Alice im Niemandsland
Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor
Alice Schwarzer und der Niedergang der deutschen Frauenbewegung
Die deutsche Frauenbewegung war einmal vielstimmig, aufregend und international führend. Doch inzwischen ist der deutsche Feminismus programmatisch unbedeutend, organisatorisch...
Die deutsche Frauenbewegung war einmal vielstimmig, aufregend und international führend. Doch inzwischen ist der deutsche Feminismus programmatisch unbedeutend, organisatorisch...
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Produktinformationen zu „Alice im Niemandsland “
Alice Schwarzer und der Niedergang der deutschen Frauenbewegung
Die deutsche Frauenbewegung war einmal vielstimmig, aufregend und international führend. Doch inzwischen ist der deutsche Feminismus programmatisch unbedeutend, organisatorisch unsichtbar und zusammengeschrumpft auf eine Medienfigur - Alice Schwarzer. Jede gesellschaftspolitische Frage, sei es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Frauenquote, findet seit Jahrzehnten nur eine einzige feministische Antwort, nämlich »die Antwort« von Schwarzer. Mit ihrer ideologischen Unbeweglichkeit hat sie viele Frauen der Bewegung, die eigentlich für ihre Rechte streiten sollte, entfremdet. Kaum eine junge Frau will sich heute noch Feministin nennen, obwohl Deutschland bei der Verwirklichung der Gleichberechtigung in vielen Bereichen Schlusslicht ist. Zum 70. Geburtstag Alice Schwarzers wagt Miriam Gebhardt eine kritische Auseinandersetzung mit der Übermutter des deutschen Feminismus und zeigt, warum es für die Frauenbewegung höchste Zeit ist, sich neuen Themen und neuen Persönlichkeiten zuzuwenden.
Die deutsche Frauenbewegung war einmal vielstimmig, aufregend und international führend. Doch inzwischen ist der deutsche Feminismus programmatisch unbedeutend, organisatorisch unsichtbar und zusammengeschrumpft auf eine Medienfigur - Alice Schwarzer. Jede gesellschaftspolitische Frage, sei es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Frauenquote, findet seit Jahrzehnten nur eine einzige feministische Antwort, nämlich »die Antwort« von Schwarzer. Mit ihrer ideologischen Unbeweglichkeit hat sie viele Frauen der Bewegung, die eigentlich für ihre Rechte streiten sollte, entfremdet. Kaum eine junge Frau will sich heute noch Feministin nennen, obwohl Deutschland bei der Verwirklichung der Gleichberechtigung in vielen Bereichen Schlusslicht ist. Zum 70. Geburtstag Alice Schwarzers wagt Miriam Gebhardt eine kritische Auseinandersetzung mit der Übermutter des deutschen Feminismus und zeigt, warum es für die Frauenbewegung höchste Zeit ist, sich neuen Themen und neuen Persönlichkeiten zuzuwenden.
Klappentext zu „Alice im Niemandsland “
Alice Schwarzer und der Niedergang der deutschen FrauenbewegungDie deutsche Frauenbewegung war einmal vielstimmig, aufregend und international führend. Doch inzwischen ist der deutsche Feminismus programmatisch unbedeutend, organisatorisch unsichtbar und zusammengeschrumpft auf eine Medienfigur - Alice Schwarzer. Jede gesellschaftspolitische Frage, sei es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Frauenquote, findet seit Jahrzehnten nur eine einzige feministische Antwort, nämlich »die Antwort« von Schwarzer. Mit ihrer ideologischen Unbeweglichkeit hat sie viele Frauen der Bewegung, die eigentlich für ihre Rechte streiten sollte, entfremdet. Kaum eine junge Frau will sich heute noch Feministin nennen, obwohl Deutschland bei der Verwirklichung der Gleichberechtigung in vielen Bereichen Schlusslicht ist. Zum 70. Geburtstag Alice Schwarzers wagt Miriam Gebhardt eine kritische Auseinandersetzung mit der Übermutter des deutschen Feminismus und zeigt, warum es für die Frauenbewegung höchste Zeit ist, sich neuen Themen und neuen Persönlichkeiten zuzuwenden.
Lese-Probe zu „Alice im Niemandsland “
Alice im Niemandsland von Miriam GebhardtVorwort
Das Geisterschiff
Ausgangspunkt dieser Erkundung ist die Frage, warum von der einst so stolzen deutschen Frauenbewegung nur noch ein trauriger Rest übrig ist. Um 1900 befuhr der Feminismus als prächtiger Schoner die Weltmeere, hundert Jahre später drängt sich das Bild eines Geisterschiffes auf, die Steuerfrau hat sich am Ruder fest gebunden, von der Besatzung nichts zu sehen, Rettungsboote fehlen. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Frauenbewegung in Deutschland Avantgarde. Die Frauen kämpften um sexuelle Selbstbestimmung und um Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder, um das Frauenstimmrecht und um gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Sie eröffneten ein ideologisches Spektrum, in dem Frauen verschiedener Religion und Herkunft, bürgerliche Hausfrauen, Arbeiterinnen, Wissenschaftlerinnen, Mütter, Lesben, Linke, Konservative, Internationalistinnen und Traditionalistinnen einen Platz fanden. Die Frauenbewegung war streitbar, notgedrungen pluralistisch und aufregend. Und heute? Heute ist die Frauenbewegung programmatisch unbedeutend, organisatorisch unsichtbar und auf eine Symbolfigur zusammengeschrumpft. Inhaltliches Denken spielt sich in akademischen Enklaven und Blogs ab, was bleibt ist reflexhaftes Zucken, wenn mal wieder eine gesellschaftspolitische Herausforderung nur eine einzige und zwar immer dieselbe feministische Antwort findet - »die Antwort« von Alice Schwarzer.
