Der Vampir in meinem Bett / Argeneau Bd.16
Roman
Nach einer gescheiterten Ehe will sich Carolyn so schnell auf keinen Mann mehr einlassen. Doch dann begegnet sie dem attraktiven Christian Notte - ohne zu ahnen, dass er ein Vampir ist. Sein Anblick lässt ihr Herz schneller schlagen, aber kann sie je wieder einem Mann vertrauen?
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Produktinformationen zu „Der Vampir in meinem Bett / Argeneau Bd.16 “
Nach einer gescheiterten Ehe will sich Carolyn so schnell auf keinen Mann mehr einlassen. Doch dann begegnet sie dem attraktiven Christian Notte - ohne zu ahnen, dass er ein Vampir ist. Sein Anblick lässt ihr Herz schneller schlagen, aber kann sie je wieder einem Mann vertrauen?
Klappentext zu „Der Vampir in meinem Bett / Argeneau Bd.16 “
Gerade erst aus einer gescheiterten Ehe entkommen, hat Carolyn Connor die Nase voll von den Männern! Doch im Urlaub begegnet sie dem attraktiven Christian Notte - ohne zu ahnen, dass dieser ein Vampir ist. Sein Anblick lässt Carolyns Herz schneller schlagen, aber kann sie jemals wieder einem Mann vertrauen? "Mit sexy Unsterblichen, starken Hauptfiguren und klugen Dialogen ist diese Serie ein absoluter Lesespass!" Publishers Weekly Spiegel-Bestseller-Autorin DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Lese-Probe zu „Der Vampir in meinem Bett / Argeneau Bd.16 “
Der Vampir in meinem Bett von Lynsay SandsProlog
»Ich sehe nicht einen einzigen freien Tisch«, sagte Carolyn und ließ den Blick noch einmal über die gut besuchte Terrasse des Restaurants wandern.
»Wir können uns an die Bar setzen«, meinte ihre Freundin Bethany beiläufig. Als Carolyn nur mürrisch das Gesicht verzog, verdrehte sie die Augen, fasste sie am Arm und zog sie hinter sich her in Richtung Bar. »Wir setzen uns an einen Tisch, sobald einer frei wird. Wir bleiben schließlich nur hier, bis Genie eintrifft und unser Tisch nebenan frei wird.«
»Ja, schon gut.« Schnaubend setzte sich Carolyn auf den Stuhl, auf den Bethany zeigte. Dann schaute sie ein wenig unsicher über die Schulter und betrachtete die jungen Leute, die an den Tischen saßen, etwas tranken, sich unterhielten und lachten. Obwohl die Sonne dem Horizont entgegenstrebte, war es nach wie vor heiß, und die meisten Gäste trugen lässige Shorts oder Sommerkleider. Das hier war eines der nicht so vornehmen Lokale im Resort mit kahlen Holztischen auf schmucklosem Holzfußboden, und die karibische Musik im Hintergrund war so leise, dass sie gegen die Geräuschkulisse aus Stimmen und ausgelassenem Lachen kaum ankommen konnte. Im Gegensatz dazu gehörte das Restaurant nebenan, in dem sie, Beth und Genie gleich zu Abend essen würden, in die Vier-Sterne-Kategorie. Dort gab es ordentliche Tische, Tischdecken, silbernes Besteck, Kerzen und dazu natürlich auch Vier-Sterne-Preise. Dementsprechend hatten sie beide sich auch angezogen, was Carolyn zusätzlich das Gefühl gab, einfach nicht zu diesen viel lässigeren, legeren Leuten zu gehören.
... mehr
Doch das war nicht das Einzige, was ihr Unbehagen bereitete. Es lag auch an den Gästen an sich. Nicht nur, dass die meisten von ihnen gerade mal halb so alt wie sie selbst zu sein schienen - auch wenn ein paar deutlich ältere darunter waren -, es sah auch so aus, als ob es sich bei ihnen ausnahmslos um Pärchen handelte. Sie und Bethany waren offenbar die einzigen weiblichen Singles in diesem Lokal.
Vermutlich verbrachten die meisten hier ihre Flitterwochen, ging es Carolyn verdrossen durch den Kopf, da ihr weder die verliebten Blicke noch die ständigen Küsse entgingen, die die Pärchen untereinander austauschten. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich seufzend abzuwenden und auf Flaschen zu starren, die hinter der Theke aufgereiht standen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob sie nicht einen riesigen Fehler gemacht hatte.
»Was kann ich denn zwei so hübschen Ladys bringen?«
Carolyn stutzte, da der Blick auf die Flaschen plötzlich von einem lächelnden Barkeeper versperrt wurde. Der Mann trug ein weißes Hemd, dazu eine schwarze Hose. Seine Augen gingen zwischen Carolyn und Bethany hin und her, und seine Zähne wirkten durch seine dunkle Haut umso weißer, während er sie strahlend anlächelte.
Überhaupt jeder hier schien zu lächeln. Das musste wohl ansteckend sein, dachte sie und zwang sich dazu, zumindest flüchtig zurückzulächeln. »Ein Glas Weißwein, bitte.«
»Für mich auch«, schloss sich Bethany an. »Und noch zwei Tequila.«
»Tequila?«, fragte Carolyn ungläubig, nachdem der Barkeeper weggegangen war.
»Ja, Tequila. Und den trinken wir, sobald er ihn uns gebracht hat, und dann bestellen wir gleich noch einen!«, gab Bethany entschieden zurück.
Carolyn zögerte. An einem Tequila war sie eigentlich gar nicht interessiert, doch sie entgegnete nur: »Meinst du, dein Magen macht das mit?«
Bethany hatte sich über Magenschmerzen beklagt, seit sie auf dem Flug hierher gegessen hatte. Carolyn hatte sich mit dem gummiartigen Hühnchen begnügt, während ihre Freundin nicht davon abzubringen gewesen war, den Lachs zu bestellen. Seit sie den verspeist hatte, verfluchte sie ihn und ihre Menüwahl.
»Ich hoffe, der Tequila bringt die gehässigen kleinen Parasiten um, die sich in dem Lachs versteckt hatten«, sagte Bethany. »Falls das nicht klappt, wird mir von dem Zeugs ja vielleicht so schlecht, dass ich alles auskotzen muss. Auf jeden Fall wird mir der Tequila helfen, mich schneller von dieser Qual zu befreien.«
Carolyn lachte ungläubig. »Tja, also ... ich weiß nicht ...«
»Gut, wenn du nichts weißt, dann kannst du ja auch still sein«, fiel Bethany ihr ins Wort. »Und jetzt hör auf, dir über irgendetwas Gedanken zu machen. Ich habe dich hierher mitgenommen, damit du abschaltest und dich entspannst, und damit du nach Gott weiß wie langer Zeit mal wieder ein bisschen Spaß hast. Und genau das wirst du jetzt auch machen, Carolyn Connor, selbst wenn ich dir höchstpersönlich jeden einzelnen Tropfen Alkohol einflößen muss, den es in St. Lucia gibt.«
»Ich bin ja schon entspannt«, widersprach sie prompt.
Bethany stöhnte leise auf. »Schätzchen, du bist in etwa so entspannt wie eine Katze auf dem Weg zum Tierarzt. Komm schon, du hast doch schon vor Jahren vergessen, was das Wort ›relaxen‹ eigentlich bedeutet. Als deine Freundin werde ich dafür sorgen, dass du dich verdammt noch mal entspannst, selbst wenn es uns beide umbringt!«
Carolyn sah sie verdutzt an, dann merkte sie, wie die Anspannung tatsächlich ein wenig von ihr abfiel und ein zögerliches Lächeln ihre Mundwinkel umspielte. »Was würde ich bloß ohne dich machen?«
»Du würdest dich in deinem Haus einschließen und nur rausgehen, wenn du zur Arbeit musst, bis du irgendwann alt, einsam und verbittert ins Gras beißt.«
Zwar lachte Carolyn über diese Bemerkung, aber es hörte sich nicht gerade amüsiert an, wohl deshalb, weil Bethany vermutlich recht hatte. Ohne ihre Freundin hätte sie sich inzwischen längst eingeschlossen, entweder zu Hause oder in ihrem Büro, wo sie sich so in ihre Arbeit gestürzt hätte, um die letzten zehn Jahre ihres Lebens darüber zu vergessen und so zu tun, als wäre ihr nie das Herz gebrochen worden.
»Also ...«, begann Bethany und zog eine Braue hoch. »Dann wird Tante Beth jetzt aus dir wieder einen glücklichen, normalen Menschen machen. Ich verspreche dir, diese Reise wirst du so schnell nicht vergessen. Du wirst Spaß und sogar Sex haben. Es wird die beste Zeit deines Lebens werden.«
»Da möchte ich drauf wetten«, gab Carolyn trocken zurück und spürte, wie sie sich schon wieder leicht verkrampfte. Was sie ganz sicher nicht wollte, war wieder was mit einem Mann anzufangen. Das hatte sie hinter sich, wie ihr Scheidungsanwalt bezeugen konnte. Ihr Blick wanderte zum Barkeeper, als dieser mit zwei Weingläsern sowie zwei Schnapsgläsern mit einer goldgelben Flüssigkeit darin zurückkam.
»Danke«, sagte Bethany gut gelaunt und schob eines der kleinen Gläser zu Carolyn hinüber, hob ihr eigenes hoch und drehte sich auf ihrem Hocker zu ihrer Freundin um. »Also ...« Sie hielt inne und sah Carolyn auffordernd an.
Resignierend nahm diese das Glas von der Theke.
»Auf eine tolle Zeit in St. Lucia«, verkündete Bethany und leerte ihr Glas in einem Zug.
Carolyn nippte nur an dem ihren und verzog den Mund, als der Tequila ihre Zungenspitze berührte und höllisch brannte.
Inzwischen hatte Bethany ihr Glas wieder auf die Theke gestellt, schnappte nach Luft und warf ihrer Freundin einen tadelnden Blick zu, weil diese noch immer nicht ausgetrunken hatte. »Runter damit«, befahl sie. »Das hat Dr. Beth so verordnet. «
»Aber ...«
»Runter damit«, beharrte sie und umfasste Carolyns Handgelenk, um das Glas wieder an ihren Mund zu führen.
