Bordeaux
Frankie Wilberforce, Anfang dreissig, IT-Unternehmer, Single, weiss genau, was er will. Bis er sich verführen lässt. Er verliebt sich, er kauft einen Weinkeller, er geniesst das pralle Leben. Doch dann fällt er umso tiefer - Bordeaux ist ein mitreissender Roman...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Bordeaux “
Frankie Wilberforce, Anfang dreissig, IT-Unternehmer, Single, weiss genau, was er will. Bis er sich verführen lässt. Er verliebt sich, er kauft einen Weinkeller, er geniesst das pralle Leben. Doch dann fällt er umso tiefer - Bordeaux ist ein mitreissender Roman über Obsessionen, Sucht, Loyalität und die unglaubliche Kraft des Zufalls.
Klappentext zu „Bordeaux “
Innerhalb weniger Jahre hat Wilberforce eine prosperierende Softwarefirma aufgebaut. Natürlich leidet sein Privatleben darunter, er hat weder Freunde noch Zukunftspläne. Auf einer frühsommerlichen Abendfahrt mit seinem Range Rover verschlägt es ihn auf ein stattliches Anwesen ausserhalb von Newcastle - Caerlyon Hall. Das Schild am Rand der Landstrasse zieht ihn magisch an, die besten Bordeauxweine werden darauf angepriesen. Schon bald sitzt Wilberforce in einem spektakulären Weinkeller und macht Bekanntschaft mit dem Landlord von Caerlyon Hall, dem exzentrischen und enigmatischen Francis Black. Über Francis lernt Wilberforce eine kleine schicke Gruppe von Freunden kennen, er begleitet sie bei Ausflügen über ihre weiten Ländereien, er geht auf Moorhuhnjagd, er wird zu Dinner-Partys auf prächtige Landhäuser eingeladen - und er verliebt sich in die aristokratische Catherine. Vor allem aber verspürt er eine unerklärliche Verbundenheit mit Francis Black, seinem geistigen Mentor, unter dessen Einfluss er sich immer tiefer in die feine Kunst des Weintrinkens stürzt. Er verkauft sein Unternehmen und übernimmt auf Wunsch von Francis den Weinkeller. Drei Jahre später ist Wilberforce ein Wrack - Paul Torday erzählt die Geschichte des rasanten sozialen Aufstiegs und des ebenso rasanten Niedergangs eines jungen Mannes dem Thema entsprechend in vier Jahrgängen. Elegant, skurril, in der Tradition des grossen englischen Gesellschaftsromans und mit dem ihm eigenen britischen Understatement ist Bordeaux ein unvergleichlich hervorragender Genuss.
Frankie Wilberforce ist Anfang dreissig, erfolgreicher IT-Unternehmer und Single, er weiss genau, was er will. Eines Tages lernt er bei einem Ausflug den exzentrischen Landlord Francis Black kennen, zu dem er sofort eine tiefe Verbundenheit spürt. Die Begegnung verändert für ihn alles: Er wird in eine exquisite Gesellschaft von jungen Aristokraten und Hedonisten eingeführt, und schon bald verliebt er sich in eine Frau, in das pralle Leben, vor allem aber in die feine Kunst des Weintrinkens. Kurzerhand verkauft er sein Unternehmen und übernimmt Francis' spektakulären Weinkeller. Nur drei Jahre später ist Wilberforce ein Wrack ... Paul Torday hat mit Bordeaux einen mitreissenden Roman über Obsessionen, Sucht, Loyalität und die unglaubliche Kraft des Zufalls geschrieben.
Lese-Probe zu „Bordeaux “
1 Ich war zu hastig aus dem Taxi ausgestiegen. Auf den Fersen schaukelte ich nach hinten, um mich wieder zu fangen, und stellte fest, dass es am besten war, mich ans Taxi zu lehnen und nach oben zu gucken, wenn ich mein Gleichgewicht wiedererlangen wollte. Der Himmel war schwarz und undurchdringlich, einige Sterne funkelten, aber ich konnte nicht mehr so viele erkennen wie früher. Einmal den Blick gehoben, fiel es mir schwer, ihn wieder zu senken."Ist alles in Ordnung, mein Herr?", fragte der Fahrer. Ein jüngerer Mann hätte mich wahrscheinlich beschimpft, weil ich gegen sein Taxi gestossen war; dieser Mann entstammte einem Zeitalter, in dem Taxifahrer noch Droschkenkutscher hiessen und Kunden mit "mein Herr" oder gar "gnädiger Herr" angeredet wurden.
Alles in Ordnung? Gute Frage. Nicht so leicht zu beantworten. Es erforderte einige Überlegungen, bevor ich darauf etwas erwidern konnte. Ich sah auf zum Sternenhimmel und dachte über die Frage nach.
"Das macht fünfzehn Pfund, mein Herr", sagte der Fahrer. Mir wurde bewusst, dass ich ihm eine Antwort schuldig geblieben war. Ich zog einige Scheine aus einem Bündel, das ich in einer Geldklammer aufbewahrte, und bezahlte ihm irgendeine Summe. Ich weiss nicht mehr, wie viel es war, aber der Mann schien damit zufrieden.
"Alles Gute für Sie, gnädiger Herr", sagte er und fuhr davon. Ich schaukelte wieder auf den Fersen, ein angenehmes Gefühl. Noch einmal bekam ich ein Stück vom Nachthimmel zu sehen und, als mein Gewicht sich wieder auf die Zehen verlagerte, ein Stück der Fassade des Restaurants vor mir. Ein kleines diskretes Schild zeigte "Les Tripes de Normandie" an, ein sehr gut gehendes Restaurant, wie ich gehört hatte. Ich war noch nie dort gewesen. Ich ging nicht gerne zweimal in das gleiche Lokal, es sei denn, es war wirklich ausgezeichnet. Neuerdings gab es immer Ärger, wenn ich ein Restaurant aufsuchte, in dem ich schon mal gegessen hatte. Das Schild gefiel mir. Die Schrifttype war vermutlich Arial, und die
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Beleuchtung war raffiniert, die Zeichen aus Neonröhren, in einem gebrochenen Weiss, fast cremefarben, vor einem polierten schwarzen Marmorband.
