Ostfriesenblut / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.2
Kriminalroman
Dieser Mörder will spielen: Ann Kathrin Klaasens zweiter Fall
Ann Kathrin sah es schon von weitem. Vor ihrer Haustür lag etwas, das aussah wie ein Sack. Ein Leichensack! Für einen winzigen Moment hoffte Ann Kathrin, dass sich jemand einen dummen Scherz...
Ann Kathrin sah es schon von weitem. Vor ihrer Haustür lag etwas, das aussah wie ein Sack. Ein Leichensack! Für einen winzigen Moment hoffte Ann Kathrin, dass sich jemand einen dummen Scherz...
lieferbar
versandkostenfrei
Taschenbuch
Fr. 16.90
inkl. MwSt.
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Produktdetails
Produktinformationen zu „Ostfriesenblut / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.2 “
Klappentext zu „Ostfriesenblut / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.2 “
Dieser Mörder will spielen: Ann Kathrin Klaasens zweiter FallAnn Kathrin sah es schon von weitem. Vor ihrer Haustür lag etwas, das aussah wie ein Sack. Ein Leichensack! Für einen winzigen Moment hoffte Ann Kathrin, dass sich jemand einen dummen Scherz erlaubt hatte. Doch dann sah sie die Wangenknochen einer Frau. Einer toten Frau.
Die Tote, Regina Orth, ist keines natürlichen Todes gestorben, obwohl im Totenschein "Tod durch Herzversagen" angegeben wurde. Doch noch während Kommissarin Ann Kathrin Klaasen im Umfeld der Toten ermittelt, erhält sie Hinweise auf das nächste Opfer des Mörders.
Der Mörder spielt ein Spiel, dessen Regeln die ostfriesische Hauptkommissarin Ann Kathrin Klaasen noch nicht kennt - der zweite Fall in der beispiellosen Erfolgsserie von Nummer-1-Bestsellerautor Klaus-Peter Wolf.
Lese-Probe zu „Ostfriesenblut / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.2 “
Ostfriesenblut von Klaus Peter Wolf Die Polizeiinspektion Aurich, die Landschaft, Fähren, Häuser und Restaurants gibt es in Ostfriesland wirklich.
Doch auch, wenn dieser Roman ganz in einer realen Kulisse angesiedelt ist, sind die Handlung und die Personen frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und Organisationen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Ann Kathrin Klaasen war zu sehr in ihre Gedanken vertieft. Sie bemerkte nicht, dass sie beobachtet wurde, während sie auf ihrer Terrasse im Strandkorb saß und auf ihr Handy starrte.
Er schlenderte langsam vorbei und nickte ihr zu. Sein Triumph war, dass er keine Ausstrahlung besaß. Die Menschen sahen ihn und vergaßen ihn sofort wieder. Er hatte viel Zeit fast unsichtbar in ihrer Nähe verbracht.
Ja, er war sich sicher: Er hatte die richtige Wahl getroffen. Er kannte sie zunächst nur aus der Zeitung und von ein paar flüchtigen Fernsehbildern, auf denen sie gar nicht gewirkt hatte wie eine Frau, die am Rande ihrer Kräfte war.
Inzwischen hatte er viele Berichte über sie gesammelt. Der Ostfriesische Kurier hatte ihr fast eine ganze Seite gewidmet. Der Kommissarin, die mit psychologischem Einfühlungsvermögen eine irre Serienmörderin gefasst hatte.
Es gefiel ihm, wie Ann Kathrin Klaasen über die Täterin redete. Sie verstand die Motive, begriff, was geschehen war. Besser als jeder Seelenklempner.
Ja, er hatte die richtige Wahl getroffen. Sie würde auch ihn verstehen, egal, wie abscheulich der Rest der Welt seine Morde fand.
... mehr
Am Anfang hatte Ann Kathrin Klaasen sich blöd dabei gefühlt, zu ihrem Sohn Eike Kontakt per SMS zu halten. Inzwischen war sie froh, wenn er überhaupt mal zurücksimste. Auch wenn die Kommunikationsmöglichkeiten immer größer geworden waren, redeten die Menschen immer weniger miteinander. So zumindest kam es ihr vor.