Sie protestierte nicht weiter, sondern kippte den Tequila runter und begann zu husten und zu keuchen, als die Flüssigkeit sich in ihrer Kehle nach unten brannte und ihren Magen zu entflammen schien.
»Gut gemacht«, lobte Bethany und klopfte ihr auf den Rücken. Dann nahm sie ihr das leere Glas ab und stellte es zusammen mit ihrem dem Barkeeper hin. »Das Gleiche noch mal.«
»Beth«, brachte sie krächzend heraus. »Ich habe seit Jahren nichts mehr getrunken, ich ...«
»Du hast schon so einiges seit Jahren nicht mehr gemacht«, fiel Carolyn ihr ins Wort, während der Barkeeper nachschenkte. »Und das werden wir alles hier nachholen. Also versuch gar nicht erst, dich dagegen zu sperren. Glaub mir, ich weiß, was gut für dich ist.«
Carolyn schüttelte den Kopf, nahm aber das nun wieder volle Glas entgegen.
Beth stieß mit ihr an und verkündete: »Auf die Freiheit.«
Diesmal schluckte Carolyn den Tequila, ohne sich erst von Beth dazu auffordern zu lassen. Diesmal musste sie auch nicht husten, doch sie vermutete, dass ihre Kehle von der ersten Runde noch betäubt war. Sie musste sich nur leicht räuspern, dann stellte sie klar: »Ich bin aber noch nicht frei.«
»Nichts als Wortklauberei«, tat Bethany ihren Einwand ab und winkte den Barkeeper herbei, damit er noch mal nachfüllte. »Das Schlimmste hast du jetzt hinter dir. Jetzt musst du nur noch abwarten, bis das Gericht den Rest erledigt.«
»So ist es«, murmelte Carolyn, während ihr das nächste volle Glas hingehalten wurde.
Bethany hob ihr Glas und verkündete: »Auf die Hoffnung, dass das Gericht endlich mal ein bisschen schneller arbeitet als üblich.«
Als Carolyn ihr leeres Glas auf die Theke stellte, erklärte sie: »Mir ist das eigentlich egal. Ich hab's nicht eilig.«
Bei dieser Bemerkung zog Bethany die Brauen zusammen, während sie mit einer Hand dem Barkeeper ein Zeichen gab, die Tequila-Flasche noch nicht wegzustellen. »Ich schwöre dir, ich kriege jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich dich das sagen höre. Dann denke ich immer, du willst die Scheidung eigentlich gar nicht, weil du ihm noch nachtrauerst und du dich wieder mit ihm versöhnen möchtest.«
»Nein, nein«, protestierte Carolyn und versicherte ihr mit ernster Miene: »Das will ich ganz und gar nicht. Aber ich hab's auch nicht eilig, mich gleich in die nächste Beziehung zu stürzen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass eine Ehe nichts für mich ist. Warum soll es mich also stören, ob es noch ein bisschen dauert, bis diese Ehe endgültig geschieden ist?«
»Richtig.« Bethany lächelte sie an. »Das ist nicht wichtig. Hauptsache, du hast alles bekommen, was du wolltest.«
»Was ich wollte, war eine glückliche Ehe. Nachdem ich die nicht bekommen habe, will ich wenigstens, dass die Scheidung fair über die Bühne geht.«
»Dann wird das unser nächster Toast«, freute sich Bethany. »Auf den unglaublichen Larry Templeton, den großartigen Anwalt, der für dich alles rausholen wird, was dir zusteht, und noch ein bisschen mehr.«
Carolyn erhob ihr Glas, wenngleich ein Lächeln ihr nicht so recht gelingen wollte. Sie wusste, Bethany wollte sie nur aufmuntern, aber dazu war sie einfach nicht in der Stimmung. Das Ende ihrer Ehe hatte sie verletzt, sie all ihrer Illusionen beraubt und sie zutiefst deprimiert. Daher befürchtete sie, dass dieses Ferienresort in der Karibik auch nichts daran ändern würde. Das hier war ganz offensichtlich das Reiseziel schlechthin für Frischvermählte, alle waren sie glücklich und voller Liebe und Zuversicht. Ziemlich genau das Gegenteil der Situation, in der sie sich befand: eine Frau, die mitten in der Scheidung steckte und mit einer Freundin hergekommen war. Außerdem war sie mit ihren zweiundvierzig Jahren auch schon alt. Jedenfalls fühlte sie sich alt. Himmel, sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so alt gefühlt, musste Carolyn sich eingestehen. Alt, verbittert, niedergeschlagen. Wie hatte es nur so weit kommen können?
»Oh.«
Carolyn verdrängte ihre trübsinnigen Gedanken und ließ die erhobene Hand mit dem Glas sinken, als ihr Blick auf Bethany fiel, die das Gesicht verzog und eine Hand auf ihren Bauch gelegt hatte.
»Stimmt was nicht?«, fragte sie besorgt und beugte sich vor.
»Ich glaube, der Tequila hat die Parasiten nicht umgebracht «, murmelte Beth.
Carolyn biss sich auf die Lippe. »Sollen wir zu unserer Villa zurückgehen? Wir können das Abendessen heute ausfallen lassen und uns ...«
»Nein, nein. Wir sind mit Genie verabredet«, unterbrach Bethany sie und sah zufällig über Carolyns Schulter. Ihre Miene hellte sich auf. »Oh, sieh doch, da ist ein Tisch frei geworden. Geh du schon mal mit den Getränken rüber, ich geh mich nur noch schnell übergeben.«
Instinktiv drehte sich Carolyn um und sah, dass ein Paar an einem Tisch auf der unteren Terrasse im Aufbruch begriffen war. Da erst wurde ihr bewusst, was Bethany gesagt hatte, doch als sie sich wieder zu ihr umwandte, da war Beth bereits aufgestanden und bahnte sich ihren Weg zwischen den Leuten hindurch zu den Toiletten, die zwischen diesem und dem feineren Restaurant nebenan gelegen waren.
»Ich bringe Ihnen die Drinks rüber«, ließ der Barkeeper sie wissen und nahm die Weingläser und das Schnapsglas an sich. Als er um die Theke herumkam, stand sie auf und überlegte, ob sie den Tisch wirklich besetzen sollte. Wenn nämlich Beth vielleicht doch länger wegbliebe, dann würde sie lieber erst noch nach ihr sehen.
Nachdem sie ein paar Schritte gemacht hatte, erschrak sie, da sie das Gefühl hatte, dass sich alles um sie herum zu drehen begann. Offenbar zeigte der Tequila bereits Wirkung. Na großartig, dachte sie und folgte dem Barkeeper mit äußerster Konzentration.
Als er plötzlich stehen blieb, schaute sie über seine Schulter und sah, dass sich aus einer anderen Richtung bereits ein Paar dem Tisch näherte.
»Nicht so schlimm«, sagte sie zu dem Mann. »Wir können auch weiter an der Bar warten.«
»Nein, nein, nein«, beharrte er und blickte zwischen ihr und dem Pärchen hin und her. »Das ist ein Tisch für vier. Sie können ihn sich teilen und sich miteinander bekannt machen. «
»Oh nein, das ist schon okay«, sagte Carolyn hastig, da sich schon bei dem Gedanken daran alles in ihr sträubte. Die beiden schienen so um die fünfundzwanzig zu sein, wobei der dunkelhaarige Mann mit seinem attraktiven Äußeren etwas von einem Italiener an sich hatte. Er lächelte und hatte besitzergreifend einen Arm um die Frau an seiner Seite gelegt, eine kurvenreiche Schönheit mit kastanienfarbenem Haar, die Carolyn auf irritierende Weise unverhohlen musterte. Eindeutig ein Paar in den Flitterwochen, dachte Carolyn missmutig.
»Ach, setzen Sie sich doch ruhig zu uns«, forderte die Frau sie freundlich auf. »Wir teilen gern den Tisch mit Ihnen. Wir warten hier sowieso nur, bis das Restaurant nebenan aufmacht.«
»Genau das Gleiche machen auch die hübsche Lady und ihre Freundin«, verkündete der Barkeeper freudestrahlend, stellte die Gläser auf den Tisch und zog für Carolyn einen Stuhl nach hinten.
Carolyn gab sich geschlagen und bedankte sich bei dem Mann, während sie sich hinsetzte. Nachdem er die Bestellung des Paars aufgenommen hatte, kehrte er zurück zur Theke.
»Na, das ist doch sehr schön hier«, meinte die Frau und seufzte zufrieden, dann hielt sie Carolyn die Hand hin. »Ich heiße übrigens Marguerite Argeneau.«
»Argeneau-Notte«, korrigierte der Mann sie lächelnd, wobei er den Namen auf eigentümliche Weise aussprach. Die Frau stutzte, dann lachte sie ein wenig verlegen.
»Marguerite Argeneau-Notte«, bestätigte sie. »Das ist erst seit Kurzem so, ich habe mich noch nicht daran gewöhnt. Das ist mein wundervoller Ehemann, Julius Notte.«
Carolyn brachte ein Lächeln zustande und schüttelte die dargebotene Hand. »Carolyn Connor«, stellte sie sich vor und reichte auch dem Mann die Hand. »Sind Sie in den Flitterwochen? «
»Ja«, antwortete Marguerite. »Aber verheiratet sind wir schon seit einigen Wochen, da sollte ich mich an meinen neuen Namen wirklich mal gewöhnen.«
»Sie sind schon seit Wochen hier?«, fragte Carolyn verwundert.
»Nein, nein, wir sind erst vor ein paar Tagen gekommen«, erwiderte Marguerite. »Wir hatten noch ein paar familiäre Angelegenheiten in Kanada zu erledigen, bevor wir unsere Flitterwochen antreten konnten.«
»Ah, dann sind Sie Kanadierin?«
»Ja, das bin ich«, sagte Marguerite. »Und Sie?«
»Ebenfalls. Aus Toronto.« Carolyn griff nach ihrem Weinglas, hielt dann aber inne und überlegte, ob sie nicht zu Wasser oder Diät-Cola wechseln sollte. Sie trank nie viel Alkohol, und sie hatte keine Lust, sich irgendwann genauso übergeben zu müssen wie Bethany. Bei dem Gedanken erinnerte sie sich daran, dass sie nach ihr sehen sollte, wenn sie nicht bald auftauchte.
»Wie klein doch die Welt ist. Ich komme auch aus Toronto«, sagte Marguerite erfreut und lenkte Carolyns Aufmerksamkeit wieder auf sich.
