychologischer Hinsicht interessanter Sonderfall künstlerischer Kreativität.
In der Ausführung dieser Arbeit wird nun der Versuch unternommen, anhand ausgewählter Operettenlibretti gattungssystematisierende Definitionselemente, d.h. eine Reihe konstanter formaler Eigenschaften wie auch inhaltlicher Strukturen in ihrer Komplexität herauszuarbeiten und zu kategorisieren. Diese sollten den angesichts der Veränderungen der Gattung in ihrer rund 80-jährigen Wirkungsgeschichte unterschiedlichen Erscheinungsformen des bis heute umstrittenen Genres gerecht werden und ihnen zugleich die Möglichkeit der Abgrenzung von Nachbargattungen geben. Um das Operettenlibretto mit Hilfe der ihm eigentümlichen Wesenselemente an einem bestimmten gattungssystematischen Ort zu positionieren, ohne jedoch dabei einen vermeintlich repräsentativen Idealtypus der Gattung zu schaffen, ist es substantiell nötig, ideologisch, ästhetisch und gattungshistorisch frei von allem Normativen zu arbeiten sowie Zusammenhänge und Wechselwirkungen von Gattungsmerkmalen bewußt zu machen.
Die Operette kann aufgrund der Fülle ihres Materials niemals in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Andererseits ist es in der Tat wenig sinnvoll, Operettentexte isoliert zu betrachten, denn ohne Zweifel ist eine angemessene Untersuchung der Gattung nur möglich, »wenn die Werke als theatralische Ereignisse begriffen werden, die erst aus dem Zusammenspiel von notierter Musik, formuliertem Text, choreographierter Bewegung, zeitspezifischen Bühnenkonventionen, Ausstattung sowie individueller Interpretation durch die vorhandenen Darsteller entstehen.« Es versteht sich von selbst, daß angesichts der ungeheuren Materialgrundlage eine Auswahl an bibliographischen Referenzen getroffen werden muß, die dennoch groß genug ist, um mögliche Klassifizierungen zu begründen. Die Auswahl der Primärliteratur, die zur konkreten Illustration von Strukturtypen dient, erstreckt sich deshalb auf einen Textkorpus von ca. 80 Operettenlibretti, deren Textgrundlagen (Regie- bzw. Soufflierbücher und Klavierauszüge) den Materialien bzw. Ausgaben der einschlägigen Bühnen- und Theaterverlage entsprechen. Dabei wurde darauf geachtet, daß möglichst viele Werke nicht dem gängigen Aufführungskanon angehören, um eine gewisse Repräsentativität zu erreichen. Die Analysen von Einzellibretti haben exemplarischen Charakter. Die Beziehungen der Gattung zur lebendigen Wirklichkeit des Theaters muß ausgeklammert bleiben, ebenso wie ein Überblick über die Gattungsgeschichte nicht beabsichtigt ist und im gesteckten Rahmen auch nicht möglich gewesen wäre.
Methodik
Vorderhand befinden wir uns auf der Suche nach einem textorientierten Systematisierungsverfahren, aus dem sich Rückschlüsse auf konstante Strukturen und Definitionselemente der Gattung ziehen lassen. Es stellt sich also die Frage, mit welchen methodischen Mitteln und unter welchen Voraussetzungen das Wesen des deutschsprachigen Operettenlibrettos unter literaturwissenschaftlichen/librettologischen Aspekten adäquat zu erfassen ist. Zu bedenken gilt es, daß der zu definierende dramaturgische Bauplan keinesfalls den Anspruch auf Allgemeingültigkeit besitzt, sondern die folgenden Bausteine gewissermaßen als Säulen zu verstehen sind, deren infinite und unfeste Spielräume stets mit anderweitigen Strukturen variabel ausgefüllt werden können.
Der epistemologisch-diachrone Gattungsbegriff erscheint weder allein durch den diachronen noch den synchronen Aspekt in einem bestimmten Gattungssystem aus gebildet, sondern ist nur anhand der Gattungsgeschichte insgesamt zu beschreiben. Einzelne Komponenten eines Genres unterliegen dabei einer Hierarchie und sind unterschiedlich stark ausgeprägt, so daß diskursive Kategorisierungskonventionen systematisch immer nur über Einzelkompetenzen der Komponenten beschreibbar sind. Historische Entwicklungen innerhalb eines spezifischen literarischen Diskurses werden »einerseits durch normbildende Werke (Prototypen) bestimmt und sind andererseits geprägt durch die wechselseitige Komplementarität von Gattungserwartungen und Werkantworten.« Die Darstellung einer Gattungspoetik ist konsequenterweise beim Einzelwerk anzusetzen, das als Bestandteil einer Reihe aufzufassen ist, deren Glieder sich wegen ihres »inkompatiblen« bzw. »äquivalenten« Charakters sowohl auf verschiedene Zeiträume und Orte in der näheren oder weiteren Vergangenheit beziehen als auch zukünftige Glieder präjudizieren können. Darüber hinaus wäre die Reihe »als sich diachron entwickelndes System in Beziehung zu setzen zum synchronen System der literarischen Gattungen einer Epoche und zu den ebenfalls als System aufgefaßten soziokulturellen Rahmenbedingungen.« In diesem Zusammenhang müßten über die Komponentenanalyse von Einzellibretti gattungssystematisierende Definitionselemente ermittelt werden können, die in verschiedene Referenzsysteme eingebunden sind, auf distinktive und deskriptive Strukturelemente verweisen (im durchaus konstruktivistischen Sinne gemeint) und in einem Traditions- und Wirkungszusammenhang zu Merkmalskomplexionen anderer zeitgenössischer komischer musikoliterarischer Gattungen stehen.
Das neu zu formulierende entwicklungs- und gattungsgeschichtliche Systematisierungsverfahren der musikoliterarischen Kategorie Operette wäre daher am geeignetsten in Anlehnung an die diskursive Differenzanalyse Michel Foucaults zu beschreiben, in der anstelle von historischen Kontinuitätenbeschreibungen die Differenz als grundlegende Kategorie der Sachverhalte eingeführt wird. Um sich der tektonischen Aufteilung des Operettenlibrettos zu nähern, soll darüber hinaus auf das transformationsgrammatische Modell des Linguisten Noam Chomsky zurückgegriffen werden. Anhand übergeordneter, allgemeiner Grundmuster können auf diese Weise erste konstitutive gattungssystematische Bausteine in der Tiefenstruktur herausgearbeitet werden, die dank des Metacharakters des Librettos unter den Gesichtspunkten der formal dramaturgischen sowie inhaltlichen Dispositionen und Konstanten des Operettenlibrettos weiter konkretisiert werden können.
