Blutkrieg
Erzählungen zur Chronik der Unsterblichen
Die Jagd auf einen bestialischen Werwolf führt den Schwertkämpfer Andrej und seinen treuen Begleiter Abu Dun immer tiefer in unbekannte Länder, deren eisige Kälte sie an den Rand ihrer körperlichen und geistigen Kräfte bringt....
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Blutkrieg “
Die Jagd auf einen bestialischen Werwolf führt den Schwertkämpfer Andrej und seinen treuen Begleiter Abu Dun immer tiefer in unbekannte Länder, deren eisige Kälte sie an den Rand ihrer körperlichen und geistigen Kräfte bringt. Täuschung und Wahrheit liegen so dicht beieinander, dass Andrej zweifelt, wem er auf dem Weg durch die Schneewüste trauen kann. Von den Dämonen des eigenen Gewissens gequält, steht er selbst bald an der Schwelle zum Wahnsinn.
Klappentext zu „Blutkrieg “
Die Jagd auf einen bestialischen Werwolf führt den Schwertkämpfer Andrej und seinen treuen Begleiter Abu Dun immer tiefer in unbekannte Länder, deren eisige Kälte sie an den Rand ihrer körperlichen und geistigen Kräfte bringt. Täuschung und Wahrheit liegen so dicht beieinander, dass Andrej zweifelt, wem er auf dem Weg durch die Schneewüste trauen kann. Von den Dämonen des eigenen Gewissens gequält, steht er selbst bald an der Schwelle zum Wahnsinn ...Blutkrieg erzählt in fünf zusammenhängenden Episoden von dramatischen Abenteuern, die die Helden der Chronik der Unsterblichen in ihrem Kampf gegen das Böse bestehen müssen.x
Lese-Probe zu „Blutkrieg “
Blutkrieg von Wolfgang HohlbeinMit dem ersten Grau der Dämmerung hatte es zu regnen begonnen und seither nicht wieder aufgehört. Der Wind peitschte ihnen die silbergrauen Schleier jetzt fast waagerecht in die Gesichter. Und die eisige Nässe war längst durch Andrejs Kleider gekrochen, hatte seine Knochen erreicht und ließ ihn vor Kälte mit den Zähnen klappern. Andrej s Finger waren steif gefroren, und er hatte Mühe, die Zügel zu halten.
Unsterblich zu sein, dachte er missmutig, schützt ja vielleicht gegen so manches, aber leider nicht davor, ebenso zu frieren und unter Müdigkeit und Erschöpfung zu leiden wie jeder andere auch. Aber vielleicht gilt das nur für mich, beendete er seinen Gedanken mit einem schrägen Seitenblick auf Abu Dun und einem Gefühl, das zwischen Bewunderung und blankem Neid schwankte.
Der riesenhafte Nubier hatte während des gesamten Tages nicht einen einzigen Laut der Klage von sich gegeben, ja, nicht einmal eine Miene verzogen. Obwohl Andrej sicher war, dass der an die erbarmungslose Hitze und Trockenheit seiner afrikanischen Heimat gewöhnte Nubier viel mehr unter dem rauen Klima so weit oben im Norden litt als er.
Vielleicht war die ungewöhnliche Schweigsamkeit, die Abu Dun seit einer Weile an den Tag legte, seine Art, gegen das Wetter und die ständig fallenden Temperaturen zu protestieren. Und gegen Andrejs Entscheidung hierherzukommen selbstverständlich.
Im Stillen hatte Andrej diesen Entschluss längst bereut. Es war fast sechs Monate her, dass sie das kleine Dorf an der Mittelmeerküste verlassen hatten, um der Spur des Werwolfes zu folgen, der die Menschen in diesem Teil des Landes fast den ganzen Winter über in Angst und Schrecken versetzt und einen ganzen Landstrich terrorisiert hatte.
Sie waren im Frühling aufgebrochen und in den Sommer Osteuropas hineingeritten, und
... mehr
mittlerweile hatten sie einen halben Kontinent durchquert und näherten sich nicht nur der Küste, sondern auch dem Ende des Jahres.
Annähernd sechs Monate, dachte Andrej, ohne dass sie die Bestie auch nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatten. Nicht dass er nicht sicher war, auf der richtigen Spur zu sein. Andrej hatte schon lange aufgehört zu zählen, wie viele Vampyre, Werwölfe, Dämonen und andere Ausgeburten der Hölle Abu Dun und er getötet hatten. Aber er konnte sich nicht erinnern, jemals einer solchen Spur aus Leid und Verwüstung gefolgt zu sein.