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Seit ich denken kann, ist das Thema von ihr mit Beschlag belegt. Als ich neun Jahre alt war, trat Alice Schwarzer mit einer Selbstbezichtigungskampagne gegen den Paragraphen 218 öffentlich in Erscheinung. Als ich dreizehn war, bezeichnete ihr Buch »Der ›kleine Unterschied‹ und seine großen Folgen« die Penetration als Gewaltakt. Im selben Jahr, wir haben 1975, stritt sie mit Esther Vilar im Fernsehen und bezeichnete die Tochter deutsch-jüdischer Emigranten vor laufender Kamera als »Faschistin« - das brachte ihr den Durchbruch zur Berufsfeministin. Als ich fünfzehn war, gründete sie »Emma« als Zentralorgan des Patriarchatsmythos, ein Jahr später verklagte sie den »Stern« wegen sexistischer Titelgestaltung. Als ich 25 war, kämpfte sie um ein Anti-Porno-Gesetz, sechs Jahre später bezeichnete sie Helmut Newtons Aktfotografie als sexistisch, rassistisch und faschistoid. Spätestens da hätte ihr mal jemand in den Arm fallen können. Aber stattdessen ging es immer so weiter.
Heute bin ich ein halbes Jahrhundert alt und, wenn ich den Fernseher einschalte, behauptet immer noch ein und dieselbe Frau, meine Anliegen zu vertreten. Verglichen mit anderen Ländern ist Deutschland ein feministischer Erbhof. Es bescheidet sich mit einer Frau für alle Zeiten. Die deutsche Frauenbewegung ist zum Ein-Punkt-Programm geschrumpft, und das heißt Alice Schwarzer. Was zur Konsequenz hat, dass, sollte sie einmal abtreten, ein seit den frühen siebziger Jahren nicht mehr gelüfteter Feminismus übrig bleiben wird. Er wird das Schicksal der Vampire erleiden, fürchte ich - sobald der erste Sonnenstrahl darauf scheint, zerfällt er zu Staub.
Alice Schwarzer ist es in den vierzig Jahren, die sie dem deutschen Feminismus ein Mediengesicht gegeben hat, weder gelungen, Schwestern im Kampfe zu finden, noch würdige Rivalinnen. Sie hat keine Nachfolgerin, geschweige denn eine Enkelin. Will sie auch nicht, lässt sie uns trotzig wissen. Alice Schwarzers Standardreplik lautet, sie selbst habe auch keine Mutter gehabt, deshalb gingen ihr die »jammernden jungen Frauen«, die an ihren Rockschößen hingen, so auf die Nerven. Als Mutter stehe sie nicht zur Verfügung, auch nicht als Übermutter. Ja, sie suche schon deshalb keine Nachfolgerin, weil es gar keine geben könne. So wie ihr die Zeitschrift »Emma« gehört, so scheint sie auch das öffentliche Bild der Frauenbewegung nach Gutsherrinnenart zu bestimmen. Auf die Nachfolgeproblematik angesprochen, erklärt sie bündig: »Wenn die Schwarzer einmal nicht mehr sein sollte ..., dann bleibt ihr Stuhl leer. Das ist nämlich der Stuhl von Alice.«2
Außerdem sei sie nicht die Präsidentin der deutschen Frauenbewegung, niemand habe sie gewählt.3 Das stimmt. Sie ist keine demokratisch gewählte Repräsentantin. Aber musste sie deshalb zu einem Relikt aus einer Zeit werden, als gesellschaftliche Meinungsbildung und Wertewandel noch mit einzelnen, herausragenden Köpfen verbunden wurden? Die Zeiten der Patriarchen wie Jürgen Habermas, Alfried Krupp oder Thomas Gottschalk sind schließlich auch vorbei, heute werden Diskurse auf vielen und dafür weniger exponierten Schultern verteilt, eben weil auch unsere Gesellschaft vielfältiger und vielstimmiger geworden ist. Nur nicht in der Frauenbewegung, die versteckt sich immer noch hinter einer Matriarchin.
Alice Schwarzer kann sich viele Verdienste zuschreiben. Ihre Leistung, den Feminismus aus den Hörsälen und Studentenkommunen befreit und in die Mitte der Gesellschaft, in die Schlafzimmer der Vororte, hineingetragen zu haben, ist Respekt einflößend. Doch bringt ihre Stellung nicht auch Verantwortung mit sich für das heutige Erscheinungsbild des Projekts Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland?
Die Forderungen der Abtreibungskampagne, mit der Schwarzer verbunden wird, sind vierzig Jahre später immer noch nicht erfüllt. In den DAX-Vorständen sitzen lediglich zwischen zwei und vier Prozent Frauen, je nach Branche. Höchstwahrscheinlich sind diese Exotinnen für die »weichen « Ressorts wie Personalentwicklung oder Nachhaltigkeit zuständig. Noch immer drängt ein erheblicher Anteil junger Frauen in klassische Frauenberufe wie Kindergärtnerin, Friseurin oder Krankenschwester, und auch in den anderen Berufen wirkt sich das Geschlecht beim Gehaltsscheck aus. Die Kinderfrage bleibt ungelöst. Während Amerika ein geschlechtsneutrales Wort für die Hausfrau beziehungsweise den Hausmann gefunden hat (homemaker), während es in Skandinavien Frauenquoten für Vorstände und Aufsichtsräte gibt, während französische Feministinnen öffentlichkeitswirksam vor einem Rückfall in den Mutti-Naturalismus warnen, während europäische Parlamentarierinnen »Vagina-Monologe « aufführen, während sich in England Lobbyistinnen für das Recht auf Hüftspeck versammeln, während sich überall auf der Welt unter der Burka feministischer Aufruhr äußert, ja, während sich das kleine Island zur Weltmacht des Feminismus erklärt und seine Sexindustrie austrocknet, wird in Deutschland diskutiert, wann die Lebensgefährtin des Bundespräsidenten endlich ihren Beruf aufgibt und heiratet.