Angeblich war der Küchenchef hervorragend. Er hatte ein Menü kreiert, das auf ländlichen französischen Gerichten basierte und sie zur Kunstform erhob. Er trat in zahlreichen Kochshows im Fernsehen auf, das Publikum verehrte und bewunderte ihn. Ich zitiere hier nur aus der Website, die Küche eines Restaurants interessiert mich eigentlich gar nicht. Es ist die Weinliste, der meine Aufmerksamkeit gilt. Als ich die Website von "Les Tripes" aufrief, hatte ich gleich als Erstes die Weinliste angeklickt und entdeckt, dass sie einen 82er Château Pétrus anbot. Wie das Wetter in Westfrankreich zu der Zeit war, weiss ich nicht, aber ich hatte etwas darüber gelesen. Das Frühjahr war kühl, darauf folgte ein warmer Sommer, der sich bis in den September hinzog: endlose Sonnentage, wenig Regen. Die Bedingungen für die Weinberge bei Bordeaux waren in diesem Jahr ideal. Der 82er ist daher ein Jahrgang, der scheinbar ewig währte. Er ist ein Klassiker. Kein Wunder, dass es immer schwieriger wird, ihn aufzutreiben. Einen 82er Pétrus auf der Weinkarte, das ist, als hätte man einen Diamanten auf der Strasse gefunden. Die Rebfläche des Weinguts beträgt nur 11,3 Hektar, jährlich werden etwa 25 000 Flaschen produziert. Die Trauben werden gelesen, vierundzwanzig Tage lang vergärt und anschliessend in Betontanks mazeriert. Danach lässt man den jungen Wein zwanzig Monate in Eichenfässern heranreifen, bevor er in Flaschen abgefüllt wird. Jetzt braucht man nur noch fünfzehn bis zwanzig Jahre zu warten, bis man ihn trinken kann. Selten stösst man heute auf einen 82er Pétrus oder auf einen der früheren Jahrgänge, doch wenn man irgendwo eine Flasche aufgetrieben hat, sollte man die Gelegenheit nutzen. Der Wein ist nicht billig, auf der Website des Restaurants wurde die Flasche für 3000 Pfund angeboten; aber für einen passionierten Weintrinker, hat er erst mal gefunden, was er gesucht hat, ist das unerheblich. Das habe ich schon immer gesagt.
Zu Hause hätte ich diesen besonderen Jahrgang Pétrus nicht trinken können. Ich besitze zwar sehr viel Wein, den ich von Francis Black übernommen habe. Manche Leute würden sogar sagen, es sei unvorstellbar viel Wein. Aber ein Château Pétrus 1982 war nicht darunter.
Ich hatte aufgehört, auf den Fersen zu schaukeln, und beschloss, in das Restaurant zu gehen. Kaum war ich durch die Tür getreten, wurde mir der Mantel abgenommen: "Mr Wilberforce?"
Ich nickte, und der Kellner fragte mich, ob er mich an meinen Tisch führen dürfe. Das Restaurant war ziemlich leer. Es hatte gerade erst geöffnet, es war kurz nach neunzehn Uhr. Ich gehe gerne am frühen Abend in Restaurants, damit ich dort sehr lange bleiben kann, wenn mir danach ist - wenn zum Beispiel auf der Karte mehrere verschiedene Weine aufgelistet sind, die ich probieren möchte. Falls ich nur einen einzigen Wein interessant finde, kann ich mein Essen einnehmen und ein, zwei Flaschen Bordeaux trinken, und ich bin wieder draussen, bevor es voll wird und die Gefahr besteht, dass ich abgelenkt werde.
Ich betrat einen warmen, dezent erleuchteten Raum. Die Tische waren aus dunkler Eiche, mit weissen, quadratischen Leinendecken. Zwei Kellner waren noch dabei, die Tischkerzen anzuzünden. Ein anderer korrigierte mit mikroskopischer Genauigkeit die Ausrichtung der Messer und Gabeln, hob die grossen, kelchartigen Weingläser hoch und inspizierte sie auf Staubpartikel. Ein Mädchen legte letzte Hand an ein üppiges Blumengesteck in der Mitte des Raums. Neben der Schwingtür zur Küche stand, im Gespräch mit dem Koch, in einer makellosen marineblauen Uniform, eine wichtig aussehende Person, die ich für den Oberkellner hielt. Ein weiterer Kellner, in weissem Hemd und schwarzer Weste, ordnete hinter der Theke die Flaschen auf den Regalen und fuhr mit einem Staubwedel an ihnen entlang, so dass sie in dem von den Spiegeln dahinter reflektierten Licht wieder blitzten und schimmerten. Der Tresen selbst war ein tiefer Pool aus Mahagoni, auf dem Aschenbecher aus Kristallglas glitzerten. Auch er wurde ein letztes Mal poliert, wie ich beobachtete, und die Aschenbecher, obwohl bereits sauber, wurden hochgehoben und noch einmal ausgewischt.
"Möchten Sie erst an der Bar etwas trinken, oder soll ich Sie gleich zu Ihrem Tisch führen?"
