Blutbraut
Seit sie denken kann, ist Lucinda Moreira auf der Flucht vor Joaquín de Alvaro, denn sie ist eine "Blutbraut", und nur sie kann den mächtigen Magier davor bewahren, zum Nosferatu zu werden. Dazu aber müsste sie ihm ihr Blut geben und sich...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
Fr. 20.50
inkl. MwSt.
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Produktdetails
Produktinformationen zu „Blutbraut “
Seit sie denken kann, ist Lucinda Moreira auf der Flucht vor Joaquín de Alvaro, denn sie ist eine "Blutbraut", und nur sie kann den mächtigen Magier davor bewahren, zum Nosferatu zu werden. Dazu aber müsste sie ihm ihr Blut geben und sich auf ewig an den Mann binden, der für sie die Verkörperung alles Bösen scheint.
Doch dann tritt genau das ein, wovor sie sich fürchtet: Gerade als Lucinda sich erstmals verliebt hat, und zwar in den charmanten Cris, wird sie entführt und auf das Anwesen Joaquíns gebracht. Lucinda ist in eine Falle gelaufen, denn Cris ist kein anderer als Joaquín de Alvaros Bruder, und auch er sucht eine Blutbraut.
Doch die beiden Brüder sind nicht die einzigen. Auch andere Mitglieder ihres Konsortiums begehren Lucindas Blut. Als Lucinda in die Gewalt eines von ihnen gerät und Joaquín sie unter Einsatz seines Lebens befreit, beginnt Lucinda sich zu fragen, welches die wahren Motive für sein Handeln sind.
Klappentext zu „Blutbraut “
Magie macht ihn stark, Liebe verletzlichSeit sie denken kann, ist Lucinda Moreira auf der Flucht vor Joaquín de Alvaro, denn sie ist eine "Blutbraut", und nur sie kann den mächtigen Magier davor bewahren, zum Nosferatu zu werden. Dazu aber müsste sie ihm ihr Blut geben und sich auf ewig an den Mann binden, der für sie die Verkörperung alles Bösen scheint.
Doch dann tritt genau das ein, wovor sie sich fürchtet: Gerade als Lucinda sich erstmals verliebt hat, und zwar in den charmanten Cris, wird sie entführt und auf das Anwesen Joaquíns gebracht. Lucinda ist in eine Falle gelaufen, denn Cris ist kein anderer als Joaquín de Alvaros Bruder, und auch er sucht eine Blutbraut ...
Doch die beiden Brüder sind nicht die einzigen. Auch andere Mitglieder ihres Konsortiums begehren Lucindas Blut. Als Lucinda in die Gewalt eines von ihnen gerät und Joaquín sie unter Einsatz seines Lebens befreit, beginnt Lucinda sich zu fragen, welches die wahren Motive für sein Handeln sind ...
Lese-Probe zu „Blutbraut “
Blutbraut von Lynn Raven1
Boston, Massachusetts, USA
ie Kondome knisterten in meiner Gesäßtasche. Eines hat-
te ich haben wollen. EINES! Josh hatte mir gleich mehrere in die Hand gedrückt und grinsend ein »Nur zur Sicherheit!<, nachgeschoben. Mein reizender Kollege Josh, der die genialsten Cocktails der Ostküste mixte, das heißeste Lächeln des ganzen Kontinents hatte und gewöhnlich nichts anbrennen ließ. Was hatte mich geritten, ausgerechnet ihn zu fragen? Ach ja. Der Umstand, dass er so gnadenlos schwul war, dass sich vermutlich schon ganze Legionen weiblicher Wesen die Augen wegen so viel Verschwendung ausgeheult hatten - und ich deshalb angenommen hatte, er würde mir keinen dummen Spruch drücken. Hatte er genau betrachtet auch nicht, aber irgendwie hatte ich wohl erwartet, er wäre bei der Übergabe etwas ... diskreter. Nun - falsch gedacht, Lucinda.
Ich starrte in den fleckigen Spiegel über den Waschbecken. Beinah erwartete ich, dass fremde, glitzernde Augen zurückstarren würden ...
Warum hatte auch ausgerechnet heute der Kondomautomat vor den Toiletten leer sein müssen? - Warum war ich ausgerechnet heute zu dem Entschluss gekommen, dass ich nicht Nein sagen würde, sollte Cris mich heute Nacht fragen, ob ich mit ihm schlafen wollte? - Vielleicht weil Bratt mich zu Beginn meiner Schicht in sein Büro gerufen hatte, um mir nicht nur meinen Lohn für den letzten Monat zu geben, sondern auch um mir zu sagen, dass ich ihm noch mal meine Papiere vorbeibringen sollte, da mit den Daten in seinen Unterlagen etwas nicht stimmte? Vielleicht weil mir in dem Moment klar geworden war, dass meine Zeit mal wieder abgelaufen war? Wobei: Genau genommen war sie das schon eine ganze Weile. Tick-tack-tick-tacktick. Ich hatte nur den Wecker nicht gehört. - Nein, ich hatte ihn nicht hören wollen.
Jetzt hatte ich jedenfalls eindeutig ein
... mehr
Problem: Meine Papiere waren so falsch wie der Name, unter dem mich alle im Forty-two kannten. Wenn Bratt - oder irgendjemand anders -sie genauer unter die Lupe nahm, war ich geliefert. Wenigstens hatte er mir meinen Lohn trotzdem vollständig ausbezahlt. Zum Glück. Das Bündel Geldscheine war ein beruhigender Druck in meiner Hosentasche. Ich würde also einmal mehr einfach verschwinden. Ohne ein Wort zu sagen, schlicht nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Meine Sachen packen und weiterziehen. Wie immer. Nur dass ich dieses Mal nicht weiterziehen wollte. Noch nicht. Wegen Cris. Cris, mit seinen blonden Locken, deren Ansatz mir verraten hatte, dass sie von Natur aus deutlich dunkler waren, und den sanften, hellbraunen Augen. Cris, dessen Anblick mein Herz schneller schlagen ließ und der mich behandelte, als sei ich etwas unendlich Kostbares. Er war das Beste, was mir in meinem ganzen Leben passiert war. Ich war selbstsüchtig genug, ihn nicht aufgeben zu wollen. Manchmal brauchte auch ich einen Traum, an dem ich mich festhalten konnte. Und wenn es nur für kurze Zeit war.
Vielleicht konnte ich ja doch noch in der Stadt bleiben und mir einfach nur einen anderen Job suchen? Boston war groß -und anonym genug. Ich könnte weiter im Boston Animal Shelter helfen, jeden Tag Jasper sehen, seine Wuschelohren kraulen, mein Gesicht in seinem Fell vergraben - zumindest bis er eine nette Familie gefunden hatte ...
Ich war es Leid davonzulaufen. Nie irgendwo länger bleiben zu können als ein paar Wochen oder höchstens Monate, wenn ich Glück hatte; kein wirkliches Zuhause, keine richtigen Freunde zu haben ... Aber letztlich hatte ich keine andere Wahl. Weil ich war, was ich war: eine Blutbraut. Sie werden
dich jagen, solange du lebst, Lucinda. Du darfst niemals zu lang
an einem Ort bleiben, sonst werden dich die Hexer der Herman-
dad finden. Wieder und wieder hatte Tante Maria es mir eingehämmert. Und dann harte einer von ihnen sie umgebracht. Es ist nicht fair! Beinah hätte ich aufgelacht. Nichts in meinem Leben war fair. Und das alles hatte ich ihm zu verdanken. Joaquin de Alvaro. Der mein Blut zum Überleben brauchte. Egal ob ich wollte oder nicht. Monster!
»Ach, hier bist ...«
Mit einem hohen Laut schreckte ich zu der Stimme herum. Meine Tasche schlug gegen meine Hüfte.