Sie rief ihren Sohn schon lange nicht mehr auf dem Festnetztelefon an. Sie hatte jedes Mal Angst, Susanne Möninghoff, die neue Geliebte ihres Exmannes, könnte abheben und mit ihrer verletzenden Freundlichkeit die alte Wunde wieder aufreißen.
Aber auch der Kontakt über Eikes Handy fiel zunehmend schwerer. Tagelang hörte sie nur: The per- son you are calling is not available. Später erklärte er dann, sein Akku sei leer gewesen, und er hätte das Aufladegerät verloren. Auf ihre Nachrichten antwortete er angeblich nicht, weil seine Prepaidkarte leer war.
Sie kam sich dumm dabei vor, ihm hinterherzulaufen. Er war 13 und ihr Sohn. Sie schwankte zwischen dem Gefühl, ihn zu vernachlässigen, und dem, von ihm vernachlässigt zu werden. War sie total austauschbar? Ersetzte ihm die Geliebte seines Vaters die Mutter so vollständig? War Susanne Möninghoff nicht nur eine bessere Liebhaberin, sondern auch noch eine bessere Mutter?
Der Gedanke schmerzte sie. Da fiel es ihr leichter, daran zu glauben, dass ihr Mann, Hero, seine gelernten Fähigkeiten als Therapeut dazu einsetzte, sie von ihrem Sohn zu entfremden. Wenn er das wirklich tat, dann war er sehr gut darin. Er hatte gesiegt. Auf ganzer Linie.
Der Wind wehte von Nordost.
Er hatte das Gefühl, Ann Kathrin Klaasens Haut riechen zu können. Er schloss für einen Moment die Augen und nahm Witterung auf. Er hatte gelernt, sich seinen Opfern gegen den Wind zu nähern. So konnte er sie riechen, aber sie ihn nicht.
Sie benutzte eine Hautcreme mit Nachtkerzenöl. Aber die Creme allein war es nicht. Er hatte sich damit die Arme eingerieben und daran gerochen. Der Duft gefiel ihm überhaupt nicht. Die Creme entfaltete ihre Wirkung nur auf Ann Kathrin Klaasens Haut, nicht auf seiner. Auch ihre Wäsche duftete so betörend. Er war überzeugt, es war nicht das Waschmittel, sondern Ann Kathrin Klaasen selbst, die der Wäsche ihre Duftnote gab. Wie oft hatte er sich ein Höschen von ihr an die Nase gehalten und tief eingeatmet ...
Vielleicht war es besser, dieses große Haus im Distelkamp 13 zu verlassen, dachte Ann Kathrin Klaasen. Alles hier erinnerte sie an Hero und Eike. Daran, wie ihre Ehe auf dem Altar der Kriminalitätsbekämpfung geopfert wurde.
Ja, sie beide waren gut für Ostfriesland. Hero half seinen Klienten, ein freieres, glücklicheres Leben zu führen und mit den Traumatisierungen ihrer Kindheit fertig zu werden, während sie die bösen Jungs einsperrte und alles dafür tat, dass sich jeder Bürger in Ostfriesland sicher fühlen konnte. Dabei war im Laufe der Zeit jeder Tatverdächtige viel wichtiger geworden als die Beziehung zu ihrem Mann und ihrem Sohn. Sie gestand es sich nicht gerne ein, aber genau so war es wohl. Da nutzte es wenig, ihrem Ex vorzuwerfen, dass er sich lieber mit dem Liebesleben seiner Klientinnen befasste als mit dem seiner Frau. Sicherlich kannte er die unterdrückten Sehnsüchte seiner Klientinnen besser als ihre.
Sie wurde wütend bei dem Gedanken. Es tat ihr gut, ihm die Schuld zu geben. Auch wenn es ungerecht war. Gerechtigkeit übte sie im beruflichen Alltag genug.
Sie überlegte, wie das mit ihren Eltern war. Hielt sie auch keinen Kontakt zu denen? Wartete ihre Mutter auch wochenlang auf einen Anruf? Nein, wochenlang sicherlich nicht. Mindestens einmal pro Woche meldete sie sich bei ihrer Mutter.