Gattungen bewegen sich in ihrer Funktion innerhalb des theoretischen als auch praktischen Diskurses vielfach in Feldern, die eigentlich von anderen Diskursen besetzt sind. Literarische Formen können somit entweder ihre Konstanz bewahren, sich weiter ausbilden oder aber auch ein Ende finden. Eine synchrone Gattungssystematik der deutschsprachigen Operette wäre also nicht nur innerhalb eines literarhistorischen Kontinuums darzustellen, sondern es müßten sich über die Differenzen der einzelnen Werke erwartungsgemäß mehrere zeitlich diskontinuierlich verlaufende Spielarten innerhalb der Wirkungsgeschichte der Operette herausarbeiten lassen. In der Oberflächenstruktur wären in dieser Hinsicht die distinktiven Merkmale der einzelnen Werke zu figurieren, die sich als konkrete Wiedergabe durch vielfältige Transformationen beobachten lassen und unterschiedliche positionierte Spielarten und Varianten konkretisieren und kategorisieren. Folgerichtig gilt es, eine quasi-synchrone Gattungssystematik in diachroner Abfolge zu entwickeln, in der nicht nur einzelne Merkmalskomplexionen, sondern auch die sie verbindenden Kontinuitäten zu anderen Texttypen berücksichtigt werden. Die Ermittlung von gattungssystematischen, formal und inhaltlich konstanten Definitionselementen auf der Grundlage tiefenstruktureller Untersuchungen ist deshalb vorrangig und füllt den ersten Teil der Arbeit aus. Ziel des zweiten Teils ist es, anhand von exemplarischen Einzelanalysen den Nachweis der Konstanz zu erbringen und die Tragfähigkeit der herausgearbeiteten Merkmale auf diachroner Ebene zu überprüfen.
I. Das deutschsprachige Operettenlibretto - Elemente einer Definition
1. Der Operettenbegriff
Aus den vielfältigsten und komplexesten kulturellen, sozial- und rezeptionsgeschichtlichen, musik- und literaturhistorischen, biologischen und gesellschaftlichen Veränderungen erklärt sich der Bedeutungswandel des Begriffs »Operette«, der als Terminus zunächst lediglich ein Kunstbegriff der Verleger ist. Im Laufe des 17. Jahrhunderts entwickelt sich der deutsche Ausdruck zu einem Gattungsbegriff für Bühnenwerke, wobei er primär als literarischer Teil derselben verstanden wird. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts findet sich die Bezeichnung dann im musikalischen Kontext als Diminutiv im Sinne eines kleinen Singspiels respektive als kleine Oper gebraucht. Seit dem 18. Jahrhundert erweitert sich die Begriffsnutzung summarisch auf unterschiedliche Arten des musikalischen Theaters mit gesprochenem Dialog. Gewinnt das Merkmal »Komik« Ende des 18. Jahrhunderts für die Bestimmung der Operette zunehmend an Bedeutung, dehnt sich der Begriff demgemäß auf Werke des komischen Musiktheaters aus. Der Begriff wird gleichbedeutend auf das deutsche Singspiel und die deutsche Spieloper übertragen. Gerade auch zur Unterscheidung zwischen deutschen und italienischen oder französischen Opern spielt die Verwendung des Begriffs »Operette« eine nicht unbedeutende Rolle. Bereits 1782 verwendet Wolfgang Amadeus Mozart den Begriff »Operette« als Gattungsbezeichnung für seine Oper Die Entführung aus dem Serail (nach Christoph Friedrich Bretzner/Gottlieb Stephanie). Die Diminutivform grenzt sie als musikalisches Bühnenwerk sowohl von der zeitlich-räumlichen Konzeption als auch von der musikalischen Gestaltung der weit- verbreiteten Opera seria ab. August Wilhelm Schlegel definiert 1817 die Operette gegenüber den international verbreiteten italienischen und französischen Grand Opéras als nationale Gattung, was sich sowohl auf Sprache als auf Lokalkolorit und Komik bezieht.
Bei bescheidneren Ansprüchen befriedigt die komische Oper oder Operette die für sie gültigen Kunstforderungen besser. Schon in Absicht auf die Komposition, weil diese hier mehr als einen bloß nationalen Ton anstimmen darf und soll.
1840 setzt sich auch Richard Wagner mit dem Operettenbegriff auseinander:
Dieses deutsche Singspiel, oder Operette, hat eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der älteren französischen Opéra comique. [...] In Wien, wo alle Volksstücke ihren Ursprung hatten, gedieh dann auch das volkstümliche Singspiel am besten, [...] hatte es schon eine gewisse selbständige Höhe erreicht, und man sieht mit Verwunderung, daß zu derselben Zeit, wo Mozarts italienische Opern sogleich nach ihrem Erscheinen in das Deutsche übersetzt und dem gesamten vaterländischen Publikum vorgelegt wurden, auch jene Operette eine immer üppigere Form annahm, indem sie Volkssagen und Zaubermärchen zu Sujets nahm.
Noch bis mindestens 1850 versteht man unter einer Operette eine »einaktige Oper, im weiteren Sinne auch mehraktige Oper mit gesprochenen Dialogen und geringem personellen und technischen Aufwand, und im noch weiteren Sinne eine deutschsprachige Oper.«
Ausgehend von den Werken Offenbachs verfestigt sich der Wortgebrauch »Operette « nach 1855 im Kontext der Entwicklung des komischen Musiktheaters als Bezeichnung für eine eigenständige Gattung, die »durch ein kompliziertes Zusammenwirken verschiedener Theatertraditionen im gesellschaftlichen Umbruch« und aus der »Infragestellung aller Gattungskonventionen« neu entstanden ist. Allmählich beginnt der Begriff durchweg unterschiedslos auch abendfüllende Stücke mit großem Personal und Orchester zu beschreiben. Für die erste Johann Strauß Operette, Indigo und die vierzig Räuber (Maximilian Steiner, 1871), findet der Musikkritiker Eduard Hanslick zum ersten Mal eine Art Definition des Operettenbegriffs: »Strauß'sche Tanzmusik mit unterlegten Worten und verteilten Rollen.« Im selben Sinn beurteilt Hanslick auch die beiden folgenden Operetten Carneval in Rom (Joseph Braun/Richard Genée, 1873) und Die Fledermaus (Carl Haffner/Richard Genée, 1874): »Voll hübscher Einfälle, tragen aber trotzdem beide Opern den Charakter von großen Potpourri's aus Walzer und Polkamotiven.« Nicht zufällig spricht Hanslick weiterhin von ›Opern‹, war das neue Genre zu der Zeit als solches eben noch gar nicht erkennbar, zumal die Gattung in den fünf europäischen Kulturzentren Paris,Wien, Berlin, London und Budapest völlig unterschiedliche, weil von der gesellschaftshistorischen Konstellation beeinflußte und abhängige Entwicklungen durchläuft. Wann genau sich der Begriff »Operette« von der (dimensional gemeinten) diminutiven Bezeichnung für »kleine Oper« zur »beiläufi gen, der Zerstreuung dienenden, nicht allzu ernst zu nehmenden Oper« etabliert hat, ist nicht näher belegbar.
