D-Day
Die Schlacht um die Normandie
6. Juni 1944: Die Alliierten landen in der Normandie - eine dramatische Schlacht beginnt
Der britische Historiker Antony Beevor schildert mit packender Authentizität und der sprachlichen Kraft des Erzählers jene gewaltige...
Der britische Historiker Antony Beevor schildert mit packender Authentizität und der sprachlichen Kraft des Erzählers jene gewaltige...
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Produktinformationen zu „D-Day “
6. Juni 1944: Die Alliierten landen in der Normandie - eine dramatische Schlacht beginnt
Der britische Historiker Antony Beevor schildert mit packender Authentizität und der sprachlichen Kraft des Erzählers jene gewaltige Schlacht, die maßgeblich den Ausgang des Zweiten Weltkriegs mitbestimmt hat. Die Ereignisse des "D-Day", des längsten Tages, werden aus der Perspektive der unmittelbar Beteiligten dargestellt.
Der britische Historiker Antony Beevor schildert mit packender Authentizität und der sprachlichen Kraft des Erzählers jene gewaltige Schlacht, die maßgeblich den Ausgang des Zweiten Weltkriegs mitbestimmt hat. Die Ereignisse des "D-Day", des längsten Tages, werden aus der Perspektive der unmittelbar Beteiligten dargestellt.
Klappentext zu „D-Day “
Der längste Tag D-Day, das war die grösste militärische Operation aller Zeiten: die Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944 in der Normandie. Beevor zeichnet diesen Tag minutiös nach. Hautnah erlebt der Leser im Hauptquartier die Nervosität der Befehlshaber, begreift die komplexe Strategie einschliesslich des kühnen Täuschungsmanövers, spürt die moralische Bürde, die Männer wie General Eisenhower empfanden und ist bei den Soldaten, die von Angst geplagt und doch stolz sind, an diesem Tag dabei zu sein.
Ausstattung: 3 s/w-Bildteile a 8 Seiten, 17 Karten
Lese-Probe zu „D-Day “
D-DAY von Antony Beevor 1. Kapitel
Die Entscheidung
Southwick House ist ein großes Gebäude im Regencystil mit Stuckfassade und Kolonnadenfront. Zu Friedenszeiten hätte es die Kulisse für eine Abendgesellschaft aus einem Roman von Agatha Christie abgeben können, aber 1940 hatte es die Royal Navy übernommen. Die idyllische Szenerie seiner Rasenflächen mit einem Wäldchen dahinter war ruiniert durch Nissenhütten, Zelte und Schotterwege. Southwick fungierte nun als Hauptquartier von Admiral Sir Bertram Ramsay, dem Oberbefehlshaber der Landungsflotten. Zugleich war es die vorgeschobene Kommandostelle der Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF), des Hauptquartiers des Oberbefehlshabers der Alliierten Expeditionstruppen. Auf den Hügeln der Port Down Ridge hatten Flakbatterien Stellung bezogen, um das Objekt und die Schiffswerften weiter unten vor etwaigen Angriffen der deutschen Luftwaffe zu schützen.
In der Marinebasis von Portsmouth acht Kilometer weiter südlich und auf den Liegeplätzen dahinter drängten sich Anfang Juni 1944 Schiffe aller Typen und Größen - graue Kriegsschiffe, Transportschiffe und Hunderte von Landungsbooten, die miteinander vertäut waren. D-Day war für Montag, den 5. Juni, angesetzt, und das Einschiffen hatte bereits begonnen.
... mehr
Südengland hatte gerade eine Hitzewelle hinter sich, die mit großer Trockenheit einherging. Am 29. Mai war das Thermometer auf fast 38 Grad Celsius geklettert. Im Meteorologenteam, das in der Befehlszentrale von Ge neral Dwight D. Eisenhowers Hauptquartier seinen Dienst versah, wurde man langsam unruhig. Die Gruppe stand unter der Leitung von Dr. James Stagg, einem hochgewachsenen, schlaksigen Schotten mit hageren Gesichtszügen und gepflegtem Schnurrbart. Stagg, der führende Meteorologe des Landes, war gerade zum Group Captain [Oberst] der Royal Air Force (RAF) ernannt worden, um ihm unter den Militärs, die Außenseiter nicht gewöhnt waren, die nötige Autorität zu verleihen.
Seit April hatte Eisenhower Stagg und dessen Gruppe getestet, indem er jeden Montag eine Wettervorhersage für drei Tage von ihnen forderte und dann während der Woche prüfte, wie weit sie eintraf. Am Donnerstag, dem 1. Juni, dem Tag, bevor die Kriegsschiffe in Scapa Flow an der Nordwestspitze Schottlands in See stechen sollten, kündigten die Wetterstationen Tiefdruckgebiete über dem Nordatlantik an. Schwere See im Ärmelkanal konnte die Landungsboote überrollen. An ihre Wirkung auf die Soldaten, die dort dicht gedrängt saßen, mochte man gar nicht denken. Tief hängende Wolken und schlechte Sicht bildeten ein weiteres Risiko, denn die Landung hing davon ab, ob es Luftwaffe und Marine der Alliierten gelingen würde, die Geschütz- und Verteidigungsstellungen der Deutschen an der normannischen Küste auszuschalten. Das Einschiffen der 130 000 Mann der ersten Angriffswelle war in vollem Gange und sollte in zwei Tagen abgeschlossen sein.
Stagg hatte sich damit herumzuschlagen, dass sich die verschiedenen Wetterdienste von Briten und Amerikanern nicht einigen konnten. Zwar erhielten sie alle gleichlautende Meldungen von den Wetterstationen, aber in ihrer Analyse der Daten stimmten sie nicht überein. Da Stagg diese Differenzen nicht eingestehen konnte, musste er Major General Harold R. Bull, Eisenhowers stellvertretendem Stabschef, sagen, dass »die Situation komplex und schwierig« sei.
»Um Himmels willen, Stagg!«, rief Bull aufgeregt. »Klären Sie das, bevor Sie morgen früh auf der Besprechung des Oberbefehlshabers erscheinen. General Eisenhower macht sich große Sorgen.« Stagg ging zu seiner Nissenhütte zurück, um sich in die Karten zu vertiefen und dann noch einmal mit den verschiedenen Diensten zu sprechen.
Für Eisenhower gab es noch mehr Gründe, einen »Vor-D-Day-Koller« zu haben.2 Äußerlich wirkte er entspannt, zeigte jedem, unabhängig von Rang und Namen, sein berühmtes offenes Lächeln, rauchte aber vier Schachteln Camel am Tag. Er zündete eine Zigarette an, legte sie glimmend in einen Aschenbecher, sprang auf, lief hin und her und nahm die nächste. Dass er fortwährend Kaffee trank, tat seinen Nerven auch nicht gerade gut.
Die Invasion zu verschieben war in mehrfacher Hinsicht riskant. Man konnte die 175 000 Soldaten der ersten beiden Angriffswellen bei diesem Seegang nicht in ihren Schiffen und Landungsbooten eingepfercht lassen, ohne dass ihnen der Kampfgeist abhanden kam. Die Kriegsschiffe und Geleitzüge, die bereits längs der britischen Küste in den Kanal einliefen, konnten nicht mehr als einmal zurückbeordert werden, ohne neu auftanken zu müssen. Das aber gab den deutschen Aufklärungsflugzeugen weitaus größere Chancen, sie zu orten.
Die Geheimhaltung stellte ohnehin das größte Problem dar. Weite Teile der Südküste Englands waren bestückt mit lang gestreckten Feldlagern, auch »Würste« genannt, in denen die Landungstruppen von jedem Kontakt mit der Außenwelt abgeschnitten sein sollten. So manchem Soldaten gelang es dennoch, unter dem Stacheldraht hindurchzuschlüpfen, um im nächsten Pub einen letzten Drink zu nehmen oder rasch noch einmal die Frau oder Geliebte aufzusuchen. So gab es auf allen Ebenen zahllose Möglichkeiten, dass etwas durchsickerte. Ein General der US-Luftwaffe war bereits nach Hause geschickt worden, weil er das Datum von »Operation Overlord« auf einer Cocktailparty in Claridges ausgeplaudert hatte. Nun wuchs auch die Befürchtung, dass es auffallen könnte, wenn einige britische Journalisten, die die Landungstruppen begleiten sollten, nicht in der Fleet Street auftauchten.
Jeder in Großbritannien wusste, dass D-Day bevorstand. Das war auch den Deutschen bekannt. Aber man wollte verhindern, dass der Gegner erfuhr, wo und wann genau die Landung erfolgen sollte. Die Post- und Fernmeldeverbindungen der ausländischen Diplomaten wurden vom 17. April an mit einer Zensur belegt und jede Bewegung an den Grenzen des Landes streng kontrolliert. Glücklicherweise waren dem britischen Security Service alle deutschen Agenten im Lande ins Netz gegangen. Die meisten hatte man umgedreht, sodass sie nun Falschinformationen an ihre Führungsoffiziere sandten. Dieses »Doppel-X-System«, benannt nach seinem Führungsorgan »XX Committee«, sollte starke »Störgeräusche« erzeugen, die einen wichtigen Teil des »Plans Fortitude« bildeten. Der war das kühnste Ablenkungsmanöver in der Kriegsgeschichte. Er übertraf sogar den »Plan Maskirowka« [Tarnung], den die Rote Armee zu jener Zeit vorbereitete, um den Gegner über das Ziel von »Operation Bagration«, Stalins Sommer- offensive, zu täuschen, mit der er die Heeresgruppe Mitte der Wehrmacht in Weißrussland einkreisen und zerschlagen wollte.
