Als Musik meine Sprache wurde
Die offizielle Autobiografie
Mit seiner Band "Unheilig" feiert der Graf sensationelle Erfolge. In seiner Autobiografie gibt der Künstler einen überaus offenen Einblick in sein bewegtes Leben: seine Jugend, seine Familie, die ersten Jahre im Musikbusiness, die Zeit des Kämpfens und Durchhaltens.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Als Musik meine Sprache wurde “
Mit seiner Band "Unheilig" feiert der Graf sensationelle Erfolge. In seiner Autobiografie gibt der Künstler einen überaus offenen Einblick in sein bewegtes Leben: seine Jugend, seine Familie, die ersten Jahre im Musikbusiness, die Zeit des Kämpfens und Durchhaltens.
Klappentext zu „Als Musik meine Sprache wurde “
Unter meiner Flagge. Viel wurde über Unheilig und den Grafen geschrieben und gesagt - aber noch nie hat er sich selbst umfassend und ausführlich zu sich und seiner Person geäußert. Nun bricht der Graf endlich sein Schweigen und gibt in seiner offiziellen Autobiografie einen überaus ehrlichen und offenen Einblick in sein bewegtes Leben. Er spricht über seine Jugend und seinen familiären Hintergrund, die ersten Jahre im Musikgeschäft, die Zeit des Kämpfens und Durchhaltens trotz vieler Rückschläge, und den am Ende fast märchenhaften Aufstieg zum erfolgreichsten deutschen Musiker dieser Zeit. Es ist das erste und einzige offizielle Buch des Grafen, in dem er selbst spricht und sein Innerstes offenbart. Es ist das Buch des Grafen für seine Fans, für die er seit mehr als zehn Jahren komponiert und singt.Ich habe dieses Buch für all jene geschrieben, die mich schon seit so langer Zeit begleiten. Meine Familie, meine Freunde und für meine Fans. Durch euch alle konnte die Musik zu meiner Sprache werden und das ist das schönste Geschenk meines Lebens. Ich danke euch allen von Herzen. Euer Graf
Lese-Probe zu „Als Musik meine Sprache wurde “
Als Musik meine Sprache wurde von Unheilig Auf ein Wort ...
Ich denke, jeder Mensch kennt diesen Augenblick, in dem er sich einmal die Zeit nimmt, um auf das Vergangene zurückzublicken. Häufig geschieht so etwas zu Jahrestagen oder in den Momenten, in denen eine kleine Erinnerung aufflammt, die es wert ist, gedanklich weiter in seine eigene Geschichte einzutauchen.
Wir alle tragen letztlich die Gewissheit in uns, dass unsere Vergangenheit verblasst, wenn es uns nicht gelingt, sie auf irgendeine Weise weiterzugeben - in Gesprächen, Erzählungen oder aber in Büchern... Genau diese Gedanken hatten mich zuletzt zu den bohrenden Fragen gebracht, wo meine Jahre geblieben sind und wie sie es wohl vermocht haben, aus mir das zu machen, was ich heute bin.
Wenn man sich dann diese Zeit schenkt und sich in all den Gedanken über sein eigenes Leben verliert, geschehen erstaunliche Dinge. Manches ist nur noch verschwommen, kaum wieder abrufbar und anderes erscheint, als wäre es gestern erst geschehen. Wie war das damals? Wie hat sich das angefühlt? Mein erstes Instrument, mein erstes Lied, mein erster Auftritt? Was waren die Höhen, was die Tiefpunkte? Wer war ich? Wie bin ich geworden und was bin ich geblieben? Fragen, die vermutlich zu den schwierigsten gehören, wenn man sie ehrlich gegen sich selbst und aufrichtig gegenüber all denjenigen beantworten muss, denen man von sich erzählen möchte.
... mehr
Ich wollte mir in diesem Buch diese Zeit nehmen und auf mein Leben zurückblicken. Es ist eine Zeitreise geworden - meine persönliche Zeitreise -, die all das in Worte zu fassen versucht, was mich prägte, mich formte und - was mich am Ende kennzeichnet. Dazu musste ich weit in meine Vergangenheit zurückreisen, denn gerade die Jahre vor meinen ersten Veröffentlichungen haben mich viel mehr geprägt, als den meisten Menschen bekannt sein dürfte. Im Grunde sind genau diese Jahre dafür verantwortlich, dass ich heute noch das mache, was mir in meinem Leben immer besonders wichtig war - meine Musik.
Meine kleine Zeitreise in die Vergangenheit soll dort anfangen, wo meine ersten prägenden Erfahrungen einsetzten. Diese Erlebnisse haben es vermocht, mir die Musik zur Sprache und zum Freund zu machen. Und das ist die Musik bis heute geblieben: Sie ist mein bester Freund, der mich immer begleitet und der mir jene Sprache gegeben hat, in der ich mich am besten ausdrücken kann.
Ehrlichkeit und Offenheit sind die einzigen Begleiter, die man auf eine solche Zeitreise mitnehmen darf. Aber ist man umgekehrt gefragt dann unehrlich, wenn man nicht alles restlos offen aus seinem Leben preisgibt? Wenn man den Schutz, den man einigen Menschen aus seinem persönlichen Umfeld - und auch sich selbst - schuldig ist, einfach aufgibt? Muss eine Lebenserinnerung tatsächlich alle Fragen - auch die ganz privaten und intimen - beantworten? Diese Fragen sollte jeder Mensch für sich beantworten. So, wie ich es für mich auch getan habe.
Ich habe dieses Buch für all jene geschrieben, die mich auf meinem Lebensweg begleitet haben. Meine Familie, meine Freunde - und meine Fans, die ganz einfach meine Musik mögen und mir zu dem verholfen haben, was mich heute noch jeden Tag erstaunt und verwundert. Und ich habe es am Ende auch für mich geschrieben. In der Hoffnung, dass alles, was im Moment nur schemenhaft vor mir liegt, bei der Arbeit an diesem Buch zutage kommt, indem sich beim Nachdenken und Schreiben vielleicht der Nebel ein wenig lichtet...