»Ach, tatsächlich?«, fragte Carolyn.
Marguerite nickte, dann lächelte sie ihren Ehemann an und ließ sich gegen seinen Arm sinken, den er auf die Rückenlehne ihres Stuhls gelegt hatte. »Aber Julius stammt aus Italien, deshalb werden wir vorläufig zwischen Kanada und Italien pendeln, auch wenn sich seine Firma und seine Familie in Italien befinden.«
»Würden wir in Italien bleiben, dann würdest du nach kurzer Zeit deine ganze Familie vermissen, cara. Und das geht nun mal nicht, weil ich will, dass du glücklich bist.«
Wieder rang sich Carolyn zu einem Lächeln durch, gerade als Julius sich vorbeugte, um Marguerite einen zärtlichen Kuss auf den Mund zu geben. So viel Liebe und Glück waren schon schmerzhaft mit anzusehen. Schnell drehte sie den Kopf zur Seite und sah in die Richtung, in die Bethany gegangen war. Sie sollte jetzt wirklich einmal nach ihr sehen. Und wo blieb eigentlich Genie? Der Tisch war für halb acht reserviert, und bis dahin waren es nur noch ein paar Minuten.
»Machen Sie hier Urlaub?«
Carolyn sah zu Marguerite, die sich inzwischen auf ihrem Stuhl wieder zurechtgesetzt hatte und ein wenig auf Abstand zu ihrem Mann gegangen war.
»Ich ... ja.« Sie hob wieder das Glas und hielt es vor ihren Mund, um zu überspielen, dass sie eine Grimasse zog. Einen Moment lang herrschte Stille, während sie einen Schluck Wein trank. Der Tequila schien sich seinen Weg durch ihr Gehirn zu bahnen und sorgte dafür, dass sie verwirrt war und sich deprimiert fühlte. Alkohol war eindeutig das falsche Mittel, um Depressionen zu heilen, dachte Carolyn und nahm sich vor, sich von Beth zu nichts Alkoholischem mehr überreden zu lassen.
Sie stellte das Glas aus der Hand und bemerkte, dass Marguerite sie mit ernster und konzentrierter Miene betrachtete. Es kam ihr so vor, als würde die junge Frau geradewegs durch sie hindurchschauen und auf die Trümmer blicken, die ihr Leben darstellten.
»Ich sehe besser mal nach Beth.« Carolyn schob ihren Stuhl nach hinten und stand auf, doch genau in dem Moment tauchte Genie neben ihr auf und umarmte sie zur Begrüßung.
»Oh mein Gott. Es tut mir so leid. Ich wollte schon vor einer halben Stunde hier sein, aber gerade als ich das Büro verlassen wollte, ging noch ein Anruf ein. Die Band, die ich für nächste Woche engagiert habe, hat soeben abgesagt. Sie sollten eigentlich morgen anfangen, aber in der Familie des Schlagzeugers gab es einen Todesfall.« Sie ließ Carolyn los und setzte sich auf den freien Stuhl neben ihr. »Danach habe ich angefangen, wie eine Verrückte rumzutelefonieren, um irgendwo Ersatz aufzutreiben. Bis ich dann auf einmal auf die Uhr gesehen habe. Da dachte ich mir, ich mache mich besser mal auf den Weg und erkläre euch, was los ist.«
Carolyn ließ sich zurück auf ihren Stuhl sinken, während Genie nach Bethanys Glas griff und einen großen Schluck nahm. Carolyn sah zu dem Paar ihr gegenüber. »Das ist Genie Walker, eine Freundin von uns von der Universität. Sie ist der Grund, wieso wir hier Urlaub machen. Genie, das sind Marguerite und Julius Notte.«
»Hallo. Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt hier«, sagte Genie und gab sich wieder ganz professionell, während sie Bethanys Glas zurück auf den Tisch stellte.
»Ja, es ist ganz wunderbar«, versicherte Marguerite ihr. »Verstehe ich das richtig, dass Sie hier arbeiten?« »Ja, sie ist die Unterhaltungsmanagerin der Ferienanlage«, antwortete Carolyn.
»Besser gesagt: die künftige Ex-Unterhaltungsmanagerin, wenn ich nicht eine Band finde, die einspringen kann und morgen Abend hier eintrifft«, stöhnte Genie und stand auf. »Tut mir wirklich leid, Caro, aber ich muss wieder weg. Ich bin Beth auf dem Weg hierher begegnet. Sie ist zurück zur Villa gegangen. Sie sagt, es geht ihr gut, aber sie will sich lieber hinlegen. Ich habe ihr versprochen, dass ich dir beim Essen Gesellschaft leiste, und das werde ich auch. Aber erst mal muss ich eine Ersatzband finden. Ich komme zurück, sobald ich fündig geworden bin. Das kann allerdings ein bisschen dauern. Ich ...«
»Ist schon okay«, unterbrach Carolyn sie und erhob sich ebenfalls. »Ich gehe einfach zurück zur Villa und lasse mir was vom Zimmerservice bringen. Dann essen wir eben morgen zu Abend.«
»Setzen Sie sich«, hörte sie Marguerite sagen.
Carolyn versteifte sich, als sie den befehlenden Unterton vernahm, setzte sich aber sofort wieder hin, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, diesen Entschluss gefasst zu haben. Auch Genie nahm wieder Platz, wie Carolyn verwundert und auch ein wenig besorgt feststellte. Doch kaum hatte sich dieser Gedanke geregt, war er auch schon wieder verschwunden, und Carolyn saß ganz ruhig und entspannt da.
»Sie beide werden mit uns zu Abend essen«, erklärte Marguerite lächelnd. »Ich weiß genau die richtige Band für Sie.«
Jedenfalls war es das, was Carolyn zu hören glaubte, obwohl »Band« irgendwie nach »Mann« geklungen hatte. Allerdings zeigte der Tequila inzwischen so richtig seine Wirkung, weshalb sie vermutlich etwas missverstanden hatte.
»Carolyn?«, fragte Julius, woraufhin sie ihn ansah. Aber er saß da und schaute Marguerite an.
Die nickte und lächelte ihn strahlend an. »Christian muss herkommen.«
Julius zog die Brauen zusammen und sah Carolyn mit neu gewecktem Interesse an, dann holte er sein Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein.
1
»Und? Was glaubst du, was deine Mutter vorhat?«
Christian Notte wandte seinen Blick von den sanft ins Meer abfallenden Klippen und schaute über die Schulter zu seinem Cousin. Zanipolo sah weiter aus dem Fenster des Resort-Vans, da seine Augen an dem Ausblick klebten, den normalerweise niemand von ihnen zu sehen bekam ... jedenfalls nicht bei Tageslicht.
Er musterte den Mann kurz, dabei fiel ihm auf, dass er eine Sonnenbrille aufgesetzt hatte und die schwarzen Haare nicht wie üblich zum Pferdeschwanz zusammengebunden, sondern offen trug. Dadurch wurde sein Gesicht teilweise verdeckt. Dann wanderte sein Blick weiter zu den übrigen Passagieren im Wagen. Giacinta teilte sich die Sitzbank mit Zanipolo und saß damit genau hinter Christian. Sie schien mit ihren Augen regelrecht die Landschaft zu verschlingen, so fasziniert sah sie durch ihre große Sonnenbrille nach draußen. Ihr langes blondes Haar bot ihr ebenfalls etwas zusätzlichen Schutz vor der Sonne.
Hinter ihnen saß Santo. Der Schlagzeuger war als Erster eingestiegen und hatte sofort die gesamte Rückbank in Beschlag genommen, um sich dort breitzumachen. Mit seinen beringten Fingern strich er über seinen kahl rasierten Schädel. Er bekam von drei Seiten gleichzeitig Tageslicht ab, und er hatte keine Kopfbehaarung, die ihm ein wenig Schutz hätte bieten können. Wahrscheinlich hatte er sich genau deshalb diesen Platz ausgesucht, dachte Christian grimmig. Santo wählte immer die schlechteste und unpraktischste Stelle, während für die anderen die besseren Plätze verblieben. Es war einfach seine Art, und so wie jedes Mal schaffte er es auch jetzt, Christian damit zur Weißglut zu bringen.
»Und?«, fragte Raffaele, woraufhin sich Christian zu dem Mann umdrehte, der neben ihm auf der ersten Bank saß. Raffaele war so dunkelhaarig wie die anderen beiden Männer in der Band - oder so dunkelhaarig, wie sie beide wären, wenn Santo nicht darauf bestanden hätte, sich den Schädel kahl zu scheren. Allerdings trug Raffaele sein dichtes Haar recht kurz. So wie alle Nottes hatte er zudem die typischen schwarzen Augen mit den markanten silbernen Sprenkeln.
»Was fragst du mich?«, gab Christian zurück und drehte sich so, dass er wieder aus dem Fenster sehen und das vorbeiziehende Meerespanorama betrachten konnte. »Sie hat gesagt, dass die eigentlich vorgesehene Band abgesagt hat und wir für sie einspringen sollen.«
»Na klar doch«, meinte Zanipolo lachend. »Jedes frischgebackene Ehepaar will schließlich alle Söhne, Nichten und Neffen bei seinen Flitterwochen dabeihaben.«
»Möglich wäre es«, warf Raffaele nachdenklich ein. »Marguerite hat Christian praktisch nicht mehr aus den Augen gelassen, seit sie ihn und Julius wiedergefunden hat.«
Ehe Christian dazu etwas anmerken konnte, sagte Giacinta: »Sie hat für ihn eine Lebensgefährtin gefunden.«
Sie sprach diese Worte mit einer Gewissheit aus, die keinen Widerspruch zuließ. Christian musste sich davon abhalten, sich zu ihr umzudrehen und sie zu fragen, ob sie das wirklich so meinte. Gleich nach dem Telefonat mit seinen Eltern war ihm dieser Gedanke selbst gekommen. Er hatte zunächst mit seinem Vater gesprochen, und der hatte lediglich gesagt: »Deine Mutter will, dass du herkommst. Trommel die Band zusammen, und dann macht euch sofort auf den Weg nach St. Lucia. «
Christian hatte sich gerade über den bestimmenden Tonfall aufregen wollen, da war Marguerite dazwischengegangen und hatte den Hörer an sich genommen, um aufgeregt davon zu berichten, dass die für das Resort eingeplante Band abgesprungen war und nun händeringend nach einem Ersatz gesucht wurde. Voller Stolz hatte sie der Unterhaltungsmanagerin das Video von ihnen vorgeführt, das auf ihrem iPhone gespeichert war, und die Frau hatte sie auf der Stelle engagieren wollen. Außerdem vermisste sie, Marguerite, ihren Sohn ...