An ihren Vater dachte sie ständig. Als er noch lebte, hatte sie nicht erkannt, wie wichtig er für sie war. Seit seiner Ermordung dominierte er manchmal ihr Leben. Sie kümmerte sich nicht um sein Grab, aber sie hielt ständig Zwiesprache mit ihm. Immer wieder, wenn sie vor schwierigen Situationen stand, fragte sie sich: Wie würde er handeln? Manchmal hörte sie dabei seine Stimme oder roch seinen Atem.
Ihm zu Ehren lag noch immer eine Flasche Doornkaat im Eisfach. Daneben zwei Gläser, obwohl sie den Schnaps doch immer alleine trank. Genau wie er damals.
Ann Kathrin Klaasen drückte die Kurzwahltaste für Eike. Es klingelte. Immerhin. Zumindest war der Akku von ihrem Sohn wieder aufgeladen.
Eike hob schon nach dem zweiten Klingelton ab. »Ja, Mama, was ist denn?«
Sein Ton ließ kein Missverständnis aufkommen. Sie störte ihn bei irgendetwas. Wahrscheinlich musste sie froh sein, dass er sich überhaupt meldete und nicht einfach das Handy ausschaltete, wenn Mam auf dem Display erschien.
Zwischen ihnen entstand ein kurzes Schweigen, das sie als peinlich empfand.
»Ich wollte nur mal deine Stimme hören«, sagte sie. Es hörte sich an wie eine Entschuldigung.
Er antwortete so genervt wie möglich: »Wir lernen gerade. Ich schreib morgen eine wichtige Arbeit.«
Die fürsorgliche Mutter in ihr wollte natürlich wissen, in welchem Fach und mit wem er büffelte, aber die Kriminalistin in ihr ahnte, dass sein Lerneifer nur eine schnelle Ausrede war, um sie loszuwerden. Wahrscheinlich waren ein paar Kumpels zu Besuch, und sie hatten Wichtigeres zu tun - ja, was eigentlich? Sie wusste nicht mal mehr, wofür Eike sich interessierte. Hatte er eine Freundin? Ging es schon mit der ersten Liebe los?
Sie blieb freundlich, bemühte sich, ihn ihre Enttäuschung nicht spüren zu lassen, und sagte: »Na, dann ruf ich lieber später noch mal an. Und alles Gute - ich drück dir die Daumen.«
Das Gespräch hatte ihr nicht gutgetan. Es hinterließ einen Druck auf der Brust. Und sie, die immer von Terminen gejagt wurde und oft mit dem Gefühl durch den Tag hetzte, ohnehin nicht alles schaffen zu können, wusste plötzlich nichts mehr mit sich anzufangen.
Sie trank ein Glas Mineralwasser, holte dann ein Stück Leber aus dem Kühlschrank, schnitt es in gleichmäßige Teile und stellte es der Katze hin. Willi hatte sich auch schon seit Tagen nicht mehr sehen lassen. Angeblich waren Katzen ja so treu. In Wirklichkeit wussten sie wahrscheinlich nur genau, wo es etwas zu fressen gab und einen warmen Schlafplatz.
Ann Kathrin Klaasen machte ein paar Mauzgeräusche, doch sosehr sie sich auch bemühte, eine Katze zu imitieren, Willi ließ sich nicht blicken.
Sie fühlte sich zurückgestoßen, ja richtig ausgenutzt. Auch von Willi.
Sie dachte kurz an die verrückte Mörderin, die Ostfriesland so lange in Aufruhr versetzt hatte. Ann Kathrin beschloss, sie mal wieder zu besuchen. Zwischen den beiden war so etwas wie eine Freundschaft gewachsen.
Hätte sie mir sonst ihren Kater Willi anvertraut, dachte Ann Kathrin. Dann spürte sie es wie einen Stich in der Magengegend: War sie schon so weit heruntergekommen, dass sie, um überhaupt noch persönliche Beziehungen zu haben, auf gefasste Straftäter zurückgreifen musste? Es war ihr gelungen, das Vertrauen der Täterin zu gewinnen. Aber sie hatte das ihres Sohnes verloren.
Sie schüttelte sich und beschloss, ans Meer zu fahren. Der Wind am Deich hatte ihr schon oft die Gedanken freigepustet, wenn sie zu sehr verstrickt war in ihr persönliches Geflecht oder in einen Fall.