Mir wurde bewusst, dass ich mitten in dem leeren Restaurant stehen geblieben war, seinen starken Zauber auf mich wirken liess, als würde sich der Vorhang vor einem Bühnenbild heben und den Blick freigeben auf ein aufgeräumtes Wohnzimmer, in dem sich gleich ein noch verborgenes Drama entfalten wird. Ich liebe die frühen Abendstunden in fast leeren Restaurants. Ich liebe die gedämpfte Stille, das Flüstern der Kellner, die auf Bestellungen warten, das ferne Klappern und die Rufe aus der Küche, wenn die Türen für einen Moment auffliegen, dann wieder zuklappen und den Lärmfluss abschneiden. Ich liebe den Glanz der Gläser und Bestecke im Kerzenschein, die Reinheit all dessen, und die Ordnung.
"Ich möchte gerne gleich an meinen Tisch", sagte ich.
Der Kellner brachte mich zu einem Ecktisch und zog den Stuhl etwas zurück, so dass ich mich hinsetzen konnte. Dann gab er mir die Speisekarte und fragte, ob ich etwas zu trinken wünsche. Ich bat um ein Glas Wasser und um die Weinkarte.
"Der Sommelier kommt sofort zu Ihnen", sagte der Kellner. Gespannt sah ich mich im Raum um. Mein Glück lag in der Hand des Sommeliers. Verstand er wirklich etwas von Weinlagerung? Wusste er, wie man eine Flasche öffnete? Wie man den Wein dekantierte? Wie man ihn eingoss? Ich habe selbst erlebt, wie ein sehr guter Margaux durch einen ungeschickten Weinkellner verdorben wurde. Er brachte es fertig, ihn in mein Glas zu schütten, samt Korkstückchen, als würde er Bier einschenken.
Mein Blick fiel zufällig auf einen grossen Mann in einer schwarzen Schürze, der eine Weinprobierschale an einer Kette um den Hals trug. Gemächlich schlenderte er in meine Richtung, in der Hand die in Leder gebundene Weinkarte. Er war ein ernsthafter Mann mit einem buschigen Schnauzbart, und seine Haut wies die edle Tönung eines Menschen auf, der sich die meiste Zeit seines Lebens mit Wein beschäftigte. Ich war mir sicher, dass er gut für mich sorgen würde. Er gab mir die Karte, verbeugte sich und zog sich zurück.
Ich überlegte kurz, wählte etwas zu essen aus, lehnte mich dann zurück und blätterte in der Weinkarte. Mein Herz pochte laut. Mir war gerade der Gedanke gekommen, dass der 82er Château Pétrus vielleicht nur deswegen noch auf der Website des Restaurants aufgeführt war, weil sich keiner die Mühe gemacht hatte, die Liste auf den neuesten Stand zu bringen. Wenn ich es mir recht überlegte, war es sogar sehr wahrscheinlich, dass alle 82er längst verkauft und ausgetrunken waren. Was sollte ich in dem Fall tun? Hastig blätterte ich die pergamentartigen Seiten der Karte um, bis ich auf die Titelzeile "Roter Bordeaux" stiess. Erleichtert atmete ich auf, der Château Pétrus stand noch da. Die ganze Zeit hatte ich den Atem angehalten. Bevor noch jemand anders auf die Idee kam, den gleichen Wein auszusuchen und die letzte Flasche zu trinken, winkte ich dem Sommelier.
Er kehrte zurück an meinen Tisch. "Monsieur haben entschieden? Oder darf ich Ihnen vielleicht etwas empfehlen?" Er war Franzose, noch ein gutes Zeichen.
"Nein. Ich hätte gerne den Château Pétrus. Den 82er." Der Sommelier wich einen Schritt zurück. Er sah mich an und musterte meine Garderobe, die nicht die allerneueste war. Ich habe in letzter Zeit keinen grossen Wert auf gepflegte Kleidung gelegt. Der Kellner sah mich erneut an und entschied, dass ich es ernst meinte. "Den Château Pétrus? Monsieur sind sich ganz sicher?"
"Ja. Ganz sicher."
"Verzeihen Sie, aber haben Monsieur den Preis gesehen? Es ist unser teuerster Wein."
"Ich habe den 75er getrunken, den 78er und den 79er. Den 82er habe ich bisher noch nicht getrunken."
Der Sommelier gewährte mir eine tiefe Verbeugung. "Ich muss gehen, den Wein holen. Es ist ein ganz grossartiger Wein. Man darf ihn nicht in Eile trinken."
Ich lachte ihn an. Er erwiderte mein Lachen. Wir verstanden uns. Der Preis bedeutete nichts. Es war ein grossartiger Wein, ein Klassiker des letzten Jahrhunderts, vielleicht der beste Wein aller Zeiten. Ihn zu trinken war allein schon ein Akt der Leidenschaft, ein Akt von grosser Kunstfertigkeit. Das Geld war unerheblich.
"Moment", sagte ich und zog noch einmal die Weinkarte zu Rate. "Als Vorspeise nehme ich ein Escalope de foie gras. Dazu hätte ich gerne eine halbe Flasche guten Sauternes. Den 86er Château Rieussec."
"Selbstverständlich, Monsieur", sagte der Sommelier und verneigte sich wieder leicht. Er nahm mir die Weinkarte ab und trat ein paar Schritte zurück, als würde er sich von königlichen Hoheiten entfernen, bevor er sich leise davonmachte. Ich sah, wie er mit dem Oberkellner am anderen Ende des Raums ein paar Worte wechselte, woraufhin dieser streng zu mir herüberblickte.
Im nächsten Moment stand er auch schon, übers ganze Gesicht strahlend, an meiner Seite. "Haben Sie bereits entschieden, was Sie essen möchten?", fragte er mich. "Oder darf ich Ihnen etwas empfehlen? Den Wein haben Sie wohl schon ausgewählt."
Ich bestellte die Gänseleber und noch etwas anderes. Ich glaube, es war Lammkarree, und in der Speisekarte stand "ab zwei Personen ", aber ich würde sowieso von keinem der Gerichte, die ich bestellte, viel essen. Das saftige Lammfleisch würde den Geschmack des herrlichen Bordeaux nur voll zur Entfaltung bringen.