Wie viele Menschen hatte das Ungeheuer getötet: fünfzig? Hundert? Er wusste es nicht. Er wusste nicht einmal genau, was es war, das sie verfolgten, er wusste nur, dass ...
Das Knacken eines zerbrechenden Zweiges riss Andrej jäh aus seinen Gedanken. Jedem anderen wäre das Geräusch möglicherweise entgangen, doch für Andrejs feine Sinne klang der Laut so scharf und bedrohlich wie ein Peitschenhieb. Neben ihm fuhr auch Abu Dun fast unmerklich zusammen und ließ die Schultern dann wieder in einer Haltung perfekt gespielter Erschöpfung nach vorne sinken.
»Links«, murmelte der Nubier, »fünfzig Schritte hinter den Bäumen.«
Andrej antwortete mit einem angedeuteten Nicken, widerstand aber der Versuchung, in die von Abu Dun bezeichnete Richtung zu sehen.
Das Geräusch wiederholte sich nicht, aber nun, einmal darauf aufmerksam geworden, spürte er die Anwesenheit eines Beobachters fast so deutlich, als könnte er ihn sehen. Ohne das seidige Geräusch des Regens hätte er vermutlich seine Atemzüge hören können.
Er ließ sein Pferd langsamer traben, hielt schließlich ganz an und drehte sich mit schon fast übertrieben wirkenden Bewegungen im Sattel nach links und rechts.
Alles rings um sie herum war grau. Der strömende Regen hatte nicht nur die Temperaturen ins Bodenlose fallen lassen, sondern auch alle Farbe aus dem Tag gewaschen. Vor ihnen fiel die mit kümmerlichem Gras und dürrem Buschwerk bewachsene Ebene, über die sie seit Stunden ritten, sanft zur fernen Küste hin ab. Die Bäume, von denen Abu Dun gesprochen hatte, entpuppten sich als die Ausläufer eines struppig wirkenden Waldstücks, das sich wie eine Hand mit viel zu vielen Fingern über den Hang erstreckte.
Links davon, vielleicht drei- oder auch vierhundert Schritte entfernt, erhob sich ein Gewirr aus Felstrümmern, die im strömenden Regen wie matte, unbehandelte Edelsteine glänzten.
Abu Dun deutete heftig gestikulierend zu diesen Felsen hin. Andrej antwortete mit einem ebenso übertrieben deutlichen Nicken. Daraufhin gab der Nubier seinem Pferd die Sporen und sprengte auf die Felsgruppe zu. Andrej sah ihm einen Moment lang reglos nach, dann lenkte er sein Pferd auf den Waldrand zu. Wer immer sich dort verbarg und sie beobachtete, musste jetzt annehmen, dass Abu Dun irgendetwas bei den Felsen überprüfen wollte, während er selbst den Waldrand ansteuerte, um dort zu rasten.
Andrej ließ sich Zeit. Er musste sein Pferd zurückhalten, das die Nähe des Waldes spürte und ihm entgegenstrebte. Vielleicht, weil es das saftige Grün witterte, vielleicht auch, weil das Tier es, genau wie sein Reiter, einfach leid war, Stunde um Stunde durch den strömenden Regen zu laufen.
Zehn Meter vor dem Waldrand sprang Andrej aus dem Sattel, ließ das Tier einfach laufen und steuerte die weit überhängenden Äste einer gewaltigen Buche an, wie um sich unterzustellen. Er wählte ganz bewusst eine Stelle, die ein ganzes Stück von der entfernt war, an der er den Beobachter vermutete. Geduldig wartete er, bis er Abu Duns Nahen spürte. Dann schlenderte er wie zufällig in die Richtung, aus der er die verstohlenen Atemzüge und das Hämmern zweier angsterfüllter Herzen hörte, und sprintete los. Mit zwei, drei gewaltigen Sätzen erreichte er den eigentlichen Waldrand und brach rücksichtslos durch das Unterholz. Die dürren Äste zersplitterten wie Glas, als er sich durch sie hindurchwarf, und Andrej sah einen Schatten davonhuschen und hörte ein erschrockenes Keuchen. Er hatte nur einen flüchtigen Eindruck von einer dunklen, sonderbar heruntergekommenen, asymmetrisch wirkenden Gestalt bekommen, die zwischen den Bäumen verschwunden war.
Blitzschnell griff er zu und bekam auch etwas zu fassen, aber nur für einen Moment, dann hörte er das Reißen von Stoff und stolperte hinter dem Flüchtenden her. Andrej musste all seine Schnelligkeit aufbieten, um ihn einzuholen und schließlich mit einer wütenden Bewegung zu Boden zu schleudern.