»Fortitude« gliederte sich in mehrere Teile. »Fortitude North«, der auf imaginären Einheiten in Schottland als Bestandteile einer britischen »4. Armee « beruhte, sollte einen Angriff auf Norwegen vortäuschen, damit die Deutschen ihre Divisionen dort beließen. »Fortitude South« sollte den Deutschen vorgaukeln, Landungen in der Normandie seien Ablenkungsmanöver mit dem Ziel, die deutschen Reserven vom Pas de Calais, der Straße von Dover, abzuziehen. Die wirkliche Landung sei angeblich in der zweiten Julihälfte zwischen Boulogne und der Sommemündung vorgesehen. Weiter war von einer fiktiven »1. US-Armeegruppe« unter General George S. Patton jr. die Rede, dem Kommandeur, den die Deutschen am meisten fürchteten. Sie stand angeblich mit elf Divisionen in Südostengland bereit. Flugzeugattrappen und aufblasbare Panzer, dazu 250 vorgetäuschte Landungsschiffe sollten diese Illusion erzeugen. Frei erfundene Einheiten, zum Beispiel eine britische »2. Luftlandedivision«, hatte man unter die echten gemischt. Das Bild vervollständigten die Stäbe zweier fiktiver Korps, die in ständigem Funkverkehr miteinander standen.
Einer der wichtigsten Doppelagenten, den der britische Geheimdienst für »Fortitude South« einsetzte, war der Katalane Juan Pujol, Deckname »Garbo«.4 Gemeinsam mit seinem Führungsoffizier knüpfte er ein Netz von 27 frei erfundenen Agenten, die die deutsche Residentur in Madrid mit in London fabrizierten Informationen fütterten. In den Tagen vor D-Day funkten sie mehr als 500 Nachrichten. Sie enthielten Einzelheiten, aus denen sich nach und nach das Bild formte, mit dem das XX Committee bei den Deutschen den Eindruck erwecken wollte, der Hauptangriff sei später im Raum des Pas de Calais zu erwarten.
Daneben wurden weitere Täuschungsmanöver erdacht, um die Deutschen zu manipulieren, keine Einheiten aus anderen Teilen Frankreichs in die Normandie zu verlegen. So sollte »Plan Ironside«5 den Eindruck erwecken, zwei Wochen nach den ersten Landungen sei ein zweiter Angriff auf die französische Westküste geplant, der direkt von US-Gebiet und den Azoren ausgehen sollte. Um die Deutschen zu verwirren und davon abzuhalten, die bei Bordeaux stehende 11. Panzerdivision in die Normandie zu beordern, setzte eine in England hochgenommene Agentin mit Codenamen »Bronx«6 an ihren deutschen Führungsoffizier in der Lissaboner Banco Espirito Santo eine verschlüsselte Nachricht folgenden Wortlauts ab: »Schi cken Sie rasch fünfzig Pfund. Ich benötige sie für meinen Zahnarzt.« Im Klartext hieß das, dass um den 15. Juni eine Landung im Golf von Biskaya zu erwarten sei. Die deutsche Luftwaffe, die nun fürchtete, diese werde in der Bretagne erfolgen, ordnete die sofortige Zerstörung von vier Fliegerhorsten in Küstennähe an.7 Eine weitere Täuschungsaktion, »Operation Copperhead«, wurde Ende Mai gestartet. Ein als General Montgomery verkleideter Schauspieler tauchte in Gibraltar und Algier auf, um Planungen für einen Angriff auf die Mittelmeerküste zu suggerieren.
In Bletchley Park, dem Hochsicherheitskomplex 80 Kilometer nordwestlich von London, wo Funksprüche des Gegners entschlüsselt wurden, hatte man am 22. Mai ein eigenes Informationssystem für »Operation Overlord« neu in Betrieb genommen. Die Experten saßen in Bereitschaft, um jede Nachricht von Interesse auf der Stelle zu entschlüsseln und weiterzugeben. Dank der nach dem System »Ultra« entzifferten abgefangenen Funksprüche waren die Alliierten in der Lage nachzuprüfen, wie sich die von den wichtigsten Doppelagenten des XX Committee, Pujol, Dusko Popov (»Tricycle«) und Roman Garby-Czerniawski gestreuten Falschinformationen auswirkten. Am 22. April wurde in Bletchley eine deutsche Nachricht entschlüsselt, in der tatsächlich von einer »4. Armee« mit Stab bei Edinburgh und zwei dazugehörigen Korps in Stirling und Dundee« die Rede war. Andere Funksprüche besagten, dass die Deutschen wirklich glaubten, die »Lowland-Division« werde gerade für einen Angriff gegen Norwegen ausgerüstet.
Mit Hilfe von »Ultra« wurde auch aufgedeckt, dass die Deutschen im Mai eine Übung abgehalten hatten, die davon ausging, dass die Landung der Aliierten zwischen Ostende und Boulogne erfolgen werde. Schließlich konnte Bletchley am 2. Juni berichten: »Jüngste Informationen lassen annehmen, dass Gegner alle Vorbereitungen Alliierter für abgeschlossen hält. Erwartet erste Landungen in Normandie oder Bretagne, gefolgt von Hauptaktion am Pas de Calais.«9 Offenbar hatten die Deutschen »Plan Fortitude « tatsächlich geschluckt.
Am 2. Juni frühmorgens ging Eisenhower zu einem Wohnwagen hinüber, der im Park von Southwick unter Tarnnetzen abgestellt worden war. Er nannte ihn »meinen Zirkuswagen«, und wenn er nicht gerade Besprechungen abhielt oder Truppen besuchte, dann entspannte er sich dort in seiner Koje bei Zigaretten und Wildwestromanen.
An jenem Freitag 10.00 Uhr morgens trug Stagg in der Bibliothek von Southwick House Eisenhower und den anderen versammelten Oberbefehlshabern seine neueste Beurteilung der Wetterlage vor. Da es unter seinen Kollegen nach wie vor Meinungsverschiedenheiten gab und insbesondere die amerikanischen Meteorologen von SHAEF für seinen Geschmack zu optimistisch waren, konnte er nur sehr allgemein bleiben. Stagg wusste, dass er bei der Abendbesprechung eine klare Meinung zur Verschlechterung der Wetterverhältnisse über das Wochenende zu äußern hatte. Die Entscheidung, ob man mit der Operation fortfahren oder sie verschieben sollte, stand unmittelbar bevor.
Bei dieser Besprechung schlug Air Chief Marshal Sir Trafford Leigh- Mallory, der Oberbefehlshaber der Alliierten Expeditions-Luftstreitkräfte, vor, »einen Streifen bombardierter Straßen durch Städte und Dörfer zu legen, um die Bewegungen feindlicher Einheiten zu verhindern oder zu erschweren «. Allerdings ergab sich daraus die Frage, ob dies »angesichts der damit verbundenen zivilen Opfer« möglich sei. Eisenhower erklärte sein Einverständnis mit diesem »operativen Erfordernis«. Man beschloss, Flugblätter abzuwerfen, um die Bevölkerung zu warnen.
Das Schicksal der französischen Zivilbevölkerung war nur eine von Eisenhowers zahlreichen Sorgen. Als Oberbefehlshaber der gesamten Operation musste er politische und persönliche Rivalitäten ausgleichen und dabei zugleich seine Autorität unter allen Verbündeten wahren. Field Marshal Sir Alan Brooke, der Chef des britischen Generalstabs, und General Sir Bernard Montgomery, der Oberbefehlshaber der britischen 21. Armeegruppe, mochten ihn persönlich sehr, hielten aber nicht viel von ihm als Militär. »Zweifellos tut Ike, was er kann, für ein bestmögliches Verhältnis zwischen Briten und Amerikanern«, schrieb Brooke in sein Tagebuch. »Aber es ist auch klar, dass er nichts von Strategie versteht und, was die Kriegführung betrifft, für den Posten des Oberbefehlshabers sehr ungeeignet ist.«
»Montys« Urteil über Eisenhower nach dem Krieg fiel wie immer kurz und bündig aus: »Ein netter Kerl, aber kein Soldat.«
Damit wurden ihm beide Generäle eindeutig nicht gerecht. Bei allen Grundsatzentscheidungen zum Einmarsch in der Normandie bewies Eisenhower sehr gutes Urteilsvermögen, und mit seinem diplomatischen Geschick hielt er das zänkische Bündnis zusammen. Allein das war eine beachtliche Leistung. Brooke musste später einräumen, dass »die nationale Brille den Blick auf die strategische Landschaft verstellt«. Und niemand, nicht einmal General George S. Patton, war so schwierig im Umgang wie »Monty«, der seinem Oberbefehlshaber wenig Respekt entgegenbrachte. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er Eisenhower angeknurrt, weil der in seiner Gegenwart rauchte. Eisenhower war über solche Dinge erhaben, aber viele seiner amerikanischen Untergebenen meinten, er solle die Briten härter anfassen.
General Montgomery, der als Berufsmilitär und erstklassiger Truppenausbilder über hohe Qualitäten verfügte, legte andererseits eine unsägliche Arroganz an den Tag, die wahrscheinlich von einem gewissen Minderwertigkeitskomplex herrührte. Über sein berühmtes Barett hatte er im Februar zum Privatsekretär von König George VI. gesagt: »Mein Hut ist drei Divisionen wert. Die Männer sehen ihn schon von Weitem. Sie sagen: ›Da ist Monty!‹ Und dann gehen sie auf jeden Gegner los.« Er war auf fast lächerliche Weise von sich eingenommen. Die Amerikaner glaubten nicht als Einzige, dass sein Ruf von einer britischen Fan-Presse künstlich aufgeblasen werde. »Monty«, so Basil Liddell Hart, »ist bei Zivilisten möglicherweise viel beliebter als bei Soldaten.«
Montgomery war ein begnadeter Selbstdarsteller, dem es in der Regel gelang, seinen Truppen Selbstvertrauen einzuflößen. Ausnahmen bestätigten allerdings die Regel. Als er zum Beispiel im Februar 1944 der Durham Light Infantry verkündete, sie werde in der ersten Welle an Land gehen, war ein lautes Stöhnen die Antwort. Die Männer, die direkt von den Kämpfen im Mittelmeerraum kamen und kaum Heimaturlaub gehabt hatten, waren der Meinung, jetzt seien andere Divisionen, die noch nie die britischen Inseln verlassen hatten, an der Reihe. »Wieder die Durhams«, hieß es. »Immer sind die Durhams die Blöden.« Als Montgomery abfuhr, sollte die gesamte Truppe an der Straße stehen und ihn verabschieden, aber nicht ein Mann tauchte auf. Das brachte den höheren Offizieren beträchtlichen Ärger ein.