Der Oberkellner versuchte kurz, ein Gespräch in Gang zu bringen. "Von diesem bestimmten Jahrgang verkaufen wir nur sehr wenige Flaschen. Wenn ich mich recht erinnere, sind nur noch zwei übrig. Jacques wird Ihnen gleich eine aus dem Keller bringen. Ich vermute, Sie sind ein grosser Weinkenner."
"Das kann ich nicht beurteilen", sagte ich, "aber es stimmt, ich sammle Wein. Mittlerweile habe ich schon so einige Flaschen in meinem Keller."
"Eine grosse Sammlung, nehme ich an. Jacques hat mir gesagt, Sie würden bereits mehrere Jahrgänge von dem Pétrus kennen."
"Ich weiss nicht, was Sie als gross bezeichnen würden", sagte ich.
"Die eine oder andere Sorte ist schon darunter. Ungefähr einhunderttausend Flaschen."
Wenn ich das erzähle - und ich gehe damit nicht hausieren -, glauben die meisten, ich mache einen Witz oder ich wäre verrückt. Wenn es verrückt ist, einhunderttausend Flaschen zu besitzen, dann bin ich allerdings verrückt. Aber ich betrachte die Sammlung eher als eine Investition, keine finanzielle, vielmehr eine Garantie, dass ich für den Rest meines Lebens jederzeit erlesenen Wein trinken kann. Die meisten Flaschen habe ich von Francis Black geerbt. Der Oberkellner hielt mich auf jeden Fall für verrückt. Er richtete sich auf, und das Lächeln auf seinem Gesicht erstarb. "Allerdings, Sir", sagte er. "Das ist eine sehr grosse Sammlung. Noch einen angenehmen Abend, Sir."
Er ging, ich war erleichtert. An Abenden wie diesem brauche ich meine ganze Konzentration, um das Erlebnis des Weintrinkens voll und ganz auszuschöpfen. Gespräche können dabei eine ungeheure Ablenkung sein, und Smalltalk habe ich in letzter Zeit sowieso vermieden. Doch dann kam der Oberkellner mit einem kleinen Silbertablett zurück.
"Wenn ich mir einen Abzug Ihrer Kreditkarte machen dürfte, Sir", sagte er unterwürfig. "Normalerweise würde ich Sie damit nicht behelligen, aber da die Geldsumme doch sehr hoch ist ..." Seine Stimme verlor sich in einem undefinierbaren Flüstern.
"Ich benutze keine Kreditkarten", sagte ich und zog mein Bündel Banknoten hervor. Meistens steckte ich zwischen fünf- und zehntausend Pfund in bar ein, bevor ich ausging. Die Bank hielt immer einen Umschlag für mich bereit, wenn ich einmal die Woche vorbeikam, um mir mein Taschengeld abzuholen, und ich achtete darauf, dass ich zusätzlich noch eine Reserve hatte, falls ich unterwegs auf einen interessanten Wein stiess. Ich legte das Bündel auf das Tablett. "Nehmen Sie sich die Summe, für die ich verzehre, und geben Sie mir den Rest zurück, wenn ich gehe", sagte ich zu ihm.
Der Oberkellner blickte mich entsetzt an und gab mir das Bündel auf der Stelle zurück. "Das ist nicht nötig, Sir", sagte er. "Ich wusste nicht, dass Sie bar zahlen wollen ... Entschuldigen Sie die Störung ... Sehr ungewöhnlich ..." Wieder huschte er davon.
Ich steckte das Geldbündel in meine Tasche. Es war mir vorher gar nicht aufgefallen, aber es waren lauter Fünfzigpfundscheine. Ich musste dem Taxifahrer hundert Pfund für eine fünfzehn Pfund teure Fahrt gegeben haben. Ich dachte, es wären Zwanziger oder Zehner gewesen, andererseits wäre das Bündel dann auch unhandlich und dick geworden. Kein Wunder, dass der Taxifahrer mir alles Gute gewünscht hatte.
Ich blieb ungestört und schaute zu, wie das Restaurant um mich herum zum Leben erwachte. Ein, zwei Paare waren eingetreten und zu ihren Tischen geführt worden. Am Tresen sassen zwei gut gekleidete Frauen und tranken Champagner. Ein nettes Restaurant. Der Sommelier war mir sympathisch.
Ein Kellner kam und bot mir eine Kleinigkeit an. "Ein Gruss vom Küchenchef, Sir. Ein Happen Aalpastete auf Stachelbeerbrioche."
Ich winkte ab. "Danke. Lieber nicht vor der Leberpastete." Dann kam der Sommelier wieder, und zusammen betrachteten wir die Flasche, die er ehrfürchtig in seinen Händen gebettet hielt. Er drehte sie um, damit ich die verzierten roten Buchstaben sehen konnte, den Namen des Châteaus, die Appellation Pomerol und den Jahrgang. Dann brach heftige Betriebsamkeit aus, mit Dekantiergefässen und Korkenziehern, dem Entfernen des Korkens, das mit chirurgischer Präzision geschah, und dem Dekantieren des Weins, der so behutsam ausgegossen wurde, als handelte es sich um Nitroglyzerin. Danach drehte der Sommelier die Karaffe vorsichtig im Schein meiner Tischkerze, so dass ich die leuchtende Farbe des Weins bewundern konnte. Sein Gesicht war von Sorge gezeichnet, während er diese Tätigkeiten verrichtete, und erst als der Korken vorschriftsmässig berochen und mir zur Überprüfung vorgehalten, der Wein unversehrt ins Dekantiergefäss umgegossen war, entspannte er sich und suchte mit einem Blick mein Einverständnis.