Ein keuchender Schrei erscholl und der Mann trat noch im Fallen nach Andrejs Gesicht und traf auch. Andrej knurrte wütend, spuckte Blut und den Splitter eines Zahnes aus und griff noch einmal fester zu.
Aus den verzweifelten Schreien des Mannes wurde ein ersticktes Keuchen. Und Andrej prallte erschrocken zurück, als ihm plötzlich klar wurde, dass der Mann verstümmelt war. Seine Kleider hingen in Fetzen und die Haut darunter war von tiefen, schwärenden Wunden übersät. Er trug ein vielleicht sechs- oder siebenjähriges Kind im linken Arm, das er selbst jetzt noch mit aller Kraft an sich presste. Sein rechter Arm fehlte, er endete dicht über dem Ellbogen in einem unordentlichen Wust blutgetränkter Verbände, von denen ein erbärmlicher Gestank ausging.
Für einen Moment weckte der Anblick eine uralte, düstere Gier in Andrej. Er kämpfte das Gefühl mit aller Macht nieder und richtete sich wieder auf.
Der Verwundete versuchte erneut, nach ihm zu treten, und ließ endlich das Kind los. Als es davonkroch, rutschte sein Kleid hoch und Andrej sah, dass es ein Mädchen war. Wieder wollte der Verwundete nach ihm treten. Andrej schlug seinen Fuß zur Seite, achtete aber darauf, nicht zu hart zu treffen. Er spürte die Qualen, die der Mann litt.
»Verdammt noch mal, hör endlich auf«, sagte er. »Ich bin nicht dein Feind.«
Der Verwundete stöhnte. Andrej warf einen raschen Blick zu dem Mädchen hin. Es hatte sich zwei oder drei Schritte weit geschleppt und kauerte nun dort – zitternd vor Angst und an einen Baumstamm gelehnt. Andrej beugte sich wieder vor und betrachtete das Gesicht des sterbenden Mannes aufmerksamer.
Erneut stieg ihm der Geruch von Blut und Fäulnis in die Nase, und wieder flackerte die archaische Gier in seinem Inneren auf, doch diesmal bereitete es ihm keine Mühe, sie zu unterdrücken, spürte er doch auch zugleich den Tod, der seine Klauen bereits zu tief in das Fleisch des Mannes geschlagen hatte. Er würde sterben. Keine Macht der Welt konnte das jetzt noch verhindern. Sein Blut war bereits vergiftet und würde selbst für Andrej zu einem Schluck aus dem Schierlingsbecher werden.
Das Gesicht des Mannes war aschfahl, Schweiß glänzte auf seiner Stirn und seine Augen hatten einen trüben, fiebrigen Glanz. Andrej war nicht sicher, dass er seine Worte überhaupt noch hörte, dennoch fuhr er fort: »Ich bin nicht dein Feind, ich will dir nichts tun. Verstehst du das? Ich will dir helfen!«
Der Mann begann, irgendetwas zu stammeln. Fieberfantasien ohne Sinn vermutlich, doch Andrej beugte sich ein wenig weiter vor, um sein Ohr näher an seine Lippen zu bringen.
Dann – plötzlich – loderte etwas in den Augen des Verwundeten auf, und das Entsetzen darin gewann eine neue, noch schlimmere Qualität, während sich sein Blick an einem Punkt irgendwo hinter Andrej festsaugte. Er hörte leise Schritte und das Rascheln von Stoff. Abu Dun war gekommen.
Im gleichen Moment stieß das Mädchen einen schrillen, sich überschlagenden Schrei aus. »Dauga! «
Und dann schien alles gleichzeitig zu geschehen.
Der Verwundete bäumte sich noch einmal und diesmal höher auf. Ein gurgelnder Schrei kam über seine Lippen und seine verbliebene Hand zuckte zum Gürtel und riss einen kurzen, beidseitig geschliffenen Dolch mit schartiger Klinge hervor, der sich wie der Giftzahn einer angreifenden Schlange in Andrejs Hals bohren wollte.
© Ullstein Verlag
Annähernd sechs Monate, dachte Andrej, ohne dass sie die Bestie auch nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatten. Nicht dass er nicht sicher war, auf der richtigen Spur zu sein. Andrej hatte schon lange aufgehört zu zählen, wie viele Vampyre, Werwölfe, Dämonen und andere Ausgeburten der Hölle Abu Dun und er getötet hatten. Aber er konnte sich nicht erinnern, jemals einer solchen Spur aus Leid und Verwüstung gefolgt zu sein.
Wie viele Menschen hatte das Ungeheuer getötet: fünfzig? Hundert? Er wusste es nicht. Er wusste nicht einmal genau, was es war, das sie verfolgten, er wusste nur, dass ...