»Monty« wollte die neu aufgestellten Divisionen unbedingt durch erfahrene Truppen verstärken, aber die Veteranen, die er in den Wüsten Nordafrikas befehligt hatte, hegten große Vorbehalte gegen diese Pläne. Sie hatten bis zu vier Jahre in verschiedenen Ländern gekämpft und vertraten nun den Standpunkt, dass jetzt insbesondere jene Divisionen, welche sich noch auf keinem Kriegsschauplatz hatten bewähren müssen, die Kastanien aus dem Feuer holen sollten. Mehrere Regimenter der ehemaligen 8. Armee hatten seit sechs Jahren die Heimat nicht gesehen, eines oder zwei sogar noch längere Zeit. Ihr Groll wurde von Frauen und Bräuten zu Hause genährt.
Auch bei der 1. US-Division, als »Big Red One« bekannt, murrte man, als sie erneut bei einer Landungsoperation die Spitze übernehmen sollte. Aber ihre Erfahrungen wurden dringend gebraucht. Denn in einem Evaluierungsbericht vom 8. Mai waren fast alle übrigen amerikanischen Einheiten, die für das Landungsunternehmen vorgesehen waren, als »ungenügend « eingestuft worden. Nun wurden hohe US-Offiziere eingesetzt, und die letzten Wochen intensiven Trainings zahlten sich aus. Die beträchtlichen Verbesserungen waren eine Ermutigung für Eisenhower, der sich insgeheim zu dem Entschluss beglückwünschte, die Landung um einen Monat auf Anfang Juni verschoben zu haben.
In der Kommandostruktur der Alliierten gab es weitere Spannungen. Eisen howers Stellvertreter als Oberbefehlshaber, Air Chief Marshal Sir Arthur Tedder, konnte Montgomery nicht ausstehen, war aber seinerseits Winston Churchill zutiefst unsympathisch. General Omar Bradley, der die
1. US-Armee befehligte und aus einer armen Farmerfamilie im Bundesstaat Missouri kam, wirkte mit seinem bäuerlichen Auftreten und seiner Kassenbrille nicht gerade wie ein schneidiger Offizier. Aber er war »pragmatisch, gelassen, ohne offensichtliche Ambitionen, etwas langsam, weder auffallend noch großtuerisch und nicht leicht aus der Ruhe zu bringen«. Er war ein kluger Kommandeur, dem es vor allem darum ging, seinen Auftrag zu erfüllen. Montgomery behandelte er mit Respekt, aber die beiden Männer konnten verschiedener nicht sein. Bradley kam mit Eisenhower sehr gut aus, teilte aber nicht die Geduld seines Chefs mit dem völlig unberechenbaren George Patton. Der Mann aus Missouri konnte sein tiefes Misstrauen gegen diesen exzentrischen Panzergeneral aus den Südstaaten kaum verhehlen. Patton, ein gottesfürchtiger und zugleich höchst profaner Mann, hatte Spaß daran, provozierende Reden an seine Truppen zu halten. »Ich sage euch, vergesst nicht«, erklärte er einmal, »dass noch nie ein Bastard einen Krieg gewonnen hat, weil er für sein Land sterben wollte. Man gewinnt ihn, indem man den anderen verdammten Bastard für sein Land sterben lässt.« Ohne Eisenhowers Rückendeckung in kritischen Situationen hätte Patton zweifellos keine Chance gehabt, sich in dem bevorstehenden Feldzug einen Namen zu machen. Dass es Eisenhower gelang, eine so buntscheckige Truppe zusammenzuhalten, war eine außerordentliche Leistung.
Den jüngsten Streit, der gänzlich auf den »Vor-D-Day-Koller« zurückzuführen war, hatte Air Chief Marshal Leigh-Mallory ausgelöst. Leigh- Mallory, der »jeden ärgerte« und es sogar schaffte, Eisenhower gegen sich aufzubringen, war plötzlich der Meinung, die beiden US-Luftlandedivisionen, die auf der Halbinsel Cotentin abgesetzt werden sollten, würden dort sofort niedergemetzelt werden. Wiederholt verlangte er daher, dieses Schlüsselelement, mit dem die westliche Flanke von »Unternehmen Overlord « geschützt werden sollte, zu streichen. Eisenhower forderte Leigh- Mallory auf, ihm seine Bedenken schriftlich mitzuteilen, was dieser auch tat. Nach sorgfältiger Prüfung wies Eisenhower das Ansinnen mit voller Unterstützung Montgomerys zurück.
Trotz seiner Nervosität und der übergroßen Verantwortung, die auf ihm lastete, nahm Eisenhower die Dinge philosophisch. Da er nun einmal dazu bestimmt war, in letzter Instanz zu entscheiden, stellte er sich dieser Aufgabe und war bereit, die Folgen zu tragen. Die schwerste Entscheidung, das wusste er nur zu gut, stand unmittelbar bevor. Von ihm hing buchstäblich das Leben vieler Tausender seiner Soldaten ab. Ohne auch nur seine engsten Mitarbeiter einzuweihen, verfasste Eisenhower eine kurze Notiz für den Fall, dass das Unternehmen scheitern sollte: »Bei unseren Landungsoperationen im Gebiet von Cherbourg-Le Havre ist es nicht gelungen, einen starken Landekopf zu bilden, und ich habe daher die Truppen zurückgezogen. Mein Entschluss, zu dieser Zeit und in diesem Abschnitt anzugreifen, beruhte auf den bestmöglichen Informationen. Die Land-, See- und Luftstreitkräfte haben mit großer Tapferkeit und Hingabe ihre Pflicht erfüllt. Wenn das Missglücken der Landungsoperationen auf irgendeinen Fehler zurückzuführen ist, so kann er nur mir zugeschrieben werden.«
Zwar konnten weder Eisenhower noch Bradley es zugeben, aber die schwierigste der fünf Landungszonen würde »Omaha Beach« sein. Dieses Ziel für die 1. und die 29. US-Infanteriedivision war von einem britischen Team der Combined Operations Beach Reconnaissance (COPP) und der Assault Pilotage Parties genauestens aus der Luft erkundet worden. In der zweiten Januarhälfte hatte ein bewaffneter Fischdampfer das Klein-U- Boot X-20 dicht vor die normannische Küste bugsiert. General Bradley hatte darum gebeten, dass COPP nach der Aufklärung der für die britischen und kanadischen Truppen vorgesehenen Strände auch »Omaha« untersuchen sollte, um sicherzugehen, dass der Boden fest genug für Panzer war. Captain [Hauptmann] Scott-Bowden von den Pioniertruppen und Sergeant [Feldwebel] Bruce Ogden-Smith von der Special Boat Section schwammen, nur mit Kampfmesser und einem 45er Colt Automatic bewaffnet, an Land. Sie hatten einen 18-Zoll-Erdbohrer und einen Patronengurt mit kleinen Behältern für Bodenproben bei sich. Der Wasserstand war ungewöhnlich niedrig. Beinahe wären sie von deutschen Wachtposten entdeckt worden.
Am Tag nach seiner Rückkehr wurde Scott-Bowden von einem Rear Admiral [Konteradmiral] nach London befohlen. Er traf direkt nach dem Mittagessen in Eisenhowers Hauptquartier, Norfolk House am Saint James's Square, ein. In einem lang gestreckten Speisezimmer mit verhängten Karten an den Wänden sah er sich sechs Admirälen und fünf Generälen, darunter General Bradley, gegenüber. Bradley befragte ihn eingehend über die Tragfähigkeit der Strände. »Sir, ich hoffe, Sie nehmen mir nicht übel, dass ich das sage«, äußerte Scott-Bowden, schon im Gehen, »aber dieser Strand ist ein äußerst schwieriges Gelände. Dort wird es ganz gewiss enorme Verluste geben.« Bradley legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Ich weiß, mein Junge, ich weiß.« »Omaha« war der einzig mögliche Landungsabschnitt zwischen dem britischen Sektor zur Linken und der Landungszone »Utah« zur Rechten.
Als die Landungstruppen zur Einschiffung abmarschierten, eilten die Menschen herbei, um sie zu verabschieden. »Als wir gingen«, schrieb ein junger Angehöriger einer amerikanischen Pioniereinheit, der bei einer englischen Familie untergebracht war, »weinten [sie] so, als wären sie unsere Eltern. Wir waren sehr gerührt. Die Öffentlichkeit schien ziemlich genau zu wissen, was da vorging.«
Es war gar nicht möglich, die Dinge geheim zu halten. »Als wir durch Southampton kamen«, schrieb ein britischer Panzersoldat, »wurden wir wunderbar willkommen geheißen. Wenn unsere Fahrzeuge halten mussten, brachten uns die Leute Tee und Kuchen - sehr zur Verwirrung der Militärpolizisten, die die Kolonne begleiteten und strengen Befehl hatten, jeden Kontakt zwischen Zivilisten und Soldaten zu unterbinden.«
Die meisten Soldaten saßen auf Militärfahrzeugen, aber einige britische Einheiten marschierten zu Fuß. Ihre beschlagenen Stiefel knallten im Gleichschritt auf das Pflaster. Alte Leute, die aus ihren Vorgärten häufig mit feuchten Augen zusahen, mussten daran denken, wie die Väter dieser jungen Männer in die Schützengräben von Flandern gezogen waren. Die Helme sahen immer noch ähnlich aus, aber die Felduniformen waren anders. Die Soldaten trugen auch keine Gamaschen mehr. Stattdessen hatten sie Drillichmanschetten, die aus demselben Material hergestellt waren wie Koppel, Schultergurt, Munitionstasche und Tornister. Gewehr und Bajonett hatten sich ebenfalls verändert, aber das war kaum zu erkennen.