Grundsätzlich ist die Gattung als eine in Wechselwirkung mit der zeitgenössischen Realität des 19. und 20. Jahrhunderts stehende Spielart des seiner Natur nach antiillusionistischen »musikalischen Lachtheaters« zu sehen. Dieser relativ konstante Werktypus setzt sich »über die Gattungsgrenzen von komischer Oper, Operette und Musical« hinweg und wird durch die Merkmale »niederer Stil«, »Dominanz der ko
© 2012 Verlag J.B. Metzler (www.metzlerverlag.de)
Im Kontext der Entwicklung des komischen musikoliterarischen Theaters im 19. Jahrhundert entsteht eine neue bürgerlich geprägte Gattung: die Operette. Sukzessiv generiert sie unterschiedliche nationale Ausprägungen, so z.B. die französische Operette eines Florimond Hervé, Jacques Offenbach oder Alexandre Charles Lecocq, spanische Zarzuelas, die englische Operette eines William Gilbert und Arthur Sullivan oder Sidney Jones, die ungarischen Népszínmu. oder die amerikanische Frühform des klassischen Musicals von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein. Ausgehend von den Werken Jacques Offenbachs und ihrer von Johann Nestroy geförderten Verbreitung und Popularisierung in Wien, etabliert sich schon bald eine eigenständige deutschsprachige Gattung, die während ihrer rund 80-jährigen Blütezeit zu den wichtigsten Formen der zeitgenössischen Unterhaltung zählt.
Forschungsstand
Obwohl sich die deutschsprachige Gattung neben der englischen und französischen Spielart weltweit durchzusetzen vermag und obwohl sie im rezeptionsgeschichtlichen Rückblick ein vitales, fortschrittliches und stimulierendes Genre ist, gilt die Operette lange als zu leichtgewichtig und kurzlebig, um sich ernsthaft als Forschungsgegenstand in den klassischen Themenkanon der Musik-, Theater-, Kultur- und Literaturwissenschaften einzureihen. Eine Tatsache, die darauf zurückzuführen ist, daß ihr gesellschaftskritisches Potential in Verbindung mit zeitgenössischen ideologischen Entwicklungen in der gesellschaftstragenden Schicht des Bürgertums als zu gering eingeschätzt wurde und wird. Dieser scheinbare Mangel an Substanz führt dazu, daß der Gattungsbegriff dieses neuzeitlichen Massenmediums in heftig geführten publizistischen Diskussionen wirkungs-, rezeptions- und gattungshistorisch seit den 1880er Jahren als ästhetische Urteilsinstanz verwendet wird. Die Operette wird hierin im allgemeinen »mit der Etikette eines Vorbehalts [...] versehen, der weder einer gerechten Beurteilung ihrer unterschiedlichsten musikalischen Ausdrucksmittel, ihrer Formensprache, noch ihrer sozialhistorischen Einordnung dienlich sein kann.«
Erst in der Zwischenkriegszeit bemüht sich eine sich allmählich entwickelnde interdisziplinäre Operettenforschung darum, den Kernbereich, die Analyse klassischer deutschsprachiger Meisterwerke, aufzubauen und damit die Operette per se als Forschungsgegenstand ernst zu nehmen. Die ideologische Überbordung sämtlicher Kultur zur Zeit des Nazi-Regimes führt zu einer tiefen Zäsur in allen Forschungsgebieten, so daß das oberste Anliegen der Operettenforschung nach dem Krieg ist, zu eben jener zentralen Kompetenz zurückzukehren und sie fortzuführen.
Im Anschluß an die Zeit der 1968er ›Kultur-Revolution‹ wird die deutschsprachige Operette als repräsentatives Beispiel einer »überholten, zudem mit kulinarischem Konsum und bürgerlichem Establishment identifizierten Gattung« gesehen. Maßgeblich für die Sichtweise dieser säkularisierten Kunst sind die wissenschaftstheoretischen Einschätzungen Theodor W. Adornos in seiner 1962 erschienenen Einführung in die Musiksoziologie sowie Walter Benjamins kunstkritische Positionen in seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit von 1935.
Nach langer Zeit wissenschaftlicher Vernachlässigung erfährt die deutschsprachige Operette seit gut 25 Jahren ein neues interdisziplinäres Forschungsinteresse, das durch ein breitgefächertes Publikationsspektrum gekennzeichnet ist. Grundsätzlich liegen weitgehend disparate Forschungsansätze zur Operette vor, die an die Gattung Fragestellungen der Mentalitätsgeschichte, der historischen Anthropologie oder der Geschichte des Theaters als Institution herantragen. Das Gros dieser Arbeiten definiert sich oft vor dem Hintergrund normativer Prinzipien, die von der poetologischen Qualität des Operettenlibrettos weitgehend oder sogar vollständig abstrahieren. Die Frage, ob es eine spezifische Poetik bzw. Dramaturgie des Operettenlibrettos gibt, ist kaum diskutiert.
Christian Glanz (1989) beobachtet den Aspekt des Osmanischen bzw. Balkanischen in der Gattung; Thorsten Stegemann (1995) versucht durch die detaillierte Interpretation ausgewählter französischer, englischer und deutscher Libretti das Verhältnis von Operette und Gesellschaft im europäischen Vergleich zu bestimmen und das daraus resultierende zeitkritische Potential ihres Wesens zu ermitteln. Moritz Csáky (1996) sieht die Verwurzelung des Genres im Unterhaltungsbedürfnis des großstädtischen Publikums und betont die Funktion der deutschsprachigen Operette als Träger einer Gesamtstaatsidee.