Die Begleiterscheinungen des nicht nur in Deutschland aber hier besonders virulenten Backlashs sind allseits bekannt und lassen sich unter einen einzigen Begriff subsumieren: Schlusslicht. Schlusslicht oder beinahe Schlusslicht sind wir beim Anteil von Frauen in wissenschaftlichen und wirtschaftlichen
Führungspositionen, die Medien stagnieren in männlicher Umklammerung, hinten liegen wir bei der Bezahlung weiblicher Arbeit, zurück geblieben ist Deutschland bei der öffentlichen Förderung und Betreuung von Kleinkindern, abgehängt, und das ist die Ironie der Geschichte, bei den Geburtenquoten. In Deutschland machen Frauen, überspitzt formuliert, weder Karriere noch kriegen sie Kinder. Und wenn doch, dann auch noch besonders mittelmäßige, zumindest, was das Abschneiden bei PISA anbelangt.
Das alles ist nicht der Frauenbewegung anzukreiden. Aber wenn schon Kassensturz, dann bitte richtig. Für Alice Schwarzer sieht die Bilanz der zweiten Frauenbewegung, die ganz die ihre ist, rosig aus. In ihrer Autobiographie »Lebenslauf«, die sie ein Jahr vor ihrem 70. Geburtstag veröffentlich hat, schreitet sie von einem Höhepunkt zum nächsten. Kampf gegen: Abtreibungsverbot, Vergewaltigung, Pornographie, Lesbendiskriminierung und Kopftuch, das sind die Themen, die ihre Bilanz und damit schlussendlich auch die Bilanz der letzten vierzig Jahre Feminismus in Deutschland ausmachen sollen. Eine befremdliche Chronik, wie ich meine, angesichts einer im Westen einmalig benachteiligten Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, prekärer Lebensbedingungen für Alleinerziehende, einer um mehr als ein Drittel niedrigeren Frauenrente. Hat der historische Feminismus der siebziger Jahre wirklich die richtigen Themen in die Gegenwart getragen?
Der Gesprächsfaden zwischen den Frauengenerationen ist schon lange gerissen. Schwarzers Kachelmann-Berichterstattung in der »Bild«-Zeitung hat noch einmal viel Sympathie für den Feminismus gekostet, nicht nur bei denjenigen, die nicht an die Unschuld und Opferrolle aller Frauen glauben können, sondern vor allem bei den vielen jungen Mädchen, die eigentlich auf feministische Angebote warten, sich aber nicht in einem Revolverblatt ihre Meinung dazu bilden wollen. Auch Schwarzers Trittbrettfahrt mit »Schoßgebete«, dem Buch ihrer widerspenstigen Freundin Charlotte Roche, fand wenig Beifall. Am Tag ihres puritanischen offenen Briefes an die Autorin konnte sie in ihrem eigenen Blog folgenden Brief einer jungen Feministin lesen: »Liebe Alice Schwarzer, so sehr ich Sie schätze -, ich verstehe nicht ganz, worauf diese Kritik zielt? Handelt es sich bei Charlotte Roches Buch um Literatur, so ist der Ansatz verfehlt, denn Literatur hat nicht die Aufgabe ›Lösungen‹ für gesellschaftliche Probleme anzubieten, sondern ist Ausdrucks- und Darstellungsmedium mit eigenem Wahrheitsanspruch. Wenn also hier Gefühle und Vorstellungen angemessen in Worte gefasst werden können, ist es unangebracht, sie zu kritisieren, weil sie einer ›falschen‹ Ideologie Ausdruck verleihen.« Genau das ist das Problem. Die jungen Frauen wollen keine Lektion in Patriarchatsfeminismus mehr hören, sie wünschen keine Bewusstseinspolizei, sondern Lösungen für ihre konkreten Belange.
Das Kritische an der Kommunikationssperre zwischen den Frauengenerationen ist jedoch, dass es dann wieder heißt, die Sache der Frauenemanzipation habe sich eben überlebt. Dass eine Autorin in der »Zeit« schreiben kann, das Problem der Frauen seien die Frauen selbst, und sich deshalb einen Maulkorb für Feministinnen wünscht. Als ob durch Stillhalten etwas erreicht wäre. Einer Rechnung der Vereinten Nationen zufolge bräuchte die Gleichberechtigung noch ungefähr fünfhundert Jahre,wenn sie im jetzigen Tempo weiter ginge.4Da heißt es abwarten, Frauen haben ja offensichtlich einen langen Atem.