Die Soldaten spürten, dass D-Day nicht mehr weit sein konnte, als sie noch einmal 24 Stunden Ausgang bekamen. Für weniger motivierte Gemüter war das die letzte Gelegenheit, sich von ihrer Einheit abzusetzen oder sich nur noch einmal zu betrinken. In diesen Tagen waren nicht wenige Soldaten verschwunden, aber nur Einzelfälle konnten als echte Desertion gelten. Die meisten kehrten »zu ihren Kameraden« zurück, als die Offensive bereits im Gange war. Pragmatisch eingestellte Offiziere wollten keinen Mann an das Militärgefängnis verlieren. Sie überließen es dem Einzelnen, sich im Gefecht zu bewähren.
Den Soldaten entging nicht, dass sich ihre Offiziere plötzlich viel mehr um sie kümmerten. In geschlossenen Einheiten wurden Filme gezeigt. Bier floss reichlich, und aus den Lautsprechern dudelte Tanzmusik. Zyniker stellten fest, dass die Quartiermeister plötzlich sehr großzügig wurden, was nichts Gutes verhieß. Der Lyriker Keith Douglas, der damals als 24-jähriger Captain bei den Sherwood Rangers Yeomanry diente, schrieb an Edmund Blunden, den Dichter des vorherigen Krieges: »Ich bin für das Schlachten herausgefüttert worden und warte darauf, dass es jetzt endlich losgeht.« Douglas gehörte zu den Männern, die den sicheren Tod erwarteten und mit ihren besten Freunden auch darüber sprachen. Es ist erstaunlich, wie viele damit recht hatten. Vielleicht gerieten aber Vorahnungen wie diese auch zu selbsterfüllenden Prophezeiungen. Am letzten Sonntag ging Douglas zu einer kirchlichen Prozession. Danach sprach er noch mit dem Regimentsgeistlichen, der notierte, Douglas habe sich mit dem nahen Tod abgefunden und sei frei von Furcht. Ein Offizierskamerad meinte, er sei so fatalistisch eingestellt, weil er glaubte, er habe das ihm zustehende Quäntchen Glück bereits im Wüstenkrieg aufgebraucht.
Nahezu jeder hatte das Warten satt und wollte, dass es endlich vorbei sein möge. »Alle sind angespannt, tun aber ganz locker«, meinte ein amerikanischer Infanterist. »Angeben hilft«, fügte er hinzu.26 Viele dachten an ihre Mädchen. Manche hatten noch in aller Eile geheiratet, damit die Frauen wenigstens eine Rente erhielten, sollte es zum Schlimmsten kommen. Ein amerikanischer Soldat kratzte alle seine Ersparnisse zusammen und schickte sie an einen Juwelier. Seine englische Verlobte sollte schon den Trauring für ihre Hochzeit nach seiner Rückkehr aussuchen. Es war eine Zeit starker persönlicher Gefühle. »Die Frauen, die gekommen waren, um ihre Männer zu verabschieden«, schrieb eine Journalistin kurz zuvor, »laufen jeweils bis zum Ende des Bahnsteigs mit, wenn der Zug abfährt, winken und haben ein perfektes Lächeln aufgesetzt.«
Einige wenige wurden mit der Belastung nicht fertig. »Eines Nachts«, berichtete ein Mitglied der 1. US-Infanteriedivision, »hängte sich einer der Soldaten zwei Patronengurte um, nahm seine Handgranaten, packte das Gewehr und lief los. Niemand hatte etwas bemerkt. Als sie ihn dann vermissten, wurde ein Suchtrupp ausgeschickt. Als man ihn fand, weigerte er sich mitzukommen und wurde erschossen. Wir wissen nicht, ob er nicht am Strand sterben wollte oder ob er ein Spion war. Was er tat, war einfach bescheuert. Nun musste er sterben, sonst möglicherweise nicht.« Vielleicht hatte er eine Vorahnung, was sie an »Omaha Beach« erwartete.
Während Panzer und Truppen an jenem Freitagabend auf die Transportschiffe verladen wurden, telefonierte Group Captain Stagg über sichere Leitungen noch einmal mit den anderen meteorologischen Zentren. Bei der Kommandeursbesprechung, die um 21.30 Uhr begann, musste er eine eindeutige Wetterprognose präsentieren. Aber nach wie vor waren er und seine Kollegen sich nicht einig. »Wären nicht die möglichen tragischen Folgen gewesen, hätte man das Ganze als lächerlich abtun können. In einer knappen halben Stunde erwartete man von mir, General Eisenhower eine ›abgestimmte‹ Vorhersage für die kommenden fünf Tage vorzulegen, während der die größte militärische Operation aller Zeiten in Gang gesetzt wurde. Aber unter all den Experten, die an der Diskussion beteiligt waren, sagte jeder schon für die nächsten 24 Stunden ein anderes Wetter voraus.«
Sie debattierten und stritten, bis die Zeit hierfür abgelaufen war. Stagg lief danach zur Bibliothek im Hauptgebäude, um den höchsten Kommandeuren von »Overlord« seinen Bericht vorzulegen.
»Also, Stagg«, fragte Eisenhower. »Was haben Sie uns diesmal mitgebracht? «
Stagg glaubte, er müsse seinem Instinkt folgen und die optimistischere Sicht seiner amerikanischen Kollegen von Bushey Park beiseitelassen. »Die Großwetterlage von den Britischen Inseln bis nach Neufundland hat sich in den letzten Tagen umgestellt und steckt jetzt voller potenzieller Gefahren.« Während er in die Einzelheiten ging, blickten mehrere der hohen Offiziere ziemlich irritiert durch die Fenster auf den prächtigen Sonnenuntergang.
Es folgten Erkundigungen zum Wetter für das Absetzen der Luftlandetruppen. Dann wollte Eisenhower genauer wissen, welche Bedingungen am 6. und am 7. Juni zu erwarten seien. Nach dieser Frage trat laut Tedder eine beträchtliche Pause ein. »Wenn ich darauf eine Antwort gäbe, Sir«, sagte Stagg schließlich, »müsste ich rätseln. Das wäre Ihres meteorologischen Beraters aber nicht würdig.« Stagg und sein amerikanischer Kollege Colonel D. N. Yates verließen den Raum. Bald darauf erschien General Bull und teilte ihnen mit, in den kommenden 24 Stunden werde an den Plänen nichts geändert. Als die beiden Männer zu ihren Schlafzelten zurückkehrten, wussten sie, dass die ersten Schiffe ihre Ankerplätze bereits verlassen hatten. Stagg musste an den makabren Witz denken, den Lieutenant General Sir Frederick Morgan, der ursprüngliche Chefplaner von »Overlord«, sich mit ihm erlaubt hatte: »Viel Glück, Stagg. Mögen all Ihre Tiefdruckgebiete schön klein sein. Aber denken Sie daran, wenn Sie die Vorzeichen nicht richtig deuten, dann knüpfen wir Sie am nächsten Laternenpfahl auf.«
Am nächsten Morgen - es war Samstag, der 3. Juni - konnten die Nachrichten kaum schlechter sein. Die Wetterstation von Blacksod Point in Westirland hatte soeben rasch fallenden Luftdruck und Windstärke sechs gemeldet. Stagg wurde »geradezu körperlich übel«, wenn er die Wetterkarten betrachtete und sah, wie unterschiedlich die einzelnen Teams nach wie vor die Daten analysierten. Am Abend um 21.30 Uhr waren er und Yates wieder gefragt. Als sie in die Bibliothek kamen, standen keine Bücher mehr in den Regalen. Armsessel waren im Halbkreis aufgestellt. Die Oberbefehlshaber saßen in der ersten Reihe, dahinter ihre Stabschefs und die nachgeordneten Kommandeure. Eisenhower, der Chef seines Stabes, General Walter Bedell Smith, und Tedder hatten in drei Sesseln gegenüber den anderen Zuhörern Platz genommen.
»Gentlemen«, begann Stagg seinen Vortrag. »Die Befürchtungen, die meine Kollegen und ich gestern über das Wetter für die nächsten drei, vier Tage äußerten, haben sich bestätigt.« Dann ging er in die Einzelheiten seiner Vorhersage. Es war ein trübes Bild von schwerer See, von Windböen bis Stärke 6 und tief hängenden Wolken. »Während meines ganzen Vortrags «, schrieb Stagg später, »saß General Eisenhower ohne jede Bewegung da. Den Kopf leicht in eine Hand gestützt, blickte er mich unverwandt an. Alle Anwesenden im Raum schienen zeitweilig wie benommen.« Es konnte nicht überraschen, dass sich Eisenhower gezwungen sah, für den Moment eine Verschiebung der Operation zu empfehlen.
Eisenhower hatte keine ruhige Nacht. Mittendrin informierte ihn sein Marineadjutant, Commander [Fregattenkapitän] Harry Butcher, Associated Press habe gerade gemeldet: »Eisenhowers Streitkräfte landen in Frankreich. « Obwohl die Agentur die Meldung 23 Minuten später wieder zurückzog, hatten CBS und Radio Moskau sie bereits übernommen. »Er gab eine Art Grunzen von sich«, notierte Butcher in sein Tagebuch.
Nachdem Stagg von der zeitweiligen Verschiebung der ganzen Operation gehört hatte, kam er gegen Mitternacht zu seinem Zelt zurück. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, zwischen den Bäumen nach oben zu schauen und zu sehen, dass »der Himmel völlig klar und alles ringsum still und friedlich war«.35 Stagg versuchte gar nicht erst zu schlafen. Bis in die frühen Morgenstunden hielt er die vorangegangenen Diskussionen in allen Einzelheiten fest. Die Vorhersage wurde nicht besser. Dabei blieb draußen alles ruhig.
Auf einer weiteren Besprechung am Sonntag, dem 4. Juni, um 16.15 Uhr entschied Eisenhower, die vorläufig festgelegte Verschiebung um 24 Stunden werde beibehalten. Ohne maximale Luftunterstützung waren die Risiken zu groß. Es erging Befehl, die Schiffskonvois zurückzubeordern. Zerstörer stachen mit Höchstgeschwindigkeit in See, um Landungsboote, die nicht per Funk erreichbar waren, zu stoppen und zurückzugeleiten.
