Das Auge des Leoparden
Eigentlich wollte Hans Olofson nur eine Reise machen. Doch dann bleibt er 19 Jahre in Afrika. Er übernimmt eine Farm und versucht den Schwarzen zu helfen. Schliesslich zeigt sich jedoch, dass seine Reformpläne zum Scheitern verurteilt sind.
Mankell...
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Eigentlich wollte Hans Olofson nur eine Reise machen. Doch dann bleibt er 19 Jahre in Afrika. Er übernimmt eine Farm und versucht den Schwarzen zu helfen. Schliesslich zeigt sich jedoch, dass seine Reformpläne zum Scheitern verurteilt sind.
Mankell trifft den Kern sämtlicher kultureller Verständigungsprobleme.
»Der weisse Mann arbeitet schnell und hart, aber Eile und Ungeduld sind in den Augen der Schwarzen ein Zeichen fehlender Intelligenz.«
Eigentlich hatte der junge Mann nur eine kurze Reise nach Afrika machen wollen, aber dann war er neunzehn Jahre geblieben. In Lusaka übernimmt er die Hühnerfarm einer weissen Engländerin und verfolgt ehrgeizige Reformpläne: Er will neue Häuser für die Schwarzen bauen, ihnen höhere Löhne bezahlen und ihren Kindern eine Schule einrichten.
Er sorgt für die Witwe eines schwarzen Handwerkers und ihre vier Töchter, deren jüngste für ihn wie eine eigene Tochter ist. Doch bald mehren sich die Zeichen, dass sich die Zustände nicht so rasch in seinem Sinne ändern lassen. Seine weissen Nachbarn werden massakriert. Und der Mann, den er für seinen einzigen Freund hält, rät ihm, für immer wegzugehen ...
Das Augedes Leoparden von Henning Mankell
LESEPROBE
Er erwacht in der afrikanischen Nacht und glaubt plötzlich, seinKörper wäre zerborsten. Aufgeplatzt, die Eingeweide explodiert, und das Blutliefe ihm über Gesicht und Brustkorb.
In panischer Angst tastet er im Dunkeln nach dem Lichtschalter,doch als er ihn dreht, geht das Licht nicht an, und er denkt, dass der Stromwieder einmal ausgefallen ist. Seine tastende Hand findet schliesslich eineTaschenlampe unter dem Bett, aber die Batterien sind leer, und er liegt weiterim Dunkeln.
Das ist kein Blut, zwingt er sich zu denken. Das ist Malaria.Ich habe Fieber, der Schweiss wird mir aus den Poren gepresst. Ich habeAlpträume, krankhafte Alpträume. Zeit und Raum heben einander auf, und ich weissnicht mehr, wo ich bin, weiss nicht einmal mehr, ob ich noch lebe.
Angelockt von der Feuchtigkeit, die aus allen Poren dringt,krabbeln Insekten über sein Gesicht. Er denkt, dass er aufstehen und nach einemHandtuch suchen sollte, weiss jedoch, dass er sich kaum auf den Beinen haltenkönnte; er müsste kriechen und hätte vielleicht nicht mehr die Kraft, ins Bettzurückzukehren. Wenn ich sterbe, will ich wenigstens in meinem Bett liegen,denkt er und spürt, dass sich ein neuer Fieberanfall ankündigt.
Ich will nicht auf dem Fussboden sterben, nackt, währendKakerlaken über mein Gesicht krabbeln.
Er krallt die Finger in das schweissnasse Laken und bereitetsich auf einen Anfall vor, der schwerer sein wird als die früheren. Schwach,mit einer Stimme, die kaum trägt, ruft er in der Dunkelheit nach Luka, aber abgesehen vom Zirpender Zikaden bleibt alles still.
Vielleichtsitzt Luka vor der Tür, denkt er verzweifelt. Vielleicht sitzt er dort undwartet nur darauf, dass ich sterbe.