Als sie dann irgendwann damit aufgehört hatte, ihn mit Lob zu überhäufen, war es ihm irgendwie unmöglich gewesen, ihr diese Bitte abzuschlagen.
Mutter. Das Wort brachte ihn jedes Mal zum Lächeln. Über fünfhundert Jahre hatte er ohne eine Mutter gelebt, dabei immer davon geträumt, so wie seine Cousins Mutter und Vater zu haben, und sich ausgemalt, wie ein Leben mit beiden Elternteilen wohl sein würde. Und nun, da er Mutter und Vater hatte, musste er feststellen, dass es sogar noch besser war, als er es sich hatte ausmalen können.
Marguerite Argeneau-Notte war die unkonventionellste, liebevollste Frau, der er je begegnet war. Wen sie in ihr Herz geschlossen hatte, den überhäufte sie mit ihrer Zuneigung und Wärme wie mit einer weichen, warmen Decke, die ihn vor dem Rest der Welt behüten sollte.
»Also?«, fragte Raffaele und stieß Christian an, als der immer noch nichts sagte.
»Also was?«, erwiderte er irritiert.
»Glaubst du, sie hat für dich eine Lebensgefährtin gefunden? «
»Das weiß ich nicht.« Er ließ sich diese Möglichkeit durch den Kopf gehen. Seit sich seine Eltern wiedergefunden hatten, verbrachte Christian einen Großteil seiner Zeit in Kanada, um seine Mutter und die anderen Verwandten näher kennenzulernen. Die meisten von ihnen hatten erst in jüngster Zeit einen Lebensgefährten gefunden. Zwar war es ihm ein Vergnügen gewesen, ihre Bekanntschaft zu machen, aber es hatte auch fast schon etwas Schmerzhaftes an sich, überall nur auf glückliche Paare zu treffen, solange man selbst immer noch keine Partnerin hatte. Der Gedanke, es ihnen nachmachen zu können, war ... das war ... er schüttelte den Kopf. Eine Lebensgefährtin. Er war nun schon seit so langer Zeit allein, dass er sich nicht einmal mehr vorstellen konnte, wie es sein würde, sein Leben mit jemandem zu teilen.
»Es geht um eine Lebensgefährtin«, beharrte Giacinta. »Da gibt es keinen Zweifel.«
Diesmal drehte er sich zu ihr um. »Was macht dich so sicher? «
»Weil das der einzige Grund ist, dass dein Vater damit einverstanden wäre, dich bei seinen Flitterwochen dabeizuhaben «, erklärte sie mit einem Schulterzucken.
»Ja«, stimmte Zanipolo ihr zu. »Sie hat recht, du Glückspilz.«
»Macht ihm doch nicht solche Hoffnungen«, meldete sich Santo knurrend von der Rückbank. »Was ist, wenn du dich irrst, Gia?«
»Das werden wir ziemlich bald rausfinden, wir sind nämlich da«, verkündete Raffaele und zeigte nach draußen auf ein Schild mit dem Namen der Ferienanlage darauf, bei dessen Auftauchen der Van das Tempo drosselte und auf eine großzügig angelegte Abbiegespur wechselte. Christian sah sich um, aber es gab zunächst nicht viel zu sehen, bis die Straße vor ihnen mit einem Mal breiter wurde und er Gebäude und Villen ausmachen konnte, die über die Ausläufer eines links von ihnen aufragenden Bergs verstreut waren. Rechts von ihnen erstreckten sich dagegen Flachbauten, bei denen es sich vor allem um Geschäfte zu handeln schien. Direkt vor ihnen lag das Hauptgebäude, das durch einen Gehweg mit den Geschäften verbunden war. Durch diesen Gehweg entstand eine Lücke in der Bebauung, die ihnen einen kurzen Blick auf den Strand und das Meer gewährte. Kurz darauf folgte der Van der kreisrunden Auffahrt und kam vor dem Hauptgebäude zum Stehen. Christian stieg gleich nach Raffaele aus, nachdem der Fahrer ihnen die Tür geöffnet hatte. Er versuchte, dem Mann ein Trinkgeld zu geben, aber der winkte grinsend ab und versicherte ihm, dass alles bereits erledigt sei. Dann ging er zu einem Mann in weißem Hemd und dunkler Hose, der ein Klemmbrett in der Hand hielt und ein Namensschild trug.
»Wo ist unser Gepäck?«, wollte Giacinta wissen und sah in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Das trifft bestimmt jeden Moment ein«, meinte Christian gelassen, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, selbst auch nach dem zweiten Van Ausschau zu halten. In dem Wagen befand sich nicht nur ihr Gepäck, sondern auch ihr gesamter Vorrat an Blutkonserven in Kühlboxen. Das sollte für die Zeit reichen, die sie hier voraussichtlich verbringen würden.
»Ja, der ist unterwegs«, sagte der Fahrer, der soeben zu ihnen zurückgekommen war, um sie zu einem anderen Van zu dirigieren. »Ich kann Sie nicht zu Ihren Villen fahren, aber mit dem Wagen da geht es gleich weiter.«
Christian sah sich den zweiten Van an, der das Logo des Resorts trug. Vermutlich war es fremden Fahrzeugen nicht erlaubt, das Gelände zu befahren.
»Das Gepäck wird Ihnen gebracht, sobald es hier eingetroffen ist«, fügte der Mann hinzu und drängte sie, sich zu dem zweiten Van zu begeben und einzusteigen. »Schönen Urlaub wünsche ich Ihnen.«
Bevor einer von ihnen noch etwas entgegnen konnte, hatte er die Wagentür geschlossen und winkte ihnen nach, als der Van sich in Bewegung setzte.
»Ihr seid die neue Band?«
Christan wandte sich dem neuen Fahrer zu, der ebenfalls ein weißes Hemd und eine dunkle Hose trug. »Ja«, antwortete er.
»Ich bin Adam. Genie wird ein ganzer Felsbrocken vom Herzen fallen, wenn sie hört, dass ihr tatsächlich eingetroffen seid«, redete der Mann weiter, sah in den Rückspiegel und grinste breit.
»Ist Genie die Unterhaltungsmanagerin?«, wollte Christian wissen, als ihm der Titel wieder einfiel, von dem seine Mutter gesprochen hatte.
»Richtig. Ihr müsst ja echt berühmt sein, wenn sie euch die große Villa gibt. Sonst kommen Bands eigentlich nur in den kleineren Räumen unter, oder sie suchen sich ihre eigene Unterkunft. Aber ihr habt eine von den ganz großen Villen.«
»Tatsächlich?«, fragte Christian ein wenig irritiert.
»Oh ja. Das sind richtig tolle Villen, mit eigenem Pool und eigenem Koch. Euer Haus hat vier Schlafzimmer.«
»Super, wir haben unseren eigenen Pool«, rief Zanipolo. »Dann können wir nach dem Auftritt um Mitternacht noch baden gehen. Irre!«
Die anderen lächelten, nur Christian zog die Brauen zusammen, weil er wusste, dass sein Vater das arrangiert hatte. Nicht, dass es ihn störte, in einer Villa untergebracht zu sein, anstatt in irgendwelchen beengten Räumen hausen zu müssen. Aber Christian hätte das lieber selbst erledigt, und genauso wenig gefiel es ihm, dass sein Vater dafür bezahlte. Der Mann vergaß gern, dass Christian erwachsen war und selbst seinen Mann stehen konnte.
Na ja, dann würde er ihm eben irgendwie das Geld zurückzahlen, beschloss er, während der Van im Schneckentempo einer kurvenreichen Privatstraße folgte, die sich den Berg hinaufschlängelte. Im unteren Abschnitt säumten lang gestreckte zweistöckige Gebäude mit Balkonen den Weg. Das mussten wohl einzelne Suiten sein, überlegte er, vielleicht auch die kleineren Räume, von denen der Fahrer gesprochen hatte. Das Ende der Straße bildete eine Hundertachtzig-Grad-Kurve, dann ging es über eine entgegengesetzt verlaufende Straße weiter nach oben. Auch hier standen lang gestreckte Häuser, ebenso nach der nächsten Kehre. Erst zwei Biegungen weiter hatten sie die Villen erreicht, die ein Stück weit von der Straße entfernt standen und sich wie Efeu an der Felswand festzuklammern schienen.
Die Straße war für zwei Fahrzeuge nebeneinander viel zu schmal, und Christian fragte sich, was passieren würde, wenn ihnen auf dem Weg nach oben auf einmal ein anderer Van entgegenkam. Der Gedanke war ihm gerade erst gekommen, da näherte sich ihnen von oben tatsächlich ein Wagen. Ihr Fahrer verlangsamte das Tempo, während sein Kollege im anderen Van sofort anhielt und zurücksetzte, bis er die nächste Serpentine erreicht hatte. Dort fuhr er so dicht an die Felswand, wie nur eben möglich, um sie mit einem freundlichen Winken passieren zu lassen, und fuhr dann weiter bergab.
»Oh Mann, jetzt wird mir klar, warum die hier niemanden selbst rumfahren lassen«, merkte Zanipolo an, nachdem der Engpass hinter ihnen lag.
Christian gab lediglich ein Brummen von sich. Während sie zwei weitere Kurven zurücklegten, herrschte im Wagen tiefstes Schweigen, da sie alle interessiert die tropische Vegetation betrachteten, die zu beiden Seiten der Straße zu bewundern war. Grünpflanzen und blühende Büsche quollen zwischen den Häusern hervor und erstreckten sich entlang der Fassaden. Fasziniert nahmen sie diese Eindrücke in sich auf, da sie wussten, es würde das einzige Mal sein, dass sie so etwas im grellen Sonnenschein zu sehen bekamen. Keiner von ihnen würde das dafür benötigte Blut vergeuden, nur um diesen Anblick noch einmal genießen zu dürfen. Stattdessen würden sie sich damit begnügen müssen, sich an ihrer Umgebung zu erfreuen, wenn diese in Dunkelheit getaucht war. Eigentlich hätten sie es sich nicht mal jetzt angesehen, wenn sie nicht gezwungen gewesen wären, auf der Stelle ihre Sachen zu packen und sich auf den Weg zu machen. Die Umstände hatten es erforderlich gemacht, ausnahmsweise am helllichten Tag anzureisen.