Stagg, der sich zu dieser Zeit erschöpft niedergelegt hatte, war beim Erwachen völlig konsterniert, als er feststellen musste, dass der Himmel immer noch klar war und nur schwacher Wind wehte. Beim Frühstück konnte er den Offizieren nicht ins Gesicht sehen. Während des Tages schämte er sich dann fast für seine Erleichterung, als von Westen Wolken aufzogen und der Wind zunahm.
An diesem Sonntag stellten sich Fragen ohne Ende. Zehntausende Männer konnten doch nicht tatsächlich auf den Landungsbooten eingepfercht bleiben? Was sollte mit den Schiffen geschehen, die bereits unterwegs waren und nun wieder zurückbeordert wurden? Sie mussten neu betankt werden. Wenn das schlechte Wetter anhielt, kam man mit den Gezeiten durcheinander. Sollte sich die Lage binnen 48 Stunden nicht bessern, dann blieb nichts anderes übrig, als »Overlord« um zwei Wochen zu verschieben. So lange war die Sache wohl kaum geheim zu halten, von den verheerenden Auswirkungen auf die Moral der Truppe ganz abgesehen.
© der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Südengland hatte gerade eine Hitzewelle hinter sich, die mit großer Trockenheit einherging. Am 29. Mai war das Thermometer auf fast 38 Grad Celsius geklettert. Im Meteorologenteam, das in der Befehlszentrale von Ge neral Dwight D. Eisenhowers Hauptquartier seinen Dienst versah, wurde man langsam unruhig. Die Gruppe stand unter der Leitung von Dr. James Stagg, einem hochgewachsenen, schlaksigen Schotten mit hageren Gesichtszügen und gepflegtem Schnurrbart. Stagg, der führende Meteorologe des Landes, war gerade zum Group Captain [Oberst] der Royal Air Force (RAF) ernannt worden, um ihm unter den Militärs, die Außenseiter nicht gewöhnt waren, die nötige Autorität zu verleihen.
Seit April hatte Eisenhower Stagg und dessen Gruppe getestet, indem er jeden Montag eine Wettervorhersage für drei Tage von ihnen forderte und dann während der Woche prüfte, wie weit sie eintraf. Am Donnerstag, dem 1. Juni, dem Tag, bevor die Kriegsschiffe in Scapa Flow an der Nordwestspitze Schottlands in See stechen sollten, kündigten die Wetterstationen Tiefdruckgebiete über dem Nordatlantik an. Schwere See im Ärmelkanal konnte die Landungsboote überrollen. An ihre Wirkung auf die Soldaten, die dort dicht gedrängt saßen, mochte man gar nicht denken. Tief hängende Wolken und schlechte Sicht bildeten ein weiteres Risiko, denn die Landung hing davon ab, ob es Luftwaffe und Marine der Alliierten gelingen würde, die Geschütz- und Verteidigungsstellungen der Deutschen an der normannischen Küste auszuschalten. Das Einschiffen der 130 000 Mann der ersten Angriffswelle war in vollem Gange und sollte in zwei Tagen abgeschlossen sein.
Stagg hatte sich damit herumzuschlagen, dass sich die verschiedenen Wetterdienste von Briten und Amerikanern nicht einigen konnten. Zwar erhielten sie alle gleichlautende Meldungen von den Wetterstationen, aber in ihrer Analyse der Daten stimmten sie nicht überein. Da Stagg diese Differenzen nicht eingestehen konnte, musste er Major General Harold R. Bull, Eisenhowers stellvertretendem Stabschef, sagen, dass »die Situation komplex und schwierig« sei.
»Um Himmels willen, Stagg!«, rief Bull aufgeregt. »Klären Sie das, bevor Sie morgen früh auf der Besprechung des Oberbefehlshabers erscheinen. General Eisenhower macht sich große Sorgen.« Stagg ging zu seiner Nissenhütte zurück, um sich in die Karten zu vertiefen und dann noch einmal mit den verschiedenen Diensten zu sprechen.
Für Eisenhower gab es noch mehr Gründe, einen »Vor-D-Day-Koller« zu haben.2 Äußerlich wirkte er entspannt, zeigte jedem, unabhängig von Rang und Namen, sein berühmtes offenes Lächeln, rauchte aber vier Schachteln Camel am Tag. Er zündete eine Zigarette an, legte sie glimmend in einen Aschenbecher, sprang auf, lief hin und her und nahm die nächste. Dass er fortwährend Kaffee trank, tat seinen Nerven auch nicht gerade gut.
Die Invasion zu verschieben war in mehrfacher Hinsicht riskant. Man konnte die 175 000 Soldaten der ersten beiden Angriffswellen bei diesem Seegang nicht in ihren Schiffen und Landungsbooten eingepfercht lassen, ohne dass ihnen der Kampfgeist abhanden kam. Die Kriegsschiffe und Geleitzüge, die bereits längs der britischen Küste in den Kanal einliefen, konnten nicht mehr als einmal zurückbeordert werden, ohne neu auftanken zu müssen. Das aber gab den deutschen Aufklärungsflugzeugen weitaus größere Chancen, sie zu orten.
Die Geheimhaltung stellte ohnehin das größte Problem dar. Weite Teile der Südküste Englands waren bestückt mit lang gestreckten Feldlagern, auch »Würste« genannt, in denen die Landungstruppen von jedem Kontakt mit der Außenwelt abgeschnitten sein sollten. So manchem Soldaten gelang es dennoch, unter dem Stacheldraht hindurchzuschlüpfen, um im nächsten Pub einen letzten Drink zu nehmen oder rasch noch einmal die Frau oder Geliebte aufzusuchen. So gab es auf allen Ebenen zahllose Möglichkeiten, dass etwas durchsickerte. Ein General der US-Luftwaffe war bereits nach Hause geschickt worden, weil er das Datum von »Operation Overlord« auf einer Cocktailparty in Claridges ausgeplaudert hatte. Nun wuchs auch die Befürchtung, dass es auffallen könnte, wenn einige britische Journalisten, die die Landungstruppen begleiten sollten, nicht in der Fleet Street auftauchten.
Jeder in Großbritannien wusste, dass D-Day bevorstand. Das war auch den Deutschen bekannt. Aber man wollte verhindern, dass der Gegner erfuhr, wo und wann genau die Landung erfolgen sollte. Die Post- und Fernmeldeverbindungen der ausländischen Diplomaten wurden vom 17. April an mit einer Zensur belegt und jede Bewegung an den Grenzen des Landes streng kontrolliert. Glücklicherweise waren dem britischen Security Service alle deutschen Agenten im Lande ins Netz gegangen. Die meisten hatte man umgedreht, sodass sie nun Falschinformationen an ihre Führungsoffiziere sandten. Dieses »Doppel-X-System«, benannt nach seinem Führungsorgan »XX Committee«, sollte starke »Störgeräusche« erzeugen, die einen wichtigen Teil des »Plans Fortitude« bildeten. Der war das kühnste Ablenkungsmanöver in der Kriegsgeschichte. Er übertraf sogar den »Plan Maskirowka« [Tarnung], den die Rote Armee zu jener Zeit vorbereitete, um den Gegner über das Ziel von »Operation Bagration«, Stalins Sommer- offensive, zu täuschen, mit der er die Heeresgruppe Mitte der Wehrmacht in Weißrussland einkreisen und zerschlagen wollte.
»Fortitude« gliederte sich in mehrere Teile. »Fortitude North«, der auf imaginären Einheiten in Schottland als Bestandteile einer britischen »4. Armee « beruhte, sollte einen Angriff auf Norwegen vortäuschen, damit die Deutschen ihre Divisionen dort beließen. »Fortitude South« sollte den Deutschen vorgaukeln, Landungen in der Normandie seien Ablenkungsmanöver mit dem Ziel, die deutschen Reserven vom Pas de Calais, der Straße von Dover, abzuziehen. Die wirkliche Landung sei angeblich in der zweiten Julihälfte zwischen Boulogne und der Sommemündung vorgesehen. Weiter war von einer fiktiven »1. US-Armeegruppe« unter General George S. Patton jr. die Rede, dem Kommandeur, den die Deutschen am meisten fürchteten. Sie stand angeblich mit elf Divisionen in Südostengland bereit. Flugzeugattrappen und aufblasbare Panzer, dazu 250 vorgetäuschte Landungsschiffe sollten diese Illusion erzeugen. Frei erfundene Einheiten, zum Beispiel eine britische »2. Luftlandedivision«, hatte man unter die echten gemischt. Das Bild vervollständigten die Stäbe zweier fiktiver Korps, die in ständigem Funkverkehr miteinander standen.
Einer der wichtigsten Doppelagenten, den der britische Geheimdienst für »Fortitude South« einsetzte, war der Katalane Juan Pujol, Deckname »Garbo«.4 Gemeinsam mit seinem Führungsoffizier knüpfte er ein Netz von 27 frei erfundenen Agenten, die die deutsche Residentur in Madrid mit in London fabrizierten Informationen fütterten. In den Tagen vor D-Day funkten sie mehr als 500 Nachrichten. Sie enthielten Einzelheiten, aus denen sich nach und nach das Bild formte, mit dem das XX Committee bei den Deutschen den Eindruck erwecken wollte, der Hauptangriff sei später im Raum des Pas de Calais zu erwarten.
Daneben wurden weitere Täuschungsmanöver erdacht, um die Deutschen zu manipulieren, keine Einheiten aus anderen Teilen Frankreichs in die Normandie zu verlegen. So sollte »Plan Ironside«5 den Eindruck erwecken, zwei Wochen nach den ersten Landungen sei ein zweiter Angriff auf die französische Westküste geplant, der direkt von US-Gebiet und den Azoren ausgehen sollte. Um die Deutschen zu verwirren und davon abzuhalten, die bei Bordeaux stehende 11. Panzerdivision in die Normandie zu beordern, setzte eine in England hochgenommene Agentin mit Codenamen »Bronx«6 an ihren deutschen Führungsoffizier in der Lissaboner Banco Espirito Santo eine verschlüsselte Nachricht folgenden Wortlauts ab: »Schi cken Sie rasch fünfzig Pfund. Ich benötige sie für meinen Zahnarzt.« Im Klartext hieß das, dass um den 15. Juni eine Landung im Golf von Biskaya zu erwarten sei. Die deutsche Luftwaffe, die nun fürchtete, diese werde in der Bretagne erfolgen, ordnete die sofortige Zerstörung von vier Fliegerhorsten in Küstennähe an.7 Eine weitere Täuschungsaktion, »Operation Copperhead«, wurde Ende Mai gestartet. Ein als General Montgomery verkleideter Schauspieler tauchte in Gibraltar und Algier auf, um Planungen für einen Angriff auf die Mittelmeerküste zu suggerieren.