Ich drehe die Zeit zurück auf Anfang und wir werden sehen, was uns erwartet.
Euer Graf
Komm, setz Dich zu mir ...
»Du weißt, du bist nicht dafür gemacht, vor Menschen zu stehen und zu sprechen ... Suche dir einen Beruf, in dem du mit niemandem reden musst und keinen Kontakt mit Menschen hast. Irgendetwas in einem Büro oder so. Hauptsache, du musst nicht vor Menschen stehen und reden - denn sie werden dich nur auslachen und niemals ernst nehmen.«
Der Rat des stellvertretenden Rektors meiner Schule zu meiner bevorstehenden Berufswahl.
Eigentlich ist es merkwürdig. Auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit erscheint so vieles wie durch Milchglas betrachtet. Bilder sehen aus, als läge ein Schleier über ihnen. Erinnerungen liegen im Nebel oder sind zerrissen. Was einmal zusammenhing, ist nur noch bruchstückhaft vorhanden, und was einmal unzweifelhaft da und vermutlich von größter Wichtigkeit war - die ersten Jahre des eigenen Lebens - sind einfach weg. Verschwunden, gelöscht, nicht mehr greifbar. Und gerade aus dieser Zeit, die im Grunde gar nicht mehr präsent sein sollte, stammt meine erste Erinnerung. Ich sehe mich, wie ich mich auf allen vieren von meinem Kinderzimmer aus ins Bad bewege. Es hat blaue Fliesen und dort, auf dem flauschigen Teppich, steht meine Mutter am Waschbecken. Sie dreht sich um, sieht mich - und freut sich. Der kleine Junge, der noch nicht gehen und auch noch gar nicht bewusst denken kann, schaut hoch und fühlt die Wärme und Geborgenheit, die von diesem Menschen ausgeht...
Und dann wird es für lange Zeit dunkel. Da ist nichts mehr, was aufblitzen könnte - keine Stimmen, keine Bilder und auch keine greifbaren Gefühle. Alles, was aus diesen ersten Jahren bleibt, ist dieses Gefühl der uneingeschränkten Geborgenheit, das mich auch heute noch umgibt, wenn ich nach Hause komme...
Es wäre für ein Musikerleben mit Sicherheit einprägsamer und vor allem auch deutlich dramatischer, wenn ich von einer schweren Kindheit berichten könnte. Von Kälte und Einsamkeit, von der Anonymität der Großstadt und der Brutalität eines Hochhausgettos. Aber da war vielmehr eine Kleinstadt, die fast schon ländlichen Charakter hatte. Es herrschte eine mittelständische Ruhe und Friedfertigkeit um mich herum, die in den ersten sechs oder sieben Jahren meines Lebens weder Tragödien noch Verwerfungen hervorbringen konnte. Ich sehe die große Wiese hinter unserem Haus, auf der Kühe grasten und auf der ich an der Seite meiner Freunde - mit Pfeil und Bogen bewaffnet - die Welt eroberte. Ich rieche den geräucherten Schinken und die Würste aus der Metzgerei neben meinem Elterhaus und ich sehe meine großen Vorbilder dieser Jahre - meinen Vater und meinen älteren Bruder -, wie sie auf dem Speicher Tischtennis spielen oder die ferngesteuerten Flugzeuge durch die Lüfte kreisen lassen, die sie in mühevoller Kleinarbeit daheim zusammengebastelt hatten...
Im Wohnzimmer sah es aus, wie Wohnungen in den 70er-Jahren aussahen. Bunt, Nierentische, Holzwand mit eingelassenen Lampen, Schwarz-Weiß-Fernseher, Aquarium mit Magnetschwamm, weiche Teppiche - fast ein wenig wie bei Austin Powers, nur eben zeitgemäß und echt.
Auf dem Boden lag der Hund, dessen Gutmütigkeit in regelmäßigen Abständen von meinem Bruder auf die Probe gestellt wurde und welche das treue Tierchen auch nur einmal im Stich ließ, als er diesem irgendwann entnervt hinterherjagte. Was den kleinen Störenfried aus bis heute unerfindlichen Gründen dazu bewog, Schutz suchend auf den Gasherd zu springen, wo er sich zur Strafe gehörig seinen Hintern verbrannte.
Eine heile Welt, in der der kleine Graf von früh bis spät nur lachte. So zumindest wird es heute erzählt, wenn man sich daran erinnert, dass ich zu jener Zeit nur »Strahlemann« genannt wurde - was auch daran gelegen haben mochte, dass ich ein wenig aussah wie der Junge von der ersten Kinder-Schokolade-Schachtel. Topffrisur aus Mutters Hand, bunte Klamotten, Sandalen mit Kniestrümpfen und eine Schiebermütze mit Anker auf dem Kopf, die man ja nicht nur von Helmut Schmidt, sondern auch von dem in diesen Jahren für einen Jungen meines Alters doch deutlich interessanteren Michel aus Lönneberga kannte.
Mein Kindergarten war ein rein katholischer und lag somit direkt neben einer sehr imposant aussehenden Kirche. Ich finde den Anblick der Kirche noch heute als Erwachsener sehr beeindruckend. Ich denke mal, uns Kindern kam sie damals zehnmal so groß vor und war wohl dementsprechend Respekt einflößend für uns alle.
Meine Mutter sagte mir, dass ich schon recht früh ziemlich verwirrt gefragt habe, warum der Mann da am Kreuz hängt und wieso die ganzen Figuren in der Kirche immer sehr leidend aussahen und wieso Pfeile in den Körpern steckten. Sie hat mir erklärt, dass das alles Heilige wären, womit ich zu diesem Zeitpunkt nicht sonderlich viel anfangen konnte, geschweige denn die biblischen Zusammenhänge verstand. Ich habe es akzeptiert und hingenommen.
