Am Ende des Schweigens
Die Freunde Alexander, Leon und Tom verbringen mit ihren Frauen mal wieder den Urlaub gemeinsam in Yorkshire, einem abgeschiedenen Dorf im Westen. Jessica, Alexanders zweite Frau, ist zum ersten Mal dabei. Die Stimmung ist gespannt, und als ein Fremder...
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Die Freunde Alexander, Leon und Tom verbringen mit ihren Frauen mal wieder den Urlaub gemeinsam in Yorkshire, einem abgeschiedenen Dorf im Westen. Jessica, Alexanders zweite Frau, ist zum ersten Mal dabei. Die Stimmung ist gespannt, und als ein Fremder immer wieder in der Nähe des Hauses auftaucht, fühlen sich alle bedroht. Als Jessica eines Tages von einem Spaziergang zurückkehrt, macht sie eine furchtbare Entdeckung. Das idyllische Stanbury House wird zum Schauplatz eines furchtbaren Verbrechens. Ein Verbrechen, das ein jahrelanges Schweigen beendet und die Überlebenden mit ihrer ganz persönlichen Wahrheit konfrontiert.
"Eine der ganz grossen Erzählerinnen der Gegenwart"
Journal für die Frau
''Charlotte Link schreibt so gut und so britisch, dass selbst ihre englische Kollegin Minette Walters vor Neid erblassen würde!''
Südwestfunk
Am Ende des Schweigensvon Charlotte Link
LESEPROBE
Eineeigenartige Stille lag über Stanbury.
Eine grosse und umfassende Stille, so als habe die Welt aufgehört zu atmen.
Wahrscheinlich, dachte sie, sind alle weggegangen. Zum Einkaufen vielleicht.
Obwohl das seltsam war, denn niemand hatte am Morgen etwas davon gesagt, undfür gewöhnlich wurden derlei Vorhaben besprochen. So wie einfach alles zwischenihnen immer besprochen wurde. Ausser den Dingen, die das Gerüst zum Einsturzbringen könnten. Aber dazu zählte nicht, wenn jemand einkaufen ging.
Doch diese Stille reichte tiefer.
Sie überlegte, was so anders war, aber sie kam nicht darauf. Vielleicht lag dasauch daran, dass sie so müde war. Die Ereignisse derletzten Tage, die Schwangerschaftsübelkeit, die sie immer wieder befiel, dieungewöhnliche Wärme. Sie konnte sich nicht erinnern, dassje ein April so anhaltend warm gewesen war. Gerade hatte es so ausgesehen, alswerde es ein wenig kühler, aber nun kehrte die drückende Schwüle schon wiederzurück.
Sie war weiter gelaufen, als sie es vorgehabt hatte, fast um das ganze Anwesenherum, durch das kleine Waldstück im Westen und über die Hügel im Süden. Erstjetzt merkte sie, wie stark sie schwitzte, dass ihrGesicht nass war und ihre Haare im Nacken klebten, dass ihr Atem keuchend ging. Barney,ihr junger Hund, schoss wie ein Gummiball vor ihr herund war so munter, als sei er noch keine fünf Minuten an diesem Tag gelaufen.Normalerweise hatte auch sie eine gute Kondition, aber sie hatte schlechtgeschlafen in der Nacht, und in den vergangenen Wochen hatte sie sich häufigübergeben. Jetzt, gegen Ende des dritten Monats, schien es besser zu werden,aber sie fühlte sich sehr geschwächt.
Sie war auch einfach zu warm angezogen. Ihre Jacke hatte sie sich schon um dieHüften gebunden, vorhin, als sie über die hoch gelegenen Wiesen gestapft war.Sie hatte sich einige Male dabei ertappt, wie sie sich vorsichtig umschaute.Sie hatte ihn mehrfach getroffen während ihrer langen, einsamen Spaziergänge.Als habe er auf sie gewartet, weil er sicher sein konnte, dasssie käme. Er hatte in ihr eine Verbündete gewittert, und vielleicht lag erdamit gar nicht so falsch. Was natürlich bedeutete, dasssie gegen das oberste Gebot der Gruppe verstiess, aber seit einigen Tagen fragtesie sich ohnehin, ob es die Gruppe für sie noch gab, oder besser: ob sie nochdazugehören wollte.
