Camanchaca

Ein junger Mann aus Chile fährt im Auto mit seinem Vater, dessen neuer Frau und dem Kind der beiden nach Peru. Und ebenso mit von der Partie sind die Erinnerungen des jungen Mannes, Erinnerungen an Vergangenes, Erinnerungen an Schönes und Erinnerungen an Negatives, Erinnerungen an eine beschädigte Kindheit, Erinnerungen an verschiedene Traumata. Sie machen diese Reise um dem jungen Mann einen Besuch bei einem bezahlbaren Zahnarzt zu ermöglichen, denn in Chile ist ihnen dies finanziell nicht möglich. Damit kritisiert der Autor mit seiner Geschichte die sozialen Zustände in Chile. Aber ebenso ist dieses Buch auch ein persönlicher Blick auf die Armut, die auch durch die Trennung der Eltern entstanden ist, welche nur ein Trauma des jungen Mannes ist. Denn die Armut bedingt auch Veränderungen in den Ernährungsgewohnheiten des jungen Mannes und seiner Mutter, welche sich im Übergewicht der Beiden manifestieren und welche sich auch bei ihrem Zahnstatus bemerkbar machen. Die Mutter hat ihre Zähne schon verloren und durch die Fahrt zum peruanischen Zahnarzt versuchen die Eltern dieses Schicksal dem jungen Mann zu ersparen. Wobei das Schicksal schon hart zugeschlagen hat, denn das Übergewicht und die ständig blutenden Zähne haben dem jungen Mann schon viel weiteres Unheil gebracht, denn seine kindliche und jugendliche Umwelt zeigte wenig Erbarmen und auch im Jetzt fällt er auf und erntet viele abfällige Blicke der Umgebung. Auch sein Verhältnis zum Vater zeigt nicht überwindbare Schranken, denn dieses tiefe Gefühl der Herabsetzung durch den eigenen Vater wühlt in dem jungen Mann. Die neue Frau und das neue Kind stehen in der Wahl des Vaters an erster Stelle, das neue Kind lässt ihn dies auch merken und manche Taten des Vaters auch. Zumindest empfindet der junge Mann dies so, denn es könnten aber auch finanzielle Gründe hinter manchen Entscheidungen des Vaters stehen. Nur zu seiner Mutter hat er ein offeneres Verhältnis, aber auch hier gibt es Unaussprechbares, im Geschriebenen lassen sich manche familiäre Katastrophen erahnen. All dies klingt nach einem übermächtigen Gebilde, vor welchem die Betroffenen gern die Augen verschliessen, die Wucht der Emotionen gern ausblenden wollen, alles in einen Nebel verschwinden lassen wollen, dem Camanchaca, dem Nebel, der die chilenische Küste einhüllt. Und genau deshalb ist die Geschichte auch so kühl erzählt worden. Weil zu viel Gefühl hier wahrscheinlich den jungen Mann beschädigt/zerstört/zerbrechen lässt. Dennoch erzeugt dieses kühle Erzählen auch wenig Bindung in mir, nur das Sinnieren über die Handlung erzeugt dann eine Empathie. Und wenn ich mir das Bild des Autors in einer Rezension in der Süddeutschen ansehe und nachlese, dass er im Norden von Chile, in Iqueque geboren wurde und dann nach Santiago gezogen ist, wie auch die Erzählstimme aus dem Roman "Camanchaca". Doch bei aller Tristesse im Erzählten hat der junge Mann auch noch Träume, er möchte Sportreporter werden, was gleichzeitig wieder etwas Hoffnung in die Geschichte bringt.