In Bletchley Park, dem Hochsicherheitskomplex 80 Kilometer nordwestlich von London, wo Funksprüche des Gegners entschlüsselt wurden, hatte man am 22. Mai ein eigenes Informationssystem für »Operation Overlord« neu in Betrieb genommen. Die Experten saßen in Bereitschaft, um jede Nachricht von Interesse auf der Stelle zu entschlüsseln und weiterzugeben. Dank der nach dem System »Ultra« entzifferten abgefangenen Funksprüche waren die Alliierten in der Lage nachzuprüfen, wie sich die von den wichtigsten Doppelagenten des XX Committee, Pujol, Dusko Popov (»Tricycle«) und Roman Garby-Czerniawski gestreuten Falschinformationen auswirkten. Am 22. April wurde in Bletchley eine deutsche Nachricht entschlüsselt, in der tatsächlich von einer »4. Armee« mit Stab bei Edinburgh und zwei dazugehörigen Korps in Stirling und Dundee« die Rede war. Andere Funksprüche besagten, dass die Deutschen wirklich glaubten, die »Lowland-Division« werde gerade für einen Angriff gegen Norwegen ausgerüstet.
Mit Hilfe von »Ultra« wurde auch aufgedeckt, dass die Deutschen im Mai eine Übung abgehalten hatten, die davon ausging, dass die Landung der Aliierten zwischen Ostende und Boulogne erfolgen werde. Schließlich konnte Bletchley am 2. Juni berichten: »Jüngste Informationen lassen annehmen, dass Gegner alle Vorbereitungen Alliierter für abgeschlossen hält. Erwartet erste Landungen in Normandie oder Bretagne, gefolgt von Hauptaktion am Pas de Calais.«9 Offenbar hatten die Deutschen »Plan Fortitude « tatsächlich geschluckt.
Am 2. Juni frühmorgens ging Eisenhower zu einem Wohnwagen hinüber, der im Park von Southwick unter Tarnnetzen abgestellt worden war. Er nannte ihn »meinen Zirkuswagen«, und wenn er nicht gerade Besprechungen abhielt oder Truppen besuchte, dann entspannte er sich dort in seiner Koje bei Zigaretten und Wildwestromanen.
An jenem Freitag 10.00 Uhr morgens trug Stagg in der Bibliothek von Southwick House Eisenhower und den anderen versammelten Oberbefehlshabern seine neueste Beurteilung der Wetterlage vor. Da es unter seinen Kollegen nach wie vor Meinungsverschiedenheiten gab und insbesondere die amerikanischen Meteorologen von SHAEF für seinen Geschmack zu optimistisch waren, konnte er nur sehr allgemein bleiben. Stagg wusste, dass er bei der Abendbesprechung eine klare Meinung zur Verschlechterung der Wetterverhältnisse über das Wochenende zu äußern hatte. Die Entscheidung, ob man mit der Operation fortfahren oder sie verschieben sollte, stand unmittelbar bevor.
Bei dieser Besprechung schlug Air Chief Marshal Sir Trafford Leigh- Mallory, der Oberbefehlshaber der Alliierten Expeditions-Luftstreitkräfte, vor, »einen Streifen bombardierter Straßen durch Städte und Dörfer zu legen, um die Bewegungen feindlicher Einheiten zu verhindern oder zu erschweren «. Allerdings ergab sich daraus die Frage, ob dies »angesichts der damit verbundenen zivilen Opfer« möglich sei. Eisenhower erklärte sein Einverständnis mit diesem »operativen Erfordernis«. Man beschloss, Flugblätter abzuwerfen, um die Bevölkerung zu warnen.
Das Schicksal der französischen Zivilbevölkerung war nur eine von Eisenhowers zahlreichen Sorgen. Als Oberbefehlshaber der gesamten Operation musste er politische und persönliche Rivalitäten ausgleichen und dabei zugleich seine Autorität unter allen Verbündeten wahren. Field Marshal Sir Alan Brooke, der Chef des britischen Generalstabs, und General Sir Bernard Montgomery, der Oberbefehlshaber der britischen 21. Armeegruppe, mochten ihn persönlich sehr, hielten aber nicht viel von ihm als Militär. »Zweifellos tut Ike, was er kann, für ein bestmögliches Verhältnis zwischen Briten und Amerikanern«, schrieb Brooke in sein Tagebuch. »Aber es ist auch klar, dass er nichts von Strategie versteht und, was die Kriegführung betrifft, für den Posten des Oberbefehlshabers sehr ungeeignet ist.«
»Montys« Urteil über Eisenhower nach dem Krieg fiel wie immer kurz und bündig aus: »Ein netter Kerl, aber kein Soldat.«
Damit wurden ihm beide Generäle eindeutig nicht gerecht. Bei allen Grundsatzentscheidungen zum Einmarsch in der Normandie bewies Eisenhower sehr gutes Urteilsvermögen, und mit seinem diplomatischen Geschick hielt er das zänkische Bündnis zusammen. Allein das war eine beachtliche Leistung. Brooke musste später einräumen, dass »die nationale Brille den Blick auf die strategische Landschaft verstellt«. Und niemand, nicht einmal General George S. Patton, war so schwierig im Umgang wie »Monty«, der seinem Oberbefehlshaber wenig Respekt entgegenbrachte. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er Eisenhower angeknurrt, weil der in seiner Gegenwart rauchte. Eisenhower war über solche Dinge erhaben, aber viele seiner amerikanischen Untergebenen meinten, er solle die Briten härter anfassen.
General Montgomery, der als Berufsmilitär und erstklassiger Truppenausbilder über hohe Qualitäten verfügte, legte andererseits eine unsägliche Arroganz an den Tag, die wahrscheinlich von einem gewissen Minderwertigkeitskomplex herrührte. Über sein berühmtes Barett hatte er im Februar zum Privatsekretär von König George VI. gesagt: »Mein Hut ist drei Divisionen wert. Die Männer sehen ihn schon von Weitem. Sie sagen: ›Da ist Monty!‹ Und dann gehen sie auf jeden Gegner los.« Er war auf fast lächerliche Weise von sich eingenommen. Die Amerikaner glaubten nicht als Einzige, dass sein Ruf von einer britischen Fan-Presse künstlich aufgeblasen werde. »Monty«, so Basil Liddell Hart, »ist bei Zivilisten möglicherweise viel beliebter als bei Soldaten.«
Montgomery war ein begnadeter Selbstdarsteller, dem es in der Regel gelang, seinen Truppen Selbstvertrauen einzuflößen. Ausnahmen bestätigten allerdings die Regel. Als er zum Beispiel im Februar 1944 der Durham Light Infantry verkündete, sie werde in der ersten Welle an Land gehen, war ein lautes Stöhnen die Antwort. Die Männer, die direkt von den Kämpfen im Mittelmeerraum kamen und kaum Heimaturlaub gehabt hatten, waren der Meinung, jetzt seien andere Divisionen, die noch nie die britischen Inseln verlassen hatten, an der Reihe. »Wieder die Durhams«, hieß es. »Immer sind die Durhams die Blöden.« Als Montgomery abfuhr, sollte die gesamte Truppe an der Straße stehen und ihn verabschieden, aber nicht ein Mann tauchte auf. Das brachte den höheren Offizieren beträchtlichen Ärger ein.
»Monty« wollte die neu aufgestellten Divisionen unbedingt durch erfahrene Truppen verstärken, aber die Veteranen, die er in den Wüsten Nordafrikas befehligt hatte, hegten große Vorbehalte gegen diese Pläne. Sie hatten bis zu vier Jahre in verschiedenen Ländern gekämpft und vertraten nun den Standpunkt, dass jetzt insbesondere jene Divisionen, welche sich noch auf keinem Kriegsschauplatz hatten bewähren müssen, die Kastanien aus dem Feuer holen sollten. Mehrere Regimenter der ehemaligen 8. Armee hatten seit sechs Jahren die Heimat nicht gesehen, eines oder zwei sogar noch längere Zeit. Ihr Groll wurde von Frauen und Bräuten zu Hause genährt.
Auch bei der 1. US-Division, als »Big Red One« bekannt, murrte man, als sie erneut bei einer Landungsoperation die Spitze übernehmen sollte. Aber ihre Erfahrungen wurden dringend gebraucht. Denn in einem Evaluierungsbericht vom 8. Mai waren fast alle übrigen amerikanischen Einheiten, die für das Landungsunternehmen vorgesehen waren, als »ungenügend « eingestuft worden. Nun wurden hohe US-Offiziere eingesetzt, und die letzten Wochen intensiven Trainings zahlten sich aus. Die beträchtlichen Verbesserungen waren eine Ermutigung für Eisenhower, der sich insgeheim zu dem Entschluss beglückwünschte, die Landung um einen Monat auf Anfang Juni verschoben zu haben.