Allerdings ist das Fortschreiten der Emanzipation kein Automatismus. Wer die siebziger und achtziger Jahre mit der Gegenwart vergleicht, nimmt außer vielen positiven auch subtile, aber schmerzhaft negative Veränderungen wahr. Umso unabhängiger Frauen gerade in jungen Jahren durch Bildung und Erwerbsarbeit geworden sind, umso abhängiger erscheinen sie heute von den selbstregulativen Regimen des Schönheits- und Mode-Komplexes. Die Angst vor dem männlichen Blick, der noch die Generation Schwarzer umtrieb, ist einer lebenslangen, wahrscheinlich noch größeren Angst vor dem eigenen Blick in den Spiegel gewichen. Die meisten jungen Frauen sind weit entfernt von dem, was sich eine Simone de Beauvoir vor über einem halben Jahrhundert als selbstverständliches Recht ausbedungen hat - das Recht, sich mit sich eins zu fühlen, unabhängig von den gesellschaftlichen Geschlechternormen.
Wie tief diese alten Bilder immer noch sitzen, ist mir persönlich bei einer Diskussion im Herbst 2011 klar geworden. Da sprachen die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt und der berühmte Gehirnforscher António Damásio gemeinsam mit Moderator Gert Scobel über Gehirn und Bewusstsein. Ich verfolgte den Verlauf des Gesprächs mit feuchten Händen. Was erlaubte sich diese strahlende, gut gestylte Blondine? Siri Hustvedt redete nicht nur über das Gebiet Gehirnforschung im Beisein eines Fachmanns, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, sie wartete auch nicht, bis sie gefragt wurde, sondern gab ganz unverkrampft ihre eigene Sichtweise zum Besten, korrigierte und ergänzte Damásios Ausführungen, glänzte mit eigenen Ideen - und am Ende konnte sie mehr Redezeit für sich verbuchen als der führende Gehirnforscher, und das auch noch auf äußerst charmante Art und Weise. Mein Erschrecken darüber - oder sollte es nur meine eigene Zurückhaltung gewesen sein? - zeigte mir, wie ungewöhnlich, ja sogar ungebührlich so ein selbstsicheres Auftreten von Frauen in einer Männerdomäne hierzulande immer noch ist. Als Wissenschaftlerin an einer deutschen Universität erlebe ich das Verhalten von klugen Frauen ganz anders; entweder sie fahren sozusagen mit angezogenen Handbremsen, oder sie reagieren gegen den Legitimationsdruck als Frau kontraphobisch, also mit einer vorauseilenden Grundaggressivität, die sie am Ende weder kompetent noch charmant wirken lässt.
Weil das so ist, weil Frauen und Männern in diesem Land immer noch ganz unterschiedliche Möglichkeiten und Verhaltensweisen zugestanden werden, können sich engagierte Frauen nicht wünschen, dass sich der Feminismus selbst erledigt. Was sie aber erwarten, ist, dass eine bestimmte, mit den siebziger Jahren identifizierte Ausprägung des Feminismus zu den Akten gelegt wird. Junge Frauen in meinen Lehrveranstaltungen zu Genderstudies und Geschlechtergeschichte sagen, sie könnten sich wegen Alice Schwarzer nicht selbst als Feministin beschreiben. Sie habe den Begriff unmöglich gemacht. Außerdem beschäftigen sie ganz andere Probleme als die in der »Emma« porträtierten Powerfrauen und angeblich unterdrückten Muslimas. Manch eine würde sich am liebsten selbst in einen Schleier hüllen. Ihre Lebenswirklichkeit hat mit dem vom Schwarzer-Feminismus an die Wand gemalten Patriarchat nichts mehr zu tun. Sie fühlen sich radikal auf ihr Selbst zurückgeworfen und nicht als kollektives Opfer, sie bespiegeln sich bis in die letzte Körperritze, sie wollen wissen, wie sie ein glückliches Leben führen können, mit oder ohne Karriere, und sie kümmern sich nicht darum, wenn sie von der großen Schwarzer als »Wellness-Feministinnen « beschimpft werden.
Mein Buch sucht Erklärungen für das schlechte Image der deutschen Frauenbewegung, dafür, dass die gesellschaftspolitische Entwicklung der letzten 25 Jahre schlicht über sie hinweggeschritten ist. Gewiss, auch anderswo streiten die Frauengenerationen, und es werden auch anderswo Errungenschaften von Frauen wieder zurückgenommen. Doch nirgendwo wird die Frauenbewegung »offiziell« nur von einer Frau verkörpert, die sich seit vierzig Jahren inhaltlich nicht mehr bewegt hat. Schwarzers Alleinstellung ist ein Symptom für den gesellschaftlichen Stellenwert des Feminismus, und dafür, dass in Deutschland, anders als in anderen Ländern, bestimmte Themen und Forderungen auf besonders fruchtbaren Boden gefallen sind, sodass sich eine bestimmte feministische Richtung durchsetzen konnte. Aber sie ist auch ein Symptom für einen Richtungsstreit, den Alice Schwarzer medial für sich entscheiden konnte und der noch immer die Bewegung lähmt.
Ich nenne die beiden aufeinanderprallenden Positionen den »Ändere dich gefälligst«-Feminismus und den »Werde, die du bist«-Feminismus. Beide sind so alt wie die Frauenbewegung. Schwarzer hat die erste Position besetzt, die glaubt, Frauen müssten sich so lange reformieren, bis sie nur noch Menschen sind. Die andere Position besagt, Frauen müssten sich so lange reformieren, bis sie zu ihrer wahren Weiblichkeit gefunden hätten. Beide Haltungen kommen mir als normative Zumutungen vor. Mein Buch ist also ein historisches Debattenbuch; historisch, weil die Kenntnis der Vergangenheit immer den Blick klärt und die heutigen Positionen relativiert. Mein Anspruch ist, herauszufinden, wie wir dahin gekommen sind, wo wir heute stehen. Dafür ist es nötig, sich auf eine weite Reise zurück an den Anfang der Moderne zu begeben. Ich werde den Faden am Anfang aufgreifen und versuchen, die Konzepte der wichtigsten deutschen Feministin, Alice Schwarzer, gegen andere historische und internationale Positionen zu stellen. Am Ende hoffe ich herauszufinden, wo die wegweisenden Richtungsentscheidungen lagen, welche Flauten, Stürme und Untiefen es gab, welche Routen nicht befahren wurden. Damit kann sich auch eine Perspektive in die Zukunft eröffnen - wohin soll die Reise gehen nach Alice Schwarzer?