Sie passierte das hohe, schmiedeeiserne Tor, das zur Auffahrt des Anwesensführte. Wie so häufig stand es offen; da die Mauer, die den Besitz umschloss, über weite Strecken zerbröckelt oder gar nichtmehr vorhanden war, machte es ohnehin keinen Sinn, hier pingelig zu sein.
Sie sah sich hoffnungsvoll um: Falls sie alle weggefahren waren, kam vielleichtjetzt jemand zurück und konnte sie die Auffahrt entlang bis zum Haus mitnehmen.Der Weg schlängelte sich über fast einen Kilometer und stieg stetig ganz leichtan. Noch bis vor einem Jahr hatten rechts und links viele Bäume gestanden undSchatten gespendet, aber einige waren von einer Krankheit befallen worden, undman hatte sie fällen lassen müssen. Der Weg hatte dadurch viel von seinem Charmeverloren, die Baumstümpfe sahen sehr traurig aus, und die Wildnis dahinter, diestets eine romantische Stimmung vermittelt hatte, wirkte auf einmalverwahrlost.
Es gibt schon eine Menge Zerfall hier, dachte sie.
Weit und breit liess niemand sich blicken, und nachdem sie noch einmal kurzinnegehalten und tief durchgeatmet hatte, machte sie sich daran, die letzteEtappe zu bewältigen. Der Baumwollpullover, den sie trug, klebte an ihremRücken, und ihre heissen Füsse in den knöchelhohenTurnschuhen fühlten sich dick geschwollen an. Der Gedanke an eine Dusche und anein Glas eiskalten Orangensaft bekam fast obsessivenCharakter.
Und dann würde sie für den Rest des Tages die Beine hochlegen und sich nichtmehr aus ihrem Liegestuhl fortbewegen.
Obwohl der Spaziergang schön gewesen war, wirklich schön. England im Frühlingliess einem das Herz aufgehen. Sie hatte den kleinen, zerrupften Wölkchennachgeblickt, die über den lichtblauen Himmel trieben, und sie hatte denmilden, verheissungsvollen Wind gerochen, in dem Blütenduft schwang, sie hatteein paar Schafe gestreichelt, die frei über die Hochmoore liefen und sich ihrzutraulich näherten. Wilde Narzissen blühten in den Tälern und an den Hängenund gossen leuchtendes Gelb über die karge Landschaft. Die Vögel sangen,jubilierten, trällerten in allen Tönen...
Die Vögel!
Sie blieb stehen. Auf einmal wusste sie es. Wusste, woher diese unwirkliche Stille über Stanbury rührte.
Die Vögel waren verstummt. Nicht ein einziger erhob seine Stimme.
Sie konnte sich nicht erinnern, je ein so vollkommenes Schweigen erlebt zuhaben.
Von einem Moment zum anderen erkaltete der Schweiss auf ihrer Haut, und sie zogfröstelnd die Schultern hoch. Was brachte Vögel zum Schweigen an einem soschönen, so sonnigen Tag? Etwas musste ihren Friedengestört haben, so heftig und so nachhaltig, dass eskeine Freude mehr gab, die sie heraussingen konnten.Eine Katze vielleicht, eine räuberische, mordlustige Katze, die einen von ihnengefangen und getötet hatte, und seine Todesschreie waren in diese lastende,atemlose Stille gemündet.