Sehnsüchtig sah ich zu dem Wein. Fast wäre es mir lieber gewesen, ich hätte vorher nicht noch einen anderen Wein bestellt; es machte die Sache nur komplizierter. Aber dann überlegte ich mir, dass die Vorfreude den Genuss, den ich beim ersten Schluck erleben würde, nur noch erhöhte.
Die Gänseleber wurde gebracht, und mit ihr kehrte der Sommelier mit dem Château Rieussec zurück an meinen Tisch. Er behandelte den Wein nicht mit Verachtung, aber mit Geringschätzung. Obwohl auch dies ein grosser Wein war, verglichen mit dem königlichen Stammbaum eines Pétrus nahm er in der Hierarchie der Bordeauxweine nur die Stellung eines Zwergfürsten ein. Ich ass ein paar Happen von der Foie gras und trank den süssen Weisswein in kleinen Schlucken.
Weil ich wusste, oder jedenfalls stark gehofft hatte, heute Abend einen Pétrus zu trinken, hatte ich mich, so gut ich konnte, auf dieses Ereignis vorbereitet. Zur Erinnerung hatte ich in meinem Weinführer noch einmal etwas über die Herkunft des Weins nachgelesen. Das Weinanbaugebiet Pomerol liegt östlich von Bordeaux, im Norden von Saint-Émilion. Seine Weine werden von Robert Parker, dem grossen Weinkenner, als "die Burgunder von Bordeaux" bezeichnet, weil sie "kräftig und reichhaltig" sind. Daher fand ich es nur angebracht, mir tagsüber die Weine des Pomerol zu genehmigen, während ich über sie las und mich auf den bevorstehenden Abend freute.
Nach dem Frühstück trank ich, sehr bedächtig, eine Flasche Château La Fleur de Gay; zum Mittagessen genehmigte ich mir einen 90er Château Trotanoy, die letzte Flasche dieses Weins und dieses Jahrgangs, die ich in der Gruft gefunden hatte. Wie immer ass ich dazu nur sehr wenig, gerade so viel wie nötig, um das Aroma des Weins hervorzulocken. Gewöhnlich lasse ich mir etwas von dem Restaurant um die Ecke bringen. Mit dem Trotanoy vertrieb ich mir die Zeit bis in den späten Nachmittag. Ich überlegte, ob ich noch eine Flasche aufmachen sollte, aber liess es dann bleiben. Ich betrat das Restaurant mit dem Geschmack des Pomerol im Gaumen, zweier grosser Weine aus diesem Gebiet, das auf der Karte des Weintrinkers jedoch nur die Ausläufer des gewaltigen Pétrus-Gebirges darstellt, dessen Spitze ich bald erklimmen sollte.
Angeblich war der Küchenchef hervorragend. Er hatte ein Menü kreiert, das auf ländlichen französischen Gerichten basierte und sie zur Kunstform erhob. Er trat in zahlreichen Kochshows im Fernsehen auf, das Publikum verehrte und bewunderte ihn. Ich zitiere hier nur aus der Website, die Küche eines Restaurants interessiert mich eigentlich gar nicht. Es ist die Weinliste, der meine Aufmerksamkeit gilt. Als ich die Website von "Les Tripes" aufrief, hatte ich gleich als Erstes die Weinliste angeklickt und entdeckt, dass sie einen 82er Château Pétrus anbot. Wie das Wetter in Westfrankreich zu der Zeit war, weiss ich nicht, aber ich hatte etwas darüber gelesen. Das Frühjahr war kühl, darauf folgte ein warmer Sommer, der sich bis in den September hinzog: endlose Sonnentage, wenig Regen. Die Bedingungen für die Weinberge bei Bordeaux waren in diesem Jahr ideal. Der 82er ist daher ein Jahrgang, der scheinbar ewig währte. Er ist ein Klassiker. Kein Wunder, dass es immer schwieriger wird, ihn aufzutreiben. Einen 82er Pétrus auf der Weinkarte, das ist, als hätte man einen Diamanten auf der Strasse gefunden. Die Rebfläche des Weinguts beträgt nur 11,3 Hektar, jährlich werden etwa 25 000 Flaschen produziert. Die Trauben werden gelesen, vierundzwanzig Tage lang vergärt und anschliessend in Betontanks mazeriert. Danach lässt man den jungen Wein zwanzig Monate in Eichenfässern heranreifen, bevor er in Flaschen abgefüllt wird. Jetzt braucht man nur noch fünfzehn bis zwanzig Jahre zu warten, bis man ihn trinken kann. Selten stösst man heute auf einen 82er Pétrus oder auf einen der früheren Jahrgänge, doch wenn man irgendwo eine Flasche aufgetrieben hat, sollte man die Gelegenheit nutzen. Der Wein ist nicht billig, auf der Website des Restaurants wurde die Flasche für 3000 Pfund angeboten; aber für einen passionierten Weintrinker, hat er erst mal gefunden, was er gesucht hat, ist das unerheblich. Das habe ich schon immer gesagt.
Zu Hause hätte ich diesen besonderen Jahrgang Pétrus nicht trinken können. Ich besitze zwar sehr viel Wein, den ich von Francis Black übernommen habe. Manche Leute würden sogar sagen, es sei unvorstellbar viel Wein. Aber ein Château Pétrus 1982 war nicht darunter.
Ich hatte aufgehört, auf den Fersen zu schaukeln, und beschloss, in das Restaurant zu gehen. Kaum war ich durch die Tür getreten, wurde mir der Mantel abgenommen: "Mr Wilberforce?"