In der Tür des Waschraumes hob Pam abwehrend die Hände. »Shit, bist du heute schreckhaft, Mia.«
»Tut mir leid ...« Ich zwang mich, die Hand von dem Springmesser in meiner Hosentasche zu lösen und sie möglichst unauffällig zurückzuziehen. »Ich ...«
»He, vor mir musst du dich nicht rechtfertigen, Prinzessin.« Pam zuckte in geheuchelter Unschuld die Schultern. »Ich wäre vermutlich auch nervös, wenn ich dasselbe vorhätte wie du.«
Herr im Himmel, wem hatte Josh noch von der Sache mit den Kondomen erzählt? Ich drehte mich wieder um, zerrte Papierhandtücher aus dem Spender, trocknete mir scheinbar gelassen die Hände ab. »Ich meine ... zum ersten Mal einen Typen flachzulegen, ist schon ein Höhepunkt im Leben einer Frau ...« Zack! Mein Blick zuckte hoch, begegnete ihrem im Spiegel. Nur weil ich mich nicht jedem Kerl im Forty-two an den Hals warf, bedeutete das nicht, dass ich noch nie ... Auch wenn Cris der Erste war, bei dem ich mir wünschte, ich könnte mehr haben als nur eine oder vielleicht zwei Nächte in seinen Armen. Ich quetschte die Papiertücher zu einem feuchten Ball zusammen. Jetzt konnte sie sich ein Grinsen offenbar doch nicht mehr verbeißen. »Dein Freund ist ja auch Zucker. Ich an deiner Stelle hätte ihn gleich beim ersten Mal rangelassen.« Ich wandte mich erneut zu ihr um. Es war kein Geheimnis, dass Pam nach ihrer Schicht eigentlich nie allein ins Bett ging. Und dass sie einen Typen gewöhnlich auch nie zwei Mal mit nach Hause nahm. Ihr Grinsen wurde noch breiter. »Er steht übrigens an der Bar und wartet auf dich.«
Cris war da! Mit einem Schlag war alles andere vergessen. Plötzlich hatte ich Herzklopfen wie ein kleines Kind zu Weihnachten. Nicht, dass es für Tante Maria und mich so etwas wie ein Weihnachtsfest gegeben hätte. Bäume kosteten Geld und wo hätten wir auch nur das kleinste Bisschen Schmuck unterbringen sollen, wenn wir eigentlich nur aus dem Koffer lebten? Und trotzdem: Da war eine Erinnerung - eine, die aus meinem irgendwie nicht existenten Leben vor meiner Zeit mit Tante Maria stammen musste: eine riesige Tanne; unzählige Lichter tanzten in ihrem Grün; Eiskristalle glitzerten neben in allen Regenbogenfarben schimmernden Kugeln; die Spitzen ihrer Zweige waren mit kaltem Schnee bestäubt. Da waren Strohsterne. Und ein Hund. Groß; dunkles, seidig langes Fell; eine weiße Halskrause wie eine Löwenmähne; eine schmale, lange Schnauze, die heimlich Wurststückchen aus meinen Händen nahm. Quichotte. Der Name war manchmal wie ein Flüstern in meinen Gedanken.
Direkt vor meinem Gesicht schnippten Finger. Ich fuhr zurück, blinzelte. >>Erde an Mia!» Pam. »Hallo? Jemand zu Hause? - Oder möchtest du meine Schicht übernehmen und ich verbringe den Abend mit deinem Freund?« Anscheinend hatte sie mir diese Frage schon einmal gestellt.
»Danke, nicht nötig!» Ich erwiderte ihr Grinsen mit einem möglichst lockeren Schulterzucken, beförderte den Papierhandtuchball in den gefährlich überquellenden Mülleimer unter den Waschbecken und schob mich an ihr vorbei in den schmalen Gang, der den Club mit den Waschräumen verband. »Wir sehen uns morgen.« Nur dass es für mich im Forty-two kein >morgen, mehr gab.
»Viel Spaß, Prinzessin!»
Ohne mich noch einmal umzudrehen, winkte ich ihr über die Schulter zu und zog die schwere Feuerschutztür auf - und musste zwei jungen Frauen ausweichen, die mir auf Absätzen entgegenstöckelten, auf denen ich mir spätestens beim zweiten Schritt den Hals gebrochen hätte, bevor ich selbst hindurchgehen konnte.
Obwohl es gerade erst auf zehn Uhr zuging, war das Fortytwo schon gut besucht. In den Nischen hatte es sich die übliche Klientel bequem gemacht: junge Männer und Frauen zwischen zwanzig und dreißig, allerhöchstens fünfunddreißig - die vor allem im hinteren Bereich mehr Mommys und Daddys Geld
ausgaben als ihr eigenes. Die Tanzfläche war eine lose Masse dunkler Schatten, über die immer wieder dünne Spotlichtfinger und Stroboskopblitze zuckten. Eine halbe Stunde mehr und es gab nur noch Stehplätze. An der Bar war das jetzt schon der Fall. Heute Nacht durfte es mir ausnahmsweise egal sein, wie viel Arbeit ins Haus stand. Eigentlich hätte meine Schicht auch bis halb drei Uhr gedauert, aber Bratt hatte mir erlaubt, dieses Mal früher zu gehen und meine Überstunden abzubummeln.
Verglichen mit dem Licht draußen im Gang, das die Glühbirne in ihrem Drahtkäfig unter der Decke verbreitet hatte, war es auf dieser Seite der Feuerschutztür mehr als dämmrig. Trotzdem sah ich Cris sofort. Er lehnte an der Ecke der Bar, direkt neben den Schwingtüren, die in den für Gäste verbotenen Bereich dahinter führten, und unterhielt sich mit Josh -na klasse! -, der in genau diesem Moment an ihm vorbei in meine Richtung nickte. Cris wandte sich um. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, das mir das Gefühl gab, außer ihm das einzige lebende Wesen auf diesem Planeten zu sein. Er ließ Josh stehen und kam mir entgegen. Sein Haaransatz war wieder blond nachgefärbt. Im Nacken reichten die Spitzen bis auf das dunkle Sweatshirt mit Kapuze, das er um die Schultern gelegt hatte. Wahrscheinlich würde er sie demnächst wieder auf eine >gepflegtere, Länge stutzen lassen. Schade. Eine langbeinige Schönheit unterbrach ihren Weg zu den Nischen im hinteren Bereich und drehte sich nach ihm um. Ihr Begleiter wäre beinah gegen sie geprallt. Cris schien es gar nicht zu bemerken.
»Wow!» Er ergriff meine Hände und hob sie von meinem Körper weg, um mich besser betrachten zu können.
Mein Gesicht wurde heiß. Die Ärmel der schwarzen Spitzenbluse rutschten ein Stück in die Höhe. Ich hatte sie nicht zugeknöpft. Darunter trug ich nur noch ein sandfarbenes Spaghettiträger-Top. Auffällig hell verglichen mit den dunklen Grautönen, die sonst mein Stil waren. Hoffentlich sah man auch bei anderen Lichtverhältnissen nicht, dass die beiden Oberteile secondhand waren. Cris zuliebe hatte ich zugunsten einer ausgeblichenen Jeans auf meine schwarze Lederhose verzichtet. Dass sie ihre besten Tage schon hinter sich hatte, ließ sich nicht mehr verbergen. Dabei gehörte sie eindeutig zu den guten Sachen in meinem Kleiderschrank. - Welcher Kleiderschrank, Lucinda?
Ich befreite meine Hände aus seinem Griff und zog die Ärmel hastig an ihren Platz zurück, um die Narbe an meinem Handgelenk zu verbergen. - Warum hatte ich das Lederband nur abgelegt, das ich normalerweise mehrfach darumgeschlungen trug?
Mein Lächeln war alles andere als sicher. »Selber wow.« Wie immer. In seinen schwarzen Hosen, die ganz aus aufgesetzten Taschen zu bestehen schien, und dem einfachen weißen Hemd, das lässig über den Bund hing, hätte er mühelos bei jedem Vergleich mit den Von-Beruf-Sohn-Jungs unter den Gästen mit-haken können. Dabei finanzierte er sich sein Studium selbst.
»Nicht neben dir.« Er bedachte mich mit diesem Lächeln, das mir jedes Mal das Herz schneller schlagen ließ. Was hatte ich getan, dass sich das Schicksal endlich meiner erinnerte und mir ein kleines bisschen Glück gönnte? Nein. Ich konnte Boston nicht verlassen. Egal was passierte. Ich wollte nicht mehr ohne Cris sein. Nie wieder.
»Wie war die Uni?» Er studierte etwas, das sich International Management nannte. Vielleicht hörte mein Gesicht auf zu brennen, wenn ich mich fürs Erste unverfänglicheren Themen zuwandte. Solche, bei denen er mir keine Komplimente machen konnte.
»Frag nicht.« Er stieß ein Stöhnen aus. »Die Hälfte meiner Dozenten muss heute Zahnschmerzen gehabt haben.« Sein Blick strich noch einmal über mich. Eine blonde Strähne war ihm in die Stirn gefallen. Warum zum Teufel färbte er sich die Haare hell? Wenn sie von demselben dunklen Braun wie seine Brauen waren, musste es in Kombination mit seinen hellbraunen Augen noch umwerfender aussehen. Er hätte ebenso gut auf einem Laufsteg sein Geld verdienen können, statt in einer Werbeagentur zu jobben. Der Hauch eines Zögerns, dann beugte Cris sich zu mir und küsste mich ganz leicht auf die Wange. Und zog sich hastig wieder zurück. Beinah wie jemand, der fürchtet, bei etwas Verbotenem ertappt zu werden. So war es von Anfang an gewesen. Was möchtest du heute Abend machen?»
»Ich weiß nicht.» Aber du könntest mich im Laufe des Abends fingen, ob ich mit dir schlafen will, und mich mit zu dir nehmen. Nicht, dass ich seine Wohnung schon einmal gesehen hatte. Ich wusste nur, dass es kein Zimmer in einem Studentenwohnheim oder einem Verbindungshaus war, wo ab einer gewissen Uhrzeit kein Besuch mehr erlaubt war. Ich schloss die Finger um den Riemen meiner Tasche. Meine Handfläche fühlte sich klamm an. Cris nahm meine freie Hand in seine.