Marion Linhardt (1997) untersucht die Rolle der Frau in der Operette des 19. Jahrhunderts und die Art und Weise, wie das weibliche Geschlecht präsentiert wird. In einem anderen Konvolut stellt sie 2006 die Entwicklung der Operette in direkten Zusammenhang mit »institutions- und rezeptionsgeschichtlichen Rahmenbedingungen, die durch die besonderen politischen, wirtschaftlichen und bevölkerungsstrukturellen Gegebenheiten in Wien ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etabliert wurden.« Über die Analyse dieser theatralischen Topographie kommt sie zu dem Schluß, daß sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwei Formen der deutschsprachigen Operette gegenüberstehen, die idealtypisch von zwei Darstellern verkörpert werden: Die »Residenzstadt-Operette« eines Alexander Girardi und die »Metropolen-Operette« eines Louis Treumann. Ferner finden sich in ihrer publizistischen Arbeit zur Gattung Studien zur Körperinszenierung bzw. zur Tanzdramaturgie (2000/2005), zur komischen (Operetten-) Figur (2003), zur Judenrolle (2008) sowie zwei Sammelbände (2001/2009) zu ideologischen Diskursen und Debatten bezüglich des musikalischen Unterhaltungstheaters im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Vergleichbar interessant erweisen sich Aufsatzsammlungen zu bestimmten Einzelphänomenen wie der Musik-Konzepte Band 133/134 zur Operette Im weißen Rössl (2006) oder der Sammelband Glitter And Be Gay (Kevin Clarke, 2007), dessen Aufsätze sich dem Thema der Homoerotik und Homosexualität in der Operette widmen.
Stefan Frey präsentiert umfassende Lebensbilder und Werkverzeichnisse der Komponisten Franz Lehár (1995/1999), Emmerich Kálmán (2003) und Leo Fall (2010) und untersucht exemplarische Einzelwerke. Ähnlich verfahren Norbert Rubey (2012), Fritz Hennenberg (2009), Hans-Dieter Roser (2007), Eugen Semrau (2002), Norbert Linke (2001), Anton Mayer (1998) und Albrecht Dümling (1992) mit ihren biographischen Arbeiten zu Johann Strauß Sohn, Ralph Benatzky, Franz von Suppé, Robert Stolz, Franz Lehár und Leon Jessel. Kevin Clarke erfaßt in seiner Kálmán-Biographie (2007) das Genre der deutschsprachigen Operette erstmals aus der Perspektive des US-Musicals und untersucht die Verbindungslinien zwischen Kálmáns Spätwerken und Walt Disneys Silly Symphonies, den Ziegfeld Follies, Cole Porter, Rudolf Frimls Broadway-Operette Rose-Marie und Josephine Baker. Bieten diese Hagiographien hinsichtlich ihres beschränkten Rahmens und Materialkanons keinen allgemeinen Überblick über die Gattung, sondern nur eine spezifische Sichtweise, präsentieren sie im Vergleich zu den zumeist nur anekdotenhaft gehaltenen Komponistenbiographien der Nachkriegszeit (Ernst Decsey, Franz Lehár, 1930, Robert Maria Prosl, Edmund Eysler, 1947, Maria Peteani, Franz Lehár, 1950, Franz Mailer, Oscar Straus, 1985 oder Rudolf Österreicher, Emmerich Kálmán, 1988 sowie mehrere vermeintliche Autobiographien von Robert und Einzi Stolz) in jedem Fall eine gründliche Aufarbeitung der Nachlässe.
Mehrere Arbeiten beleuchten die Gattung unter musikwissenschaftlichen Aspekten. Dieter Zimmerschied (1988) und Michael Klügl (1992) beschreiben die Entwicklungsgeschichte der Operette über die unterschiedlichen Schlagerformen und die Herrschaft der verschiedenen Tänze; Norbert Linke beschäftigt sich mit der kompositorischen Arbeitsweise von Johann Strauß Sohn (1992).
Der Historiker und Filmwissenschaftler Richard Traubner (1983) und die Musikwissenschaftlerin Camille Crittenden (2000) setzen sich in den USA mit der deutschsprachigen Operette auseinander. Während Crittenden sich speziell um Johann Strauß Sohn und dessen Einfluß auf die Kulturpolitik der österreichisch-ungarischen Monarchie bemüht, versucht Traubner eine umfangreiche Darstellung der Gattung hinsichtlich deren Entwicklung im internationalen Kontext und deren Rezeption in den USA. Andràs Bátta untersucht den ungarischen Einfluß auf die deutschsprachige Operette sowohl aus volkstheatralischer als auch musikalischer Sicht (1992). Ingrid Grünberg (1984),Volker Klotz (1990/2007), Ingo Fulfs (1995), Philip Flottau (1999) und Christoph Dompke (2011) erfassen Varianten der Operette aus der NS-Zeit.
Abseits der akademischen Arbeit tragen unterschiedliche Stiftungen und Gesellschaften Sorge, die wissenschaftliche Aufarbeitung und künstlerische Pflege der Operette zu fördern. Dem OEuvre der Strauß-Familie widmen sich gleich zwei Gesellschaften im deutschen Sprachraum: Die 1936 gegründete Johann Strauß Gesellschaft Wien, Peter Widholz, und die 1975 ins Leben gerufene Deutsche Johann Strauß Gesellschaft Coburg, Ingolf Roßberg. Die Internationale Franz Lehár Gesellschaft (Vera Svoboda- Macku) bemüht sich seit 1949 um die künstlerische Pflege und wissenschaftliche Erforschung der Werke Lehárs; die Jacques-Offenbach-Gesellschaft Bad Ems (Ralf-Olivier Schwarz) sieht sich seit 1979 verpflichtet, das Werk Offenbachs weit über die Grenzen bekannt zu machen. Die Europäische Stiftung zur Pflege und Erneuerung der Operette (E.S.O., Marguerite Kollo) verfolgt seit 2004 den Zweck, öffentliche wie private Operettenprojekte zu fördern und in Kooperation mit den Musikhochschulen und Theatern operettenspezifische Bühnenfächer auszubilden. Die Erfassung und Bereitstellung neuester wissenschaftlicher Publikationen zum Genre hat sich das 2006 gegründete Operetta Research Center Amsterdam (ORCA, Kevin Clarke) zum Ziel gemacht; die Deutsche Sullivan-Gesellschaft e.V. (Albert Gier, Meinhard Saremba) engagiert sich seit 2009 für die Verbreitung der Werke Arthur Sullivans in der deutschsprachigen Kulturlandschaft, insbesondere seiner Savoy Operas. Und die im August 2011 gegründete Bayerische Kammeroperette e.V. (Iris Steiner) will als Verein die Operette ins Bewußtsein der Kulturinteressierten zurückrufen, um sie auf diese Weise neu zu beleben.
Ein erstarkendes Interesse an der Gattung Operette zeigt sich auch darin, daß sich die Label Cantus und CPO bemühen, durch Neuerscheinungen von Gesamtaufnahmen viele ›verschollene‹ Werke zu neuer Blüte erwecken.
Operette in der Literaturwissenschaft?