Obwohl ihre Erschöpfung um nichts nachgelassen hatte, beschleunigte sie ihreSchritte. Sie verspürte ein erstes Seitenstechen, wäre gern gerannt wie Barney und hatte doch nicht die Kraft. Noch ein paarMonate, und sie würde unförmig angeschwollen sein und wahrscheinlich watschelnwie eine Ente. Ob sie danach wieder so schlank wäre wie früher? Unsinnigerweiseging ihr dieser Gedanke auf den letzten Metern zum Haus immer wieder durch denKopf, obwohl sie eigentlich wusste, dass die Frage nach ihrer Figur sie im Augenblick gar nichtinteressierte. Eher war es so, dass sie sie in denVordergrund drängte, um nicht über etwas anderes nachdenken zu müssen. Darüber,weshalb sie fror, obwohl ihr heiss war, und warum sie ein Kribbeln auf der Kopfhautspürte, und warum sie auf einmal meinte, sich so beeilen zu müssen.
Darüber, warum der helle Frühlingstag plötzlich nicht mehr richtig hell war.
Sie konnte den Giebel des Hauses sehen, einen Teil der schönen Fassade imTudorstil, die Reflexe des Sonnenlichts in den Bleiglasscheiben. In alterGewohnheit zählte sie die Fenster unter dem Dach durch - das tat sie immer,wenn sie den Weg hinaufkam; das vierte von links gehörte zu ihrem Zimmer -, undundeutlich konnte sie dahinter den Strauss von Narzissen erkennen, den siegestern abend noch gepflückt und in einer Vasedorthin gestellt hatte.
Sie blieb stehen und lächelte.
Der Anblick der Blumen hatte ihr ihren Frieden zurückgebracht.
Dann sah sie Patricia, die vor dem Holztrog kniete, der mitten in dem gepflastertenHof stand. Ein Trog, aus dem früher Schafe oder Kühe getrunken hatten und denjemand vor Jahren auf dem Gelände von Stanburygefunden und angeschleppt hatte. Seitdem pflanzten sie Blumen hinein,Frühlingsblumen, Sommerblumen, Herbstblumen, und im Winter stecktenTannenzweige darin, um die sich eine Lichterkette schlang.
»Hallo«, sagte sie, »ist das nicht plötzlich unfassbarwarm geworden?«
Patricia hatte sie offenbar nicht gehört, denn sie antwortete nicht und bewegteauch nicht den schmalen, sehr kindlich wirkenden Körper, der in ausgebeultenJeans, einem blauweiss karierten Hemd und Gummistiefeln steckte.
©Goldmann Verlag
Autoren-Porträt von Charlotte Link
CharlotteLink, Jahrgang 1963, gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen derGegenwart. Ihre hohe Popularität verdankt sie besonders ihrer Vielseitigkeit.Sie machte sich mit grossen Gesellschaftsromanen (darunter dieBestseller-Trilogie »Sturmzeit«, deren TV-Verfilmung 1999 mit überwältigendemErfolg ausgestrahlt wurde) ebenso einen Namen wie mit psychologischenSpannungsromanen in bester englischer Erzähltradition. Ihre Bücher sindgarantierte Anwärter für die Spiegel-Bestsellerliste, und ihr Erfolg machtdeutlich, dass Charlotte Link den Sprung vom hoch gelobten jungen Talent zurgrossen Schriftstellerin längst bewältigt hat. Charlotte Link lebt mit ihremMann und ihrem Sohn in Wiesbaden.
Sprecher-Information zu Franziska Bronnen
FranziskaBronnen besuchte die Schauspielschule des Bruckner-Konservatoriums in Linz. InMünchen setzte sie ihre Ausbildung fort und spielte dort fünf Jahre Theater.Dann kamen die ersten Fernsehangebote: "Der Stechlin", "DerAlte", "Tatort" und "Der Havelkaiser" - um nur einigezu nennen. Als Hörbuchsprecherin las sie u.a."Das Haus der Schwestern" von Charlotte Link und "DerNachbar" von Minette Walters.
Interview mit Charlotte Link
In "Der fremde Gast" kämpft Rebecca Brandt nach dem Todihres Mannes darum, neuen Lebensmut zu finden. Durch das Zusammentreffen mitInga und Marius scheint sie ihre Trauer überwinden zu können. Doch dann kommtalles noch schlimmer. Warum muten Sie Rebecca so viel zu?