»In der Tremont Street hat ein neues arabisches Restaurant aufgemacht. Hast du Lust, es auszuprobieren? - Ich zahle.« Hundeblick. Etwas anderes traf es nicht, um den Ausdruck zu beschreiben, mit dem er mich ansah. Cris aß für sein Leben gern. Wobei ich mich fragte, wo er die ganzen Kalorien hinsteckte. Vor allem arabisch - und spanisch. Und er zahlte eigentlich immer. Was mir schon mehrfach ein schlechtes Gewissen beschert hatte. Allerdings war die Tremont Street nicht mal nur eben so zwei Blocks entfernt. Dass sich meine Begeisterung über seinen Vorschlag in Grenzen hielt, entging ihm nicht. »Oder sollen wir lieber zum Fish Pier und dort etwas essen?« Er wusste, dass ich das Wasser - und vor allem das Meer - liebte. Wenn sich die Wellen vor mir bis zum Horizont erstreckten, hatte das für mich etwas von schierer Unendlichkeit. Und Freiheit. Damit hatte er mich am Haken - weitestgehend zumindest.
»Das ist aber auch nicht gerade um die Ecke.« Zum Fish Pier war es zu Fuß eine knappe halbe Stunde. Normalerweise machte mir die Entfernung nichts aus, aber es hatte heute den ganzen Tag geregnet und die Jacke, die ich an den Riemen meiner Tasche geknotet hatte, war eigentlich zu dünn Für diese Jahreszeit. Vor allem in Kombination mit einer Spitzenbluse. Obendrein war Bratt auf die grandiose Idee verfallen, dass hochhackige Schuhe seinen Mädels zu längeren Beinen verhalfen, was für ihn potenziell mehr Umsatz bedeutete. Ich hatte die ungewohnten Riemchensandalen mit einem kleinen Absatz zwar längst wieder gegen meine bequemen Docs getauscht, trotzdem taten mir die Füße weh.
»Mein Wagen steht nur ein paar Straßen weiter.« Er streckte mir auffordernd die Hand hin. Als hätte er einkalkuliert, dass es für mich wieder der Pier sein würde, wenn er mir die Wahl ließ. Ich ergriff sie. Warm und fest schlossen sich seine Finger um meine, drückten sie kurz. Fühlte sich so Geborgenheit an? Cris bedachte mich noch einmal mit jenem ganz bestimmten Lächeln, dann drehte er sich um und bahnte uns einen Weg durch das Gedränge um die Bar herum. Josh zwinkerte mir grinsend zu, als wir auf seiner Höhe waren, und ich musste mich zusammenreißen, um ihm nicht den Mittelfinger zu
zeigen. Cris zog mich unbeirrt weiter Richtung Ausgang. Meine Hand fest in seiner.
Sobald wir die Bar und die Tanzfläche hinter uns gelassen hatten und aus den >Katakomben, des Forty-two heraus waren, löste das sanfte Licht stylish-moderner Wandlampen das dämmrige Halbdunkel ab. Mit jedem Schritt, den wir die breite Treppe ins Erdgeschoss und damit in den Eingangsbereich hinaufstiegen, blieb die Musik weiter hinter uns zurück. Dafür wurde das Stimmengewirr vor uns lauter. Wie jeden Abend konnte die Security sich nicht über Arbeitsmangel beklagen. Marcus und Gien schenkten uns nur flüchtig ihre Aufmerksamkeit. Sie interessierte mehr, was in den Club hineinwollte als was ihn verließ - solange Letzteres weder betrunken war noch randalierte. Lisa, neben den beiden Hünen die heutige Quotenfrau für potenzielle Leibesvisitationen bei weiblichen Gästen, winkte mir zu und fächelte sich mit einem vielsagenden Blick auf Cris theatralisch Luft zu, bevor sie eine zierliche Blondine und ihren Begleiter durchnickte. So harmlos sie wirkte: Mochte Gott dem gnaden, der sich mit ihr anlegte.
Cris grinste und hob meine Finger in einem kurzen Kuss an seine Lippen, während wir an ihr vorbeigingen; woraufhin Lisa eine Schnute zog und dramatisch den Handrücken gegen die Stirn legte. Ich zwang mich zu einem Lächeln und winkte ihr meinerseits - schon fast an der Tür - zu. Sie gehörte zu denen, die ich besonders vermissen würde.
Draußen begrüßte uns kühle, feuchte Nachtluft. Der Asphalt glänzte. Pfützen schimmerten im Licht der Straßenlaternen. Es musste auch während meiner Schicht geregnet haben.
»Da lang.« Cris legte mir den Arm um die Schultern und wandte sich mit mir nach rechts, weg von der Menschentraube, die noch darauf wartete, ins Forty-two gelassen zu werden. Ich wagte es, mich in seine Berührung zu schmiegen. Und wünschte mir einmal mehr, das hier für immer haben zu können. Nur dass meine Wünsche sich gewöhnlich nie erfüllten. Auf der anderen Straßenseite stand ein silbergrauer Sedan. Ich stockte für den Bruchteil einer Sekunde. Mein Herz klopfte plötzlich schneller. Zwei Männer saßen darin. Der auf der Beifahrerseite sah von seinem Handy auf, über die Straße. Sein Blick fiel auf Cris und mich, wanderte weiter, kehrte zu seinem Handy zurück. Bestimmt warteten sie nur auf jemanden. Vielleicht die Bodyguards irgendeines Gastes im Forty-two. Wahrscheinlich.
»Alles in Ordnung?« Cris' Frage ließ mich zusammenzucken.
Ich nickte schnell, lächelte ihn an. »Ja. Alles bestens.« Wie gut ich doch im Lügen war. Aber ich würde nicht zulassen, dass mein Leben mir das mit Cris zerstörte. Niemals. Nicht, wenn ich es irgendwie verhindern konnte.
Er neigte den Kopf ein wenig, musterte mich prüfend. »Vielleicht ein bisschen müde.«
»Armes.« Sein Arm zog mich enger an seine Seite. »War die Schicht so schlimm?« Als sei ihm plötzlich ein Gedanke gekommen, blieb er stehen. »Soll ich dich vielleicht lieber nach Hause bringen und wir
»Nein!" Viel zu laut und viel zu hart. Verblüfft rückte er ein Stückchen von mir ab. »Ich ...« Das hier war Cris. Ich konnte ihn mit zu mir nach Hause nehmen. Ich konnte ihm vertrauen. Er würde mich nicht verraten. Er würde auch nicht die Nase rümpfen, wenn er sah, wie ich wohnte. Und trotzdem ... Ich rang mir ein Lächeln ab. »Nein. Ich habe mich so auf den Abend mit dir gefreut. Ein bisschen frische Luft und bis wir am Auto sind, bin ich wieder fit. Versprochen.« Lügnerin!
»Bist du sicher?"
»Ganz sicher.« Ich schob mich unter seinen Arm zurück und lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter. Ein kurzes, irgendwie noch immer zweifelndes Zögern, dann zog Cris mich wieder dicht an sich und wir gingen weiter. Schweigend. Ich genoss es.
An der nächsten Ecke bogen wir in eine Seitenstraße. Anscheinend hatten die Häuser bisher den Wind von uns abgehalten, denn nun schlugen uns die kalten Böen ungemindert entgegen, schüttelten Nässe von den Straßenlaternen. Ihr gelbes Licht glänzte in den Pfützen. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch, löste im Gehen meine Jacke von meiner Tasche und schlüpfte in die Ärmel. Viel würde sie vermutlich nicht bringen, aber sie war immer noch besser als nichts. Cris' Arm war von meinen Schultern gerutscht. Er sah auf mich hinab. Beim Anblick meiner Jacke huschte etwas über sein Gesicht, das ich nicht deuten konnte.
»Hier!« Er blieb stehen, zog sein Sweatshirt von den Schultern und legte es mir um. »Lass uns zusehen, dass wir dich ins Auto und dann ins Warme bringen. Es ist nicht mehr weit. Nur noch zwei Blocks.« Seine Hand streifte meine Wange, dann beugte er sich zu mir, um mich erneut zu küssen. Ich reckte mich ein wenig, kam ihm auf halbem Weg entgegen. Ein Auto fuhr an uns vorbei, wurde langsamer - für einen Moment versteifte ich mich - und beschleunigte wieder. Cris' Zunge stahl sich in meinen Mund. Seine Arme hielten mich. Ich verbannte die Welt aus meinen Gedanken, schmiegte mich an ihn. Es war mir egal, wer uns sah. Meinetwegen konnten wir die ganze Nacht so zubringen.
Ich spürte ihn in der Sekunde, in der Cris seine Lippen von meinen löste. Schnell machte ich einen Schritt zurück.
Was...? setzte Cris verblüfft an, verstummte dann aber, als ich seine Hand ergriff und ihn hastig vorwärtszog.
Er war auf der anderen Seite. Noch ein Stück weit von uns entfernt. Ein schlanker, mittelgroßer Mann. Dunkelblond. Abgesehen davon, dass er verwirrend gut aussah, wirkte er nicht anders als ein normaler Mensch. Anscheinend knapp um die vierzig. Das bedeutete, er war alt. Und entsprechend mächtig. Warum jetzt? Warum heute Nacht? Sie haben mich so lang nicht gefunden ... Hast du tatsächlich gedacht, das Schicksal würde es einmal gut mit dir meinen, Lucinda? Er war nicht allein. Drei weitere Männer. Sie waren nicht wie er. Zwei hinter uns, aus der Richtung des Forty-two. Einer bei ihm auf der anderen Seite der Straße - die sie eben überquerten. Direkt auf uns zu. Ansonsten war keine Seele zu sehen. Boston hätte von einer Sekunde zur anderen eine Geisterstadt sein können. Natürlich. Sie wollten keine Zeugen. Mehrere Blocks weiter leuchteten die Rücklichter eines Wagens rot auf.