Kapitel 1
Die große Flaute
Noch zu Jahresbeginn 2011 stieß Alice Schwarzer bei den meisten Menschen, die ich sprach, auf heftiges Unverständnis. Mit ihrer Kommentierung des Prozesses gegen den Meteorologen Jörg Kachelmann schien sie sich erneut ins feministische Mittelalter verabschiedet zu haben. Nicht nur hatte sie die zivilisatorische Errungenschaft der Nichteinmischung in laufende Verfahren ignoriert, den Begriff »Unschuldsvermutung« zum Unwort erhoben, nicht nur hatte sie wieder den alten Patriarchatsfeminismus an die Wand gemalt, wonach Frauen immer die Opfer zu sein haben, nein, sie musste das auch noch bei ihrem ehemaligen Todfeind, der »Bild«-Zeitung, tun, sie, die Jahrzehnte lang von den Boulevardjournalisten Verfemte. Gerade der letzte Punkt war besonders jungen Frauen, die mit Altersabgeklärtheit nicht viel am Hut haben, besonders arg. Wie konnte sie nur!
Und dann, ein halbes Jahr später, war alles wieder gut. Mit ihrer Autobiographie »Lebenslauf« schrieb sich Schwarzer blitzschnell in die Herzen der Deutschen. Plötzlich war sie wieder auf allen Sendern gleichzeitig zu sehen, und niemand hatte an der Frontfrau des deutschen Feminismus irgendetwas auszusetzen. Die offensichtliche Geschichtsklitterung, wonach sie mit der Abtreibungskampagne die Frauenbewegung erfunden habe, und ihr treuherziges, spätes Bekenntnis zu »normaler« Heterosexualität und modischer Kleidung in jungen Jahren, ihre Fotos im Minirock, lösten eine Welle der Bewunderung aus. Oder war es Erleichterung? Sie hat mit ihrem Fahrlehrer geflirtet, dann kann sie ja so schlimm gar nicht sein! In einer überregionalen Tageszeitung war gar von einem »zeithistorischen« Dokument die Rede (als ob wir, um die Vergangenheit zu verstehen, nur diejenigen befragen müssten, die damals dabei waren).
Ich frage mich, wem galt der neue Sympathiebonus? Alice Schwarzer, der Feministin? Sind plötzlich alle vom Patriarchatsvirus angesteckt? Ihr Heft »Emma« ist stark geschrumpft. Es erscheint nur noch viermonatig in einer Auflage (laut »Emma«) von gut 40 000, früher waren es monatlich mal 100 000. Oder galt die Liebe doch eher Alice Schwarzer, dem Medienstar? In einem Land, das sich generell schwer tut mit weiblichem Intellekt und weiblicher Meinungsführung, ist Schwarzer nun schon seit beinah vier Jahrzehnten fast die einzige feststehende weibliche Größe im Medienbetrieb. Promis, die verlässlich auf die immer gleiche Weise die immer gleiche Botschaft zu gesellschaftspolitischen Themen verkaufen, sind in der Talkshow-Kultur eben Gold wert. Wenn den Redakteuren nichts mehr einfällt, heißt es, ruf doch die Feministin an, die regt sich bestimmt über irgendetwas auf, und wenn nicht die, dann eben das erzbischöfliche Ordinariat.
Doch ich fürchte, es gibt noch eine andere Erklärung für Schwarzers Comeback: Sie hat ihr Gefahrenpotential verloren. In den siebziger und achtziger Jahren wurde sie durchs mediale Dorf getrieben, weil Männern und Frauen bewusst war, welche Zumutungen der Feminismus an sie richtete. Heute leisten wir uns eine Fernsehfeministin, aber nicht, um die Geschlechterordnung zu diskutieren, sondern zur Unterhaltung.
Könnte man noch weiter gehen und vermuten, Schwarzer selbst nimmt sich als Feministin auch nicht mehr so ernst? Sie legt heute viel mehr Wert auf ihr mediales Erscheinungsbild als in ihren kämpferischen Jahren, sie lächelt viel, sie ist charmant, vor allem zu Männern. Und wenn ihr ein Opfer gebracht wird wie Bushido oder Eva Herman, dann kann sie auch noch den alten Beißreflex zeigen. Im pluralistischen Stimmenkonzert muss eben jemand die Rolle des feministischen Schachterlteufels übernehmen. Alice Schwarzer und das deutsche Fernsehpublikum, das ist wie ein altes Ehepaar. Jeder weiß, was als nächstes kommt. Ihre Rolle ist die des alten Bären am Nasenring in der Fußgängerzone, dem zuliebe die Kinder so tun, als würde er sie noch erschrecken.