Ich nickte, und der Kellner fragte mich, ob er mich an meinen Tisch führen dürfe. Das Restaurant war ziemlich leer. Es hatte gerade erst geöffnet, es war kurz nach neunzehn Uhr. Ich gehe gerne am frühen Abend in Restaurants, damit ich dort sehr lange bleiben kann, wenn mir danach ist - wenn zum Beispiel auf der Karte mehrere verschiedene Weine aufgelistet sind, die ich probieren möchte. Falls ich nur einen einzigen Wein interessant finde, kann ich mein Essen einnehmen und ein, zwei Flaschen Bordeaux trinken, und ich bin wieder draussen, bevor es voll wird und die Gefahr besteht, dass ich abgelenkt werde.
Ich betrat einen warmen, dezent erleuchteten Raum. Die Tische waren aus dunkler Eiche, mit weissen, quadratischen Leinendecken. Zwei Kellner waren noch dabei, die Tischkerzen anzuzünden. Ein anderer korrigierte mit mikroskopischer Genauigkeit die Ausrichtung der Messer und Gabeln, hob die grossen, kelchartigen Weingläser hoch und inspizierte sie auf Staubpartikel. Ein Mädchen legte letzte Hand an ein üppiges Blumengesteck in der Mitte des Raums. Neben der Schwingtür zur Küche stand, im Gespräch mit dem Koch, in einer makellosen marineblauen Uniform, eine wichtig aussehende Person, die ich für den Oberkellner hielt. Ein weiterer Kellner, in weissem Hemd und schwarzer Weste, ordnete hinter der Theke die Flaschen auf den Regalen und fuhr mit einem Staubwedel an ihnen entlang, so dass sie in dem von den Spiegeln dahinter reflektierten Licht wieder blitzten und schimmerten. Der Tresen selbst war ein tiefer Pool aus Mahagoni, auf dem Aschenbecher aus Kristallglas glitzerten. Auch er wurde ein letztes Mal poliert, wie ich beobachtete, und die Aschenbecher, obwohl bereits sauber, wurden hochgehoben und noch einmal ausgewischt.
"Möchten Sie erst an der Bar etwas trinken, oder soll ich Sie gleich zu Ihrem Tisch führen?"
Mir wurde bewusst, dass ich mitten in dem leeren Restaurant stehen geblieben war, seinen starken Zauber auf mich wirken liess, als würde sich der Vorhang vor einem Bühnenbild heben und den Blick freigeben auf ein aufgeräumtes Wohnzimmer, in dem sich gleich ein noch verborgenes Drama entfalten wird. Ich liebe die frühen Abendstunden in fast leeren Restaurants. Ich liebe die gedämpfte Stille, das Flüstern der Kellner, die auf Bestellungen warten, das ferne Klappern und die Rufe aus der Küche, wenn die Türen für einen Moment auffliegen, dann wieder zuklappen und den Lärmfluss abschneiden. Ich liebe den Glanz der Gläser und Bestecke im Kerzenschein, die Reinheit all dessen, und die Ordnung.
"Ich möchte gerne gleich an meinen Tisch", sagte ich.
Der Kellner brachte mich zu einem Ecktisch und zog den Stuhl etwas zurück, so dass ich mich hinsetzen konnte. Dann gab er mir die Speisekarte und fragte, ob ich etwas zu trinken wünsche. Ich bat um ein Glas Wasser und um die Weinkarte.
"Der Sommelier kommt sofort zu Ihnen", sagte der Kellner. Gespannt sah ich mich im Raum um. Mein Glück lag in der Hand des Sommeliers. Verstand er wirklich etwas von Weinlagerung? Wusste er, wie man eine Flasche öffnete? Wie man den Wein dekantierte? Wie man ihn eingoss? Ich habe selbst erlebt, wie ein sehr guter Margaux durch einen ungeschickten Weinkellner verdorben wurde. Er brachte es fertig, ihn in mein Glas zu schütten, samt Korkstückchen, als würde er Bier einschenken.
Mein Blick fiel zufällig auf einen grossen Mann in einer schwarzen Schürze, der eine Weinprobierschale an einer Kette um den Hals trug. Gemächlich schlenderte er in meine Richtung, in der Hand die in Leder gebundene Weinkarte. Er war ein ernsthafter Mann mit einem buschigen Schnauzbart, und seine Haut wies die edle Tönung eines Menschen auf, der sich die meiste Zeit seines Lebens mit Wein beschäftigte. Ich war mir sicher, dass er gut für mich sorgen würde. Er gab mir die Karte, verbeugte sich und zog sich zurück.
Ich überlegte kurz, wählte etwas zu essen aus, lehnte mich dann zurück und blätterte in der Weinkarte. Mein Herz pochte laut. Mir war gerade der Gedanke gekommen, dass der 82er Château Pétrus vielleicht nur deswegen noch auf der Website des Restaurants aufgeführt war, weil sich keiner die Mühe gemacht hatte, die Liste auf den neuesten Stand zu bringen. Wenn ich es mir recht überlegte, war es sogar sehr wahrscheinlich, dass alle 82er längst verkauft und ausgetrunken waren. Was sollte ich in dem Fall tun? Hastig blätterte ich die pergamentartigen Seiten der Karte um, bis ich auf die Titelzeile "Roter Bordeaux" stiess. Erleichtert atmete ich auf, der Château Pétrus stand noch da. Die ganze Zeit hatte ich den Atem angehalten. Bevor noch jemand anders auf die Idee kam, den gleichen Wein auszusuchen und die letzte Flasche zu trinken, winkte ich dem Sommelier.
Er kehrte zurück an meinen Tisch. "Monsieur haben entschieden? Oder darf ich Ihnen vielleicht etwas empfehlen?" Er war Franzose, noch ein gutes Zeichen.
"Nein. Ich hätte gerne den Château Pétrus. Den 82er." Der Sommelier wich einen Schritt zurück. Er sah mich an und musterte meine Garderobe, die nicht die allerneueste war. Ich habe in letzter Zeit keinen grossen Wert auf gepflegte Kleidung gelegt. Der Kellner sah mich erneut an und entschied, dass ich es ernst meinte. "Den Château Pétrus? Monsieur sind sich ganz sicher?"