Überblickt man die neuere und neueste Forschung zur deutschsprachigen Operette, treten nur vereinzelt Beiträge unter librettologischen bzw. literaturwissenschaftlichen Blickwinkeln in den Vordergrund. Quantitativ herausragend erweisen sich dabei die einzelwerkzentrierten Analysen des Stuttgarter Literaturwissenschaftlers Volker Klotz, vor allem sein Hauptwerk, die Monographie Operette, Portrait und Handbuch einer unerhörten Kunst von 1991 und deren wesentlich erweiterte 2. Auflage von 2004 sowie Martin Lichtfußens Standardwerk, Operette im Ausverkauf aus dem Jahr 1989. Klotz, der ›Operettenpapst‹ des ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts, stützt sich in seiner Arbeit zur Gattung zwar auf eine recht umfangreiche Materialgrundlage, aus der er die »durchgängigen charakteristischen Eigenschaften« der behandelten Werke herausarbeitet. Unter dem Eindruck des ästhetischen Diktums unterscheidet er allerdings zwischen ›guten‹, weil kritischen und ›schlechten‹, weil affirmativen Operetten. Seinem Verdikt fallen dabei eine ganze Reihe bis heute populärer Stücke zum Opfer, weshalb er einen »Gegen-Spielplan« entwirft, der zum großen Teil aus »vergessenen« Werken besteht. Da für Klotz Jacques Offenbach der einzig ›authentische‹ Operettenkomponist ist, wird der Eindruck erweckt, alle Operetten, die nicht dessen Modell folgen, seien keine richtigen Operetten. Daß diese Definition fast so problematisch ist wie die geschichts- und zeitlose Etikettierung der deutschsprachigen Operette in eine künstlerisch überlegene »goldene Ära« und eine ästhetisch minderwertigere »silberne Ära«, bemerkt nicht nur Kevin Clarke treffend. Auch Albert Gier hegt angesichts dieser subjektiven Darstellungsmethode berechtigte Zweifel, weist er doch gerade bei den von Klotz so hoch geschätzten Offenbach-Einaktern nach, daß sich durchaus konträre Lesarten entwickeln lassen. Lichtfuß bemüht sich zwar um die Darstellung gattungssystematischer Elemente im Operettenlibretto. Indem er den Werkskanon jedoch auf den Untersuchungszeitraum der 1920er Jahre beschränkt, sind seine Ergebnisse nur bedingt gattungsübergreifend.
Linhardt spricht der Erforschung des Genres unter literaturwissenschaftlichen Gesichtspunkten und Blickwinkeln gar die grundsätzliche Sinnhaftigkeit ab:
Muß eine literaturwissenschaftliche Analyse von Texten des Musiktheaters schon im allgemeinen problematisch erscheinen, so ist ihre Anwendung auf Operettenlibretti, deren Struktur am allerwenigsten von literarischen Kriterien bestimmt ist, besonders fragwürdig.
Das eigenständige musikdramatische Genre Libretto, wie die führende Studie von Albert Gier dokumentiert, bezeichnet bekanntermaßen nicht nur den zur Vertonung und Aufführung bestimmten, sondern jeden vertonbaren dramatischen Text. Ein Libretto wartet deshalb »nicht darauf, in Musik gesetzt zu werden, sondern enthält als Text bereits (virtuelle) Musik, so wie jedes Werk des Sprech- und Musiktheaters eine (virtuelle) Inszenierung enthält.« Auch hinsichtlich der Verwendung von musikalischen Nummern gibt es in dieser musikoliterarischen Gattung erfahrungsgemäß keine bindenden Vereinbarungen. Die »semantische Unterdetermination« des Librettos bestimmt die musikalische Ästhetik, so daß innerhalb eines zu vertonenden Textes das, was die Musik an Information zu ergänzen hat, zumindest angedeutet sein muß. Dabei fügt die Musik nichts hinzu, was nicht schon im Text enthalten wäre, sondern verdoppelt dessen Aussage nur, indem sie ihn deutet und modifiziert, bewertet und interpretiert. Der Librettotext stellt insofern die »conditio sine qua non« im Musiktheater dar, was sich auch dann nicht ändert, wenn der Komponist musikalisch zuerst die Farbe und die Dramaturgie beschreibt. Daneben kommt dem Text rezeptionsästhetisch ein hoher Stellenwert zu. Da es mittlerweile verbreitet ist, den Inszenierungstext einer Operette im Programmheft abzudrucken, hat der Zuschauer während der Vorstellung grundsätzlich die Möglichkeit, Dialog und Gesangstext Wort für Wort zu verfolgen. Dementsprechend kann das Operettenlibretto die gleichen literarischen Regeln in Anspruch nehmen wie ein Schauspieltext. Als literarisches Phänomen muß es folglich sehr wohl »vor dem Hintergrund des Systems literarischer Gattungen [...] mit den Methoden der Literaturwissenschaft« analysiert werden. Der Text mit seiner spezifischen Form von Poetizität erhält bei der Erforschung des Genres also bedeutungstragende Funktion, so daß sich in diesem Zusammenhang die Frage erhebt, warum das Libretto als eigenständige literarische Gattung immer noch keine geeignete Position in der (deutschen) Literaturwissenschaft gefunden hat. Es ist daher dringend geboten, sich mit dem Text der Operette, mit seinen besonderen Merkmalen und Möglichkeiten sowie mit den Zwängen, denen er unterliegt, zu beschäftigen.
Desgleichen sind Aufgabe und Rolle der Librettisten - der Textproduzenten - bei Untersuchungen zum Thema wesentlich zu berücksichtigen, denn daß nur die Komponisten eines musikalischen Werkes Anerkennung finden, beklagt noch 1924 Alfred Grünwald, der zusammen mit seinem kongenialen Partner Julius Brammer als versierter Meister seines Faches fast alle führenden Komponisten der deutschsprachigen Operette mit Texten versorgte:
Dem Librettisten flicht die Mitwelt keine Kränze/Sein Schaffen bleibt verborgen in der Gänze./Wer Mozart ist, das weiß ein jeder,/Doch niemand kennt den Schikaneder!/Man merkt sich nur die Komponisten,/Kein Mensch gedenkt der Librettisten!/Der Komponist genießt die Huld/Wenn's durchfällt, sind die Dichter schuld/So war's schon anno Offenbach,/ Die Nachwelt macht es einfach nach./Dabei wär'n selbst die größten Komponisten/ Von Gott verlassen ohne Librettisten!