»Da wären wir.«
Christian betrachtete die zweistöckige Villa, vor der der Van zum Stehen gekommen war. Kaum hatte er nach Raffaele den Wagen verlassen, folgte er dem Weg an der Villa vorbei, um einen Blick auf das werfen zu können, was dahinter lag. Die Aussicht von dort war atemberaubend, er konnte bis ins Tal hinab sehen. Der Berghang war eine einzige grüne Fläche, durchwirkt von weißen Häusern mit lachsfarbenen Dächern, die sich bis zum Strand erstreckten. Die Sonne wurde von dem tiefblauen karibischen Ozean reflektiert, als wäre das Meer aus Diamanten geschaffen. Christian stand einfach nur da und nahm dieses Bild in sich auf.
»Oh Mann, Tagwandler haben es doch viel besser«, befand Giacinta seufzend und brachte ihm damit zum Bewusstsein, dass sie und die anderen ihm um das Haus herum gefolgt waren.
»Aber nur für kurze Zeit«, gab Santo zu bedenken und setzte eine gequälte Miene auf, während er sich über seinen kahlen Kopf rieb.
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Doch das war nicht das Einzige, was ihr Unbehagen bereitete. Es lag auch an den Gästen an sich. Nicht nur, dass die meisten von ihnen gerade mal halb so alt wie sie selbst zu sein schienen - auch wenn ein paar deutlich ältere darunter waren -, es sah auch so aus, als ob es sich bei ihnen ausnahmslos um Pärchen handelte. Sie und Bethany waren offenbar die einzigen weiblichen Singles in diesem Lokal.
Vermutlich verbrachten die meisten hier ihre Flitterwochen, ging es Carolyn verdrossen durch den Kopf, da ihr weder die verliebten Blicke noch die ständigen Küsse entgingen, die die Pärchen untereinander austauschten. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich seufzend abzuwenden und auf Flaschen zu starren, die hinter der Theke aufgereiht standen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob sie nicht einen riesigen Fehler gemacht hatte.
»Was kann ich denn zwei so hübschen Ladys bringen?«
Carolyn stutzte, da der Blick auf die Flaschen plötzlich von einem lächelnden Barkeeper versperrt wurde. Der Mann trug ein weißes Hemd, dazu eine schwarze Hose. Seine Augen gingen zwischen Carolyn und Bethany hin und her, und seine Zähne wirkten durch seine dunkle Haut umso weißer, während er sie strahlend anlächelte.
Überhaupt jeder hier schien zu lächeln. Das musste wohl ansteckend sein, dachte sie und zwang sich dazu, zumindest flüchtig zurückzulächeln. »Ein Glas Weißwein, bitte.«
»Für mich auch«, schloss sich Bethany an. »Und noch zwei Tequila.«
»Tequila?«, fragte Carolyn ungläubig, nachdem der Barkeeper weggegangen war.
»Ja, Tequila. Und den trinken wir, sobald er ihn uns gebracht hat, und dann bestellen wir gleich noch einen!«, gab Bethany entschieden zurück.
Carolyn zögerte. An einem Tequila war sie eigentlich gar nicht interessiert, doch sie entgegnete nur: »Meinst du, dein Magen macht das mit?«
Bethany hatte sich über Magenschmerzen beklagt, seit sie auf dem Flug hierher gegessen hatte. Carolyn hatte sich mit dem gummiartigen Hühnchen begnügt, während ihre Freundin nicht davon abzubringen gewesen war, den Lachs zu bestellen. Seit sie den verspeist hatte, verfluchte sie ihn und ihre Menüwahl.
»Ich hoffe, der Tequila bringt die gehässigen kleinen Parasiten um, die sich in dem Lachs versteckt hatten«, sagte Bethany. »Falls das nicht klappt, wird mir von dem Zeugs ja vielleicht so schlecht, dass ich alles auskotzen muss. Auf jeden Fall wird mir der Tequila helfen, mich schneller von dieser Qual zu befreien.«
Carolyn lachte ungläubig. »Tja, also ... ich weiß nicht ...«
»Gut, wenn du nichts weißt, dann kannst du ja auch still sein«, fiel Bethany ihr ins Wort. »Und jetzt hör auf, dir über irgendetwas Gedanken zu machen. Ich habe dich hierher mitgenommen, damit du abschaltest und dich entspannst, und damit du nach Gott weiß wie langer Zeit mal wieder ein bisschen Spaß hast. Und genau das wirst du jetzt auch machen, Carolyn Connor, selbst wenn ich dir höchstpersönlich jeden einzelnen Tropfen Alkohol einflößen muss, den es in St. Lucia gibt.«
»Ich bin ja schon entspannt«, widersprach sie prompt.
Bethany stöhnte leise auf. »Schätzchen, du bist in etwa so entspannt wie eine Katze auf dem Weg zum Tierarzt. Komm schon, du hast doch schon vor Jahren vergessen, was das Wort ›relaxen‹ eigentlich bedeutet. Als deine Freundin werde ich dafür sorgen, dass du dich verdammt noch mal entspannst, selbst wenn es uns beide umbringt!«
Carolyn sah sie verdutzt an, dann merkte sie, wie die Anspannung tatsächlich ein wenig von ihr abfiel und ein zögerliches Lächeln ihre Mundwinkel umspielte. »Was würde ich bloß ohne dich machen?«
»Du würdest dich in deinem Haus einschließen und nur rausgehen, wenn du zur Arbeit musst, bis du irgendwann alt, einsam und verbittert ins Gras beißt.«
Zwar lachte Carolyn über diese Bemerkung, aber es hörte sich nicht gerade amüsiert an, wohl deshalb, weil Bethany vermutlich recht hatte. Ohne ihre Freundin hätte sie sich inzwischen längst eingeschlossen, entweder zu Hause oder in ihrem Büro, wo sie sich so in ihre Arbeit gestürzt hätte, um die letzten zehn Jahre ihres Lebens darüber zu vergessen und so zu tun, als wäre ihr nie das Herz gebrochen worden.
»Also ...«, begann Bethany und zog eine Braue hoch. »Dann wird Tante Beth jetzt aus dir wieder einen glücklichen, normalen Menschen machen. Ich verspreche dir, diese Reise wirst du so schnell nicht vergessen. Du wirst Spaß und sogar Sex haben. Es wird die beste Zeit deines Lebens werden.«
»Da möchte ich drauf wetten«, gab Carolyn trocken zurück und spürte, wie sie sich schon wieder leicht verkrampfte. Was sie ganz sicher nicht wollte, war wieder was mit einem Mann anzufangen. Das hatte sie hinter sich, wie ihr Scheidungsanwalt bezeugen konnte. Ihr Blick wanderte zum Barkeeper, als dieser mit zwei Weingläsern sowie zwei Schnapsgläsern mit einer goldgelben Flüssigkeit darin zurückkam.
»Danke«, sagte Bethany gut gelaunt und schob eines der kleinen Gläser zu Carolyn hinüber, hob ihr eigenes hoch und drehte sich auf ihrem Hocker zu ihrer Freundin um. »Also ...« Sie hielt inne und sah Carolyn auffordernd an.
Resignierend nahm diese das Glas von der Theke.
»Auf eine tolle Zeit in St. Lucia«, verkündete Bethany und leerte ihr Glas in einem Zug.
Carolyn nippte nur an dem ihren und verzog den Mund, als der Tequila ihre Zungenspitze berührte und höllisch brannte.
Inzwischen hatte Bethany ihr Glas wieder auf die Theke gestellt, schnappte nach Luft und warf ihrer Freundin einen tadelnden Blick zu, weil diese noch immer nicht ausgetrunken hatte. »Runter damit«, befahl sie. »Das hat Dr. Beth so verordnet. «
»Aber ...«
»Runter damit«, beharrte sie und umfasste Carolyns Handgelenk, um das Glas wieder an ihren Mund zu führen.
Sie protestierte nicht weiter, sondern kippte den Tequila runter und begann zu husten und zu keuchen, als die Flüssigkeit sich in ihrer Kehle nach unten brannte und ihren Magen zu entflammen schien.
»Gut gemacht«, lobte Bethany und klopfte ihr auf den Rücken. Dann nahm sie ihr das leere Glas ab und stellte es zusammen mit ihrem dem Barkeeper hin. »Das Gleiche noch mal.«
»Beth«, brachte sie krächzend heraus. »Ich habe seit Jahren nichts mehr getrunken, ich ...«
»Du hast schon so einiges seit Jahren nicht mehr gemacht«, fiel Carolyn ihr ins Wort, während der Barkeeper nachschenkte. »Und das werden wir alles hier nachholen. Also versuch gar nicht erst, dich dagegen zu sperren. Glaub mir, ich weiß, was gut für dich ist.«
Carolyn schüttelte den Kopf, nahm aber das nun wieder volle Glas entgegen.
Beth stieß mit ihr an und verkündete: »Auf die Freiheit.«
Diesmal schluckte Carolyn den Tequila, ohne sich erst von Beth dazu auffordern zu lassen. Diesmal musste sie auch nicht husten, doch sie vermutete, dass ihre Kehle von der ersten Runde noch betäubt war. Sie musste sich nur leicht räuspern, dann stellte sie klar: »Ich bin aber noch nicht frei.«
»Nichts als Wortklauberei«, tat Bethany ihren Einwand ab und winkte den Barkeeper herbei, damit er noch mal nachfüllte. »Das Schlimmste hast du jetzt hinter dir. Jetzt musst du nur noch abwarten, bis das Gericht den Rest erledigt.«
»So ist es«, murmelte Carolyn, während ihr das nächste volle Glas hingehalten wurde.