Das Fieberrollt durch seinen Körper wie Brecher, die sich unerwartet auftürmen. Sein Kopfbrennt, als bohrten sich Tausende von Insekten in Stirn und Schläfen. Langsamwird er aus dem Bewusstsein in die unterirdischen Gänge des Fieberanfallsgesogen, wo die verzerrten Gesichter der Alpträume schemenhaft in den Schattenauftauchen.
Ich darfjetzt nicht sterben, denkt er und klammert sich an das Bettuch, um am Leben zubleiben.
Aber derSog des Malariaanfalls ist stärker als sein Wille. Die Wirklichkeit wirdzerstückelt und in Teile zersägt, die nicht zusammenpassen. Auf einmal ist ihm,als sässe er auf dem Rücksitz eines alten Saab, der führerlos durch die endlosennordschwedischen Wälder braust. Er kann nicht erkennen, wer vor ihm sitzt, esist nur ein schwarzer Rücken ohne Hals, ohne Kopf.
Das liegtam Fieber, denkt er erneut. Ich muss durchhalten und mir immerzu sagen, dass esnur das Fieber ist, sonst nichts.
Dannbemerkt er, dass es in seinem Zimmer schneit. Weisse Flocken fallen auf seinGesicht herab, und es wird augenblicklich kalt um ihn herum.
Jetztschneit es in Afrika, denkt er. Wie merkwürdig, das gibt es doch nicht. Ich musseinen Spaten auftreiben. Ich muss aufstehen und Schnee schaufeln, sonst werdeich hier begraben.
Er ruftnoch einmal nach Luka, aber niemand antwortet, niemand kommt, und erbeschliesst, Luka fristlos zu kündigen, falls er diese Fieberattacke überlebt.
Banditen,denkt er verwirrt. Sie haben die Stromleitung gekappt.
Er lauschtund glaubt, sie hinter den Hauswänden schleichen zu hören. Er greift nach demRevolver unter dem Kopfkissen, setzt sich mühevoll auf und richtet die Waffe aufdie Tür. Um den Revolver zu heben, muss er ihn mit beiden Händen packen, und erfragt sich verzweifelt, ob er zum Abdrücken genug Kraft in den Fingern hätte.
Ich werfeLuka hinaus, denkt er wutentbrannt. Er hat die Stromleitung gekappt und dieBanditen hergelockt. Ich darf nicht vergessen, ihn gleich morgen zu entlassen.
Erversucht, mit der Revolvermündung ein paar Schneeflocken aufzufangen, doch sieschmelzen vor seinen Augen.
Ich mussSchuhe anziehen, denkt er. Sonst erfriere ich noch.
Ermobilisiert seine letzten Kräfte, beugt sich über die Bettkante und tastet,aber dort liegt nur die leere Taschenlampe.
DieBanditen, denkt er benebelt. Sie haben meine Schuhe gestohlen. Sie waren hier,während ich geschlafen habe. Vielleicht sind sie noch da.
Wahllosfeuert er in das Zimmer. Der Schuss hallt durch die Dunkelheit, und der Rückstosswirft ihn in die Kissen.
Plötzlichist er ganz ruhig, fast zufrieden.
Das alles istnatürlich Lukas Schuld. Er steckt mit den Banditen unter einer Decke, er hatdie Stromleitung gekappt. Doch jetzt, nachdem er entlarvt ist, hat er keine Machtmehr. Er wird entlassen, von der Farm gejagt.
Mir könnensie nichts anhaben, denkt er. Ich bin stärker als sie alle zusammen.
DieInsekten bohren sich weiterhin in seine Stirn. Er ist sehr müde, fragt sich, obdie Morgendämmerung noch fern ist, und denkt, dass er schlafen muss. DieMalariaanfälle kommen und gehen, und mit ihnen die Alpträume. Er muss unbedingtunterscheiden, was Einbildung und was Wirklichkeit ist.