Das Knacken eines zerbrechenden Zweiges riss Andrej jäh aus seinen Gedanken. Jedem anderen wäre das Geräusch möglicherweise entgangen, doch für Andrejs feine Sinne klang der Laut so scharf und bedrohlich wie ein Peitschenhieb. Neben ihm fuhr auch Abu Dun fast unmerklich zusammen und ließ die Schultern dann wieder in einer Haltung perfekt gespielter Erschöpfung nach vorne sinken.
»Links«, murmelte der Nubier, »fünfzig Schritte hinter den Bäumen.«
Andrej antwortete mit einem angedeuteten Nicken, widerstand aber der Versuchung, in die von Abu Dun bezeichnete Richtung zu sehen.
Das Geräusch wiederholte sich nicht, aber nun, einmal darauf aufmerksam geworden, spürte er die Anwesenheit eines Beobachters fast so deutlich, als könnte er ihn sehen. Ohne das seidige Geräusch des Regens hätte er vermutlich seine Atemzüge hören können.
Er ließ sein Pferd langsamer traben, hielt schließlich ganz an und drehte sich mit schon fast übertrieben wirkenden Bewegungen im Sattel nach links und rechts.
Alles rings um sie herum war grau. Der strömende Regen hatte nicht nur die Temperaturen ins Bodenlose fallen lassen, sondern auch alle Farbe aus dem Tag gewaschen. Vor ihnen fiel die mit kümmerlichem Gras und dürrem Buschwerk bewachsene Ebene, über die sie seit Stunden ritten, sanft zur fernen Küste hin ab. Die Bäume, von denen Abu Dun gesprochen hatte, entpuppten sich als die Ausläufer eines struppig wirkenden Waldstücks, das sich wie eine Hand mit viel zu vielen Fingern über den Hang erstreckte.
Links davon, vielleicht drei- oder auch vierhundert Schritte entfernt, erhob sich ein Gewirr aus Felstrümmern, die im strömenden Regen wie matte, unbehandelte Edelsteine glänzten.
Abu Dun deutete heftig gestikulierend zu diesen Felsen hin. Andrej antwortete mit einem ebenso übertrieben deutlichen Nicken. Daraufhin gab der Nubier seinem Pferd die Sporen und sprengte auf die Felsgruppe zu. Andrej sah ihm einen Moment lang reglos nach, dann lenkte er sein Pferd auf den Waldrand zu. Wer immer sich dort verbarg und sie beobachtete, musste jetzt annehmen, dass Abu Dun irgendetwas bei den Felsen überprüfen wollte, während er selbst den Waldrand ansteuerte, um dort zu rasten.
Andrej ließ sich Zeit. Er musste sein Pferd zurückhalten, das die Nähe des Waldes spürte und ihm entgegenstrebte. Vielleicht, weil es das saftige Grün witterte, vielleicht auch, weil das Tier es, genau wie sein Reiter, einfach leid war, Stunde um Stunde durch den strömenden Regen zu laufen.
Zehn Meter vor dem Waldrand sprang Andrej aus dem Sattel, ließ das Tier einfach laufen und steuerte die weit überhängenden Äste einer gewaltigen Buche an, wie um sich unterzustellen. Er wählte ganz bewusst eine Stelle, die ein ganzes Stück von der entfernt war, an der er den Beobachter vermutete. Geduldig wartete er, bis er Abu Duns Nahen spürte. Dann schlenderte er wie zufällig in die Richtung, aus der er die verstohlenen Atemzüge und das Hämmern zweier angsterfüllter Herzen hörte, und sprintete los. Mit zwei, drei gewaltigen Sätzen erreichte er den eigentlichen Waldrand und brach rücksichtslos durch das Unterholz. Die dürren Äste zersplitterten wie Glas, als er sich durch sie hindurchwarf, und Andrej sah einen Schatten davonhuschen und hörte ein erschrockenes Keuchen. Er hatte nur einen flüchtigen Eindruck von einer dunklen, sonderbar heruntergekommenen, asymmetrisch wirkenden Gestalt bekommen, die zwischen den Bäumen verschwunden war.
Blitzschnell griff er zu und bekam auch etwas zu fassen, aber nur für einen Moment, dann hörte er das Reißen von Stoff und stolperte hinter dem Flüchtenden her. Andrej musste all seine Schnelligkeit aufbieten, um ihn einzuholen und schließlich mit einer wütenden Bewegung zu Boden zu schleudern.