Ich erinnere mich allerdings daran, dass wir als Kinder im Kindergarten jeden Morgen und ab und zu am Tage gemeinsam gebetet haben und uns damals schon beigebracht wurde, wer der liebe Gott ist und was es damit auf sich hat. Wir sollten schön brav sein, weil wir sonst in die Hölle kämen oder bestraft würden. Wir bastelten und werkelten in diesem Kindergarten immer unter der Obhut von zwei Kindergärtnerinnen.
Der Gottesdienst war Teil des ganz normalen Tagesablaufs, ebenso wie das Gebet vor dem Essen und dem Schlafengehen. Diese geregelte Ordnung gab mir eigentlich immer ein gutes Gefühl. Ich habe an diese Zeit keine schlechten Erinnerungen. Egal, wie sehr ich nun darüber nachdenke. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Meine Kindergärtnerin, die damals noch sehr jung war, sehe ich ab und zu noch heute in meiner Heimatstadt. Sie erkennt mich sogar noch immer. Ich habe heute noch alte Bilder meiner Kindergartenzeit zwischen den gesammelten Urlaubsfotos meiner Eltern, ebenso wie vieles, was ich dort als Kind gebastelt habe. Ich ging immer gerne dorthin und war ein Kind von vielen, welches spielte und froh war, dass der liebe Gott auf mich aufpasste.
Meine Mutter sagt mir, dass ich zu dieser Zeit immer den ganzen Tag gesungen hätte, woran ich mich allerdings nicht wirklich erinnern kann. Ich glaube allerdings, dass alle Mütter das von ihren Kindern erzählen und behaupten. Meistens ist es aber eher ein unverständliches Gesumme, was aus all den aufgeschnappten Fragmenten der Umwelt einfach zusammengewürfelt und dann in einem unverständlichen Kauderwelsch vor sich hingeträllert wird. Ich glaube, das macht einfach jedes Kind in einem bestimmten Alter. Es wird dann häufig, wenn aus dem Knirps mal was geworden ist, bei dem Musik oder Gesang eine Rolle spielen, immer wieder von den Eltern erzählt, weil es einfach gut passt.
Allerdings weiß ich noch, wie im Kindergarten immer Kirchenlieder gesungen wurden und mir das Spaß machte. Anscheinend schien ich auch eine Art Begabung oder eine scheinbar sehr hohe, helle Stimme gehabt zu haben, denn irgendwann landete ich im Kirchenchor und sang mit anderen Knirpsen bei den Gottesdiensten und den jeweiligen Messen die von dem dort ansässigen Pfarrer gewünschten Lieder.
Somit muss wohl etwas Wahres dran sein, dass ich schon als Kind gerne gesungen habe. Vieles von dem, was damals geschah, ist zwar in Vergessenheit geraten, allerdings erinnere ich mich noch genau daran, dass ich aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen den Pfarrer nicht mochte und dieser wohl auch der Grund war, dass ich irgendwann nicht mehr Teil des Kirchenchors sein wollte.
Vielleicht mochte ich ihn auch nicht, weil er wohl zur damaligen Zeit der Hauptschuldige für mich war, warum ich nicht mehr mit meinen Kindergartenkameraden im Sandkasten spielen konnte, weil ich stattdessen zur Chorprobe musste. Das erscheint mir aus heutiger Sicht recht plausibel. Meine Mutter sagte mir, ich hätte mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, dort wieder hinzugehen.
Irgendwann hat sie es dann auch akzeptiert und ich musste nicht mehr zum Kirchenchor gehen und somit endet hier auch schon mein erster Kontakt zur Musik. Wenn ich diese Sätze nun aufschreibe, erinnere ich mich an viele kleine Momente, die allerdings recht zufällig und zusammenhanglos vor meinem geistigen Auge erscheinen. Ich halte es jedoch für wichtig, sie auch in meine Zeitreise einfließen zu lassen, weil ich damals den wirklich ersten Kontakt zur Musik hatte. Auch wenn es vielleicht eher Zufall war, sollte es wichtig für mich und meine Entwicklung sein.
Der Glaube an etwas hat mein Leben ebenso geprägt wie die Musik selbst. Beides bildete in diesen jungen Jahren auf irgendeine Art und Weise, vielleicht auch nur durch Zufall, eine Einheit. Vielleicht ist damals auch ein kleiner, unscheinbarer Grundstein für das noch Kommende gelegt worden.
Ohne Worte ...
Die Schule hat für mich in meiner Vergangenheit immer einen besonderen Platz eingenommen und ist auch einer der Gründe, warum ich irgendwann den Weg zur Musik gefunden habe. Ich kann mich noch an vieles erinnern und habe noch die Umgebung meiner Grundschule und viele Momente als Bildfragment vor meinem geistigen Auge.
Ich kann mich daran erinnern, dass ich eine glückliche Kindheit hatte und es mir im Grunde an nichts fehlte. Ich hatte viele Freunde und liebevolle Eltern, die ihr Leben danach planten, dass wir Kinder glücklich und zufrieden waren. Ich kann mich noch genau an meine Einschulung erinnern und habe auch noch einige Namen von damals in meinem Kopf. Sie springen regelrecht vor meinem geistigen Auge herum und ich sehe auch die dazu passenden Gesichter meiner damaligen Klassenkameraden. Die Schule hatte mir immer Spaß gemacht. Zumindest am Anfang war es noch so. Ich bin immer gerne hingegangen und habe mich auch nie sonderlich dagegen gewehrt.
So war es in den ersten Jahren in der Grundschule, in denen alles recht normal verlief. Ich habe keine außergewöhnlichen Erinnerungen an diese Zeit. Ich glaube allerdings, dass in meiner Grundschulzeit etwas passiert ist, was aus heutiger Sicht der Ursprung dessen ist, dass mein Weg irgendwann einmal dazu führte, ein Instrument zu erlernen.