Ich beschleunigte meine Schritte. Zog Cris hinter mir her. Wobei ... Eigentlich musste ich das gar nicht. Er ging ebenso schnell wie ich. Hatte er die Männer auch bemerkt? Ahnte er, was sie wollten? Nein, wie hätte er. Das hier war eine Welt jenseits der der >normalen, Menschen. Trotzdem stellte er keine Fragen. Aber er würde es tun. Früher oder später.
Nur ein paar Meter weiter war eine kleine Seitengasse; wenn wir sie erreichen konnten ...
Ein dunkles Schimmern kräuselte plötzlich den Asphalt. Kroch auf uns zu. Der Boden unter unseren Füßen war mit einem Mal klebrig, erschwerte jeden Schritt. Wie in einem Albtraum, in dem man rannte und doch nicht von der Stelle kam. Die Männer hinter uns hatten uns beinah eingeholt. Die vor
uns waren stehen geblieben, erwarteten uns - mich. Ich blieb ebenfalls stehen. Cris hielt genauso abrupt an, drehte sich zu mir, sah zwischen mir und den Männern hin und her. Wachsam, angespannt. Versuchte mich weiter zu ziehen. Ich rührte mich nicht. Sie wollten mich. Nicht ihn. Nur mich. Der Eingang zur Gasse verschwamm, wurde unscharf, als sei er da und irgendwie doch nicht. Cris stöhnte. Ich befreite meine Hand aus seiner. Er bemerkte zu spät, was ich tat, schüttelte den Kopf Der eine vor uns schnalzte mit der Zunge, schaute Cris an.
»Was wohl der gute Joaquin dazu sagen wird?«, Wozu auch immer er etwas sagen sollte, er sollte daran ersticken. Seine Augen wanderten weiter zu mir. >Weglaufen ist vollkommen zwecklos, meine Liebe.« Er lächelte. Ich konnte seine Eckzähne sehen. Vampir! In meiner Brust zogen sich meine Lungen zusammen. Jetzt nicht! Bitte, lieber Gott, jetzt nicht! Atmen, Lucinda! Atmen! Einer meiner Anfälle war das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte!
Die Männer hinter uns hatten in ein paar Metern Distanz Stellung bezogen. Vor mir ballte Cris die Fäuste. Wollte er etwa mit ihnen kämpfen? Er hatte keine Chance. Selbst das Messer in meiner Hosentasche kam mir auf einmal wie ein schlechter Scherz vor. Sie würden ihn umbringen. Er war für sie ohne Bedeutung. Sie würden ihn umbringen, nur weil er bei mir war. Bei mir. Einer Blutbraut.
>laufh, Erst als Cris mir einen hastigen Blick über die Schulter zuwarf, war ich sicher, dass das Wort über meine Lippen gekommen war. »Lauf.« Seine Augen weiteten sich. Ich zwang meine Beine, sich zu bewegen, schob mich an ihm vorbei. Seine Hand schloss sich um meinen Arm. Versuchte, mich zurückzuhalten. Das Lächeln des einen wurde verächtlich.
»Wie rührend -«
Der Wagen hielt keinen Meter neben uns. Ein zweiter knapp dahinter. Türen wurden aufgerissen. Eine Stimme zischte: »Einsteigen!«, während ich zugleich um die Mitte gepackt, rückwärts herumgerissen wurde. Ich konnte nur erschrocken aufkeuchen. Cris stolperte von mir weg, wurde auf den anderen Wagen zugezerrt. Jemand heulte wutentbrannt: »Rafael!«. Etwas raste auf uns zu - etwas, von dem ich wusste, dass es wehtun würde - und zerfaserte knapp vor mir zu nichts. Ein Lachen dicht neben meinem Ohr, zugleich ein Stoß, ich landete verdreht auf dem Rücksitz des Autos, schlug mir das Knie an, ein Mann direkt hinter mir, die Tür schlug zu. Ich versuchte hochzukommen. Reifen quietschten, ich fiel auf das Polster.
»Zum Flughafen, Felipe!» Dieselbe Stimme, die eben noch Einsteigen< gezischt hatte. »Wir haben, was wir wollten.« Oh mein Gott. Sie gehörten zu ihm. »Komm hoch, Kleines!« Eine Hand an meinem Arm. Ich riss mich los. Flüchtete in die andere Ecke des Rücksitzes, drückte mich gegen die Tür. Nur kurz glaubte ich, Cris auf dem Beifahrersitz des Wagens hinter uns zu sehen. Sie nahmen ihn mit. Nein! Schlagartig zitterte ich.
»Er hat nichts damit zu tun ...» Die Worte waren mehr ein Stöhnen. Meine Lungen weigerten sich, etwas anderes als kurze, japsende Atemzüge zuzulassen. Panisch tastete ich hinter mich. Der Mann neben mir runzelte verständnislos die Stirn. Seine Haut war hell, blass, nur mit einem Hauch Gold überzogen. Augen wie fahles blaues Eis. Mit einer nachlässigen Bewegung strich er sich sein weißblondes Haar zurück. Kinnlang. Schön wie ein Engel. Und nicht viel älter als Cris; ungefähr in seinem Alter.
Er war nicht wie sie. Kein Hexer der Hermandad. Und auch kein Nosferatu. Er fühlte sich zumindest nicht so an. Und trotzdem war er ... anders.
Endlich fand ich den Türgriff hinter meinem Rücken. Ich zerrte daran. Nichts rührte sich. Beinah hätte ich geschluchzt. Sie gehörten zu IHM. »Ihr müsst ihn gehen lassen ...«
Das Stirnrunzeln wurde unwillig. »Ihn gehen lassen wie 'ihn in Boston zurücklassend - Ja, natürlich.« Er lachte spöttisch. Ich sah seine Eckzähne. Keine Reißzähne. Und doch ... fast. »Ezra würde ihn Stück für Stück auseinandernehmen, als Vergeltung dafür, dass ich seinem Schoßhund Abner gerade Joaquin de Alvaros Blutbraut direkt vor der Nase weggeschnappt habe - im wahrsten Sinne des Wortes. Und das auch noch in Boston, seiner Hochburg. Als Patron der Cohen-Familie könnte er so etwas gar nicht ungesühnt lassen.« Ein kurzer Blick durch das Heckfenster zu dem Wagen hinter uns, dann sah er mich wieder an. »Ganz nebenbei wird Joaquin selbst ein Hitzekleines Hühnchen in der Größenordnung eines Truthahns mit dem lieben Cris rupfen wollen.»
»Nein. Er hat doch mit alldem gar nichts tun.» Woher kannte er Cris' Namen? Wie lange beobachteten sie mich schon? Oh Gott, Cris, es tut mir so leid! Ich wollte nicht, dass das passiert, dass du da mit hineingezogen wirst ...
Der Wagen bog um eine Kurve, Gebäude huschten vorbei. Noch zwei Ampeln und wir waren auf der Massachusetts Turnpike - und dann war es zu spät. Ich presste mich fester gegen die Tür. Vor uns die erste Ampel. Sie sprang auf Gelb, dann auf Rot. Der Wagen wurde langsamer.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nichts zu tun?«, brummte er abfällig.
Ich stieß mich von der Tür ab, versuchte, zwischen und über die Vordersitze hinwegzuklettern. Der Fahrer jaulte, als ich ihm unabsichtlich das Knie in den Nacken rammte, der andere erwischte mich am Bund meiner Jeans, riss mich zurück. Ich schrie, klammerte mich an den Lehnen fest, trat um mich. Er fluchte, wich mir aus, löste meine Finger mit Gewalt.
»Hör auf'. Ich will dir nicht wehtun müssen. - Fahr, Felipe! Keine Stopps mehr. Scheiß auf die Ampeln!«
Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung. Ein Ruck, ich heulte auf, landete halb neben, halb auf ihm auf dem Sitz. Er packte mich bei der Jacke, versuchte, mich von sich herunter-und wieder neben sich zu zerren. Ich fuhr mit der Hand in meine Hosentasche, zog sie mit dem Messer wieder hervor, ließ die Klinge herausspringen, rammte sie ihm in den Oberschenkel. Er brüllte. Ich warf mich auf die Tür auf seiner Seite zu. Der Fahrer trat auf die Bremse, versuchte, nach mir zu greifen. Hinter uns kreischte eine zweite Bremse. Lauf Cris! Plötzlich war etwas zwischen meinen Beinen, riss sie mir weg. Die Seitenscheibe. Direkt vor mir! Ich schlug mit der Stirn dagegen, war unvermittelt auf dem Boden zwischen den Vorder- und Rücksitzen, ohne zu wissen wie, warum. Eine seltsam klebrige Wärme war an meiner Stirn, meinem Arm. Eine Stimme über mir. Grollend. Benommen wollte ich mich aufsetzen. Mein Kopf pochte. Der Wagen bewegte sich nicht mehr. Vor mir wurde die Tür geöffnet. Kalte Nachtluft wehte herein. Jemand stand davor. Schwarze Hosen. Mit vielen Taschen. Ich wollte daraufzukriechen. Eine Hand in meinem Nacken hielt mich nieder.