"Ja. Ganz sicher."
"Verzeihen Sie, aber haben Monsieur den Preis gesehen? Es ist unser teuerster Wein."
"Ich habe den 75er getrunken, den 78er und den 79er. Den 82er habe ich bisher noch nicht getrunken."
Der Sommelier gewährte mir eine tiefe Verbeugung. "Ich muss gehen, den Wein holen. Es ist ein ganz grossartiger Wein. Man darf ihn nicht in Eile trinken."
Ich lachte ihn an. Er erwiderte mein Lachen. Wir verstanden uns. Der Preis bedeutete nichts. Es war ein grossartiger Wein, ein Klassiker des letzten Jahrhunderts, vielleicht der beste Wein aller Zeiten. Ihn zu trinken war allein schon ein Akt der Leidenschaft, ein Akt von grosser Kunstfertigkeit. Das Geld war unerheblich.
"Moment", sagte ich und zog noch einmal die Weinkarte zu Rate. "Als Vorspeise nehme ich ein Escalope de foie gras. Dazu hätte ich gerne eine halbe Flasche guten Sauternes. Den 86er Château Rieussec."
"Selbstverständlich, Monsieur", sagte der Sommelier und verneigte sich wieder leicht. Er nahm mir die Weinkarte ab und trat ein paar Schritte zurück, als würde er sich von königlichen Hoheiten entfernen, bevor er sich leise davonmachte. Ich sah, wie er mit dem Oberkellner am anderen Ende des Raums ein paar Worte wechselte, woraufhin dieser streng zu mir herüberblickte.
Im nächsten Moment stand er auch schon, übers ganze Gesicht strahlend, an meiner Seite. "Haben Sie bereits entschieden, was Sie essen möchten?", fragte er mich. "Oder darf ich Ihnen etwas empfehlen? Den Wein haben Sie wohl schon ausgewählt."
Ich bestellte die Gänseleber und noch etwas anderes. Ich glaube, es war Lammkarree, und in der Speisekarte stand "ab zwei Personen ", aber ich würde sowieso von keinem der Gerichte, die ich bestellte, viel essen. Das saftige Lammfleisch würde den Geschmack des herrlichen Bordeaux nur voll zur Entfaltung bringen.
Der Oberkellner versuchte kurz, ein Gespräch in Gang zu bringen. "Von diesem bestimmten Jahrgang verkaufen wir nur sehr wenige Flaschen. Wenn ich mich recht erinnere, sind nur noch zwei übrig. Jacques wird Ihnen gleich eine aus dem Keller bringen. Ich vermute, Sie sind ein grosser Weinkenner."
"Das kann ich nicht beurteilen", sagte ich, "aber es stimmt, ich sammle Wein. Mittlerweile habe ich schon so einige Flaschen in meinem Keller."
"Eine grosse Sammlung, nehme ich an. Jacques hat mir gesagt, Sie würden bereits mehrere Jahrgänge von dem Pétrus kennen."
"Ich weiss nicht, was Sie als gross bezeichnen würden", sagte ich.
"Die eine oder andere Sorte ist schon darunter. Ungefähr einhunderttausend Flaschen."
Wenn ich das erzähle - und ich gehe damit nicht hausieren -, glauben die meisten, ich mache einen Witz oder ich wäre verrückt. Wenn es verrückt ist, einhunderttausend Flaschen zu besitzen, dann bin ich allerdings verrückt. Aber ich betrachte die Sammlung eher als eine Investition, keine finanzielle, vielmehr eine Garantie, dass ich für den Rest meines Lebens jederzeit erlesenen Wein trinken kann. Die meisten Flaschen habe ich von Francis Black geerbt. Der Oberkellner hielt mich auf jeden Fall für verrückt. Er richtete sich auf, und das Lächeln auf seinem Gesicht erstarb. "Allerdings, Sir", sagte er. "Das ist eine sehr grosse Sammlung. Noch einen angenehmen Abend, Sir."
Er ging, ich war erleichtert. An Abenden wie diesem brauche ich meine ganze Konzentration, um das Erlebnis des Weintrinkens voll und ganz auszuschöpfen. Gespräche können dabei eine ungeheure Ablenkung sein, und Smalltalk habe ich in letzter Zeit sowieso vermieden. Doch dann kam der Oberkellner mit einem kleinen Silbertablett zurück.
"Wenn ich mir einen Abzug Ihrer Kreditkarte machen dürfte, Sir", sagte er unterwürfig. "Normalerweise würde ich Sie damit nicht behelligen, aber da die Geldsumme doch sehr hoch ist ..." Seine Stimme verlor sich in einem undefinierbaren Flüstern.
"Ich benutze keine Kreditkarten", sagte ich und zog mein Bündel Banknoten hervor. Meistens steckte ich zwischen fünf- und zehntausend Pfund in bar ein, bevor ich ausging. Die Bank hielt immer einen Umschlag für mich bereit, wenn ich einmal die Woche vorbeikam, um mir mein Taschengeld abzuholen, und ich achtete darauf, dass ich zusätzlich noch eine Reserve hatte, falls ich unterwegs auf einen interessanten Wein stiess. Ich legte das Bündel auf das Tablett. "Nehmen Sie sich die Summe, für die ich verzehre, und geben Sie mir den Rest zurück, wenn ich gehe", sagte ich zu ihm.
Der Oberkellner blickte mich entsetzt an und gab mir das Bündel auf der Stelle zurück. "Das ist nicht nötig, Sir", sagte er. "Ich wusste nicht, dass Sie bar zahlen wollen ... Entschuldigen Sie die Störung ... Sehr ungewöhnlich ..." Wieder huschte er davon.