Ich weiß genau, dass ich an irgendeinem Tag von der Schule nach Hause gekommen bin und kaum noch gesprochen habe. Ich beschränkte mich nur noch auf knappe Sätze und war ängstlich und zurückhaltend. Ich konnte nicht ertragen, wenn mich andere ansahen und mir Fragen stellten oder mit mir reden wollten. Ich habe darauf immer nach unten geschaut und nicht geantwortet.
Wann das genau anfing, weiß ich heute nicht mehr. Und auch den Grund dafür kenne ich bis heute nicht. Allerdings änderte sich mein Leben ab diesem Moment grundlegend. Gerade was das Schulische und den Umgang mit anderen Menschen anging. Ich zog mich zur damaligen Zeit immer mehr von meiner Umgebung zurück. Von da an gingen meine schulischen Leistungen in den Keller. Gerade was die mündliche Mitarbeit betrifft. Sie existierte bei mir praktisch nicht mehr, da ich nichts mehr sagte. Ich konnte die Blicke der anderen einfach nicht ertragen und die Angst, etwas falsch zu machen, wuchs in mir von Tag zu Tag.
Ich glaube, meine Eltern mussten sich damals ganze Arien von Eventualitäten anhören, warum ich nicht mehr sprach. Ich weiß noch genau, wie man mich zu unzähligen Psychologen brachte und alle Hebel in Bewegung setzte, meine Sprachblockade wieder zu lösen und mir Selbstbewusstsein einzuflößen. Meine Mutter klebte mir kleine Zettel in meine Tasche, auf Bücher und einfach auf alles, was mich umgab. Auf denen stand dann »Du schaffst das« oder »Hab keine Angst«. Diese Botschaften halfen mir damals sehr. Ich wusste, dass ich nicht alleine war. Allerdings lösten sie das Problem nicht.
Meine Eltern zweifelten zur damaligen Zeit naturgemäß auch an sich selbst und suchten einfach nach einem Grund oder einer Lösung. Was ich damals darüber dachte, kann ich heute nicht mehr ergründen. Ich suchte mir einfach Hobbys und sonstige Dinge, bei denen ich nicht sprechen musste.
Der Sport war das Erste, was ich damals für mich in dieser Situation entdeckte. Dabei brauchte ich nicht zu reden und ich merkte schnell, dass ich genau so sein kann wie andere und bekam durch gute Leistungen Respekt und Aufmerksamkeit der anderen Kinder und auch der Lehrer. Ebenso begann ich zu zeichnen. Ich verbrachte Nachmittage damit, einfach Figuren und Karikaturen zu zeichnen. Im Grunde habe ich Dinge gemacht, bei denen ich nicht sprechen musste und mich niemand ansah. Damit war ich zu dieser Zeit glücklich.
Außerhalb der Schule machte ich es nicht anders. Ich verbrachte unzählige Nachmittage alleine zu Hause und beschäftigte mich mit meinen Zeichnungen. Zudem entdeckte ich die Freude am Tischtennisspielen. Mein Vater betrieb den Sport damals im Verein und somit meldete er mich dann dort auch an. Freunde hatte ich in dieser Zeit nicht viele. Im Grunde nur einen einzigen, der mich so akzeptierte, wie ich eben war.
Die darauffolgenden Jahre lernte ich damit zu leben, wie ich bin. Im Grunde war ich ein stilles Kind und meine Zurückhaltung und das wenige Sprechen und die Angst, anderen in die Augen zu schauen, wurde für mich zur Normalität. Wenn ich diese Zeilen hier schreibe, bin ich selbst über meine Ansicht, so etwas als normal zu empfinden, fast geschockt. Aber damals war es so. Ich denke, ich habe mich einfach damit arrangiert, wie die Dinge waren. Irgendwann ist man auch einfach zu müde, immer wieder Gründe zu suchen, warum die Dinge so sind, wie sie eben sind, oder sich zu ändern, damit andere einen als normal ansehen.
Aus heutiger Sicht kann ich es nur so erklären. Ich kannte es einfach nicht anders und trotz der gegebenen Umstände war ich ein glückliches Kind. Ich hatte meine Hobbys und einen sehr guten Freund, der mich so akzeptierte, wie ich war.
Es ist ja nun nicht so, dass ein Mensch, der stottert, nicht weiß, was er eigentlich gerne sagen würde. Ganz im Gegenteil! Je mehr sich diese Schwäche in meinem Leben breitmachte, desto stärker war ich darauf bedacht, mir im Vorfeld ganz genau zu überlegen, was ich gerne zum Ausdruck bringen würde. Während Kinder in meinem Alter vermutlich einfach drauflosgeplappert hätten, versuchte ich im Laufe der Zeit, geradezu planmäßig vorzugehen, um dann erneut wieder an einem Wort oder einer Silbe scheitern zu müssen.
Das Schlimmste, was einem Stotterer in solchen Momenten dann passieren kann, ist der gut gemeinte Versuch des Gegenübers, das besagte Wort vorzusagen. Diese Menschen wissen nicht, dass Stotterer keine Souffleure brauchen. Diese unbedachten Hilfestellungen waren vielmehr demütigend und führten dazu, dass man es sich künftig mehrfach überlegte, ob man überhaupt etwas sagen wollte.
Auch einige Lehrer an meiner Schule gingen nicht so behutsam mit meiner Störung um, wie man es sich hätte wünschen dürfen. Viel zu oft quittierten sie meine Sprechprobleme mit Ungeduld, waren womöglich auch der Ansicht, dass mein Stottern auf fehlendes Wissen hindeuten könnte - und wandten sich entnervt einem anderen Schüler zu. Ein verheerender Kreislauf.