Natürlich ist der Niedergang der Frauenbewegung nicht einer einzigen Person anzulasten. Auch international ist der Feminismus in die Jahre gekommen. Wir sind mittlerweile weit entfernt von den späten sechziger und frühen siebziger Jahren, vom ideologischen Zeitalter und seinen Blockdenkern, von der »alten« Bundesrepublik, den Studentenunruhen, den transnationalen Reformbewegungen, mit denen die »neue« Frauenbewegung verbunden war. Was sich heute zeigt, ist allerdings kein natürlicher Alterungsprozess zum Mütterchen mit ein paar liebenswürdigen Schrullen, sondern eine Mutation zum Monstrum, abstoßend für Männer und Frauen gleichermaßen. In Deutschland hat Alice Schwarzer die undankbare Rolle des Jungmädchenschrecks, aber auch andernorts gehört es zum guten Ton, den Siebzigerjahre-Feminismus als männerfeindlich, opferselig und vor allem als vom Fortschritt eingeholt zu erinnern. Seit der Jahrtausendwende wird er in immer kürzeren Abständen zu Grabe getragen. Doch hierzulande ist das Erbe besonders wurmstichig. Offensichtlich wurde eine der wichtigsten sozialen Bewegungen nicht ordentlich gepflegt, ihr Wertverlust nicht aufgehalten.
Die Gründe für den Niedergang sind vielfältig; der Gegenwind bläst aus allen Richtungen. Er kommt vom organisierten und vom informellen Antifeminismus, aus unterschiedlichen sozialen und generationalen Perspektiven, aus ethnischer, religiöser und sexueller Differenz, und nicht zuletzt von innen, von Feministinnen wie mir.
Die antifeministische Wende
Der Wendepunkt lag irgendwo in den achtziger Jahren. Seitdem in nationalem und internationalem Recht und im öffentlichen Bewusstsein Probleme wie häusliche Gewalt, Lohnungleichheit, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz angegangen werden, seitdem die Frauenbewegung durch kommunale und staatliche Gleichstellungsbeauftragte quasi amtlich ist, und Nichtregierungsorganisationen weltweit auf die Verwirklichung von Frauenrechten analog zu den Menschenrechten dringen, scheint der Feminismus auf breiter Front gewonnen zu haben. Seine Stärke wurde jedoch zur Schwäche. Die Soziologie rief die »zweite« beziehungsweise die »reflexive« Moderne aus, in der sich die Frauenfrage von ganz alleine erledigen würde. Die Erfolge der Frauenbewegung ließen schließlich darauf hoffen, dass sich durch Bildung, Rechtsprechung und Chancengleichheit in der Arbeitswelt die Geschlechterverhältnisse bald beruhigt hätten. Eine neue Großwetterlage zog herauf.
Unter der Fahne des Neoliberalismus wurde nun von »Selbstermächtigung« oder »Agency« der Frauen gesprochen, Ausdruck einer liberalen Grundüberzeugung, dass das Individuum sich mit Fleiß und Disziplin schon alleine durchbeißen werde, ohne Hilfe vom Staat. In der globalisierten und deregulierten Ökonomie wurden Frauen regelrecht zu Hoffnungsträgerinnen hochgejubelt, zu wertvollen Konsumentinnen und unabkömmlichen Kommunikatorinnen, die als Humankapital nicht nur in Callcentern, sondern auch im wachsenden Gesundheitssektor unverzichtbar seien. Der weibliche Ehrgeiz kombiniert mit Flexibilität und niedrigeren Einkommenserwartungen schien der heutigen Arbeitswelt besonders angepasst, nicht nur in Europa und Nordamerika, sondern auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern, wo Staaten und Nichtregierungsorganisationen gezielt Frauen mit Krediten bedachten und zu den Säulen der lokalen Ökonomien erklärten.
Auf diesem Weg passierte es, so glaubt die Engländerin Angela McRobbie, dass der Feminismus seiner politischen Funktion entkleidet und ökonomisiert wurde.1 Ein frühes Sinnbild der beginnenden Kapitalisierung des Feminismus war die Pop-Sängerin Madonna, die als »material girl« Autonomie, sexuelle Initiative, die Umkehrung der Geschlechterverhältnisse, aber auch die Trivialisierung all dessen zur massentauglichen popkulturellen Ikone verband. Ganze Bücherregale füllt der akademische Streit darüber, ob Madonna als Vorreiterin des Postfeminismus, wie die Philosophin Camille Paglia meint, gelten darf, oder doch eher als Totengräberin, weil ihre ironischen Posen als Sado-Maso-Projektion oder als MarilynMonroe- Verschnitt nur noch zur individualistischen Selbstvermarktungsstrategie taugten. Ob Ironie oder doppelbödige kulturelle Subversion, der gute alte Feminismus geriet in der Ära der Pop-Queen heftig ins Trudeln.
Mit dem Verweis auf die eine oder andere Regierungschefin weltweit wird die politische Emanzipation gerne für erledigt erklärt. Doch ist Frau Merkel wirklich eine Galionsfigur für den Fortschritt der Frauen? Eine »Schlecker«-Kassiererin musste angesichts des Konkurses der Drogeriekette Bundeskanzlerin Merkel daran erinnern, dass sie doch auch eine Frau sei. Der Solidaritätsappell schlug auf die Frauen dann ganz unerwartet zurück. Es wurde keine Auffanggesellschaft gegründet, stattdessen ließ sie die Arbeitsministerin von der Leyen wissen, die Frauen könnten doch ebenso gut als Erzieherinnen oder Altenpflegerinnen arbeiten. Das zeigt nicht nur den Stellenwert von Pflege in unserem System - das zeigt vor allem, wie tief die Geschlechtervorurteile in der Politik sitzen.