In der Kommandostruktur der Alliierten gab es weitere Spannungen. Eisen howers Stellvertreter als Oberbefehlshaber, Air Chief Marshal Sir Arthur Tedder, konnte Montgomery nicht ausstehen, war aber seinerseits Winston Churchill zutiefst unsympathisch. General Omar Bradley, der die
1. US-Armee befehligte und aus einer armen Farmerfamilie im Bundesstaat Missouri kam, wirkte mit seinem bäuerlichen Auftreten und seiner Kassenbrille nicht gerade wie ein schneidiger Offizier. Aber er war »pragmatisch, gelassen, ohne offensichtliche Ambitionen, etwas langsam, weder auffallend noch großtuerisch und nicht leicht aus der Ruhe zu bringen«. Er war ein kluger Kommandeur, dem es vor allem darum ging, seinen Auftrag zu erfüllen. Montgomery behandelte er mit Respekt, aber die beiden Männer konnten verschiedener nicht sein. Bradley kam mit Eisenhower sehr gut aus, teilte aber nicht die Geduld seines Chefs mit dem völlig unberechenbaren George Patton. Der Mann aus Missouri konnte sein tiefes Misstrauen gegen diesen exzentrischen Panzergeneral aus den Südstaaten kaum verhehlen. Patton, ein gottesfürchtiger und zugleich höchst profaner Mann, hatte Spaß daran, provozierende Reden an seine Truppen zu halten. »Ich sage euch, vergesst nicht«, erklärte er einmal, »dass noch nie ein Bastard einen Krieg gewonnen hat, weil er für sein Land sterben wollte. Man gewinnt ihn, indem man den anderen verdammten Bastard für sein Land sterben lässt.« Ohne Eisenhowers Rückendeckung in kritischen Situationen hätte Patton zweifellos keine Chance gehabt, sich in dem bevorstehenden Feldzug einen Namen zu machen. Dass es Eisenhower gelang, eine so buntscheckige Truppe zusammenzuhalten, war eine außerordentliche Leistung.
Den jüngsten Streit, der gänzlich auf den »Vor-D-Day-Koller« zurückzuführen war, hatte Air Chief Marshal Leigh-Mallory ausgelöst. Leigh- Mallory, der »jeden ärgerte« und es sogar schaffte, Eisenhower gegen sich aufzubringen, war plötzlich der Meinung, die beiden US-Luftlandedivisionen, die auf der Halbinsel Cotentin abgesetzt werden sollten, würden dort sofort niedergemetzelt werden. Wiederholt verlangte er daher, dieses Schlüsselelement, mit dem die westliche Flanke von »Unternehmen Overlord « geschützt werden sollte, zu streichen. Eisenhower forderte Leigh- Mallory auf, ihm seine Bedenken schriftlich mitzuteilen, was dieser auch tat. Nach sorgfältiger Prüfung wies Eisenhower das Ansinnen mit voller Unterstützung Montgomerys zurück.
Trotz seiner Nervosität und der übergroßen Verantwortung, die auf ihm lastete, nahm Eisenhower die Dinge philosophisch. Da er nun einmal dazu bestimmt war, in letzter Instanz zu entscheiden, stellte er sich dieser Aufgabe und war bereit, die Folgen zu tragen. Die schwerste Entscheidung, das wusste er nur zu gut, stand unmittelbar bevor. Von ihm hing buchstäblich das Leben vieler Tausender seiner Soldaten ab. Ohne auch nur seine engsten Mitarbeiter einzuweihen, verfasste Eisenhower eine kurze Notiz für den Fall, dass das Unternehmen scheitern sollte: »Bei unseren Landungsoperationen im Gebiet von Cherbourg-Le Havre ist es nicht gelungen, einen starken Landekopf zu bilden, und ich habe daher die Truppen zurückgezogen. Mein Entschluss, zu dieser Zeit und in diesem Abschnitt anzugreifen, beruhte auf den bestmöglichen Informationen. Die Land-, See- und Luftstreitkräfte haben mit großer Tapferkeit und Hingabe ihre Pflicht erfüllt. Wenn das Missglücken der Landungsoperationen auf irgendeinen Fehler zurückzuführen ist, so kann er nur mir zugeschrieben werden.«
Zwar konnten weder Eisenhower noch Bradley es zugeben, aber die schwierigste der fünf Landungszonen würde »Omaha Beach« sein. Dieses Ziel für die 1. und die 29. US-Infanteriedivision war von einem britischen Team der Combined Operations Beach Reconnaissance (COPP) und der Assault Pilotage Parties genauestens aus der Luft erkundet worden. In der zweiten Januarhälfte hatte ein bewaffneter Fischdampfer das Klein-U- Boot X-20 dicht vor die normannische Küste bugsiert. General Bradley hatte darum gebeten, dass COPP nach der Aufklärung der für die britischen und kanadischen Truppen vorgesehenen Strände auch »Omaha« untersuchen sollte, um sicherzugehen, dass der Boden fest genug für Panzer war. Captain [Hauptmann] Scott-Bowden von den Pioniertruppen und Sergeant [Feldwebel] Bruce Ogden-Smith von der Special Boat Section schwammen, nur mit Kampfmesser und einem 45er Colt Automatic bewaffnet, an Land. Sie hatten einen 18-Zoll-Erdbohrer und einen Patronengurt mit kleinen Behältern für Bodenproben bei sich. Der Wasserstand war ungewöhnlich niedrig. Beinahe wären sie von deutschen Wachtposten entdeckt worden.
Am Tag nach seiner Rückkehr wurde Scott-Bowden von einem Rear Admiral [Konteradmiral] nach London befohlen. Er traf direkt nach dem Mittagessen in Eisenhowers Hauptquartier, Norfolk House am Saint James's Square, ein. In einem lang gestreckten Speisezimmer mit verhängten Karten an den Wänden sah er sich sechs Admirälen und fünf Generälen, darunter General Bradley, gegenüber. Bradley befragte ihn eingehend über die Tragfähigkeit der Strände. »Sir, ich hoffe, Sie nehmen mir nicht übel, dass ich das sage«, äußerte Scott-Bowden, schon im Gehen, »aber dieser Strand ist ein äußerst schwieriges Gelände. Dort wird es ganz gewiss enorme Verluste geben.« Bradley legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Ich weiß, mein Junge, ich weiß.« »Omaha« war der einzig mögliche Landungsabschnitt zwischen dem britischen Sektor zur Linken und der Landungszone »Utah« zur Rechten.
Als die Landungstruppen zur Einschiffung abmarschierten, eilten die Menschen herbei, um sie zu verabschieden. »Als wir gingen«, schrieb ein junger Angehöriger einer amerikanischen Pioniereinheit, der bei einer englischen Familie untergebracht war, »weinten [sie] so, als wären sie unsere Eltern. Wir waren sehr gerührt. Die Öffentlichkeit schien ziemlich genau zu wissen, was da vorging.«
Es war gar nicht möglich, die Dinge geheim zu halten. »Als wir durch Southampton kamen«, schrieb ein britischer Panzersoldat, »wurden wir wunderbar willkommen geheißen. Wenn unsere Fahrzeuge halten mussten, brachten uns die Leute Tee und Kuchen - sehr zur Verwirrung der Militärpolizisten, die die Kolonne begleiteten und strengen Befehl hatten, jeden Kontakt zwischen Zivilisten und Soldaten zu unterbinden.«
Die meisten Soldaten saßen auf Militärfahrzeugen, aber einige britische Einheiten marschierten zu Fuß. Ihre beschlagenen Stiefel knallten im Gleichschritt auf das Pflaster. Alte Leute, die aus ihren Vorgärten häufig mit feuchten Augen zusahen, mussten daran denken, wie die Väter dieser jungen Männer in die Schützengräben von Flandern gezogen waren. Die Helme sahen immer noch ähnlich aus, aber die Felduniformen waren anders. Die Soldaten trugen auch keine Gamaschen mehr. Stattdessen hatten sie Drillichmanschetten, die aus demselben Material hergestellt waren wie Koppel, Schultergurt, Munitionstasche und Tornister. Gewehr und Bajonett hatten sich ebenfalls verändert, aber das war kaum zu erkennen.
Die Soldaten spürten, dass D-Day nicht mehr weit sein konnte, als sie noch einmal 24 Stunden Ausgang bekamen. Für weniger motivierte Gemüter war das die letzte Gelegenheit, sich von ihrer Einheit abzusetzen oder sich nur noch einmal zu betrinken. In diesen Tagen waren nicht wenige Soldaten verschwunden, aber nur Einzelfälle konnten als echte Desertion gelten. Die meisten kehrten »zu ihren Kameraden« zurück, als die Offensive bereits im Gange war. Pragmatisch eingestellte Offiziere wollten keinen Mann an das Militärgefängnis verlieren. Sie überließen es dem Einzelnen, sich im Gefecht zu bewähren.
Den Soldaten entging nicht, dass sich ihre Offiziere plötzlich viel mehr um sie kümmerten. In geschlossenen Einheiten wurden Filme gezeigt. Bier floss reichlich, und aus den Lautsprechern dudelte Tanzmusik. Zyniker stellten fest, dass die Quartiermeister plötzlich sehr großzügig wurden, was nichts Gutes verhieß. Der Lyriker Keith Douglas, der damals als 24-jähriger Captain bei den Sherwood Rangers Yeomanry diente, schrieb an Edmund Blunden, den Dichter des vorherigen Krieges: »Ich bin für das Schlachten herausgefüttert worden und warte darauf, dass es jetzt endlich losgeht.« Douglas gehörte zu den Männern, die den sicheren Tod erwarteten und mit ihren besten Freunden auch darüber sprachen. Es ist erstaunlich, wie viele damit recht hatten. Vielleicht gerieten aber Vorahnungen wie diese auch zu selbsterfüllenden Prophezeiungen. Am letzten Sonntag ging Douglas zu einer kirchlichen Prozession. Danach sprach er noch mit dem Regimentsgeistlichen, der notierte, Douglas habe sich mit dem nahen Tod abgefunden und sei frei von Furcht. Ein Offizierskamerad meinte, er sei so fatalistisch eingestellt, weil er glaubte, er habe das ihm zustehende Quäntchen Glück bereits im Wüstenkrieg aufgebraucht.