Er sah ihr nach, wie sie auf ihrem Fahrrad zum Deich radelte. Das Haus war jetzt leer. Es lag, von den Hecken gut geschützt, im Norden von Norden, direkt bei den Bahngleisen. Höchstens einen Kilometer Luftlinie vom Meer entfernt. Hier würde ihn niemand bemerken. Schon gar nicht in der Dunkelheit.
Heinrich Jansen spürte seine Füße nicht mehr. Er sah, dass sie zitterten, aber es war kein Gefühl mehr in ihnen. Das Isolierband, mit dem seine Beine ans Stuhlbein gefesselt waren, schnitt tief in seine Haut.
Er jammerte. Einerseits fürchtete er nichts mehr, andererseits hoffte er, dass sein Peiniger bald zurückkommen würde, denn er wusste, dass er sonst nicht mehr lange zu leben hatte.
Hunger und Durst hatten ihn so schlapp gemacht, dass er immer wieder ohnmächtig wurde. Was aber viel schlimmer war: er brauchte diese Scheiß Medikamente.
Sie lagen keine zwei Meter von ihm entfernt auf dem kleinen Tischchen. Daneben ein Rohrstock und die Peitsche. Wie um ihn zu verhöhnen, hatte der Mann, bevor er ihn allein ließ, ein volles Glas Wasser auf den Tisch gestellt.
Lieber Gott, betete Heinrich Jansen, lieber Gott, bitte lass mich nicht so sterben.
Selbst um diese Jahreszeit gab es einsame Stellen am Deich. Doch Ann Kathrin Klaasen war mit ihrem Rad genau hier hingefahren, wo alle Touristen zuerst ankamen: Zwischen Strandhalle und Diekster Köken fühlte sie sich wohl. Sie mochte es, in einer Ecke der Welt zu wohnen, die immer wieder von Touristen überflutet wurde. Sie gaben dem Norder Stadtbild im Sommer etwas Mediterranes. Die Menschen saßen draußen in der Einkaufsstraße und tranken Milchkaffee, es wurde eng in den Geschäften, es gab nie genug Parkplätze, und die Straße zwischen Norden und Norddeich war immer verstopft. Trotzdem freute sie sich, wenn die Touristen kamen, und suchte bewusst die Orte auf, an denen sie waren. Sie sprach mit niemandem und wollte auch auf keinen Fall angesprochen werden. Sie genoss es, sonntags im Strom der Touristen mitzufließen, als sei sie eine von ihnen.
Gibt es etwas Besseres, als da zu wohnen, wo andere Urlaub machen, hatte ihr Vater zu ihr gesagt. So gern hätte sie jetzt mit ihm gesprochen und ihn um Rat gefragt. - Sollte sie um Hero, ihren Ehemann, kämpfen? Sollte sie wirklich versuchen, ihn zurückzugewinnen?
Sie lächelte. Während sie am Deich einem knutschenden Touripärchen zusah, fielen ihr die Worte ihres Vaters wieder ein: Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten.
War es das? Musste sie einfach nur abwarten, bis Hero reumütig zu ihr zurückkam? Wollte sie ihn überhaupt noch? Würde sie ihn wieder aufnehmen oder einfach nur die Genugtuung genießen, dass seine neue Beziehung gescheitert war?
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Am Anfang hatte Ann Kathrin Klaasen sich blöd dabei gefühlt, zu ihrem Sohn Eike Kontakt per SMS zu halten. Inzwischen war sie froh, wenn er überhaupt mal zurücksimste. Auch wenn die Kommunikationsmöglichkeiten immer größer geworden waren, redeten die Menschen immer weniger miteinander. So zumindest kam es ihr vor.
Sie rief ihren Sohn schon lange nicht mehr auf dem Festnetztelefon an. Sie hatte jedes Mal Angst, Susanne Möninghoff, die neue Geliebte ihres Exmannes, könnte abheben und mit ihrer verletzenden Freundlichkeit die alte Wunde wieder aufreißen.
Aber auch der Kontakt über Eikes Handy fiel zunehmend schwerer. Tagelang hörte sie nur: The per- son you are calling is not available. Später erklärte er dann, sein Akku sei leer gewesen, und er hätte das Aufladegerät verloren. Auf ihre Nachrichten antwortete er angeblich nicht, weil seine Prepaidkarte leer war.