Ein keuchender Schrei erscholl und der Mann trat noch im Fallen nach Andrejs Gesicht und traf auch. Andrej knurrte wütend, spuckte Blut und den Splitter eines Zahnes aus und griff noch einmal fester zu.
Aus den verzweifelten Schreien des Mannes wurde ein ersticktes Keuchen. Und Andrej prallte erschrocken zurück, als ihm plötzlich klar wurde, dass der Mann verstümmelt war. Seine Kleider hingen in Fetzen und die Haut darunter war von tiefen, schwärenden Wunden übersät. Er trug ein vielleicht sechs- oder siebenjähriges Kind im linken Arm, das er selbst jetzt noch mit aller Kraft an sich presste. Sein rechter Arm fehlte, er endete dicht über dem Ellbogen in einem unordentlichen Wust blutgetränkter Verbände, von denen ein erbärmlicher Gestank ausging.
Für einen Moment weckte der Anblick eine uralte, düstere Gier in Andrej. Er kämpfte das Gefühl mit aller Macht nieder und richtete sich wieder auf.
Der Verwundete versuchte erneut, nach ihm zu treten, und ließ endlich das Kind los. Als es davonkroch, rutschte sein Kleid hoch und Andrej sah, dass es ein Mädchen war. Wieder wollte der Verwundete nach ihm treten. Andrej schlug seinen Fuß zur Seite, achtete aber darauf, nicht zu hart zu treffen. Er spürte die Qualen, die der Mann litt.
»Verdammt noch mal, hör endlich auf«, sagte er. »Ich bin nicht dein Feind.«
Der Verwundete stöhnte. Andrej warf einen raschen Blick zu dem Mädchen hin. Es hatte sich zwei oder drei Schritte weit geschleppt und kauerte nun dort – zitternd vor Angst und an einen Baumstamm gelehnt. Andrej beugte sich wieder vor und betrachtete das Gesicht des sterbenden Mannes aufmerksamer.
Erneut stieg ihm der Geruch von Blut und Fäulnis in die Nase, und wieder flackerte die archaische Gier in seinem Inneren auf, doch diesmal bereitete es ihm keine Mühe, sie zu unterdrücken, spürte er doch auch zugleich den Tod, der seine Klauen bereits zu tief in das Fleisch des Mannes geschlagen hatte. Er würde sterben. Keine Macht der Welt konnte das jetzt noch verhindern. Sein Blut war bereits vergiftet und würde selbst für Andrej zu einem Schluck aus dem Schierlingsbecher werden.
Das Gesicht des Mannes war aschfahl, Schweiß glänzte auf seiner Stirn und seine Augen hatten einen trüben, fiebrigen Glanz. Andrej war nicht sicher, dass er seine Worte überhaupt noch hörte, dennoch fuhr er fort: »Ich bin nicht dein Feind, ich will dir nichts tun. Verstehst du das? Ich will dir helfen!«
Der Mann begann, irgendetwas zu stammeln. Fieberfantasien ohne Sinn vermutlich, doch Andrej beugte sich ein wenig weiter vor, um sein Ohr näher an seine Lippen zu bringen.
Dann – plötzlich – loderte etwas in den Augen des Verwundeten auf, und das Entsetzen darin gewann eine neue, noch schlimmere Qualität, während sich sein Blick an einem Punkt irgendwo hinter Andrej festsaugte. Er hörte leise Schritte und das Rascheln von Stoff. Abu Dun war gekommen.
Im gleichen Moment stieß das Mädchen einen schrillen, sich überschlagenden Schrei aus. »Dauga! «
Und dann schien alles gleichzeitig zu geschehen.
Der Verwundete bäumte sich noch einmal und diesmal höher auf. Ein gurgelnder Schrei kam über seine Lippen und seine verbliebene Hand zuckte zum Gürtel und riss einen kurzen, beidseitig geschliffenen Dolch mit schartiger Klinge hervor, der sich wie der Giftzahn einer angreifenden Schlange in Andrejs Hals bohren wollte.
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Autoren-Porträt von Wolfgang Hohlbein
Hohlbein, WolfgangWolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, zählt zu Deutschlands erfolgreichsten Autoren phantastischer Unterhaltungsliteratur. Seine Bücher haben inzwischen eine Gesamtauflage von über 20 Millionen erreicht.
Bibliographische Angaben
- Autor: Wolfgang Hohlbein
- 2009, 341 Seiten, Masse: 11,9 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548269060
- ISBN-13: 9783548269061
Rezension zu „Blutkrieg “
»Atmosphärisch dicht und spannend.« Bild am Sonntag »Atemberaubende Lektüren, von denen man nicht so schnell loskommt.« Berliner Morgenpost
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