Die hier angeführte Wort-Ton-Problematik geht offenbar auf die seit dem 17. Jahrhundert in schwelenden Debatten zur Programmatik der Oper gestellte Frage nach dem Vorrang von Musik oder Text und der daraus resultierenden ästhetischen Bewertung der Gattung zurück. Dennoch geht es in Oper wie Operette weniger um das Verhältnis der Bedeutungsebenen von Text und Musik, sondern vielmehr um das Verhältnis zwischen den Produzenten selbst. Die Operettenherstellung entwickelt sich überwiegend aus marktorientierten Produktionsmechanismen, die sie schon bald zu einem florierenden Zweig der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie machen, in der erfolgreiche Librettisten Operettentexte am ›Fließband produzieren‹ und sich ›ihre‹ Komponisten mehr oder weniger aussuchen können. Die Forschung spricht dabei von einer regelrechten »Operettenindustrie« oder gar vom »Warenhaus Operette.«
Die quasi industrielle Herstellung einer Operette beruht auf Arbeitsteilung und Zusammenarbeit meist mehrerer Librettisten und eines (selten auch mehrerer) Komponisten, die Dialogtext, Gesangstext und Musik in einem dynamischen Prozeß des ›work in progress‹ zusammenfügen. Dieses »Prinzip der literarischen Partnerschaft« führt dazu, daß »alle Gesetze von einheitlicher Konzeption und einheitlicher Ausführung« außer Kraft gesetzt und somit solche Gemeinschaftswerke »eher Spiegel sozialer Verhältnisse als Ausdruck künstlerischer Individualität« sind. In jedem Fall entsteht aus der Zusammenarbeit ein Zeichengebilde, das aus sich heraus verständlich ist.
Eine detaillierte Untersuchung zur kompositorischen Arbeitsweise von Johann Strauß Sohn weist beispielsweise nach, daß in den Partituren seiner Werke zahlreiche Eintragungen von Richard Genée enthalten sind, wenn dieser dort auch als Librettist verantwortlich zeichnet. Zusammengefaßt läßt sich die Zusammenarbeit zwischen Strauß und Genée deswegen folgendermaßen beschreiben:
Strauß lieferte Melodien an Genée, die dieser zu einem ›Teamwork-Particell‹ ausarbeitete, das von Strauß wiederum korrigiert und ergänzt wurde. Dieses Particell wurde von Genée weiter ausgearbeitet, dramaturgisch zubereitet, um eigene Melodievorschläge erweitert, textiert und in den Streichern instrumentiert. Danach brachte Strauß wiederum Korrekturen an und registrierte die Bläser. Genée vervollständigte dann die Instrumentation, Strauß übernahm die Schlußredaktion.
Genée und Zell nannte man deshalb nicht zu Unrecht die »Librettofabrik für die Musikfabrik.« Ähnlich intensive Zusammenarbeit zwischen Textdichtern und Komponisten findet sich später sowohl bei Leo Fall, der zu Beginn seiner Operettenlaufbahn mehr an den musikalischen Aufbau als an eine dramaturgische Verarbeitung des Textes dachte und daher auf die Führung seiner Librettisten angewiesen war, als auch bei Emmerich Kálmán und seinen Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald. Das wohl markanteste Beispiel einer »synthetischen Produktion« stellt aber unzweifelhaft die Operette Im weißen Rössl dar. Ihr Libretto hat drei Autoren: Hans Müller-Einigen, Erik Charell und Robert Gilbert, der die Gesangstexte schrieb und an der Musik sind nicht weniger als sechs Komponisten beteiligt: Ralph Benatzky, Robert Stolz, Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert, Hans Frankowski und der nicht genannte Eduard Künneke, der für Orchestrierung und Arrangements der Chöre zuständig war. Dennoch gilt sie als Hauptwerk Ralph Benatzkys und firmiert auch nur unter dessen Namen. Umgekehrt gilt allerdings auch der Einfluß von Komponisten auf die Arbeitsweise der Librettisten als nicht unerheblich bei der Erstellung eines Textbuches. Innerhalb der Produktionsmechanismen sind Librettisten wie Komponisten also in gleichem Maße für die Herstellung einer Operette verantwortlich, so daß eine Trennung der Kompetenzen bezüglich Text und Musik höchst problematisch ist:
Im Zuge der gemeinsamen Arbeit entstandene Varianten, Korrekturvorschläge des Komponisten etc. sind in ihrer Bedeutung mit Entwürfen zu vergleichen, die verschiedene Phasen der Entstehung eines Schauspieltextes dokumentieren. Über den biographisch-anekdotischen Aspekt hinaus ist die Partnerschaft von Librettist und Komponist ein auch in psychologischer Hinsicht interessanter Sonderfall künstlerischer Kreativität.
In der Ausführung dieser Arbeit wird nun der Versuch unternommen, anhand ausgewählter Operettenlibretti gattungssystematisierende Definitionselemente, d.h. eine Reihe konstanter formaler Eigenschaften wie auch inhaltlicher Strukturen in ihrer Komplexität herauszuarbeiten und zu kategorisieren. Diese sollten den angesichts der Veränderungen der Gattung in ihrer rund 80-jährigen Wirkungsgeschichte unterschiedlichen Erscheinungsformen des bis heute umstrittenen Genres gerecht werden und ihnen zugleich die Möglichkeit der Abgrenzung von Nachbargattungen geben. Um das Operettenlibretto mit Hilfe der ihm eigentümlichen Wesenselemente an einem bestimmten gattungssystematischen Ort zu positionieren, ohne jedoch dabei einen vermeintlich repräsentativen Idealtypus der Gattung zu schaffen, ist es substantiell nötig, ideologisch, ästhetisch und gattungshistorisch frei von allem Normativen zu arbeiten sowie Zusammenhänge und Wechselwirkungen von Gattungsmerkmalen bewußt zu machen.
Die Operette kann aufgrund der Fülle ihres Materials niemals in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Andererseits ist es in der Tat wenig sinnvoll, Operettentexte isoliert zu betrachten, denn ohne Zweifel ist eine angemessene Untersuchung der Gattung nur möglich, »wenn die Werke als theatralische Ereignisse begriffen werden, die erst aus dem Zusammenspiel von notierter Musik, formuliertem Text, choreographierter Bewegung, zeitspezifischen Bühnenkonventionen, Ausstattung sowie individueller Interpretation durch die vorhandenen Darsteller entstehen.« Es versteht sich von selbst, daß angesichts der ungeheuren Materialgrundlage eine Auswahl an bibliographischen Referenzen getroffen werden muß, die dennoch groß genug ist, um mögliche Klassifizierungen zu begründen. Die Auswahl der Primärliteratur, die zur konkreten Illustration von Strukturtypen dient, erstreckt sich deshalb auf einen Textkorpus von ca. 80 Operettenlibretti, deren Textgrundlagen (Regie- bzw. Soufflierbücher und Klavierauszüge) den Materialien bzw. Ausgaben der einschlägigen Bühnen- und Theaterverlage entsprechen. Dabei wurde darauf geachtet, daß möglichst viele Werke nicht dem gängigen Aufführungskanon angehören, um eine gewisse Repräsentativität zu erreichen. Die Analysen von Einzellibretti haben exemplarischen Charakter. Die Beziehungen der Gattung zur lebendigen Wirklichkeit des Theaters muß ausgeklammert bleiben, ebenso wie ein Überblick über die Gattungsgeschichte nicht beabsichtigt ist und im gesteckten Rahmen auch nicht möglich gewesen wäre.