Sie kam sich dumm dabei vor, ihm hinterherzulaufen. Er war 13 und ihr Sohn. Sie schwankte zwischen dem Gefühl, ihn zu vernachlässigen, und dem, von ihm vernachlässigt zu werden. War sie total austauschbar? Ersetzte ihm die Geliebte seines Vaters die Mutter so vollständig? War Susanne Möninghoff nicht nur eine bessere Liebhaberin, sondern auch noch eine bessere Mutter?
Der Gedanke schmerzte sie. Da fiel es ihr leichter, daran zu glauben, dass ihr Mann, Hero, seine gelernten Fähigkeiten als Therapeut dazu einsetzte, sie von ihrem Sohn zu entfremden. Wenn er das wirklich tat, dann war er sehr gut darin. Er hatte gesiegt. Auf ganzer Linie.
Der Wind wehte von Nordost.
Er hatte das Gefühl, Ann Kathrin Klaasens Haut riechen zu können. Er schloss für einen Moment die Augen und nahm Witterung auf. Er hatte gelernt, sich seinen Opfern gegen den Wind zu nähern. So konnte er sie riechen, aber sie ihn nicht.
Sie benutzte eine Hautcreme mit Nachtkerzenöl. Aber die Creme allein war es nicht. Er hatte sich damit die Arme eingerieben und daran gerochen. Der Duft gefiel ihm überhaupt nicht. Die Creme entfaltete ihre Wirkung nur auf Ann Kathrin Klaasens Haut, nicht auf seiner. Auch ihre Wäsche duftete so betörend. Er war überzeugt, es war nicht das Waschmittel, sondern Ann Kathrin Klaasen selbst, die der Wäsche ihre Duftnote gab. Wie oft hatte er sich ein Höschen von ihr an die Nase gehalten und tief eingeatmet ...
Vielleicht war es besser, dieses große Haus im Distelkamp 13 zu verlassen, dachte Ann Kathrin Klaasen. Alles hier erinnerte sie an Hero und Eike. Daran, wie ihre Ehe auf dem Altar der Kriminalitätsbekämpfung geopfert wurde.
Ja, sie beide waren gut für Ostfriesland. Hero half seinen Klienten, ein freieres, glücklicheres Leben zu führen und mit den Traumatisierungen ihrer Kindheit fertig zu werden, während sie die bösen Jungs einsperrte und alles dafür tat, dass sich jeder Bürger in Ostfriesland sicher fühlen konnte. Dabei war im Laufe der Zeit jeder Tatverdächtige viel wichtiger geworden als die Beziehung zu ihrem Mann und ihrem Sohn. Sie gestand es sich nicht gerne ein, aber genau so war es wohl. Da nutzte es wenig, ihrem Ex vorzuwerfen, dass er sich lieber mit dem Liebesleben seiner Klientinnen befasste als mit dem seiner Frau. Sicherlich kannte er die unterdrückten Sehnsüchte seiner Klientinnen besser als ihre.
Sie wurde wütend bei dem Gedanken. Es tat ihr gut, ihm die Schuld zu geben. Auch wenn es ungerecht war. Gerechtigkeit übte sie im beruflichen Alltag genug.
Sie überlegte, wie das mit ihren Eltern war. Hielt sie auch keinen Kontakt zu denen? Wartete ihre Mutter auch wochenlang auf einen Anruf? Nein, wochenlang sicherlich nicht. Mindestens einmal pro Woche meldete sie sich bei ihrer Mutter.
An ihren Vater dachte sie ständig. Als er noch lebte, hatte sie nicht erkannt, wie wichtig er für sie war. Seit seiner Ermordung dominierte er manchmal ihr Leben. Sie kümmerte sich nicht um sein Grab, aber sie hielt ständig Zwiesprache mit ihm. Immer wieder, wenn sie vor schwierigen Situationen stand, fragte sie sich: Wie würde er handeln? Manchmal hörte sie dabei seine Stimme oder roch seinen Atem.
Ihm zu Ehren lag noch immer eine Flasche Doornkaat im Eisfach. Daneben zwei Gläser, obwohl sie den Schnaps doch immer alleine trank. Genau wie er damals.