Auch bei mir zu Hause versuchte man nun, etwas gegen meine Sprechstörung zu unternehmen. Meine Eltern waren zu der Ansicht gelangt, ich könnte durch regelmäßiges Vorlesen mehr Sicherheit beim Sprechen bekommen. Aber genau das Gegenteil traf zu: Während ich bis dahin mein Elternhaus als eine Oase empfunden hatte, in der es weder Druck noch Strenge oder Strapazen gab, war ich von einem Tag auf den anderen auch hier gezwungen, Leistungen abzurufen, zu denen ich jedoch ganz offensichtlich nicht imstande war.
Die Konsequenz war erschreckend, aber letztlich klar nachvollziehbar: Ich bin fortan nicht mehr gerne nach Hause gekommen!
Was bis zum heutigen Tag niemand restlos zu erklären vermag, ist die Tatsache, dass ich in all diesen Jahren zu ganz bestimmten Zeiten keine Sprechprobleme hatte. Und das war stets im Urlaub. Ein Junge, der Tag für Tag stottert, spricht mit einem Mal flüssig und ohne Probleme - aber eben nur für ein paar Tage oder Wochen. Sobald die Schulferien begonnen hatten und wir mit der gesamten Familie in den Urlaub gefahren waren, hörte mein Stottern schlagartig auf. Es war, als ob mich der Schulalltag aus seiner Zwangsjacke entlassen hatte. Und mit dieser Freiheit, die leider immer nur von kurzer Dauer war, lösten sich all meine Probleme und Blockaden. Bis zum nächsten Schultag...
© Copyright by riva Verlag (Verlag)
Ich wollte mir in diesem Buch diese Zeit nehmen und auf mein Leben zurückblicken. Es ist eine Zeitreise geworden - meine persönliche Zeitreise -, die all das in Worte zu fassen versucht, was mich prägte, mich formte und - was mich am Ende kennzeichnet. Dazu musste ich weit in meine Vergangenheit zurückreisen, denn gerade die Jahre vor meinen ersten Veröffentlichungen haben mich viel mehr geprägt, als den meisten Menschen bekannt sein dürfte. Im Grunde sind genau diese Jahre dafür verantwortlich, dass ich heute noch das mache, was mir in meinem Leben immer besonders wichtig war - meine Musik.
Meine kleine Zeitreise in die Vergangenheit soll dort anfangen, wo meine ersten prägenden Erfahrungen einsetzten. Diese Erlebnisse haben es vermocht, mir die Musik zur Sprache und zum Freund zu machen. Und das ist die Musik bis heute geblieben: Sie ist mein bester Freund, der mich immer begleitet und der mir jene Sprache gegeben hat, in der ich mich am besten ausdrücken kann.
Ehrlichkeit und Offenheit sind die einzigen Begleiter, die man auf eine solche Zeitreise mitnehmen darf. Aber ist man umgekehrt gefragt dann unehrlich, wenn man nicht alles restlos offen aus seinem Leben preisgibt? Wenn man den Schutz, den man einigen Menschen aus seinem persönlichen Umfeld - und auch sich selbst - schuldig ist, einfach aufgibt? Muss eine Lebenserinnerung tatsächlich alle Fragen - auch die ganz privaten und intimen - beantworten? Diese Fragen sollte jeder Mensch für sich beantworten. So, wie ich es für mich auch getan habe.
Ich habe dieses Buch für all jene geschrieben, die mich auf meinem Lebensweg begleitet haben. Meine Familie, meine Freunde - und meine Fans, die ganz einfach meine Musik mögen und mir zu dem verholfen haben, was mich heute noch jeden Tag erstaunt und verwundert. Und ich habe es am Ende auch für mich geschrieben. In der Hoffnung, dass alles, was im Moment nur schemenhaft vor mir liegt, bei der Arbeit an diesem Buch zutage kommt, indem sich beim Nachdenken und Schreiben vielleicht der Nebel ein wenig lichtet...
Ich drehe die Zeit zurück auf Anfang und wir werden sehen, was uns erwartet.
Euer Graf
Komm, setz Dich zu mir ...
»Du weißt, du bist nicht dafür gemacht, vor Menschen zu stehen und zu sprechen ... Suche dir einen Beruf, in dem du mit niemandem reden musst und keinen Kontakt mit Menschen hast. Irgendetwas in einem Büro oder so. Hauptsache, du musst nicht vor Menschen stehen und reden - denn sie werden dich nur auslachen und niemals ernst nehmen.«
Der Rat des stellvertretenden Rektors meiner Schule zu meiner bevorstehenden Berufswahl.
Eigentlich ist es merkwürdig. Auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit erscheint so vieles wie durch Milchglas betrachtet. Bilder sehen aus, als läge ein Schleier über ihnen. Erinnerungen liegen im Nebel oder sind zerrissen. Was einmal zusammenhing, ist nur noch bruchstückhaft vorhanden, und was einmal unzweifelhaft da und vermutlich von größter Wichtigkeit war - die ersten Jahre des eigenen Lebens - sind einfach weg. Verschwunden, gelöscht, nicht mehr greifbar. Und gerade aus dieser Zeit, die im Grunde gar nicht mehr präsent sein sollte, stammt meine erste Erinnerung. Ich sehe mich, wie ich mich auf allen vieren von meinem Kinderzimmer aus ins Bad bewege. Es hat blaue Fliesen und dort, auf dem flauschigen Teppich, steht meine Mutter am Waschbecken. Sie dreht sich um, sieht mich - und freut sich. Der kleine Junge, der noch nicht gehen und auch noch gar nicht bewusst denken kann, schaut hoch und fühlt die Wärme und Geborgenheit, die von diesem Menschen ausgeht...
Und dann wird es für lange Zeit dunkel. Da ist nichts mehr, was aufblitzen könnte - keine Stimmen, keine Bilder und auch keine greifbaren Gefühle. Alles, was aus diesen ersten Jahren bleibt, ist dieses Gefühl der uneingeschränkten Geborgenheit, das mich auch heute noch umgibt, wenn ich nach Hause komme...