»Rafael, was zum Teufel ...«
»Cris!« Ich wimmerte, schluchzte.
»Halt die Klappe, Cristóbal. Wieder die Stimme. Dann war sie ganz dicht an meinem Ohr. »Ich hatte gehofft, wir könnten
das nett und freundlich über die Bühne bringen, aber ich werde keine weiteren blauen Flecken an dir vor Joaquin verantworten, Kleines. Ganz zu schweigen von noch mehr Blut.« Ich sah das Glänzen nur aus dem Augenwinkel. Die Nadel einer Spritze. Etwas in mir wusste, ich musste mich bewegen, es wenigstens versuchen ... Ein Stich in der Schulter. Ein Brennen. Trübe, die sich wie ein Sack über mich stülpte ... Jemand jammerte, leise und hell. Mehrere Hände. Hievten mich in die Höhe. Der Sitz. Ich sank gegen die Rückenlehne, rutschte halb zur Seite. Ein Griff an der Schulter. Zurück in die Senkrechte. Zumindest ein Stück. Berührung an meinem Gesicht, meinen Lidern. Grelles Licht in meinen Augen. Schmerzhaft. Das Jammern war einem schwachen Klagen gewichen.
»In Ordnung. Sie ist nicht ganz weg, aber sie wird uns keine Schwierigkeiten mehr machen, bis wir in der Luft sind. - iQue duermas bien, tigresa!« Die Berührung verschwand. Unter meiner Wange war das Polster. »Sehen wir zu, dass wir von hier wegkommen, bevor Ezra ein paar Fäden in seiner Domäne zieht und den Flughafen dichtmacht. - Das alles wird deinem Bruder gar nicht gefallen. Hoffentlich hast du eine verdammt gute Erklärung dafür.« Murmeln. »Mach das mit Joaquin aus, nicht mit Die Tür schlug zu. Der Wagen setzte sich in Bewegung, beschleunigte. Lichter huschten draußen vorbei. Huschten. Huschten.
Cristóbal ... deinem Bruder ... Nein! Oh nein! Cris ... Die Lichter huschten weiter. Huschten ...
Kälte strich über mein Gesicht. Die Lichter standen still.
»... dann nimm du sie. Besser, als dass ich sie am Ende fallen lasse ...«
© 2011 cbt Verlag, München
Vielleicht konnte ich ja doch noch in der Stadt bleiben und mir einfach nur einen anderen Job suchen? Boston war groß -und anonym genug. Ich könnte weiter im Boston Animal Shelter helfen, jeden Tag Jasper sehen, seine Wuschelohren kraulen, mein Gesicht in seinem Fell vergraben - zumindest bis er eine nette Familie gefunden hatte ...
Ich war es Leid davonzulaufen. Nie irgendwo länger bleiben zu können als ein paar Wochen oder höchstens Monate, wenn ich Glück hatte; kein wirkliches Zuhause, keine richtigen Freunde zu haben ... Aber letztlich hatte ich keine andere Wahl. Weil ich war, was ich war: eine Blutbraut. Sie werden
dich jagen, solange du lebst, Lucinda. Du darfst niemals zu lang
an einem Ort bleiben, sonst werden dich die Hexer der Herman-
dad finden. Wieder und wieder hatte Tante Maria es mir eingehämmert. Und dann harte einer von ihnen sie umgebracht. Es ist nicht fair! Beinah hätte ich aufgelacht. Nichts in meinem Leben war fair. Und das alles hatte ich ihm zu verdanken. Joaquin de Alvaro. Der mein Blut zum Überleben brauchte. Egal ob ich wollte oder nicht. Monster!
»Ach, hier bist ...«
Mit einem hohen Laut schreckte ich zu der Stimme herum. Meine Tasche schlug gegen meine Hüfte.
In der Tür des Waschraumes hob Pam abwehrend die Hände. »Shit, bist du heute schreckhaft, Mia.«
»Tut mir leid ...« Ich zwang mich, die Hand von dem Springmesser in meiner Hosentasche zu lösen und sie möglichst unauffällig zurückzuziehen. »Ich ...«
»He, vor mir musst du dich nicht rechtfertigen, Prinzessin.« Pam zuckte in geheuchelter Unschuld die Schultern. »Ich wäre vermutlich auch nervös, wenn ich dasselbe vorhätte wie du.«
Herr im Himmel, wem hatte Josh noch von der Sache mit den Kondomen erzählt? Ich drehte mich wieder um, zerrte Papierhandtücher aus dem Spender, trocknete mir scheinbar gelassen die Hände ab. »Ich meine ... zum ersten Mal einen Typen flachzulegen, ist schon ein Höhepunkt im Leben einer Frau ...« Zack! Mein Blick zuckte hoch, begegnete ihrem im Spiegel. Nur weil ich mich nicht jedem Kerl im Forty-two an den Hals warf, bedeutete das nicht, dass ich noch nie ... Auch wenn Cris der Erste war, bei dem ich mir wünschte, ich könnte mehr haben als nur eine oder vielleicht zwei Nächte in seinen Armen. Ich quetschte die Papiertücher zu einem feuchten Ball zusammen. Jetzt konnte sie sich ein Grinsen offenbar doch nicht mehr verbeißen. »Dein Freund ist ja auch Zucker. Ich an deiner Stelle hätte ihn gleich beim ersten Mal rangelassen.« Ich wandte mich erneut zu ihr um. Es war kein Geheimnis, dass Pam nach ihrer Schicht eigentlich nie allein ins Bett ging. Und dass sie einen Typen gewöhnlich auch nie zwei Mal mit nach Hause nahm. Ihr Grinsen wurde noch breiter. »Er steht übrigens an der Bar und wartet auf dich.«
Cris war da! Mit einem Schlag war alles andere vergessen. Plötzlich hatte ich Herzklopfen wie ein kleines Kind zu Weihnachten. Nicht, dass es für Tante Maria und mich so etwas wie ein Weihnachtsfest gegeben hätte. Bäume kosteten Geld und wo hätten wir auch nur das kleinste Bisschen Schmuck unterbringen sollen, wenn wir eigentlich nur aus dem Koffer lebten? Und trotzdem: Da war eine Erinnerung - eine, die aus meinem irgendwie nicht existenten Leben vor meiner Zeit mit Tante Maria stammen musste: eine riesige Tanne; unzählige Lichter tanzten in ihrem Grün; Eiskristalle glitzerten neben in allen Regenbogenfarben schimmernden Kugeln; die Spitzen ihrer Zweige waren mit kaltem Schnee bestäubt. Da waren Strohsterne. Und ein Hund. Groß; dunkles, seidig langes Fell; eine weiße Halskrause wie eine Löwenmähne; eine schmale, lange Schnauze, die heimlich Wurststückchen aus meinen Händen nahm. Quichotte. Der Name war manchmal wie ein Flüstern in meinen Gedanken.
Direkt vor meinem Gesicht schnippten Finger. Ich fuhr zurück, blinzelte. >>Erde an Mia!» Pam. »Hallo? Jemand zu Hause? - Oder möchtest du meine Schicht übernehmen und ich verbringe den Abend mit deinem Freund?« Anscheinend hatte sie mir diese Frage schon einmal gestellt.
»Danke, nicht nötig!» Ich erwiderte ihr Grinsen mit einem möglichst lockeren Schulterzucken, beförderte den Papierhandtuchball in den gefährlich überquellenden Mülleimer unter den Waschbecken und schob mich an ihr vorbei in den schmalen Gang, der den Club mit den Waschräumen verband. »Wir sehen uns morgen.« Nur dass es für mich im Forty-two kein >morgen, mehr gab.
»Viel Spaß, Prinzessin!»
Ohne mich noch einmal umzudrehen, winkte ich ihr über die Schulter zu und zog die schwere Feuerschutztür auf - und musste zwei jungen Frauen ausweichen, die mir auf Absätzen entgegenstöckelten, auf denen ich mir spätestens beim zweiten Schritt den Hals gebrochen hätte, bevor ich selbst hindurchgehen konnte.
Obwohl es gerade erst auf zehn Uhr zuging, war das Fortytwo schon gut besucht. In den Nischen hatte es sich die übliche Klientel bequem gemacht: junge Männer und Frauen zwischen zwanzig und dreißig, allerhöchstens fünfunddreißig - die vor allem im hinteren Bereich mehr Mommys und Daddys Geld
ausgaben als ihr eigenes. Die Tanzfläche war eine lose Masse dunkler Schatten, über die immer wieder dünne Spotlichtfinger und Stroboskopblitze zuckten. Eine halbe Stunde mehr und es gab nur noch Stehplätze. An der Bar war das jetzt schon der Fall. Heute Nacht durfte es mir ausnahmsweise egal sein, wie viel Arbeit ins Haus stand. Eigentlich hätte meine Schicht auch bis halb drei Uhr gedauert, aber Bratt hatte mir erlaubt, dieses Mal früher zu gehen und meine Überstunden abzubummeln.