Ann Kathrin Klaasen drückte die Kurzwahltaste für Eike. Es klingelte. Immerhin. Zumindest war der Akku von ihrem Sohn wieder aufgeladen.
Eike hob schon nach dem zweiten Klingelton ab. »Ja, Mama, was ist denn?«
Sein Ton ließ kein Missverständnis aufkommen. Sie störte ihn bei irgendetwas. Wahrscheinlich musste sie froh sein, dass er sich überhaupt meldete und nicht einfach das Handy ausschaltete, wenn Mam auf dem Display erschien.
Zwischen ihnen entstand ein kurzes Schweigen, das sie als peinlich empfand.
»Ich wollte nur mal deine Stimme hören«, sagte sie. Es hörte sich an wie eine Entschuldigung.
Er antwortete so genervt wie möglich: »Wir lernen gerade. Ich schreib morgen eine wichtige Arbeit.«
Die fürsorgliche Mutter in ihr wollte natürlich wissen, in welchem Fach und mit wem er büffelte, aber die Kriminalistin in ihr ahnte, dass sein Lerneifer nur eine schnelle Ausrede war, um sie loszuwerden. Wahrscheinlich waren ein paar Kumpels zu Besuch, und sie hatten Wichtigeres zu tun - ja, was eigentlich? Sie wusste nicht mal mehr, wofür Eike sich interessierte. Hatte er eine Freundin? Ging es schon mit der ersten Liebe los?
Sie blieb freundlich, bemühte sich, ihn ihre Enttäuschung nicht spüren zu lassen, und sagte: »Na, dann ruf ich lieber später noch mal an. Und alles Gute - ich drück dir die Daumen.«
Das Gespräch hatte ihr nicht gutgetan. Es hinterließ einen Druck auf der Brust. Und sie, die immer von Terminen gejagt wurde und oft mit dem Gefühl durch den Tag hetzte, ohnehin nicht alles schaffen zu können, wusste plötzlich nichts mehr mit sich anzufangen.
Sie trank ein Glas Mineralwasser, holte dann ein Stück Leber aus dem Kühlschrank, schnitt es in gleichmäßige Teile und stellte es der Katze hin. Willi hatte sich auch schon seit Tagen nicht mehr sehen lassen. Angeblich waren Katzen ja so treu. In Wirklichkeit wussten sie wahrscheinlich nur genau, wo es etwas zu fressen gab und einen warmen Schlafplatz.
Ann Kathrin Klaasen machte ein paar Mauzgeräusche, doch sosehr sie sich auch bemühte, eine Katze zu imitieren, Willi ließ sich nicht blicken.
Sie fühlte sich zurückgestoßen, ja richtig ausgenutzt. Auch von Willi.
Sie dachte kurz an die verrückte Mörderin, die Ostfriesland so lange in Aufruhr versetzt hatte. Ann Kathrin beschloss, sie mal wieder zu besuchen. Zwischen den beiden war so etwas wie eine Freundschaft gewachsen.
Hätte sie mir sonst ihren Kater Willi anvertraut, dachte Ann Kathrin. Dann spürte sie es wie einen Stich in der Magengegend: War sie schon so weit heruntergekommen, dass sie, um überhaupt noch persönliche Beziehungen zu haben, auf gefasste Straftäter zurückgreifen musste? Es war ihr gelungen, das Vertrauen der Täterin zu gewinnen. Aber sie hatte das ihres Sohnes verloren.
Sie schüttelte sich und beschloss, ans Meer zu fahren. Der Wind am Deich hatte ihr schon oft die Gedanken freigepustet, wenn sie zu sehr verstrickt war in ihr persönliches Geflecht oder in einen Fall.
Er sah ihr nach, wie sie auf ihrem Fahrrad zum Deich radelte. Das Haus war jetzt leer. Es lag, von den Hecken gut geschützt, im Norden von Norden, direkt bei den Bahngleisen. Höchstens einen Kilometer Luftlinie vom Meer entfernt. Hier würde ihn niemand bemerken. Schon gar nicht in der Dunkelheit.
Heinrich Jansen spürte seine Füße nicht mehr. Er sah, dass sie zitterten, aber es war kein Gefühl mehr in ihnen. Das Isolierband, mit dem seine Beine ans Stuhlbein gefesselt waren, schnitt tief in seine Haut.