Es wäre für ein Musikerleben mit Sicherheit einprägsamer und vor allem auch deutlich dramatischer, wenn ich von einer schweren Kindheit berichten könnte. Von Kälte und Einsamkeit, von der Anonymität der Großstadt und der Brutalität eines Hochhausgettos. Aber da war vielmehr eine Kleinstadt, die fast schon ländlichen Charakter hatte. Es herrschte eine mittelständische Ruhe und Friedfertigkeit um mich herum, die in den ersten sechs oder sieben Jahren meines Lebens weder Tragödien noch Verwerfungen hervorbringen konnte. Ich sehe die große Wiese hinter unserem Haus, auf der Kühe grasten und auf der ich an der Seite meiner Freunde - mit Pfeil und Bogen bewaffnet - die Welt eroberte. Ich rieche den geräucherten Schinken und die Würste aus der Metzgerei neben meinem Elterhaus und ich sehe meine großen Vorbilder dieser Jahre - meinen Vater und meinen älteren Bruder -, wie sie auf dem Speicher Tischtennis spielen oder die ferngesteuerten Flugzeuge durch die Lüfte kreisen lassen, die sie in mühevoller Kleinarbeit daheim zusammengebastelt hatten...
Im Wohnzimmer sah es aus, wie Wohnungen in den 70er-Jahren aussahen. Bunt, Nierentische, Holzwand mit eingelassenen Lampen, Schwarz-Weiß-Fernseher, Aquarium mit Magnetschwamm, weiche Teppiche - fast ein wenig wie bei Austin Powers, nur eben zeitgemäß und echt.
Auf dem Boden lag der Hund, dessen Gutmütigkeit in regelmäßigen Abständen von meinem Bruder auf die Probe gestellt wurde und welche das treue Tierchen auch nur einmal im Stich ließ, als er diesem irgendwann entnervt hinterherjagte. Was den kleinen Störenfried aus bis heute unerfindlichen Gründen dazu bewog, Schutz suchend auf den Gasherd zu springen, wo er sich zur Strafe gehörig seinen Hintern verbrannte.
Eine heile Welt, in der der kleine Graf von früh bis spät nur lachte. So zumindest wird es heute erzählt, wenn man sich daran erinnert, dass ich zu jener Zeit nur »Strahlemann« genannt wurde - was auch daran gelegen haben mochte, dass ich ein wenig aussah wie der Junge von der ersten Kinder-Schokolade-Schachtel. Topffrisur aus Mutters Hand, bunte Klamotten, Sandalen mit Kniestrümpfen und eine Schiebermütze mit Anker auf dem Kopf, die man ja nicht nur von Helmut Schmidt, sondern auch von dem in diesen Jahren für einen Jungen meines Alters doch deutlich interessanteren Michel aus Lönneberga kannte.
Mein Kindergarten war ein rein katholischer und lag somit direkt neben einer sehr imposant aussehenden Kirche. Ich finde den Anblick der Kirche noch heute als Erwachsener sehr beeindruckend. Ich denke mal, uns Kindern kam sie damals zehnmal so groß vor und war wohl dementsprechend Respekt einflößend für uns alle.
Meine Mutter sagte mir, dass ich schon recht früh ziemlich verwirrt gefragt habe, warum der Mann da am Kreuz hängt und wieso die ganzen Figuren in der Kirche immer sehr leidend aussahen und wieso Pfeile in den Körpern steckten. Sie hat mir erklärt, dass das alles Heilige wären, womit ich zu diesem Zeitpunkt nicht sonderlich viel anfangen konnte, geschweige denn die biblischen Zusammenhänge verstand. Ich habe es akzeptiert und hingenommen.
Ich erinnere mich allerdings daran, dass wir als Kinder im Kindergarten jeden Morgen und ab und zu am Tage gemeinsam gebetet haben und uns damals schon beigebracht wurde, wer der liebe Gott ist und was es damit auf sich hat. Wir sollten schön brav sein, weil wir sonst in die Hölle kämen oder bestraft würden. Wir bastelten und werkelten in diesem Kindergarten immer unter der Obhut von zwei Kindergärtnerinnen.
Der Gottesdienst war Teil des ganz normalen Tagesablaufs, ebenso wie das Gebet vor dem Essen und dem Schlafengehen. Diese geregelte Ordnung gab mir eigentlich immer ein gutes Gefühl. Ich habe an diese Zeit keine schlechten Erinnerungen. Egal, wie sehr ich nun darüber nachdenke. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Meine Kindergärtnerin, die damals noch sehr jung war, sehe ich ab und zu noch heute in meiner Heimatstadt. Sie erkennt mich sogar noch immer. Ich habe heute noch alte Bilder meiner Kindergartenzeit zwischen den gesammelten Urlaubsfotos meiner Eltern, ebenso wie vieles, was ich dort als Kind gebastelt habe. Ich ging immer gerne dorthin und war ein Kind von vielen, welches spielte und froh war, dass der liebe Gott auf mich aufpasste.
Meine Mutter sagt mir, dass ich zu dieser Zeit immer den ganzen Tag gesungen hätte, woran ich mich allerdings nicht wirklich erinnern kann. Ich glaube allerdings, dass alle Mütter das von ihren Kindern erzählen und behaupten. Meistens ist es aber eher ein unverständliches Gesumme, was aus all den aufgeschnappten Fragmenten der Umwelt einfach zusammengewürfelt und dann in einem unverständlichen Kauderwelsch vor sich hingeträllert wird. Ich glaube, das macht einfach jedes Kind in einem bestimmten Alter. Es wird dann häufig, wenn aus dem Knirps mal was geworden ist, bei dem Musik oder Gesang eine Rolle spielen, immer wieder von den Eltern erzählt, weil es einfach gut passt.