Nahezu jeder hatte das Warten satt und wollte, dass es endlich vorbei sein möge. »Alle sind angespannt, tun aber ganz locker«, meinte ein amerikanischer Infanterist. »Angeben hilft«, fügte er hinzu.26 Viele dachten an ihre Mädchen. Manche hatten noch in aller Eile geheiratet, damit die Frauen wenigstens eine Rente erhielten, sollte es zum Schlimmsten kommen. Ein amerikanischer Soldat kratzte alle seine Ersparnisse zusammen und schickte sie an einen Juwelier. Seine englische Verlobte sollte schon den Trauring für ihre Hochzeit nach seiner Rückkehr aussuchen. Es war eine Zeit starker persönlicher Gefühle. »Die Frauen, die gekommen waren, um ihre Männer zu verabschieden«, schrieb eine Journalistin kurz zuvor, »laufen jeweils bis zum Ende des Bahnsteigs mit, wenn der Zug abfährt, winken und haben ein perfektes Lächeln aufgesetzt.«
Einige wenige wurden mit der Belastung nicht fertig. »Eines Nachts«, berichtete ein Mitglied der 1. US-Infanteriedivision, »hängte sich einer der Soldaten zwei Patronengurte um, nahm seine Handgranaten, packte das Gewehr und lief los. Niemand hatte etwas bemerkt. Als sie ihn dann vermissten, wurde ein Suchtrupp ausgeschickt. Als man ihn fand, weigerte er sich mitzukommen und wurde erschossen. Wir wissen nicht, ob er nicht am Strand sterben wollte oder ob er ein Spion war. Was er tat, war einfach bescheuert. Nun musste er sterben, sonst möglicherweise nicht.« Vielleicht hatte er eine Vorahnung, was sie an »Omaha Beach« erwartete.
Während Panzer und Truppen an jenem Freitagabend auf die Transportschiffe verladen wurden, telefonierte Group Captain Stagg über sichere Leitungen noch einmal mit den anderen meteorologischen Zentren. Bei der Kommandeursbesprechung, die um 21.30 Uhr begann, musste er eine eindeutige Wetterprognose präsentieren. Aber nach wie vor waren er und seine Kollegen sich nicht einig. »Wären nicht die möglichen tragischen Folgen gewesen, hätte man das Ganze als lächerlich abtun können. In einer knappen halben Stunde erwartete man von mir, General Eisenhower eine ›abgestimmte‹ Vorhersage für die kommenden fünf Tage vorzulegen, während der die größte militärische Operation aller Zeiten in Gang gesetzt wurde. Aber unter all den Experten, die an der Diskussion beteiligt waren, sagte jeder schon für die nächsten 24 Stunden ein anderes Wetter voraus.«
Sie debattierten und stritten, bis die Zeit hierfür abgelaufen war. Stagg lief danach zur Bibliothek im Hauptgebäude, um den höchsten Kommandeuren von »Overlord« seinen Bericht vorzulegen.
»Also, Stagg«, fragte Eisenhower. »Was haben Sie uns diesmal mitgebracht? «
Stagg glaubte, er müsse seinem Instinkt folgen und die optimistischere Sicht seiner amerikanischen Kollegen von Bushey Park beiseitelassen. »Die Großwetterlage von den Britischen Inseln bis nach Neufundland hat sich in den letzten Tagen umgestellt und steckt jetzt voller potenzieller Gefahren.« Während er in die Einzelheiten ging, blickten mehrere der hohen Offiziere ziemlich irritiert durch die Fenster auf den prächtigen Sonnenuntergang.
Es folgten Erkundigungen zum Wetter für das Absetzen der Luftlandetruppen. Dann wollte Eisenhower genauer wissen, welche Bedingungen am 6. und am 7. Juni zu erwarten seien. Nach dieser Frage trat laut Tedder eine beträchtliche Pause ein. »Wenn ich darauf eine Antwort gäbe, Sir«, sagte Stagg schließlich, »müsste ich rätseln. Das wäre Ihres meteorologischen Beraters aber nicht würdig.« Stagg und sein amerikanischer Kollege Colonel D. N. Yates verließen den Raum. Bald darauf erschien General Bull und teilte ihnen mit, in den kommenden 24 Stunden werde an den Plänen nichts geändert. Als die beiden Männer zu ihren Schlafzelten zurückkehrten, wussten sie, dass die ersten Schiffe ihre Ankerplätze bereits verlassen hatten. Stagg musste an den makabren Witz denken, den Lieutenant General Sir Frederick Morgan, der ursprüngliche Chefplaner von »Overlord«, sich mit ihm erlaubt hatte: »Viel Glück, Stagg. Mögen all Ihre Tiefdruckgebiete schön klein sein. Aber denken Sie daran, wenn Sie die Vorzeichen nicht richtig deuten, dann knüpfen wir Sie am nächsten Laternenpfahl auf.«
Am nächsten Morgen - es war Samstag, der 3. Juni - konnten die Nachrichten kaum schlechter sein. Die Wetterstation von Blacksod Point in Westirland hatte soeben rasch fallenden Luftdruck und Windstärke sechs gemeldet. Stagg wurde »geradezu körperlich übel«, wenn er die Wetterkarten betrachtete und sah, wie unterschiedlich die einzelnen Teams nach wie vor die Daten analysierten. Am Abend um 21.30 Uhr waren er und Yates wieder gefragt. Als sie in die Bibliothek kamen, standen keine Bücher mehr in den Regalen. Armsessel waren im Halbkreis aufgestellt. Die Oberbefehlshaber saßen in der ersten Reihe, dahinter ihre Stabschefs und die nachgeordneten Kommandeure. Eisenhower, der Chef seines Stabes, General Walter Bedell Smith, und Tedder hatten in drei Sesseln gegenüber den anderen Zuhörern Platz genommen.
»Gentlemen«, begann Stagg seinen Vortrag. »Die Befürchtungen, die meine Kollegen und ich gestern über das Wetter für die nächsten drei, vier Tage äußerten, haben sich bestätigt.« Dann ging er in die Einzelheiten seiner Vorhersage. Es war ein trübes Bild von schwerer See, von Windböen bis Stärke 6 und tief hängenden Wolken. »Während meines ganzen Vortrags «, schrieb Stagg später, »saß General Eisenhower ohne jede Bewegung da. Den Kopf leicht in eine Hand gestützt, blickte er mich unverwandt an. Alle Anwesenden im Raum schienen zeitweilig wie benommen.« Es konnte nicht überraschen, dass sich Eisenhower gezwungen sah, für den Moment eine Verschiebung der Operation zu empfehlen.
Eisenhower hatte keine ruhige Nacht. Mittendrin informierte ihn sein Marineadjutant, Commander [Fregattenkapitän] Harry Butcher, Associated Press habe gerade gemeldet: »Eisenhowers Streitkräfte landen in Frankreich. « Obwohl die Agentur die Meldung 23 Minuten später wieder zurückzog, hatten CBS und Radio Moskau sie bereits übernommen. »Er gab eine Art Grunzen von sich«, notierte Butcher in sein Tagebuch.
Nachdem Stagg von der zeitweiligen Verschiebung der ganzen Operation gehört hatte, kam er gegen Mitternacht zu seinem Zelt zurück. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, zwischen den Bäumen nach oben zu schauen und zu sehen, dass »der Himmel völlig klar und alles ringsum still und friedlich war«.35 Stagg versuchte gar nicht erst zu schlafen. Bis in die frühen Morgenstunden hielt er die vorangegangenen Diskussionen in allen Einzelheiten fest. Die Vorhersage wurde nicht besser. Dabei blieb draußen alles ruhig.
Auf einer weiteren Besprechung am Sonntag, dem 4. Juni, um 16.15 Uhr entschied Eisenhower, die vorläufig festgelegte Verschiebung um 24 Stunden werde beibehalten. Ohne maximale Luftunterstützung waren die Risiken zu groß. Es erging Befehl, die Schiffskonvois zurückzubeordern. Zerstörer stachen mit Höchstgeschwindigkeit in See, um Landungsboote, die nicht per Funk erreichbar waren, zu stoppen und zurückzugeleiten.
Stagg, der sich zu dieser Zeit erschöpft niedergelegt hatte, war beim Erwachen völlig konsterniert, als er feststellen musste, dass der Himmel immer noch klar war und nur schwacher Wind wehte. Beim Frühstück konnte er den Offizieren nicht ins Gesicht sehen. Während des Tages schämte er sich dann fast für seine Erleichterung, als von Westen Wolken aufzogen und der Wind zunahm.
An diesem Sonntag stellten sich Fragen ohne Ende. Zehntausende Männer konnten doch nicht tatsächlich auf den Landungsbooten eingepfercht bleiben? Was sollte mit den Schiffen geschehen, die bereits unterwegs waren und nun wieder zurückbeordert wurden? Sie mussten neu betankt werden. Wenn das schlechte Wetter anhielt, kam man mit den Gezeiten durcheinander. Sollte sich die Lage binnen 48 Stunden nicht bessern, dann blieb nichts anderes übrig, als »Overlord« um zwei Wochen zu verschieben. So lange war die Sache wohl kaum geheim zu halten, von den verheerenden Auswirkungen auf die Moral der Truppe ganz abgesehen.
© der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Antony Beevor
Antony Beevor, Jahrgang 1946, ist einer der renommiertesten Zeithistoriker der Gegenwart, dessen Bücher in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet wurden, unter anderem mit dem Wolfson History Prize, dem Samuel-Johnson-Preis und dem Pritzker Literature Award. Für seine Verdienste wurde er 2017 zum Sir geadelt. Bei Pantheon erschienen von ihm zuletzt »Stalingrad« (2010), »D-Day« (2011), »Berlin 1945 - Das Ende« (2012), »Der spanische Bürgerkrieg« (2016) und »Die Ardennen-Offensive 1944« (2018).
Bibliographische Angaben
- Autor: Antony Beevor
- 2011, 5. Aufl., 634 Seiten, 3 Schwarz-Weiss-Abbildungen, 3 Abbildungen, Masse: 13,5 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzer: Helmut Ettinger
- Verlag: Pantheon
- ISBN-10: 3570551466
- ISBN-13: 9783570551462
- Erscheinungsdatum: 04.11.2011
Rezension zu „D-Day “
"Dieses Buch nimmt einen gefangen und reisst mit. Ein Sachbuch, das sich liest wie ein Kriminalroman. Beevors Buch ist das Ergebnis einer grossen Erzählkunst." (Die Welt)"Der britische Historiker Antony Beevor hat in den vergangenen Jahren mit seinen detaillierten Werken über die Schlachten um Stalingrad und Berlin neue Massstäbe gesetzt in der historisch-archivalisch fundierten Schilderung des Krieges." (NZZ)
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