Er jammerte. Einerseits fürchtete er nichts mehr, andererseits hoffte er, dass sein Peiniger bald zurückkommen würde, denn er wusste, dass er sonst nicht mehr lange zu leben hatte.
Hunger und Durst hatten ihn so schlapp gemacht, dass er immer wieder ohnmächtig wurde. Was aber viel schlimmer war: er brauchte diese Scheiß Medikamente.
Sie lagen keine zwei Meter von ihm entfernt auf dem kleinen Tischchen. Daneben ein Rohrstock und die Peitsche. Wie um ihn zu verhöhnen, hatte der Mann, bevor er ihn allein ließ, ein volles Glas Wasser auf den Tisch gestellt.
Lieber Gott, betete Heinrich Jansen, lieber Gott, bitte lass mich nicht so sterben.
Selbst um diese Jahreszeit gab es einsame Stellen am Deich. Doch Ann Kathrin Klaasen war mit ihrem Rad genau hier hingefahren, wo alle Touristen zuerst ankamen: Zwischen Strandhalle und Diekster Köken fühlte sie sich wohl. Sie mochte es, in einer Ecke der Welt zu wohnen, die immer wieder von Touristen überflutet wurde. Sie gaben dem Norder Stadtbild im Sommer etwas Mediterranes. Die Menschen saßen draußen in der Einkaufsstraße und tranken Milchkaffee, es wurde eng in den Geschäften, es gab nie genug Parkplätze, und die Straße zwischen Norden und Norddeich war immer verstopft. Trotzdem freute sie sich, wenn die Touristen kamen, und suchte bewusst die Orte auf, an denen sie waren. Sie sprach mit niemandem und wollte auch auf keinen Fall angesprochen werden. Sie genoss es, sonntags im Strom der Touristen mitzufließen, als sei sie eine von ihnen.
Gibt es etwas Besseres, als da zu wohnen, wo andere Urlaub machen, hatte ihr Vater zu ihr gesagt. So gern hätte sie jetzt mit ihm gesprochen und ihn um Rat gefragt. - Sollte sie um Hero, ihren Ehemann, kämpfen? Sollte sie wirklich versuchen, ihn zurückzugewinnen?
Sie lächelte. Während sie am Deich einem knutschenden Touripärchen zusah, fielen ihr die Worte ihres Vaters wieder ein: Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten.
War es das? Musste sie einfach nur abwarten, bis Hero reumütig zu ihr zurückkam? Wollte sie ihn überhaupt noch? Würde sie ihn wieder aufnehmen oder einfach nur die Genugtuung genießen, dass seine neue Beziehung gescheitert war?
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
... weniger
Autoren-Porträt von Klaus-Peter Wolf
Klaus-Peter Wolf, 1954 in Gelsenkirchen geboren, lebt als freier Schriftsteller in der ostfriesischen Stadt Norden, im selben Viertel wie seine Kommissarin Ann Kathrin Klaasen. Wie sie ist er nach langen Jahren im Ruhrgebiet, im Westerwald und in Köln an die Küste gezogen und Wahl-Ostfriese geworden. Seine Bücher und Filme wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Bislang sind seine Bücher in 26 Sprachen übersetzt und über fünfzehn Millionen Mal verkauft worden. Mehr als 60 seiner Drehbücher wurden verfilmt, darunter viele für »Tatort« und »Polizeiruf 110«. Der Autor ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.Die Romane seiner Serie mit Hauptkommissarin Ann Kathrin Klaasen stehen regelmässig mehrere Wochen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste, derzeit werden mehrere Bücher der Serie prominent fürs ZDF verfilmt und begeistern Millionen von Zuschauern.
Bibliographische Angaben
- Autor: Klaus-Peter Wolf
- 2013, 2. Aufl., 448 Seiten, Masse: 9,3 x 14,4 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596513014
- ISBN-13: 9783596513017
- Erscheinungsdatum: 24.07.2013
Kommentar zu "Ostfriesenblut / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.2"
0 Gebrauchte Artikel zu „Ostfriesenblut / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.2“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Ostfriesenblut / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.2".
Kommentar verfassen