Verglichen mit dem Licht draußen im Gang, das die Glühbirne in ihrem Drahtkäfig unter der Decke verbreitet hatte, war es auf dieser Seite der Feuerschutztür mehr als dämmrig. Trotzdem sah ich Cris sofort. Er lehnte an der Ecke der Bar, direkt neben den Schwingtüren, die in den für Gäste verbotenen Bereich dahinter führten, und unterhielt sich mit Josh -na klasse! -, der in genau diesem Moment an ihm vorbei in meine Richtung nickte. Cris wandte sich um. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, das mir das Gefühl gab, außer ihm das einzige lebende Wesen auf diesem Planeten zu sein. Er ließ Josh stehen und kam mir entgegen. Sein Haaransatz war wieder blond nachgefärbt. Im Nacken reichten die Spitzen bis auf das dunkle Sweatshirt mit Kapuze, das er um die Schultern gelegt hatte. Wahrscheinlich würde er sie demnächst wieder auf eine >gepflegtere, Länge stutzen lassen. Schade. Eine langbeinige Schönheit unterbrach ihren Weg zu den Nischen im hinteren Bereich und drehte sich nach ihm um. Ihr Begleiter wäre beinah gegen sie geprallt. Cris schien es gar nicht zu bemerken.
»Wow!» Er ergriff meine Hände und hob sie von meinem Körper weg, um mich besser betrachten zu können.
Mein Gesicht wurde heiß. Die Ärmel der schwarzen Spitzenbluse rutschten ein Stück in die Höhe. Ich hatte sie nicht zugeknöpft. Darunter trug ich nur noch ein sandfarbenes Spaghettiträger-Top. Auffällig hell verglichen mit den dunklen Grautönen, die sonst mein Stil waren. Hoffentlich sah man auch bei anderen Lichtverhältnissen nicht, dass die beiden Oberteile secondhand waren. Cris zuliebe hatte ich zugunsten einer ausgeblichenen Jeans auf meine schwarze Lederhose verzichtet. Dass sie ihre besten Tage schon hinter sich hatte, ließ sich nicht mehr verbergen. Dabei gehörte sie eindeutig zu den guten Sachen in meinem Kleiderschrank. - Welcher Kleiderschrank, Lucinda?
Ich befreite meine Hände aus seinem Griff und zog die Ärmel hastig an ihren Platz zurück, um die Narbe an meinem Handgelenk zu verbergen. - Warum hatte ich das Lederband nur abgelegt, das ich normalerweise mehrfach darumgeschlungen trug?
Mein Lächeln war alles andere als sicher. »Selber wow.« Wie immer. In seinen schwarzen Hosen, die ganz aus aufgesetzten Taschen zu bestehen schien, und dem einfachen weißen Hemd, das lässig über den Bund hing, hätte er mühelos bei jedem Vergleich mit den Von-Beruf-Sohn-Jungs unter den Gästen mit-haken können. Dabei finanzierte er sich sein Studium selbst.
»Nicht neben dir.« Er bedachte mich mit diesem Lächeln, das mir jedes Mal das Herz schneller schlagen ließ. Was hatte ich getan, dass sich das Schicksal endlich meiner erinnerte und mir ein kleines bisschen Glück gönnte? Nein. Ich konnte Boston nicht verlassen. Egal was passierte. Ich wollte nicht mehr ohne Cris sein. Nie wieder.
»Wie war die Uni?» Er studierte etwas, das sich International Management nannte. Vielleicht hörte mein Gesicht auf zu brennen, wenn ich mich fürs Erste unverfänglicheren Themen zuwandte. Solche, bei denen er mir keine Komplimente machen konnte.
»Frag nicht.« Er stieß ein Stöhnen aus. »Die Hälfte meiner Dozenten muss heute Zahnschmerzen gehabt haben.« Sein Blick strich noch einmal über mich. Eine blonde Strähne war ihm in die Stirn gefallen. Warum zum Teufel färbte er sich die Haare hell? Wenn sie von demselben dunklen Braun wie seine Brauen waren, musste es in Kombination mit seinen hellbraunen Augen noch umwerfender aussehen. Er hätte ebenso gut auf einem Laufsteg sein Geld verdienen können, statt in einer Werbeagentur zu jobben. Der Hauch eines Zögerns, dann beugte Cris sich zu mir und küsste mich ganz leicht auf die Wange. Und zog sich hastig wieder zurück. Beinah wie jemand, der fürchtet, bei etwas Verbotenem ertappt zu werden. So war es von Anfang an gewesen. Was möchtest du heute Abend machen?»
»Ich weiß nicht.» Aber du könntest mich im Laufe des Abends fingen, ob ich mit dir schlafen will, und mich mit zu dir nehmen. Nicht, dass ich seine Wohnung schon einmal gesehen hatte. Ich wusste nur, dass es kein Zimmer in einem Studentenwohnheim oder einem Verbindungshaus war, wo ab einer gewissen Uhrzeit kein Besuch mehr erlaubt war. Ich schloss die Finger um den Riemen meiner Tasche. Meine Handfläche fühlte sich klamm an. Cris nahm meine freie Hand in seine.
»In der Tremont Street hat ein neues arabisches Restaurant aufgemacht. Hast du Lust, es auszuprobieren? - Ich zahle.« Hundeblick. Etwas anderes traf es nicht, um den Ausdruck zu beschreiben, mit dem er mich ansah. Cris aß für sein Leben gern. Wobei ich mich fragte, wo er die ganzen Kalorien hinsteckte. Vor allem arabisch - und spanisch. Und er zahlte eigentlich immer. Was mir schon mehrfach ein schlechtes Gewissen beschert hatte. Allerdings war die Tremont Street nicht mal nur eben so zwei Blocks entfernt. Dass sich meine Begeisterung über seinen Vorschlag in Grenzen hielt, entging ihm nicht. »Oder sollen wir lieber zum Fish Pier und dort etwas essen?« Er wusste, dass ich das Wasser - und vor allem das Meer - liebte. Wenn sich die Wellen vor mir bis zum Horizont erstreckten, hatte das für mich etwas von schierer Unendlichkeit. Und Freiheit. Damit hatte er mich am Haken - weitestgehend zumindest.
»Das ist aber auch nicht gerade um die Ecke.« Zum Fish Pier war es zu Fuß eine knappe halbe Stunde. Normalerweise machte mir die Entfernung nichts aus, aber es hatte heute den ganzen Tag geregnet und die Jacke, die ich an den Riemen meiner Tasche geknotet hatte, war eigentlich zu dünn Für diese Jahreszeit. Vor allem in Kombination mit einer Spitzenbluse. Obendrein war Bratt auf die grandiose Idee verfallen, dass hochhackige Schuhe seinen Mädels zu längeren Beinen verhalfen, was für ihn potenziell mehr Umsatz bedeutete. Ich hatte die ungewohnten Riemchensandalen mit einem kleinen Absatz zwar längst wieder gegen meine bequemen Docs getauscht, trotzdem taten mir die Füße weh.
»Mein Wagen steht nur ein paar Straßen weiter.« Er streckte mir auffordernd die Hand hin. Als hätte er einkalkuliert, dass es für mich wieder der Pier sein würde, wenn er mir die Wahl ließ. Ich ergriff sie. Warm und fest schlossen sich seine Finger um meine, drückten sie kurz. Fühlte sich so Geborgenheit an? Cris bedachte mich noch einmal mit jenem ganz bestimmten Lächeln, dann drehte er sich um und bahnte uns einen Weg durch das Gedränge um die Bar herum. Josh zwinkerte mir grinsend zu, als wir auf seiner Höhe waren, und ich musste mich zusammenreißen, um ihm nicht den Mittelfinger zu
zeigen. Cris zog mich unbeirrt weiter Richtung Ausgang. Meine Hand fest in seiner.
Sobald wir die Bar und die Tanzfläche hinter uns gelassen hatten und aus den >Katakomben, des Forty-two heraus waren, löste das sanfte Licht stylish-moderner Wandlampen das dämmrige Halbdunkel ab. Mit jedem Schritt, den wir die breite Treppe ins Erdgeschoss und damit in den Eingangsbereich hinaufstiegen, blieb die Musik weiter hinter uns zurück. Dafür wurde das Stimmengewirr vor uns lauter. Wie jeden Abend konnte die Security sich nicht über Arbeitsmangel beklagen. Marcus und Gien schenkten uns nur flüchtig ihre Aufmerksamkeit. Sie interessierte mehr, was in den Club hineinwollte als was ihn verließ - solange Letzteres weder betrunken war noch randalierte. Lisa, neben den beiden Hünen die heutige Quotenfrau für potenzielle Leibesvisitationen bei weiblichen Gästen, winkte mir zu und fächelte sich mit einem vielsagenden Blick auf Cris theatralisch Luft zu, bevor sie eine zierliche Blondine und ihren Begleiter durchnickte. So harmlos sie wirkte: Mochte Gott dem gnaden, der sich mit ihr anlegte.