RebeccasLebenswillen ist zu Beginn des Romans völlig erloschen, und es erscheint mirunwahrscheinlich, dass sie alleine durch das Zusammentreffen mit zwei völligfremden Menschen, die aus einem ganz anderen Lebensbereich stammen und indiesen ja auch unter normalen Umständen recht bald zurückgekehrt wären, neuenMut hätte schöpfen können. Nach meinem Gefühl konnte Rebecca nur durch eineschwere Erschütterung, durch die Konfrontation mit einer extremen Situation, erkennen,dass noch immer Kräfte in ihr schlummern, an deren Vorhandensein sie nicht mehrgeglaubt hatte. Erst die Todesnähe, in der sie sich plötzlich befindet, lässtsie den Zugang zu ihrer Lebensenergie wiederfinden.
In einer spannenden Szene, in der sich das Schicksal vonGreta und Fred, zweier Personen aus Ihrem Buch, erfüllt, schildern Sie quasibeiläufig die Beziehung der beiden. Seit 43 Jahren miteinander verheiratet,gibt es nur noch wenig Raum für Zuneigung, geschweige denn Liebe. Warum bleibensolche Paare dennoch beieinander?
Kennt nichtjeder von uns Menschen wie Fred und Greta? Es gibt viele derartige Beziehungen,und der Grund für ihre Beständigkeit liegt wohl in der Macht der Gewohnheit.Verbunden damit ist die Furcht, vertraute Lebensumstände, mögen sie noch sofrustrierend oder sogar quälend sein, zugunsten einer letztlich immerungewissen veränderten Zukunft aufzugeben. Hinzukommen Ängste aller Art - allenvoran die Angst vor dem Alleinsein, vor der Einsamkeit. Das ist eine Angst, diewir alle sicher gut verstehen.
Im"richtigen Leben" stolpere ich immer wieder über diesen Widerspruch. Ironischerweisebin ich dann meist auch noch diejenige, die am längsten und intensivsten an dieScheinidyllen anderer Menschen glaubt und schliesslich aus den höchsten Wolkenfällt, wenn das Ausmass der Unstimmigkeiten ans Tageslicht kommt. DieEntschlossenheit und die daraus resultierende Kraft, mit der Menschen den äusserenSchein wahren und verteidigen, oftmals sogar den besten und engsten Freundengegenüber, zeigt, wie abhängig wir in unserem Selbstwertgefühl von der Meinunganderer sind. Mich fasziniert die ungeheure Energie, die Menschen aufbringen, umandere in dieser Beziehung zu manipulieren.
Die perfekte Idylle ist also eine Illusion?
Ich glaube,dass auf lange Sicht die perfekte Idylle eine Illusion ist. Wenn man perfekteIdylle als einen Zustand definiert, in dem ein Mensch frei ist von Sorgen,Ängsten, Krankheiten, Einsamkeit, in dem er einen höchstmöglichen Gleichklangmit einem oder mehreren anderen Menschen erreicht und sich von Sicherheit und Wärmeumgeben fühlt, so ist klar: Im günstigsten Fall kann ein Leben aus einerVielzahl derartiger perfekter Momente bestehen. Im ungünstigsten Fall gibt es kaumeinen solchen Moment. Und es ist auch illusorisch zu glauben, ein solcherZustand könne jahrelange Realität sein.
Noch einmal zu Ihrem Gespür für die menschliche Psyche undIhr Talent, innere Abgründe auszuloten: Hätten Sie sich vorstellen können, diePsychologie zu Ihrer Profession zu machen, also beispielsweise Psychologin oderAnalytikerin zu werden?
Das hätte ich mir gut vorstellen können. Wäre ich nichtSchriftstellerin geworden, hätte ich in jedem Fall versucht, einen Beruf zuergreifen, der mir die Möglichkeit gibt, mich intensiv mit den Menschen undihrer Vielschichtigkeit auseinanderzusetzen.
Die Fragen stellte Eva Hepper, Literaturtest.
- Autor: Charlotte Link
- 2006, 608 Seiten, Masse: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442460832
- ISBN-13: 9783442460830
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