Bethany hob ihr Glas und verkündete: »Auf die Hoffnung, dass das Gericht endlich mal ein bisschen schneller arbeitet als üblich.«
Als Carolyn ihr leeres Glas auf die Theke stellte, erklärte sie: »Mir ist das eigentlich egal. Ich hab's nicht eilig.«
Bei dieser Bemerkung zog Bethany die Brauen zusammen, während sie mit einer Hand dem Barkeeper ein Zeichen gab, die Tequila-Flasche noch nicht wegzustellen. »Ich schwöre dir, ich kriege jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich dich das sagen höre. Dann denke ich immer, du willst die Scheidung eigentlich gar nicht, weil du ihm noch nachtrauerst und du dich wieder mit ihm versöhnen möchtest.«
»Nein, nein«, protestierte Carolyn und versicherte ihr mit ernster Miene: »Das will ich ganz und gar nicht. Aber ich hab's auch nicht eilig, mich gleich in die nächste Beziehung zu stürzen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass eine Ehe nichts für mich ist. Warum soll es mich also stören, ob es noch ein bisschen dauert, bis diese Ehe endgültig geschieden ist?«
»Richtig.« Bethany lächelte sie an. »Das ist nicht wichtig. Hauptsache, du hast alles bekommen, was du wolltest.«
»Was ich wollte, war eine glückliche Ehe. Nachdem ich die nicht bekommen habe, will ich wenigstens, dass die Scheidung fair über die Bühne geht.«
»Dann wird das unser nächster Toast«, freute sich Bethany. »Auf den unglaublichen Larry Templeton, den großartigen Anwalt, der für dich alles rausholen wird, was dir zusteht, und noch ein bisschen mehr.«
Carolyn erhob ihr Glas, wenngleich ein Lächeln ihr nicht so recht gelingen wollte. Sie wusste, Bethany wollte sie nur aufmuntern, aber dazu war sie einfach nicht in der Stimmung. Das Ende ihrer Ehe hatte sie verletzt, sie all ihrer Illusionen beraubt und sie zutiefst deprimiert. Daher befürchtete sie, dass dieses Ferienresort in der Karibik auch nichts daran ändern würde. Das hier war ganz offensichtlich das Reiseziel schlechthin für Frischvermählte, alle waren sie glücklich und voller Liebe und Zuversicht. Ziemlich genau das Gegenteil der Situation, in der sie sich befand: eine Frau, die mitten in der Scheidung steckte und mit einer Freundin hergekommen war. Außerdem war sie mit ihren zweiundvierzig Jahren auch schon alt. Jedenfalls fühlte sie sich alt. Himmel, sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so alt gefühlt, musste Carolyn sich eingestehen. Alt, verbittert, niedergeschlagen. Wie hatte es nur so weit kommen können?
»Oh.«
Carolyn verdrängte ihre trübsinnigen Gedanken und ließ die erhobene Hand mit dem Glas sinken, als ihr Blick auf Bethany fiel, die das Gesicht verzog und eine Hand auf ihren Bauch gelegt hatte.
»Stimmt was nicht?«, fragte sie besorgt und beugte sich vor.
»Ich glaube, der Tequila hat die Parasiten nicht umgebracht «, murmelte Beth.
Carolyn biss sich auf die Lippe. »Sollen wir zu unserer Villa zurückgehen? Wir können das Abendessen heute ausfallen lassen und uns ...«
»Nein, nein. Wir sind mit Genie verabredet«, unterbrach Bethany sie und sah zufällig über Carolyns Schulter. Ihre Miene hellte sich auf. »Oh, sieh doch, da ist ein Tisch frei geworden. Geh du schon mal mit den Getränken rüber, ich geh mich nur noch schnell übergeben.«
Instinktiv drehte sich Carolyn um und sah, dass ein Paar an einem Tisch auf der unteren Terrasse im Aufbruch begriffen war. Da erst wurde ihr bewusst, was Bethany gesagt hatte, doch als sie sich wieder zu ihr umwandte, da war Beth bereits aufgestanden und bahnte sich ihren Weg zwischen den Leuten hindurch zu den Toiletten, die zwischen diesem und dem feineren Restaurant nebenan gelegen waren.
»Ich bringe Ihnen die Drinks rüber«, ließ der Barkeeper sie wissen und nahm die Weingläser und das Schnapsglas an sich. Als er um die Theke herumkam, stand sie auf und überlegte, ob sie den Tisch wirklich besetzen sollte. Wenn nämlich Beth vielleicht doch länger wegbliebe, dann würde sie lieber erst noch nach ihr sehen.
Nachdem sie ein paar Schritte gemacht hatte, erschrak sie, da sie das Gefühl hatte, dass sich alles um sie herum zu drehen begann. Offenbar zeigte der Tequila bereits Wirkung. Na großartig, dachte sie und folgte dem Barkeeper mit äußerster Konzentration.
Als er plötzlich stehen blieb, schaute sie über seine Schulter und sah, dass sich aus einer anderen Richtung bereits ein Paar dem Tisch näherte.
»Nicht so schlimm«, sagte sie zu dem Mann. »Wir können auch weiter an der Bar warten.«
»Nein, nein, nein«, beharrte er und blickte zwischen ihr und dem Pärchen hin und her. »Das ist ein Tisch für vier. Sie können ihn sich teilen und sich miteinander bekannt machen. «
»Oh nein, das ist schon okay«, sagte Carolyn hastig, da sich schon bei dem Gedanken daran alles in ihr sträubte. Die beiden schienen so um die fünfundzwanzig zu sein, wobei der dunkelhaarige Mann mit seinem attraktiven Äußeren etwas von einem Italiener an sich hatte. Er lächelte und hatte besitzergreifend einen Arm um die Frau an seiner Seite gelegt, eine kurvenreiche Schönheit mit kastanienfarbenem Haar, die Carolyn auf irritierende Weise unverhohlen musterte. Eindeutig ein Paar in den Flitterwochen, dachte Carolyn missmutig.
»Ach, setzen Sie sich doch ruhig zu uns«, forderte die Frau sie freundlich auf. »Wir teilen gern den Tisch mit Ihnen. Wir warten hier sowieso nur, bis das Restaurant nebenan aufmacht.«
»Genau das Gleiche machen auch die hübsche Lady und ihre Freundin«, verkündete der Barkeeper freudestrahlend, stellte die Gläser auf den Tisch und zog für Carolyn einen Stuhl nach hinten.
Carolyn gab sich geschlagen und bedankte sich bei dem Mann, während sie sich hinsetzte. Nachdem er die Bestellung des Paars aufgenommen hatte, kehrte er zurück zur Theke.
»Na, das ist doch sehr schön hier«, meinte die Frau und seufzte zufrieden, dann hielt sie Carolyn die Hand hin. »Ich heiße übrigens Marguerite Argeneau.«
»Argeneau-Notte«, korrigierte der Mann sie lächelnd, wobei er den Namen auf eigentümliche Weise aussprach. Die Frau stutzte, dann lachte sie ein wenig verlegen.
»Marguerite Argeneau-Notte«, bestätigte sie. »Das ist erst seit Kurzem so, ich habe mich noch nicht daran gewöhnt. Das ist mein wundervoller Ehemann, Julius Notte.«
Carolyn brachte ein Lächeln zustande und schüttelte die dargebotene Hand. »Carolyn Connor«, stellte sie sich vor und reichte auch dem Mann die Hand. »Sind Sie in den Flitterwochen? «
»Ja«, antwortete Marguerite. »Aber verheiratet sind wir schon seit einigen Wochen, da sollte ich mich an meinen neuen Namen wirklich mal gewöhnen.«
»Sie sind schon seit Wochen hier?«, fragte Carolyn verwundert.
»Nein, nein, wir sind erst vor ein paar Tagen gekommen«, erwiderte Marguerite. »Wir hatten noch ein paar familiäre Angelegenheiten in Kanada zu erledigen, bevor wir unsere Flitterwochen antreten konnten.«
»Ah, dann sind Sie Kanadierin?«
»Ja, das bin ich«, sagte Marguerite. »Und Sie?«
»Ebenfalls. Aus Toronto.« Carolyn griff nach ihrem Weinglas, hielt dann aber inne und überlegte, ob sie nicht zu Wasser oder Diät-Cola wechseln sollte. Sie trank nie viel Alkohol, und sie hatte keine Lust, sich irgendwann genauso übergeben zu müssen wie Bethany. Bei dem Gedanken erinnerte sie sich daran, dass sie nach ihr sehen sollte, wenn sie nicht bald auftauchte.
»Wie klein doch die Welt ist. Ich komme auch aus Toronto«, sagte Marguerite erfreut und lenkte Carolyns Aufmerksamkeit wieder auf sich.
»Ach, tatsächlich?«, fragte Carolyn.
Marguerite nickte, dann lächelte sie ihren Ehemann an und ließ sich gegen seinen Arm sinken, den er auf die Rückenlehne ihres Stuhls gelegt hatte. »Aber Julius stammt aus Italien, deshalb werden wir vorläufig zwischen Kanada und Italien pendeln, auch wenn sich seine Firma und seine Familie in Italien befinden.«
»Würden wir in Italien bleiben, dann würdest du nach kurzer Zeit deine ganze Familie vermissen, cara. Und das geht nun mal nicht, weil ich will, dass du glücklich bist.«
Wieder rang sich Carolyn zu einem Lächeln durch, gerade als Julius sich vorbeugte, um Marguerite einen zärtlichen Kuss auf den Mund zu geben. So viel Liebe und Glück waren schon schmerzhaft mit anzusehen. Schnell drehte sie den Kopf zur Seite und sah in die Richtung, in die Bethany gegangen war. Sie sollte jetzt wirklich einmal nach ihr sehen. Und wo blieb eigentlich Genie? Der Tisch war für halb acht reserviert, und bis dahin waren es nur noch ein paar Minuten.
»Machen Sie hier Urlaub?«
Carolyn sah zu Marguerite, die sich inzwischen auf ihrem Stuhl wieder zurechtgesetzt hatte und ein wenig auf Abstand zu ihrem Mann gegangen war.
»Ich ... ja.« Sie hob wieder das Glas und hielt es vor ihren Mund, um zu überspielen, dass sie eine Grimasse zog. Einen Moment lang herrschte Stille, während sie einen Schluck Wein trank. Der Tequila schien sich seinen Weg durch ihr Gehirn zu bahnen und sorgte dafür, dass sie verwirrt war und sich deprimiert fühlte. Alkohol war eindeutig das falsche Mittel, um Depressionen zu heilen, dachte Carolyn und nahm sich vor, sich von Beth zu nichts Alkoholischem mehr überreden zu lassen.