Allerdings weiß ich noch, wie im Kindergarten immer Kirchenlieder gesungen wurden und mir das Spaß machte. Anscheinend schien ich auch eine Art Begabung oder eine scheinbar sehr hohe, helle Stimme gehabt zu haben, denn irgendwann landete ich im Kirchenchor und sang mit anderen Knirpsen bei den Gottesdiensten und den jeweiligen Messen die von dem dort ansässigen Pfarrer gewünschten Lieder.
Somit muss wohl etwas Wahres dran sein, dass ich schon als Kind gerne gesungen habe. Vieles von dem, was damals geschah, ist zwar in Vergessenheit geraten, allerdings erinnere ich mich noch genau daran, dass ich aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen den Pfarrer nicht mochte und dieser wohl auch der Grund war, dass ich irgendwann nicht mehr Teil des Kirchenchors sein wollte.
Vielleicht mochte ich ihn auch nicht, weil er wohl zur damaligen Zeit der Hauptschuldige für mich war, warum ich nicht mehr mit meinen Kindergartenkameraden im Sandkasten spielen konnte, weil ich stattdessen zur Chorprobe musste. Das erscheint mir aus heutiger Sicht recht plausibel. Meine Mutter sagte mir, ich hätte mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, dort wieder hinzugehen.
Irgendwann hat sie es dann auch akzeptiert und ich musste nicht mehr zum Kirchenchor gehen und somit endet hier auch schon mein erster Kontakt zur Musik. Wenn ich diese Sätze nun aufschreibe, erinnere ich mich an viele kleine Momente, die allerdings recht zufällig und zusammenhanglos vor meinem geistigen Auge erscheinen. Ich halte es jedoch für wichtig, sie auch in meine Zeitreise einfließen zu lassen, weil ich damals den wirklich ersten Kontakt zur Musik hatte. Auch wenn es vielleicht eher Zufall war, sollte es wichtig für mich und meine Entwicklung sein.
Der Glaube an etwas hat mein Leben ebenso geprägt wie die Musik selbst. Beides bildete in diesen jungen Jahren auf irgendeine Art und Weise, vielleicht auch nur durch Zufall, eine Einheit. Vielleicht ist damals auch ein kleiner, unscheinbarer Grundstein für das noch Kommende gelegt worden.
Ohne Worte ...
Die Schule hat für mich in meiner Vergangenheit immer einen besonderen Platz eingenommen und ist auch einer der Gründe, warum ich irgendwann den Weg zur Musik gefunden habe. Ich kann mich noch an vieles erinnern und habe noch die Umgebung meiner Grundschule und viele Momente als Bildfragment vor meinem geistigen Auge.
Ich kann mich daran erinnern, dass ich eine glückliche Kindheit hatte und es mir im Grunde an nichts fehlte. Ich hatte viele Freunde und liebevolle Eltern, die ihr Leben danach planten, dass wir Kinder glücklich und zufrieden waren. Ich kann mich noch genau an meine Einschulung erinnern und habe auch noch einige Namen von damals in meinem Kopf. Sie springen regelrecht vor meinem geistigen Auge herum und ich sehe auch die dazu passenden Gesichter meiner damaligen Klassenkameraden. Die Schule hatte mir immer Spaß gemacht. Zumindest am Anfang war es noch so. Ich bin immer gerne hingegangen und habe mich auch nie sonderlich dagegen gewehrt.
So war es in den ersten Jahren in der Grundschule, in denen alles recht normal verlief. Ich habe keine außergewöhnlichen Erinnerungen an diese Zeit. Ich glaube allerdings, dass in meiner Grundschulzeit etwas passiert ist, was aus heutiger Sicht der Ursprung dessen ist, dass mein Weg irgendwann einmal dazu führte, ein Instrument zu erlernen.
Ich weiß genau, dass ich an irgendeinem Tag von der Schule nach Hause gekommen bin und kaum noch gesprochen habe. Ich beschränkte mich nur noch auf knappe Sätze und war ängstlich und zurückhaltend. Ich konnte nicht ertragen, wenn mich andere ansahen und mir Fragen stellten oder mit mir reden wollten. Ich habe darauf immer nach unten geschaut und nicht geantwortet.
Wann das genau anfing, weiß ich heute nicht mehr. Und auch den Grund dafür kenne ich bis heute nicht. Allerdings änderte sich mein Leben ab diesem Moment grundlegend. Gerade was das Schulische und den Umgang mit anderen Menschen anging. Ich zog mich zur damaligen Zeit immer mehr von meiner Umgebung zurück. Von da an gingen meine schulischen Leistungen in den Keller. Gerade was die mündliche Mitarbeit betrifft. Sie existierte bei mir praktisch nicht mehr, da ich nichts mehr sagte. Ich konnte die Blicke der anderen einfach nicht ertragen und die Angst, etwas falsch zu machen, wuchs in mir von Tag zu Tag.
Ich glaube, meine Eltern mussten sich damals ganze Arien von Eventualitäten anhören, warum ich nicht mehr sprach. Ich weiß noch genau, wie man mich zu unzähligen Psychologen brachte und alle Hebel in Bewegung setzte, meine Sprachblockade wieder zu lösen und mir Selbstbewusstsein einzuflößen. Meine Mutter klebte mir kleine Zettel in meine Tasche, auf Bücher und einfach auf alles, was mich umgab. Auf denen stand dann »Du schaffst das« oder »Hab keine Angst«. Diese Botschaften halfen mir damals sehr. Ich wusste, dass ich nicht alleine war. Allerdings lösten sie das Problem nicht.
Meine Eltern zweifelten zur damaligen Zeit naturgemäß auch an sich selbst und suchten einfach nach einem Grund oder einer Lösung. Was ich damals darüber dachte, kann ich heute nicht mehr ergründen. Ich suchte mir einfach Hobbys und sonstige Dinge, bei denen ich nicht sprechen musste.