Ich steckte das Geldbündel in meine Tasche. Es war mir vorher gar nicht aufgefallen, aber es waren lauter Fünfzigpfundscheine. Ich musste dem Taxifahrer hundert Pfund für eine fünfzehn Pfund teure Fahrt gegeben haben. Ich dachte, es wären Zwanziger oder Zehner gewesen, andererseits wäre das Bündel dann auch unhandlich und dick geworden. Kein Wunder, dass der Taxifahrer mir alles Gute gewünscht hatte.
Ich blieb ungestört und schaute zu, wie das Restaurant um mich herum zum Leben erwachte. Ein, zwei Paare waren eingetreten und zu ihren Tischen geführt worden. Am Tresen sassen zwei gut gekleidete Frauen und tranken Champagner. Ein nettes Restaurant. Der Sommelier war mir sympathisch.
Ein Kellner kam und bot mir eine Kleinigkeit an. "Ein Gruss vom Küchenchef, Sir. Ein Happen Aalpastete auf Stachelbeerbrioche."
Ich winkte ab. "Danke. Lieber nicht vor der Leberpastete." Dann kam der Sommelier wieder, und zusammen betrachteten wir die Flasche, die er ehrfürchtig in seinen Händen gebettet hielt. Er drehte sie um, damit ich die verzierten roten Buchstaben sehen konnte, den Namen des Châteaus, die Appellation Pomerol und den Jahrgang. Dann brach heftige Betriebsamkeit aus, mit Dekantiergefässen und Korkenziehern, dem Entfernen des Korkens, das mit chirurgischer Präzision geschah, und dem Dekantieren des Weins, der so behutsam ausgegossen wurde, als handelte es sich um Nitroglyzerin. Danach drehte der Sommelier die Karaffe vorsichtig im Schein meiner Tischkerze, so dass ich die leuchtende Farbe des Weins bewundern konnte. Sein Gesicht war von Sorge gezeichnet, während er diese Tätigkeiten verrichtete, und erst als der Korken vorschriftsmässig berochen und mir zur Überprüfung vorgehalten, der Wein unversehrt ins Dekantiergefäss umgegossen war, entspannte er sich und suchte mit einem Blick mein Einverständnis.
Sehnsüchtig sah ich zu dem Wein. Fast wäre es mir lieber gewesen, ich hätte vorher nicht noch einen anderen Wein bestellt; es machte die Sache nur komplizierter. Aber dann überlegte ich mir, dass die Vorfreude den Genuss, den ich beim ersten Schluck erleben würde, nur noch erhöhte.
Die Gänseleber wurde gebracht, und mit ihr kehrte der Sommelier mit dem Château Rieussec zurück an meinen Tisch. Er behandelte den Wein nicht mit Verachtung, aber mit Geringschätzung. Obwohl auch dies ein grosser Wein war, verglichen mit dem königlichen Stammbaum eines Pétrus nahm er in der Hierarchie der Bordeauxweine nur die Stellung eines Zwergfürsten ein. Ich ass ein paar Happen von der Foie gras und trank den süssen Weisswein in kleinen Schlucken.
Weil ich wusste, oder jedenfalls stark gehofft hatte, heute Abend einen Pétrus zu trinken, hatte ich mich, so gut ich konnte, auf dieses Ereignis vorbereitet. Zur Erinnerung hatte ich in meinem Weinführer noch einmal etwas über die Herkunft des Weins nachgelesen. Das Weinanbaugebiet Pomerol liegt östlich von Bordeaux, im Norden von Saint-Émilion. Seine Weine werden von Robert Parker, dem grossen Weinkenner, als "die Burgunder von Bordeaux" bezeichnet, weil sie "kräftig und reichhaltig" sind. Daher fand ich es nur angebracht, mir tagsüber die Weine des Pomerol zu genehmigen, während ich über sie las und mich auf den bevorstehenden Abend freute.
Nach dem Frühstück trank ich, sehr bedächtig, eine Flasche Château La Fleur de Gay; zum Mittagessen genehmigte ich mir einen 90er Château Trotanoy, die letzte Flasche dieses Weins und dieses Jahrgangs, die ich in der Gruft gefunden hatte. Wie immer ass ich dazu nur sehr wenig, gerade so viel wie nötig, um das Aroma des Weins hervorzulocken. Gewöhnlich lasse ich mir etwas von dem Restaurant um die Ecke bringen. Mit dem Trotanoy vertrieb ich mir die Zeit bis in den späten Nachmittag. Ich überlegte, ob ich noch eine Flasche aufmachen sollte, aber liess es dann bleiben. Ich betrat das Restaurant mit dem Geschmack des Pomerol im Gaumen, zweier grosser Weine aus diesem Gebiet, das auf der Karte des Weintrinkers jedoch nur die Ausläufer des gewaltigen Pétrus-Gebirges darstellt, dessen Spitze ich bald erklimmen sollte.
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Autoren-Porträt von Paul Torday
Paul Torday, geboren 1946, studierte Englische Literatur in Oxford. Seit über dreissig Jahren arbeitet er als freier Unternehmer und lebt mit seiner Familie auf einem kleinen Schloss in Nordengland. Sein Romandebüt wurde auf Anhieb ein internationaler Bestseller und gewann den Bollinger Wodehouse Prize.
Bibliographische Angaben
- Autor: Paul Torday
- 2009, 320 Seiten, Masse: 12 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Thomas Stegers
- Verlag: Berlin Verlag Taschenbuch
- ISBN-10: 3833306300
- ISBN-13: 9783833306303
Rezension zu „Bordeaux “
"Torday erzählt spannend undpoetisch. Ein Roman, den man, wie einegute Flasche Bordeaux, ziemlich baldbeenden muss, wenn man sie erstgeöffnet hat."NDR"Ein Gesellschaftsroman,kräftig und reichhaltigwie ein guter Bordeaux.Dunkel leuchtend undlockend."NEON
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