Methodik
Vorderhand befinden wir uns auf der Suche nach einem textorientierten Systematisierungsverfahren, aus dem sich Rückschlüsse auf konstante Strukturen und Definitionselemente der Gattung ziehen lassen. Es stellt sich also die Frage, mit welchen methodischen Mitteln und unter welchen Voraussetzungen das Wesen des deutschsprachigen Operettenlibrettos unter literaturwissenschaftlichen/librettologischen Aspekten adäquat zu erfassen ist. Zu bedenken gilt es, daß der zu definierende dramaturgische Bauplan keinesfalls den Anspruch auf Allgemeingültigkeit besitzt, sondern die folgenden Bausteine gewissermaßen als Säulen zu verstehen sind, deren infinite und unfeste Spielräume stets mit anderweitigen Strukturen variabel ausgefüllt werden können.
Der epistemologisch-diachrone Gattungsbegriff erscheint weder allein durch den diachronen noch den synchronen Aspekt in einem bestimmten Gattungssystem aus gebildet, sondern ist nur anhand der Gattungsgeschichte insgesamt zu beschreiben. Einzelne Komponenten eines Genres unterliegen dabei einer Hierarchie und sind unterschiedlich stark ausgeprägt, so daß diskursive Kategorisierungskonventionen systematisch immer nur über Einzelkompetenzen der Komponenten beschreibbar sind. Historische Entwicklungen innerhalb eines spezifischen literarischen Diskurses werden »einerseits durch normbildende Werke (Prototypen) bestimmt und sind andererseits geprägt durch die wechselseitige Komplementarität von Gattungserwartungen und Werkantworten.« Die Darstellung einer Gattungspoetik ist konsequenterweise beim Einzelwerk anzusetzen, das als Bestandteil einer Reihe aufzufassen ist, deren Glieder sich wegen ihres »inkompatiblen« bzw. »äquivalenten« Charakters sowohl auf verschiedene Zeiträume und Orte in der näheren oder weiteren Vergangenheit beziehen als auch zukünftige Glieder präjudizieren können. Darüber hinaus wäre die Reihe »als sich diachron entwickelndes System in Beziehung zu setzen zum synchronen System der literarischen Gattungen einer Epoche und zu den ebenfalls als System aufgefaßten soziokulturellen Rahmenbedingungen.« In diesem Zusammenhang müßten über die Komponentenanalyse von Einzellibretti gattungssystematisierende Definitionselemente ermittelt werden können, die in verschiedene Referenzsysteme eingebunden sind, auf distinktive und deskriptive Strukturelemente verweisen (im durchaus konstruktivistischen Sinne gemeint) und in einem Traditions- und Wirkungszusammenhang zu Merkmalskomplexionen anderer zeitgenössischer komischer musikoliterarischer Gattungen stehen.
Das neu zu formulierende entwicklungs- und gattungsgeschichtliche Systematisierungsverfahren der musikoliterarischen Kategorie Operette wäre daher am geeignetsten in Anlehnung an die diskursive Differenzanalyse Michel Foucaults zu beschreiben, in der anstelle von historischen Kontinuitätenbeschreibungen die Differenz als grundlegende Kategorie der Sachverhalte eingeführt wird. Um sich der tektonischen Aufteilung des Operettenlibrettos zu nähern, soll darüber hinaus auf das transformationsgrammatische Modell des Linguisten Noam Chomsky zurückgegriffen werden. Anhand übergeordneter, allgemeiner Grundmuster können auf diese Weise erste konstitutive gattungssystematische Bausteine in der Tiefenstruktur herausgearbeitet werden, die dank des Metacharakters des Librettos unter den Gesichtspunkten der formal dramaturgischen sowie inhaltlichen Dispositionen und Konstanten des Operettenlibrettos weiter konkretisiert werden können.
Gattungen bewegen sich in ihrer Funktion innerhalb des theoretischen als auch praktischen Diskurses vielfach in Feldern, die eigentlich von anderen Diskursen besetzt sind. Literarische Formen können somit entweder ihre Konstanz bewahren, sich weiter ausbilden oder aber auch ein Ende finden. Eine synchrone Gattungssystematik der deutschsprachigen Operette wäre also nicht nur innerhalb eines literarhistorischen Kontinuums darzustellen, sondern es müßten sich über die Differenzen der einzelnen Werke erwartungsgemäß mehrere zeitlich diskontinuierlich verlaufende Spielarten innerhalb der Wirkungsgeschichte der Operette herausarbeiten lassen. In der Oberflächenstruktur wären in dieser Hinsicht die distinktiven Merkmale der einzelnen Werke zu figurieren, die sich als konkrete Wiedergabe durch vielfältige Transformationen beobachten lassen und unterschiedliche positionierte Spielarten und Varianten konkretisieren und kategorisieren. Folgerichtig gilt es, eine quasi-synchrone Gattungssystematik in diachroner Abfolge zu entwickeln, in der nicht nur einzelne Merkmalskomplexionen, sondern auch die sie verbindenden Kontinuitäten zu anderen Texttypen berücksichtigt werden. Die Ermittlung von gattungssystematischen, formal und inhaltlich konstanten Definitionselementen auf der Grundlage tiefenstruktureller Untersuchungen ist deshalb vorrangig und füllt den ersten Teil der Arbeit aus. Ziel des zweiten Teils ist es, anhand von exemplarischen Einzelanalysen den Nachweis der Konstanz zu erbringen und die Tragfähigkeit der herausgearbeiteten Merkmale auf diachroner Ebene zu überprüfen.