Der Sport war das Erste, was ich damals für mich in dieser Situation entdeckte. Dabei brauchte ich nicht zu reden und ich merkte schnell, dass ich genau so sein kann wie andere und bekam durch gute Leistungen Respekt und Aufmerksamkeit der anderen Kinder und auch der Lehrer. Ebenso begann ich zu zeichnen. Ich verbrachte Nachmittage damit, einfach Figuren und Karikaturen zu zeichnen. Im Grunde habe ich Dinge gemacht, bei denen ich nicht sprechen musste und mich niemand ansah. Damit war ich zu dieser Zeit glücklich.
Außerhalb der Schule machte ich es nicht anders. Ich verbrachte unzählige Nachmittage alleine zu Hause und beschäftigte mich mit meinen Zeichnungen. Zudem entdeckte ich die Freude am Tischtennisspielen. Mein Vater betrieb den Sport damals im Verein und somit meldete er mich dann dort auch an. Freunde hatte ich in dieser Zeit nicht viele. Im Grunde nur einen einzigen, der mich so akzeptierte, wie ich eben war.
Die darauffolgenden Jahre lernte ich damit zu leben, wie ich bin. Im Grunde war ich ein stilles Kind und meine Zurückhaltung und das wenige Sprechen und die Angst, anderen in die Augen zu schauen, wurde für mich zur Normalität. Wenn ich diese Zeilen hier schreibe, bin ich selbst über meine Ansicht, so etwas als normal zu empfinden, fast geschockt. Aber damals war es so. Ich denke, ich habe mich einfach damit arrangiert, wie die Dinge waren. Irgendwann ist man auch einfach zu müde, immer wieder Gründe zu suchen, warum die Dinge so sind, wie sie eben sind, oder sich zu ändern, damit andere einen als normal ansehen.
Aus heutiger Sicht kann ich es nur so erklären. Ich kannte es einfach nicht anders und trotz der gegebenen Umstände war ich ein glückliches Kind. Ich hatte meine Hobbys und einen sehr guten Freund, der mich so akzeptierte, wie ich war.
Es ist ja nun nicht so, dass ein Mensch, der stottert, nicht weiß, was er eigentlich gerne sagen würde. Ganz im Gegenteil! Je mehr sich diese Schwäche in meinem Leben breitmachte, desto stärker war ich darauf bedacht, mir im Vorfeld ganz genau zu überlegen, was ich gerne zum Ausdruck bringen würde. Während Kinder in meinem Alter vermutlich einfach drauflosgeplappert hätten, versuchte ich im Laufe der Zeit, geradezu planmäßig vorzugehen, um dann erneut wieder an einem Wort oder einer Silbe scheitern zu müssen.
Das Schlimmste, was einem Stotterer in solchen Momenten dann passieren kann, ist der gut gemeinte Versuch des Gegenübers, das besagte Wort vorzusagen. Diese Menschen wissen nicht, dass Stotterer keine Souffleure brauchen. Diese unbedachten Hilfestellungen waren vielmehr demütigend und führten dazu, dass man es sich künftig mehrfach überlegte, ob man überhaupt etwas sagen wollte.
Auch einige Lehrer an meiner Schule gingen nicht so behutsam mit meiner Störung um, wie man es sich hätte wünschen dürfen. Viel zu oft quittierten sie meine Sprechprobleme mit Ungeduld, waren womöglich auch der Ansicht, dass mein Stottern auf fehlendes Wissen hindeuten könnte - und wandten sich entnervt einem anderen Schüler zu. Ein verheerender Kreislauf.
Auch bei mir zu Hause versuchte man nun, etwas gegen meine Sprechstörung zu unternehmen. Meine Eltern waren zu der Ansicht gelangt, ich könnte durch regelmäßiges Vorlesen mehr Sicherheit beim Sprechen bekommen. Aber genau das Gegenteil traf zu: Während ich bis dahin mein Elternhaus als eine Oase empfunden hatte, in der es weder Druck noch Strenge oder Strapazen gab, war ich von einem Tag auf den anderen auch hier gezwungen, Leistungen abzurufen, zu denen ich jedoch ganz offensichtlich nicht imstande war.
Die Konsequenz war erschreckend, aber letztlich klar nachvollziehbar: Ich bin fortan nicht mehr gerne nach Hause gekommen!
Was bis zum heutigen Tag niemand restlos zu erklären vermag, ist die Tatsache, dass ich in all diesen Jahren zu ganz bestimmten Zeiten keine Sprechprobleme hatte. Und das war stets im Urlaub. Ein Junge, der Tag für Tag stottert, spricht mit einem Mal flüssig und ohne Probleme - aber eben nur für ein paar Tage oder Wochen. Sobald die Schulferien begonnen hatten und wir mit der gesamten Familie in den Urlaub gefahren waren, hörte mein Stottern schlagartig auf. Es war, als ob mich der Schulalltag aus seiner Zwangsjacke entlassen hatte. Und mit dieser Freiheit, die leider immer nur von kurzer Dauer war, lösten sich all meine Probleme und Blockaden. Bis zum nächsten Schultag...
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Autoren-Porträt von Unheilig
Mit seiner Band "Unheilig" ist DER GRAF der derzeit erfolgreichste Music-Act Deutschlands. Sein aktuelles Album "Lichter der Stadt" stürmte auf Anhieb Platz 1 der deutschen Albumcharts und erlangte bereits nach drei Tagen Goldstatus. Mit dem Hit "Geboren um zu leben" gewann DER GRAF drei Echos und einen Bambi und mit dem Titel "Unter deiner Flagge" gewann "Unheilig" den Bundesvision Song Contest 2010.
Bibliographische Angaben
- Autor: Unheilig
- 286 Seiten, Masse: 15,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: riva Verlag
- ISBN-10: 3868832106
- ISBN-13: 9783868832105
- Erscheinungsdatum: 14.11.2012
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