Es kannhier nicht schneien, denkt er. Und ich sitze auch nicht auf dem Rücksitz einesalten Saab, der durch helle nordschwedische Sommerwälder braust. Ich bin hierin Afrika, nicht in Härjedalen, und zwar seit achtzehn Jahren. Ich muss Ordnungin meine Gedanken bringen. Das Fieber verleitet mich, in Erinnerungen zustöbern, sie ans Licht zu holen und mir einzubilden, sie wären Wirklichkeit.
Erinnerungensind tote Dinge, Alben und Archive, die man hinter schweren Schlössern lagernsollte. Die Wirklichkeit stellt Anforderungen an mein Bewusstsein. Im Fieberzu liegen heisst, innerlich die Orientierung zu verlieren. Das darf ich nichtvergessen. Ich bin in Afrika, seit achtzehn Jahren. Es war nicht so geplant,aber es hat sich so ergeben.
Wie oft ichMalaria hatte, kann ich gar nicht mehr sagen. Manchmal sind die Anfälleschwerer, wie jetzt, dann wieder leichter, ein Fieberschatten, der über meinGesicht huscht. Das Fieber führt mich in die Irre, will mich fortlocken,beschwört Schnee herauf, obwohl wir mehr als dreissig Grad haben. Ich bin inAfrika, und ich war die ganze Zeit hier, seit ich in Lusaka aus dem Flugzeuggestiegen bin. Eigentlich wollte ich nur ein paar Wochen bleiben, aber es istetwas länger geworden, das ist die Wahrheit, und nicht etwa, dass es schneit.
Sein Atemgeht schwer, er fühlt, wie das Fieber in ihm tanzt, zum Ausgangspunktzurücktanzt, zu jenem frühen Morgen vor achtzehn Jahren, als er zum erstenmaldie afrikanische Sonne auf seinem Gesicht spürte.
Aus demNebel des Fieberanfalls löst sich unvermittelt ein Augenblick von grosserKlarheit, eine Landschaft, deren Konturen gestochen scharf und rein sind. Erverscheucht eine grosse Kakerlake, die mit ihren Antennen ein Nasenlochabtastet, und sieht sich in der Passagiertür des grossen Jets stehen, auf derobersten Stufe der herangerollten Fluggasttreppe.
Er erinnertsich, dass sein erster Eindruck von Afrika das Sonnenlicht war, das den Betondes Flugfelds schneeweiss schimmern liess. Dann nahm er einen ganz bestimmten Geruchvon etwas Bitterem wahr, von einem unbekannten Gewürz oder einemHolzkohlefeuer.
So war es,denkt er. Diesen Moment werde ich bis ins kleinste wiedergeben können, solangeich lebe. Achtzehn Jahre ist das jetzt her. Vieles von dem, was später geschehenist, habe ich vergessen. Afrika wurde zur Gewohnheit. Und ich musste einsehen,dass ich mich angesichts dieses verletzten und verstümmelten Kontinents niemals würdeheimisch fühlen können ... Ich, Hans Olofson, habe mich daran gewöhnt, dass esmir unmöglich ist, mehr als Bruchteile dieses Kontinents zu erfassen und zuverstehen. Aber trotz dieser ständigen Unterlegenheit bin ich geblieben, habeeine der zahlreichen Sprachen gelernt, die man hier spricht, und beschäftigemehr als zweihundert Afrikaner.
Ich habegelernt, in dem seltsamen Leben auszuharren, das man führt, wenn mangleichzeitig geliebt und gehasst wird. Tag für Tag stehe ich zweihundertschwarzen Menschen von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und ich weiss, dass siemich am liebsten ermorden, mir die Kehle durchschneiden, meineGeschlechtsteile opfern und mein Herz essen würden.
(...)
© DeutscherTaschenbuch Verlag
Übersetzung:Paul Berf
- Autor: Henning Mankell
- 2006, 3. Aufl., 384 Seiten, Masse: 12 x 19,1 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Paul Berf
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423134240
- ISBN-13: 9783423134248
- Erscheinungsdatum: 01.02.2006
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