I. Das deutschsprachige Operettenlibretto - Elemente einer Definition
1. Der Operettenbegriff
Aus den vielfältigsten und komplexesten kulturellen, sozial- und rezeptionsgeschichtlichen, musik- und literaturhistorischen, biologischen und gesellschaftlichen Veränderungen erklärt sich der Bedeutungswandel des Begriffs »Operette«, der als Terminus zunächst lediglich ein Kunstbegriff der Verleger ist. Im Laufe des 17. Jahrhunderts entwickelt sich der deutsche Ausdruck zu einem Gattungsbegriff für Bühnenwerke, wobei er primär als literarischer Teil derselben verstanden wird. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts findet sich die Bezeichnung dann im musikalischen Kontext als Diminutiv im Sinne eines kleinen Singspiels respektive als kleine Oper gebraucht. Seit dem 18. Jahrhundert erweitert sich die Begriffsnutzung summarisch auf unterschiedliche Arten des musikalischen Theaters mit gesprochenem Dialog. Gewinnt das Merkmal »Komik« Ende des 18. Jahrhunderts für die Bestimmung der Operette zunehmend an Bedeutung, dehnt sich der Begriff demgemäß auf Werke des komischen Musiktheaters aus. Der Begriff wird gleichbedeutend auf das deutsche Singspiel und die deutsche Spieloper übertragen. Gerade auch zur Unterscheidung zwischen deutschen und italienischen oder französischen Opern spielt die Verwendung des Begriffs »Operette« eine nicht unbedeutende Rolle. Bereits 1782 verwendet Wolfgang Amadeus Mozart den Begriff »Operette« als Gattungsbezeichnung für seine Oper Die Entführung aus dem Serail (nach Christoph Friedrich Bretzner/Gottlieb Stephanie). Die Diminutivform grenzt sie als musikalisches Bühnenwerk sowohl von der zeitlich-räumlichen Konzeption als auch von der musikalischen Gestaltung der weit- verbreiteten Opera seria ab. August Wilhelm Schlegel definiert 1817 die Operette gegenüber den international verbreiteten italienischen und französischen Grand Opéras als nationale Gattung, was sich sowohl auf Sprache als auf Lokalkolorit und Komik bezieht.
Bei bescheidneren Ansprüchen befriedigt die komische Oper oder Operette die für sie gültigen Kunstforderungen besser. Schon in Absicht auf die Komposition, weil diese hier mehr als einen bloß nationalen Ton anstimmen darf und soll.
1840 setzt sich auch Richard Wagner mit dem Operettenbegriff auseinander:
Dieses deutsche Singspiel, oder Operette, hat eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der älteren französischen Opéra comique. [...] In Wien, wo alle Volksstücke ihren Ursprung hatten, gedieh dann auch das volkstümliche Singspiel am besten, [...] hatte es schon eine gewisse selbständige Höhe erreicht, und man sieht mit Verwunderung, daß zu derselben Zeit, wo Mozarts italienische Opern sogleich nach ihrem Erscheinen in das Deutsche übersetzt und dem gesamten vaterländischen Publikum vorgelegt wurden, auch jene Operette eine immer üppigere Form annahm, indem sie Volkssagen und Zaubermärchen zu Sujets nahm.
Noch bis mindestens 1850 versteht man unter einer Operette eine »einaktige Oper, im weiteren Sinne auch mehraktige Oper mit gesprochenen Dialogen und geringem personellen und technischen Aufwand, und im noch weiteren Sinne eine deutschsprachige Oper.«
Ausgehend von den Werken Offenbachs verfestigt sich der Wortgebrauch »Operette « nach 1855 im Kontext der Entwicklung des komischen Musiktheaters als Bezeichnung für eine eigenständige Gattung, die »durch ein kompliziertes Zusammenwirken verschiedener Theatertraditionen im gesellschaftlichen Umbruch« und aus der »Infragestellung aller Gattungskonventionen« neu entstanden ist. Allmählich beginnt der Begriff durchweg unterschiedslos auch abendfüllende Stücke mit großem Personal und Orchester zu beschreiben. Für die erste Johann Strauß Operette, Indigo und die vierzig Räuber (Maximilian Steiner, 1871), findet der Musikkritiker Eduard Hanslick zum ersten Mal eine Art Definition des Operettenbegriffs: »Strauß'sche Tanzmusik mit unterlegten Worten und verteilten Rollen.« Im selben Sinn beurteilt Hanslick auch die beiden folgenden Operetten Carneval in Rom (Joseph Braun/Richard Genée, 1873) und Die Fledermaus (Carl Haffner/Richard Genée, 1874): »Voll hübscher Einfälle, tragen aber trotzdem beide Opern den Charakter von großen Potpourri's aus Walzer und Polkamotiven.« Nicht zufällig spricht Hanslick weiterhin von ›Opern‹, war das neue Genre zu der Zeit als solches eben noch gar nicht erkennbar, zumal die Gattung in den fünf europäischen Kulturzentren Paris,Wien, Berlin, London und Budapest völlig unterschiedliche, weil von der gesellschaftshistorischen Konstellation beeinflußte und abhängige Entwicklungen durchläuft. Wann genau sich der Begriff »Operette« von der (dimensional gemeinten) diminutiven Bezeichnung für »kleine Oper« zur »beiläufi gen, der Zerstreuung dienenden, nicht allzu ernst zu nehmenden Oper« etabliert hat, ist nicht näher belegbar.
Grundsätzlich ist die Gattung als eine in Wechselwirkung mit der zeitgenössischen Realität des 19. und 20. Jahrhunderts stehende Spielart des seiner Natur nach antiillusionistischen »musikalischen Lachtheaters« zu sehen. Dieser relativ konstante Werktypus setzt sich »über die Gattungsgrenzen von komischer Oper, Operette und Musical« hinweg und wird durch die Merkmale »niederer Stil«, »Dominanz der ko
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Autoren-Porträt von Heike Quissek
Heike Quissek, Literaturwissenschaftlerin, 1993 - 2007 freiberufliche Regisseurin und Dramaturgin an Musiktheater-Bühnen in Deutschland und der Schweiz. 2012 germanistische Promotion an der Universität Bamberg bei Albert Gier mit der vorliegenden Arbeit
Bibliographische Angaben
- Autor: Heike Quissek
- 2012, XII, 340 Seiten, Masse: 16 x 24,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: J.B. Metzler
- ISBN-10: 3476024814
- ISBN-13: 9783476024817
- Erscheinungsdatum: 14.12.2012
Rezension zu „Das deutschsprachige Operettenlibretto “
Das versteht man unter einer Fundgrube für Operettenliebhaber. Und darüber hinaus ist das Buch von hohem praktischen Nutzen für alle Dramaturgen und Theaterhistoriker... www.literaturmarkt.infoZweifellos verdient Quisseks Arbeit Respekt, ist sie doch mit Sicherheit die bisher umfangreichste Untersuchung zu diesem Thema und wird wohl zum Standardwerk dieses Genres avancieren. www.info-netz-musik.bplaced.netStill, it's a book that will most likely become a classic of its kind. Since it's published by J. B. Metzler one can assume that every university library will have it in their shelves in the future, it will thus influence generations of students. Which is wonderful, because Quissek sums up many discussions that have been going on in the operetta world in the last 20 years. And she frees herself ¿ and operetta research ¿ from the long shadow of "Operettenpapst" Volker Klotz, whose ideologically problematic operetta interpretations exclusively informed the discussion of the genre for too long. Operetta Research Center, Amsterdam
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