Doch nicht nur bei der Sicherung von Arbeitsplätzen sind wir in Deutschland von Gleichberechtigung weit entfernt. Stellen wir uns einen Moment lang vor, wir hätten hierzulande eine Präsidentin, eine Bundeskanzlerin, eine Außenministerin, eine Innenministerin, eine Wirtschaftsministerin, eine Finanzministerin, und drei Kanzlerkandidatinnen der Opposition, die sogenannte Troika, stünden auch schon in den Startlöchern. Undenkbar? Genauso stellt sich die Situation vor der Bundestagswahl 2013 dar, nur eben andersherum. Die Unmöglichkeit, sich die Geschlechterverteilung auf den Kopf gestellt vorzustellen (nicht als durchgängiges Prinzip, sondern als zufällige Konstellation), zeigt das Ausmaß, in dem Politik immer noch als männliche Domäne gilt. Das gleiche Gedankenspiel ließe sich natürlich für viele andere gesellschaftliche Bereiche anstellen, vorneweg die Medien, die immerhin viel zur Bewusstseinslage der Gesellschaft beitragen. »Spiegel«, »Stern«, »FAZ«, »SZ«, »Zeit«, »heute«-Redaktion hätten Chefredakteurinnen, oder, auch eine schöne Vorstellung: 89 Prozent der deutschen Hochschulleitungen wären mit Frauen besetzt. Undenkbar. Während jede zweite Dissertation und jede vierte Habilitationsschrift inzwischen von einer Frau eingereicht wird, beträgt ihr Anteil bei den Hochschulprofessuren nur 18 Prozent. Wenn das derzeitige Tempo der Gleichstellung durchgehalten würde, ist der angestrebte Frauenanteil nicht vor 2300 zu verwirklichen. Und dann wird der akademische Beruf vermutlich sein gesellschaftliches Ansehen ganz verloren haben. Denn je mehr Frauen in einer Branche arbeiten, desto unattraktiver wird sie.
Die Anzahl der weiblichen Vorstände in DAX-Unternehmen hält sich in absoluten Zahlen im niedrigen einstelligen Bereich. Die Schere zwischen der Entlohnung der Männer und der Frauen bewegt sich in manchen Branchen seit dem 19.Jahrhundert überhaupt nicht mehr. Sie stagniert bei 20 bis 25 Prozent. 90 Prozent der Teilzeitarbeit, die im jetzigen System regelmäßig zur Karrierefalle wird, leisten Frauen. Das ist nicht zuletzt die Bilanz einer weiblichen Kanzlerschaft, für die Alice Schwarzer so glühend eintrat. Pessimistische Feministinnen wie die Engländerin Nina Power glauben sogar, die wenigen herausragenden Frauen seien nichts anderes als Alibifiguren, mit denen sich die westlichen Gesellschaften ein Feigenblatt zulegten und allen anderen Frauen einen Ansporn geben wollten, noch mehr zu leisten.2 Sie sind die Wurst im Hunderennen.
Der frauenpolitische Klimawandel der achtziger und neunziger Jahre brachte jedoch auch unsichtbare Folgen, die so nachteilig waren, dass sie manche Errungenschaft aufwogen: Parallel zu den sichtbaren Erfolgen der Frauengleichstellung im Antidiskriminierungsrecht verlagerte sich die Benachteiligung auf verstecktere Bahnen, ein Sachverhalt, der Männern und Frauen oft nicht bewusst ist. Weil viele Menschen glauben, Diskriminierung sei kein relevantes Problem mehr, stoßen weibliche Bedürfnisse oder Anstrengungen, Geschlechtergleichheit zu erreichen, wieder auf stärkere Ablehnung. Der moderne oder Neosexismus wird von Frauen geteilt, die sich des Ausmaßes des alltäglichen subkutanen Sexismus nicht mehr bewusst sind, sagt die psychologische Forschung. Dazu zählt auch der sogenannte »positive« Sexismus, also etwa die Annahme, Frauen seien das bessere, reinere, das schützenswertere Geschlecht. Beispiele für »wohlwollenden« Sexismus sind die Annahme, Männer müssten einer Frau bestimmte Dinge abnehmen, wie etwa eine lange Autofahrt am Steuer, weil sie eine Frau ist, also nicht aus allgemein menschlicher Hilfsbereitschaft, oder die Annahme, Männer müssten eine Restaurantrechnung zahlen, nicht weil sie über mehr Geld verfügen, sondern weil das Sache des Mannes sei.3 Auch diese Haltung führt durch die Hintertür wieder zur Akzeptanz eines unterschiedlichen Umgangs mit Frauen und Männern, schläfert die Aufmerksamkeit für Ungerechtigkeit ein und geht auf Kosten intellektueller Autonomie der Frauen.
Eine persönliche Bilanz
Was mit der Verschiebung offener Diskriminierung auf eine subtilere Ebene gemeint ist, zeigt auch mein eigener Werdegang. Meine ersten Schritte in die Berufstätigkeit fielen in die frühen achtziger Jahre. Nach einigen Monaten Praktikum bei einem freien Journalisten, der hauptberuflich Kaminbaumeister war und mich zum Vergnügen seiner Kumpels als seinen »Lehrbua « auf den Sportplätzen am Stadtrand herumzeigte, erhielt ich die Chance, mich mit Textproben für eine Hospitanz bei einer Münchner Tageszeitung zu bewerben. Die gemeinsam mit dem Kaminbaumeister verfassten Artikelchen gaben allerdings nicht den Ausschlag dafür, dass ich einen Ausbildungsplatz erhielt. Wie mir die drei männlichen Entscheidungsträger im Nachhinein feixend erzählten, hätten sie sich überhaupt nicht für meine Texte interessiert. Wenn sie uns gefällt, nehmen wir sie, hatten die Jungs zwischen 18 und 55 Jahren ausgemacht. Über diese sekundären Motive bei der Auswahl ihrer Praktikantin konnten die Männer damals offen reden. Das war ihnen genauso wenig peinlich, wie mich »Mausi« zu nennen und sich ein Playmate über den Schreibtisch zu hängen, gleich neben die Dartscheibe. Die Zeiten waren eben so. Ich tippte auf einer alten Adler meine Artikel mit dreifachem Durchschlag, trug sie zur Rohrpost, die sie in die Setzerei beförderte, während meine Kollegen ihr erstes Bier aufmachten.