Sie stellte das Glas aus der Hand und bemerkte, dass Marguerite sie mit ernster und konzentrierter Miene betrachtete. Es kam ihr so vor, als würde die junge Frau geradewegs durch sie hindurchschauen und auf die Trümmer blicken, die ihr Leben darstellten.
»Ich sehe besser mal nach Beth.« Carolyn schob ihren Stuhl nach hinten und stand auf, doch genau in dem Moment tauchte Genie neben ihr auf und umarmte sie zur Begrüßung.
»Oh mein Gott. Es tut mir so leid. Ich wollte schon vor einer halben Stunde hier sein, aber gerade als ich das Büro verlassen wollte, ging noch ein Anruf ein. Die Band, die ich für nächste Woche engagiert habe, hat soeben abgesagt. Sie sollten eigentlich morgen anfangen, aber in der Familie des Schlagzeugers gab es einen Todesfall.« Sie ließ Carolyn los und setzte sich auf den freien Stuhl neben ihr. »Danach habe ich angefangen, wie eine Verrückte rumzutelefonieren, um irgendwo Ersatz aufzutreiben. Bis ich dann auf einmal auf die Uhr gesehen habe. Da dachte ich mir, ich mache mich besser mal auf den Weg und erkläre euch, was los ist.«
Carolyn ließ sich zurück auf ihren Stuhl sinken, während Genie nach Bethanys Glas griff und einen großen Schluck nahm. Carolyn sah zu dem Paar ihr gegenüber. »Das ist Genie Walker, eine Freundin von uns von der Universität. Sie ist der Grund, wieso wir hier Urlaub machen. Genie, das sind Marguerite und Julius Notte.«
»Hallo. Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt hier«, sagte Genie und gab sich wieder ganz professionell, während sie Bethanys Glas zurück auf den Tisch stellte.
»Ja, es ist ganz wunderbar«, versicherte Marguerite ihr. »Verstehe ich das richtig, dass Sie hier arbeiten?« »Ja, sie ist die Unterhaltungsmanagerin der Ferienanlage«, antwortete Carolyn.
»Besser gesagt: die künftige Ex-Unterhaltungsmanagerin, wenn ich nicht eine Band finde, die einspringen kann und morgen Abend hier eintrifft«, stöhnte Genie und stand auf. »Tut mir wirklich leid, Caro, aber ich muss wieder weg. Ich bin Beth auf dem Weg hierher begegnet. Sie ist zurück zur Villa gegangen. Sie sagt, es geht ihr gut, aber sie will sich lieber hinlegen. Ich habe ihr versprochen, dass ich dir beim Essen Gesellschaft leiste, und das werde ich auch. Aber erst mal muss ich eine Ersatzband finden. Ich komme zurück, sobald ich fündig geworden bin. Das kann allerdings ein bisschen dauern. Ich ...«
»Ist schon okay«, unterbrach Carolyn sie und erhob sich ebenfalls. »Ich gehe einfach zurück zur Villa und lasse mir was vom Zimmerservice bringen. Dann essen wir eben morgen zu Abend.«
»Setzen Sie sich«, hörte sie Marguerite sagen.
Carolyn versteifte sich, als sie den befehlenden Unterton vernahm, setzte sich aber sofort wieder hin, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, diesen Entschluss gefasst zu haben. Auch Genie nahm wieder Platz, wie Carolyn verwundert und auch ein wenig besorgt feststellte. Doch kaum hatte sich dieser Gedanke geregt, war er auch schon wieder verschwunden, und Carolyn saß ganz ruhig und entspannt da.
»Sie beide werden mit uns zu Abend essen«, erklärte Marguerite lächelnd. »Ich weiß genau die richtige Band für Sie.«
Jedenfalls war es das, was Carolyn zu hören glaubte, obwohl »Band« irgendwie nach »Mann« geklungen hatte. Allerdings zeigte der Tequila inzwischen so richtig seine Wirkung, weshalb sie vermutlich etwas missverstanden hatte.
»Carolyn?«, fragte Julius, woraufhin sie ihn ansah. Aber er saß da und schaute Marguerite an.
Die nickte und lächelte ihn strahlend an. »Christian muss herkommen.«
Julius zog die Brauen zusammen und sah Carolyn mit neu gewecktem Interesse an, dann holte er sein Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein.
1
»Und? Was glaubst du, was deine Mutter vorhat?«
Christian Notte wandte seinen Blick von den sanft ins Meer abfallenden Klippen und schaute über die Schulter zu seinem Cousin. Zanipolo sah weiter aus dem Fenster des Resort-Vans, da seine Augen an dem Ausblick klebten, den normalerweise niemand von ihnen zu sehen bekam ... jedenfalls nicht bei Tageslicht.
Er musterte den Mann kurz, dabei fiel ihm auf, dass er eine Sonnenbrille aufgesetzt hatte und die schwarzen Haare nicht wie üblich zum Pferdeschwanz zusammengebunden, sondern offen trug. Dadurch wurde sein Gesicht teilweise verdeckt. Dann wanderte sein Blick weiter zu den übrigen Passagieren im Wagen. Giacinta teilte sich die Sitzbank mit Zanipolo und saß damit genau hinter Christian. Sie schien mit ihren Augen regelrecht die Landschaft zu verschlingen, so fasziniert sah sie durch ihre große Sonnenbrille nach draußen. Ihr langes blondes Haar bot ihr ebenfalls etwas zusätzlichen Schutz vor der Sonne.
Hinter ihnen saß Santo. Der Schlagzeuger war als Erster eingestiegen und hatte sofort die gesamte Rückbank in Beschlag genommen, um sich dort breitzumachen. Mit seinen beringten Fingern strich er über seinen kahl rasierten Schädel. Er bekam von drei Seiten gleichzeitig Tageslicht ab, und er hatte keine Kopfbehaarung, die ihm ein wenig Schutz hätte bieten können. Wahrscheinlich hatte er sich genau deshalb diesen Platz ausgesucht, dachte Christian grimmig. Santo wählte immer die schlechteste und unpraktischste Stelle, während für die anderen die besseren Plätze verblieben. Es war einfach seine Art, und so wie jedes Mal schaffte er es auch jetzt, Christian damit zur Weißglut zu bringen.
»Und?«, fragte Raffaele, woraufhin sich Christian zu dem Mann umdrehte, der neben ihm auf der ersten Bank saß. Raffaele war so dunkelhaarig wie die anderen beiden Männer in der Band - oder so dunkelhaarig, wie sie beide wären, wenn Santo nicht darauf bestanden hätte, sich den Schädel kahl zu scheren. Allerdings trug Raffaele sein dichtes Haar recht kurz. So wie alle Nottes hatte er zudem die typischen schwarzen Augen mit den markanten silbernen Sprenkeln.
»Was fragst du mich?«, gab Christian zurück und drehte sich so, dass er wieder aus dem Fenster sehen und das vorbeiziehende Meerespanorama betrachten konnte. »Sie hat gesagt, dass die eigentlich vorgesehene Band abgesagt hat und wir für sie einspringen sollen.«
»Na klar doch«, meinte Zanipolo lachend. »Jedes frischgebackene Ehepaar will schließlich alle Söhne, Nichten und Neffen bei seinen Flitterwochen dabeihaben.«
»Möglich wäre es«, warf Raffaele nachdenklich ein. »Marguerite hat Christian praktisch nicht mehr aus den Augen gelassen, seit sie ihn und Julius wiedergefunden hat.«
Ehe Christian dazu etwas anmerken konnte, sagte Giacinta: »Sie hat für ihn eine Lebensgefährtin gefunden.«
Sie sprach diese Worte mit einer Gewissheit aus, die keinen Widerspruch zuließ. Christian musste sich davon abhalten, sich zu ihr umzudrehen und sie zu fragen, ob sie das wirklich so meinte. Gleich nach dem Telefonat mit seinen Eltern war ihm dieser Gedanke selbst gekommen. Er hatte zunächst mit seinem Vater gesprochen, und der hatte lediglich gesagt: »Deine Mutter will, dass du herkommst. Trommel die Band zusammen, und dann macht euch sofort auf den Weg nach St. Lucia. «
Christian hatte sich gerade über den bestimmenden Tonfall aufregen wollen, da war Marguerite dazwischengegangen und hatte den Hörer an sich genommen, um aufgeregt davon zu berichten, dass die für das Resort eingeplante Band abgesprungen war und nun händeringend nach einem Ersatz gesucht wurde. Voller Stolz hatte sie der Unterhaltungsmanagerin das Video von ihnen vorgeführt, das auf ihrem iPhone gespeichert war, und die Frau hatte sie auf der Stelle engagieren wollen. Außerdem vermisste sie, Marguerite, ihren Sohn ...
Als sie dann irgendwann damit aufgehört hatte, ihn mit Lob zu überhäufen, war es ihm irgendwie unmöglich gewesen, ihr diese Bitte abzuschlagen.
Mutter. Das Wort brachte ihn jedes Mal zum Lächeln. Über fünfhundert Jahre hatte er ohne eine Mutter gelebt, dabei immer davon geträumt, so wie seine Cousins Mutter und Vater zu haben, und sich ausgemalt, wie ein Leben mit beiden Elternteilen wohl sein würde. Und nun, da er Mutter und Vater hatte, musste er feststellen, dass es sogar noch besser war, als er es sich hatte ausmalen können.
Marguerite Argeneau-Notte war die unkonventionellste, liebevollste Frau, der er je begegnet war. Wen sie in ihr Herz geschlossen hatte, den überhäufte sie mit ihrer Zuneigung und Wärme wie mit einer weichen, warmen Decke, die ihn vor dem Rest der Welt behüten sollte.
»Also?«, fragte Raffaele und stieß Christian an, als der immer noch nichts sagte.
»Also was?«, erwiderte er irritiert.
»Glaubst du, sie hat für dich eine Lebensgefährtin gefunden? «
»Das weiß ich nicht.« Er ließ sich diese Möglichkeit durch den Kopf gehen. Seit sich seine Eltern wiedergefunden hatten, verbrachte Christian einen Großteil seiner Zeit in Kanada, um seine Mutter und die anderen Verwandten näher kennenzulernen. Die meisten von ihnen hatten erst in jüngster Zeit einen Lebensgefährten gefunden. Zwar war es ihm ein Vergnügen gewesen, ihre Bekanntschaft zu machen, aber es hatte auch fast schon etwas Schmerzhaftes an sich, überall nur auf glückliche Paare zu treffen, solange man selbst immer noch keine Partnerin hatte. Der Gedanke, es ihnen nachmachen zu können, war ... das war ... er schüttelte den Kopf. Eine Lebensgefährtin. Er war nun schon seit so langer Zeit allein, dass er sich nicht einmal mehr vorstellen konnte, wie es sein würde, sein Leben mit jemandem zu teilen.