Cris grinste und hob meine Finger in einem kurzen Kuss an seine Lippen, während wir an ihr vorbeigingen; woraufhin Lisa eine Schnute zog und dramatisch den Handrücken gegen die Stirn legte. Ich zwang mich zu einem Lächeln und winkte ihr meinerseits - schon fast an der Tür - zu. Sie gehörte zu denen, die ich besonders vermissen würde.
Draußen begrüßte uns kühle, feuchte Nachtluft. Der Asphalt glänzte. Pfützen schimmerten im Licht der Straßenlaternen. Es musste auch während meiner Schicht geregnet haben.
»Da lang.« Cris legte mir den Arm um die Schultern und wandte sich mit mir nach rechts, weg von der Menschentraube, die noch darauf wartete, ins Forty-two gelassen zu werden. Ich wagte es, mich in seine Berührung zu schmiegen. Und wünschte mir einmal mehr, das hier für immer haben zu können. Nur dass meine Wünsche sich gewöhnlich nie erfüllten. Auf der anderen Straßenseite stand ein silbergrauer Sedan. Ich stockte für den Bruchteil einer Sekunde. Mein Herz klopfte plötzlich schneller. Zwei Männer saßen darin. Der auf der Beifahrerseite sah von seinem Handy auf, über die Straße. Sein Blick fiel auf Cris und mich, wanderte weiter, kehrte zu seinem Handy zurück. Bestimmt warteten sie nur auf jemanden. Vielleicht die Bodyguards irgendeines Gastes im Forty-two. Wahrscheinlich.
»Alles in Ordnung?« Cris' Frage ließ mich zusammenzucken.
Ich nickte schnell, lächelte ihn an. »Ja. Alles bestens.« Wie gut ich doch im Lügen war. Aber ich würde nicht zulassen, dass mein Leben mir das mit Cris zerstörte. Niemals. Nicht, wenn ich es irgendwie verhindern konnte.
Er neigte den Kopf ein wenig, musterte mich prüfend. »Vielleicht ein bisschen müde.«
»Armes.« Sein Arm zog mich enger an seine Seite. »War die Schicht so schlimm?« Als sei ihm plötzlich ein Gedanke gekommen, blieb er stehen. »Soll ich dich vielleicht lieber nach Hause bringen und wir
»Nein!" Viel zu laut und viel zu hart. Verblüfft rückte er ein Stückchen von mir ab. »Ich ...« Das hier war Cris. Ich konnte ihn mit zu mir nach Hause nehmen. Ich konnte ihm vertrauen. Er würde mich nicht verraten. Er würde auch nicht die Nase rümpfen, wenn er sah, wie ich wohnte. Und trotzdem ... Ich rang mir ein Lächeln ab. »Nein. Ich habe mich so auf den Abend mit dir gefreut. Ein bisschen frische Luft und bis wir am Auto sind, bin ich wieder fit. Versprochen.« Lügnerin!
»Bist du sicher?"
»Ganz sicher.« Ich schob mich unter seinen Arm zurück und lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter. Ein kurzes, irgendwie noch immer zweifelndes Zögern, dann zog Cris mich wieder dicht an sich und wir gingen weiter. Schweigend. Ich genoss es.
An der nächsten Ecke bogen wir in eine Seitenstraße. Anscheinend hatten die Häuser bisher den Wind von uns abgehalten, denn nun schlugen uns die kalten Böen ungemindert entgegen, schüttelten Nässe von den Straßenlaternen. Ihr gelbes Licht glänzte in den Pfützen. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch, löste im Gehen meine Jacke von meiner Tasche und schlüpfte in die Ärmel. Viel würde sie vermutlich nicht bringen, aber sie war immer noch besser als nichts. Cris' Arm war von meinen Schultern gerutscht. Er sah auf mich hinab. Beim Anblick meiner Jacke huschte etwas über sein Gesicht, das ich nicht deuten konnte.
»Hier!« Er blieb stehen, zog sein Sweatshirt von den Schultern und legte es mir um. »Lass uns zusehen, dass wir dich ins Auto und dann ins Warme bringen. Es ist nicht mehr weit. Nur noch zwei Blocks.« Seine Hand streifte meine Wange, dann beugte er sich zu mir, um mich erneut zu küssen. Ich reckte mich ein wenig, kam ihm auf halbem Weg entgegen. Ein Auto fuhr an uns vorbei, wurde langsamer - für einen Moment versteifte ich mich - und beschleunigte wieder. Cris' Zunge stahl sich in meinen Mund. Seine Arme hielten mich. Ich verbannte die Welt aus meinen Gedanken, schmiegte mich an ihn. Es war mir egal, wer uns sah. Meinetwegen konnten wir die ganze Nacht so zubringen.
Ich spürte ihn in der Sekunde, in der Cris seine Lippen von meinen löste. Schnell machte ich einen Schritt zurück.
Was...? setzte Cris verblüfft an, verstummte dann aber, als ich seine Hand ergriff und ihn hastig vorwärtszog.
Er war auf der anderen Seite. Noch ein Stück weit von uns entfernt. Ein schlanker, mittelgroßer Mann. Dunkelblond. Abgesehen davon, dass er verwirrend gut aussah, wirkte er nicht anders als ein normaler Mensch. Anscheinend knapp um die vierzig. Das bedeutete, er war alt. Und entsprechend mächtig. Warum jetzt? Warum heute Nacht? Sie haben mich so lang nicht gefunden ... Hast du tatsächlich gedacht, das Schicksal würde es einmal gut mit dir meinen, Lucinda? Er war nicht allein. Drei weitere Männer. Sie waren nicht wie er. Zwei hinter uns, aus der Richtung des Forty-two. Einer bei ihm auf der anderen Seite der Straße - die sie eben überquerten. Direkt auf uns zu. Ansonsten war keine Seele zu sehen. Boston hätte von einer Sekunde zur anderen eine Geisterstadt sein können. Natürlich. Sie wollten keine Zeugen. Mehrere Blocks weiter leuchteten die Rücklichter eines Wagens rot auf.
Ich beschleunigte meine Schritte. Zog Cris hinter mir her. Wobei ... Eigentlich musste ich das gar nicht. Er ging ebenso schnell wie ich. Hatte er die Männer auch bemerkt? Ahnte er, was sie wollten? Nein, wie hätte er. Das hier war eine Welt jenseits der der >normalen, Menschen. Trotzdem stellte er keine Fragen. Aber er würde es tun. Früher oder später.
Nur ein paar Meter weiter war eine kleine Seitengasse; wenn wir sie erreichen konnten ...
Ein dunkles Schimmern kräuselte plötzlich den Asphalt. Kroch auf uns zu. Der Boden unter unseren Füßen war mit einem Mal klebrig, erschwerte jeden Schritt. Wie in einem Albtraum, in dem man rannte und doch nicht von der Stelle kam. Die Männer hinter uns hatten uns beinah eingeholt. Die vor
uns waren stehen geblieben, erwarteten uns - mich. Ich blieb ebenfalls stehen. Cris hielt genauso abrupt an, drehte sich zu mir, sah zwischen mir und den Männern hin und her. Wachsam, angespannt. Versuchte mich weiter zu ziehen. Ich rührte mich nicht. Sie wollten mich. Nicht ihn. Nur mich. Der Eingang zur Gasse verschwamm, wurde unscharf, als sei er da und irgendwie doch nicht. Cris stöhnte. Ich befreite meine Hand aus seiner. Er bemerkte zu spät, was ich tat, schüttelte den Kopf Der eine vor uns schnalzte mit der Zunge, schaute Cris an.
»Was wohl der gute Joaquin dazu sagen wird?«, Wozu auch immer er etwas sagen sollte, er sollte daran ersticken. Seine Augen wanderten weiter zu mir. >Weglaufen ist vollkommen zwecklos, meine Liebe.« Er lächelte. Ich konnte seine Eckzähne sehen. Vampir! In meiner Brust zogen sich meine Lungen zusammen. Jetzt nicht! Bitte, lieber Gott, jetzt nicht! Atmen, Lucinda! Atmen! Einer meiner Anfälle war das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte!
Die Männer hinter uns hatten in ein paar Metern Distanz Stellung bezogen. Vor mir ballte Cris die Fäuste. Wollte er etwa mit ihnen kämpfen? Er hatte keine Chance. Selbst das Messer in meiner Hosentasche kam mir auf einmal wie ein schlechter Scherz vor. Sie würden ihn umbringen. Er war für sie ohne Bedeutung. Sie würden ihn umbringen, nur weil er bei mir war. Bei mir. Einer Blutbraut.
>laufh, Erst als Cris mir einen hastigen Blick über die Schulter zuwarf, war ich sicher, dass das Wort über meine Lippen gekommen war. »Lauf.« Seine Augen weiteten sich. Ich zwang meine Beine, sich zu bewegen, schob mich an ihm vorbei. Seine Hand schloss sich um meinen Arm. Versuchte, mich zurückzuhalten. Das Lächeln des einen wurde verächtlich.