»Es geht um eine Lebensgefährtin«, beharrte Giacinta. »Da gibt es keinen Zweifel.«
Diesmal drehte er sich zu ihr um. »Was macht dich so sicher? «
»Weil das der einzige Grund ist, dass dein Vater damit einverstanden wäre, dich bei seinen Flitterwochen dabeizuhaben «, erklärte sie mit einem Schulterzucken.
»Ja«, stimmte Zanipolo ihr zu. »Sie hat recht, du Glückspilz.«
»Macht ihm doch nicht solche Hoffnungen«, meldete sich Santo knurrend von der Rückbank. »Was ist, wenn du dich irrst, Gia?«
»Das werden wir ziemlich bald rausfinden, wir sind nämlich da«, verkündete Raffaele und zeigte nach draußen auf ein Schild mit dem Namen der Ferienanlage darauf, bei dessen Auftauchen der Van das Tempo drosselte und auf eine großzügig angelegte Abbiegespur wechselte. Christian sah sich um, aber es gab zunächst nicht viel zu sehen, bis die Straße vor ihnen mit einem Mal breiter wurde und er Gebäude und Villen ausmachen konnte, die über die Ausläufer eines links von ihnen aufragenden Bergs verstreut waren. Rechts von ihnen erstreckten sich dagegen Flachbauten, bei denen es sich vor allem um Geschäfte zu handeln schien. Direkt vor ihnen lag das Hauptgebäude, das durch einen Gehweg mit den Geschäften verbunden war. Durch diesen Gehweg entstand eine Lücke in der Bebauung, die ihnen einen kurzen Blick auf den Strand und das Meer gewährte. Kurz darauf folgte der Van der kreisrunden Auffahrt und kam vor dem Hauptgebäude zum Stehen. Christian stieg gleich nach Raffaele aus, nachdem der Fahrer ihnen die Tür geöffnet hatte. Er versuchte, dem Mann ein Trinkgeld zu geben, aber der winkte grinsend ab und versicherte ihm, dass alles bereits erledigt sei. Dann ging er zu einem Mann in weißem Hemd und dunkler Hose, der ein Klemmbrett in der Hand hielt und ein Namensschild trug.
»Wo ist unser Gepäck?«, wollte Giacinta wissen und sah in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Das trifft bestimmt jeden Moment ein«, meinte Christian gelassen, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, selbst auch nach dem zweiten Van Ausschau zu halten. In dem Wagen befand sich nicht nur ihr Gepäck, sondern auch ihr gesamter Vorrat an Blutkonserven in Kühlboxen. Das sollte für die Zeit reichen, die sie hier voraussichtlich verbringen würden.
»Ja, der ist unterwegs«, sagte der Fahrer, der soeben zu ihnen zurückgekommen war, um sie zu einem anderen Van zu dirigieren. »Ich kann Sie nicht zu Ihren Villen fahren, aber mit dem Wagen da geht es gleich weiter.«
Christian sah sich den zweiten Van an, der das Logo des Resorts trug. Vermutlich war es fremden Fahrzeugen nicht erlaubt, das Gelände zu befahren.
»Das Gepäck wird Ihnen gebracht, sobald es hier eingetroffen ist«, fügte der Mann hinzu und drängte sie, sich zu dem zweiten Van zu begeben und einzusteigen. »Schönen Urlaub wünsche ich Ihnen.«
Bevor einer von ihnen noch etwas entgegnen konnte, hatte er die Wagentür geschlossen und winkte ihnen nach, als der Van sich in Bewegung setzte.
»Ihr seid die neue Band?«
Christan wandte sich dem neuen Fahrer zu, der ebenfalls ein weißes Hemd und eine dunkle Hose trug. »Ja«, antwortete er.
»Ich bin Adam. Genie wird ein ganzer Felsbrocken vom Herzen fallen, wenn sie hört, dass ihr tatsächlich eingetroffen seid«, redete der Mann weiter, sah in den Rückspiegel und grinste breit.
»Ist Genie die Unterhaltungsmanagerin?«, wollte Christian wissen, als ihm der Titel wieder einfiel, von dem seine Mutter gesprochen hatte.
»Richtig. Ihr müsst ja echt berühmt sein, wenn sie euch die große Villa gibt. Sonst kommen Bands eigentlich nur in den kleineren Räumen unter, oder sie suchen sich ihre eigene Unterkunft. Aber ihr habt eine von den ganz großen Villen.«
»Tatsächlich?«, fragte Christian ein wenig irritiert.
»Oh ja. Das sind richtig tolle Villen, mit eigenem Pool und eigenem Koch. Euer Haus hat vier Schlafzimmer.«
»Super, wir haben unseren eigenen Pool«, rief Zanipolo. »Dann können wir nach dem Auftritt um Mitternacht noch baden gehen. Irre!«
Die anderen lächelten, nur Christian zog die Brauen zusammen, weil er wusste, dass sein Vater das arrangiert hatte. Nicht, dass es ihn störte, in einer Villa untergebracht zu sein, anstatt in irgendwelchen beengten Räumen hausen zu müssen. Aber Christian hätte das lieber selbst erledigt, und genauso wenig gefiel es ihm, dass sein Vater dafür bezahlte. Der Mann vergaß gern, dass Christian erwachsen war und selbst seinen Mann stehen konnte.
Na ja, dann würde er ihm eben irgendwie das Geld zurückzahlen, beschloss er, während der Van im Schneckentempo einer kurvenreichen Privatstraße folgte, die sich den Berg hinaufschlängelte. Im unteren Abschnitt säumten lang gestreckte zweistöckige Gebäude mit Balkonen den Weg. Das mussten wohl einzelne Suiten sein, überlegte er, vielleicht auch die kleineren Räume, von denen der Fahrer gesprochen hatte. Das Ende der Straße bildete eine Hundertachtzig-Grad-Kurve, dann ging es über eine entgegengesetzt verlaufende Straße weiter nach oben. Auch hier standen lang gestreckte Häuser, ebenso nach der nächsten Kehre. Erst zwei Biegungen weiter hatten sie die Villen erreicht, die ein Stück weit von der Straße entfernt standen und sich wie Efeu an der Felswand festzuklammern schienen.
Die Straße war für zwei Fahrzeuge nebeneinander viel zu schmal, und Christian fragte sich, was passieren würde, wenn ihnen auf dem Weg nach oben auf einmal ein anderer Van entgegenkam. Der Gedanke war ihm gerade erst gekommen, da näherte sich ihnen von oben tatsächlich ein Wagen. Ihr Fahrer verlangsamte das Tempo, während sein Kollege im anderen Van sofort anhielt und zurücksetzte, bis er die nächste Serpentine erreicht hatte. Dort fuhr er so dicht an die Felswand, wie nur eben möglich, um sie mit einem freundlichen Winken passieren zu lassen, und fuhr dann weiter bergab.
»Oh Mann, jetzt wird mir klar, warum die hier niemanden selbst rumfahren lassen«, merkte Zanipolo an, nachdem der Engpass hinter ihnen lag.
Christian gab lediglich ein Brummen von sich. Während sie zwei weitere Kurven zurücklegten, herrschte im Wagen tiefstes Schweigen, da sie alle interessiert die tropische Vegetation betrachteten, die zu beiden Seiten der Straße zu bewundern war. Grünpflanzen und blühende Büsche quollen zwischen den Häusern hervor und erstreckten sich entlang der Fassaden. Fasziniert nahmen sie diese Eindrücke in sich auf, da sie wussten, es würde das einzige Mal sein, dass sie so etwas im grellen Sonnenschein zu sehen bekamen. Keiner von ihnen würde das dafür benötigte Blut vergeuden, nur um diesen Anblick noch einmal genießen zu dürfen. Stattdessen würden sie sich damit begnügen müssen, sich an ihrer Umgebung zu erfreuen, wenn diese in Dunkelheit getaucht war. Eigentlich hätten sie es sich nicht mal jetzt angesehen, wenn sie nicht gezwungen gewesen wären, auf der Stelle ihre Sachen zu packen und sich auf den Weg zu machen. Die Umstände hatten es erforderlich gemacht, ausnahmsweise am helllichten Tag anzureisen.
»Da wären wir.«
Christian betrachtete die zweistöckige Villa, vor der der Van zum Stehen gekommen war. Kaum hatte er nach Raffaele den Wagen verlassen, folgte er dem Weg an der Villa vorbei, um einen Blick auf das werfen zu können, was dahinter lag. Die Aussicht von dort war atemberaubend, er konnte bis ins Tal hinab sehen. Der Berghang war eine einzige grüne Fläche, durchwirkt von weißen Häusern mit lachsfarbenen Dächern, die sich bis zum Strand erstreckten. Die Sonne wurde von dem tiefblauen karibischen Ozean reflektiert, als wäre das Meer aus Diamanten geschaffen. Christian stand einfach nur da und nahm dieses Bild in sich auf.
»Oh Mann, Tagwandler haben es doch viel besser«, befand Giacinta seufzend und brachte ihm damit zum Bewusstsein, dass sie und die anderen ihm um das Haus herum gefolgt waren.
»Aber nur für kurze Zeit«, gab Santo zu bedenken und setzte eine gequälte Miene auf, während er sich über seinen kahlen Kopf rieb.
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Autoren-Porträt von Lynsay Sands
Die kanadische Autorin Lynsay Sands hat zahlreiche zeitgenössische und historische Romane verfasst. Sie studierte Psychologie, liest gern Horror und Liebesromane und ist der Ansicht, dass ein wenig Humor "in allen Lebenslagen hilft". Mit der "Argeneau"-Serie gelang ihr der grosse internationale Durchbruch.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lynsay Sands
- Altersempfehlung: Ab 16 Jahre
- 2013, 1. Aufl., 416 Seiten, Masse: 12,4 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ralph Sander
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802591062
- ISBN-13: 9783802591068
- Erscheinungsdatum: 15.10.2013
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