»Wie rührend -«
Der Wagen hielt keinen Meter neben uns. Ein zweiter knapp dahinter. Türen wurden aufgerissen. Eine Stimme zischte: »Einsteigen!«, während ich zugleich um die Mitte gepackt, rückwärts herumgerissen wurde. Ich konnte nur erschrocken aufkeuchen. Cris stolperte von mir weg, wurde auf den anderen Wagen zugezerrt. Jemand heulte wutentbrannt: »Rafael!«. Etwas raste auf uns zu - etwas, von dem ich wusste, dass es wehtun würde - und zerfaserte knapp vor mir zu nichts. Ein Lachen dicht neben meinem Ohr, zugleich ein Stoß, ich landete verdreht auf dem Rücksitz des Autos, schlug mir das Knie an, ein Mann direkt hinter mir, die Tür schlug zu. Ich versuchte hochzukommen. Reifen quietschten, ich fiel auf das Polster.
»Zum Flughafen, Felipe!» Dieselbe Stimme, die eben noch Einsteigen< gezischt hatte. »Wir haben, was wir wollten.« Oh mein Gott. Sie gehörten zu ihm. »Komm hoch, Kleines!« Eine Hand an meinem Arm. Ich riss mich los. Flüchtete in die andere Ecke des Rücksitzes, drückte mich gegen die Tür. Nur kurz glaubte ich, Cris auf dem Beifahrersitz des Wagens hinter uns zu sehen. Sie nahmen ihn mit. Nein! Schlagartig zitterte ich.
»Er hat nichts damit zu tun ...» Die Worte waren mehr ein Stöhnen. Meine Lungen weigerten sich, etwas anderes als kurze, japsende Atemzüge zuzulassen. Panisch tastete ich hinter mich. Der Mann neben mir runzelte verständnislos die Stirn. Seine Haut war hell, blass, nur mit einem Hauch Gold überzogen. Augen wie fahles blaues Eis. Mit einer nachlässigen Bewegung strich er sich sein weißblondes Haar zurück. Kinnlang. Schön wie ein Engel. Und nicht viel älter als Cris; ungefähr in seinem Alter.
Er war nicht wie sie. Kein Hexer der Hermandad. Und auch kein Nosferatu. Er fühlte sich zumindest nicht so an. Und trotzdem war er ... anders.
Endlich fand ich den Türgriff hinter meinem Rücken. Ich zerrte daran. Nichts rührte sich. Beinah hätte ich geschluchzt. Sie gehörten zu IHM. »Ihr müsst ihn gehen lassen ...«
Das Stirnrunzeln wurde unwillig. »Ihn gehen lassen wie 'ihn in Boston zurücklassend - Ja, natürlich.« Er lachte spöttisch. Ich sah seine Eckzähne. Keine Reißzähne. Und doch ... fast. »Ezra würde ihn Stück für Stück auseinandernehmen, als Vergeltung dafür, dass ich seinem Schoßhund Abner gerade Joaquin de Alvaros Blutbraut direkt vor der Nase weggeschnappt habe - im wahrsten Sinne des Wortes. Und das auch noch in Boston, seiner Hochburg. Als Patron der Cohen-Familie könnte er so etwas gar nicht ungesühnt lassen.« Ein kurzer Blick durch das Heckfenster zu dem Wagen hinter uns, dann sah er mich wieder an. »Ganz nebenbei wird Joaquin selbst ein Hitzekleines Hühnchen in der Größenordnung eines Truthahns mit dem lieben Cris rupfen wollen.»
»Nein. Er hat doch mit alldem gar nichts tun.» Woher kannte er Cris' Namen? Wie lange beobachteten sie mich schon? Oh Gott, Cris, es tut mir so leid! Ich wollte nicht, dass das passiert, dass du da mit hineingezogen wirst ...
Der Wagen bog um eine Kurve, Gebäude huschten vorbei. Noch zwei Ampeln und wir waren auf der Massachusetts Turnpike - und dann war es zu spät. Ich presste mich fester gegen die Tür. Vor uns die erste Ampel. Sie sprang auf Gelb, dann auf Rot. Der Wagen wurde langsamer.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nichts zu tun?«, brummte er abfällig.
Ich stieß mich von der Tür ab, versuchte, zwischen und über die Vordersitze hinwegzuklettern. Der Fahrer jaulte, als ich ihm unabsichtlich das Knie in den Nacken rammte, der andere erwischte mich am Bund meiner Jeans, riss mich zurück. Ich schrie, klammerte mich an den Lehnen fest, trat um mich. Er fluchte, wich mir aus, löste meine Finger mit Gewalt.
»Hör auf'. Ich will dir nicht wehtun müssen. - Fahr, Felipe! Keine Stopps mehr. Scheiß auf die Ampeln!«
Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung. Ein Ruck, ich heulte auf, landete halb neben, halb auf ihm auf dem Sitz. Er packte mich bei der Jacke, versuchte, mich von sich herunter-und wieder neben sich zu zerren. Ich fuhr mit der Hand in meine Hosentasche, zog sie mit dem Messer wieder hervor, ließ die Klinge herausspringen, rammte sie ihm in den Oberschenkel. Er brüllte. Ich warf mich auf die Tür auf seiner Seite zu. Der Fahrer trat auf die Bremse, versuchte, nach mir zu greifen. Hinter uns kreischte eine zweite Bremse. Lauf Cris! Plötzlich war etwas zwischen meinen Beinen, riss sie mir weg. Die Seitenscheibe. Direkt vor mir! Ich schlug mit der Stirn dagegen, war unvermittelt auf dem Boden zwischen den Vorder- und Rücksitzen, ohne zu wissen wie, warum. Eine seltsam klebrige Wärme war an meiner Stirn, meinem Arm. Eine Stimme über mir. Grollend. Benommen wollte ich mich aufsetzen. Mein Kopf pochte. Der Wagen bewegte sich nicht mehr. Vor mir wurde die Tür geöffnet. Kalte Nachtluft wehte herein. Jemand stand davor. Schwarze Hosen. Mit vielen Taschen. Ich wollte daraufzukriechen. Eine Hand in meinem Nacken hielt mich nieder.
»Rafael, was zum Teufel ...«
»Cris!« Ich wimmerte, schluchzte.
»Halt die Klappe, Cristóbal. Wieder die Stimme. Dann war sie ganz dicht an meinem Ohr. »Ich hatte gehofft, wir könnten
das nett und freundlich über die Bühne bringen, aber ich werde keine weiteren blauen Flecken an dir vor Joaquin verantworten, Kleines. Ganz zu schweigen von noch mehr Blut.« Ich sah das Glänzen nur aus dem Augenwinkel. Die Nadel einer Spritze. Etwas in mir wusste, ich musste mich bewegen, es wenigstens versuchen ... Ein Stich in der Schulter. Ein Brennen. Trübe, die sich wie ein Sack über mich stülpte ... Jemand jammerte, leise und hell. Mehrere Hände. Hievten mich in die Höhe. Der Sitz. Ich sank gegen die Rückenlehne, rutschte halb zur Seite. Ein Griff an der Schulter. Zurück in die Senkrechte. Zumindest ein Stück. Berührung an meinem Gesicht, meinen Lidern. Grelles Licht in meinen Augen. Schmerzhaft. Das Jammern war einem schwachen Klagen gewichen.
»In Ordnung. Sie ist nicht ganz weg, aber sie wird uns keine Schwierigkeiten mehr machen, bis wir in der Luft sind. - iQue duermas bien, tigresa!« Die Berührung verschwand. Unter meiner Wange war das Polster. »Sehen wir zu, dass wir von hier wegkommen, bevor Ezra ein paar Fäden in seiner Domäne zieht und den Flughafen dichtmacht. - Das alles wird deinem Bruder gar nicht gefallen. Hoffentlich hast du eine verdammt gute Erklärung dafür.« Murmeln. »Mach das mit Joaquin aus, nicht mit Die Tür schlug zu. Der Wagen setzte sich in Bewegung, beschleunigte. Lichter huschten draußen vorbei. Huschten. Huschten.
Cristóbal ... deinem Bruder ... Nein! Oh nein! Cris ... Die Lichter huschten weiter. Huschten ...
Kälte strich über mein Gesicht. Die Lichter standen still.
»... dann nimm du sie. Besser, als dass ich sie am Ende fallen lasse ...«
© 2011 cbt Verlag, München
... weniger
Autoren-Porträt von Lynn Raven
Raven, LynnLynn Raven lebte in Neuengland, USA, ehe es sie trotz ihrer Liebe zur wildromantischen Felsenküste Maines nach Deutschland verschlug. Nachdem sie zwischenzeitlich in die USA zurückgekehrt war, springt sie derzeit nicht nur zwischen der High- und der Dark-Fantasy hin und her, sondern auch zwischen den Kontinenten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lynn Raven
- Altersempfehlung: 13 - 99 Jahre
- 2011, 734 Seiten, Masse: 13,5 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: cbt
- ISBN-10: 357016070X
- ISBN-13: 9783570160701
Rezension zu „Blutbraut “
"Blutbraut gehört in jedes Bücherregal."
Kommentare zu "Blutbraut"
0 Gebrauchte Artikel zu „Blutbraut“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 16Schreiben Sie einen Kommentar zu "Blutbraut".
Kommentar verfassen