Mein Volontariat absolvierte ich als erste Frau in der Geschichte der Zeitung zu einem großen Teil in der Sportredaktion. Der Ressortleiter war von der Gegenwart einer jungen Frau charmiert und hatte klare Vorstellungen, wo meine Kompetenzen als auszubildende Journalistin lagen, nämlich jenseits von Fußballfeld, Skipiste oder Tartanbahn, geschweige denn Nürburgring. Meine weibliche Bestimmung war es, über Wasserski, Polo, Dressurreiten oder Segelkunstflug zu schreiben. Das mit dem Segelfliegen war schon ein Zugeständnis, das ich mir mit einer Mutprobe, nämlich einem Flug mit dem deutschen Segelkunstflugmeister, erst verdienen musste. Die Kür dauerte sieben Minuten und war mit keiner noch so wilden Achterbahnfahrt nur im Entferntesten vergleichbar. Danach war ich in den Augen der Kollegen fast ein Kerl, durfte allerdings trotzdem nicht über den »richtigen« Sport schreiben. Nur einmal war mir ein Artikel vergönnt über ein Lokalderby zwischen FC Wacker und 1860 München. Das Thema hieß: Fußball aus der Sicht einer Frau.
Mein zweiter Beruf als Historikerin an einer Universität fiel in das postfeministische erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Ich hatte mich um eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle in einem kulturwissenschaftlichen Sonderforschungsbereich beworben, auf der ich mich habilitieren konnte. Meine erste nicht-wissenschaftliche Erkenntnis an der auf dem Weg zur Elite-Universität voranschreitenden Institution war: gegrüßt wird nicht nach Alter oder Geschlecht, sondern nach Rang, und die Rednerliste bei einer Diskussion beginnt immer mit denselben drei Alphamännchen. Bei einem Jahresumtrunk schlug jemand vor, man sollte im neuen Semester den besten Dozenten und die beste Sekretärin prämieren. Ich wurde zwar nicht »Mausi« genannt, aber meine erste Projektskizze beurteilte der Kollege dennoch als »lieb und nett«. Unter meinem zweiten Antragsentwurf stand, ich müsse die Komplexität stärker herausarbeiten. Der herablassende Ton hing nicht zuletzt mit meinem Thema zusammen. Frühkindliche Sozialisation im 20. Jahrhundert, und das unter dem Dach eines Forschungsverbundes, in dem es auch um die »Insistenz des Faktischen in kulturellen Umbruchsituationen« ging?
Es dauerte ein bisschen, bis ich die subtilen Geschlechterunterschiede im akademischen Bereich verstand. Dass auch die Geschichte ein Geschlecht hat und die »harte« Geschichtswissenschaft immer noch nach männlichen Normen betrieben am erfolgreichsten ist. So war es keine Frage, dass man sich bei der mündlichen Habilitationsleistung über drei so schwerwiegende historische Themen wie Piraterie, Schmuggel und Geheimdienste prüfen lassen konnte, ohne dass Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Kandidaten laut wurden. Meine Kollegin indes, die über die Frau in der Zigarettenwerbung, die Abtreibungsdebatte in der Weimarer Republik und über Erinnerungstheorien in der Kaiserzeit vortragen wollte, handelte sich einen Hinweis ein: Ihre Themen lägen doch sehr eng beieinander, anders gesagt, sie waren zu weich, zu wenig intellektuell.
Natürlich ging es an der Universität verglichen mit meinen Erfahrungen in den achtziger Jahren im Journalismus anders zu. Es hingen keine Poster mit Bunnies an den Wänden, und es lag mir auch nicht der Arm eines jovialen Vorgesetzten schwer über der Schulter. Im Gegenteil, die akademische Elite des Landes ist sehr bemüht, Frauen als Frauen nicht wahrzunehmen. Dafür schwärmte der Kollege von der Soziologie in seinem Vortrag von der »Penetrationstiefe« einer Kolonialmacht, und bei einer Begutachtung wurde der einzigen Professorin des zwölfköpfigen Gremiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft signalisiert, dass sie sich bei Theoriefragen besser heraushalten sollte. Dass ich verheiratet war, ließ manch geschätzten Kollegen aufatmen. So bliebe mir die prekäre akademische Laufbahn erspart und ihm eine Konkurrentin auf dem halsbrecherischen Arbeitsmarkt für geisteswissenschaftliche Professuren.
Modernitätslücke zwischen Frau und Mann
Aber halt - ist die biographische Einleitung eines Themas nicht eine typisch weibliche Rhetorik, während sich Männer den Problemen dieser Welt lieber von einem objektiven Standpunkt aus zuwenden, das höhere Interesse postulieren, die Sachlage quantifizieren oder zur allgemeinen Überlebensfrage überhöhen? Frauen trennen angeblich nicht die Verbindung zwischen dem Problem und ihrem Leben, sie präparieren sie im Gegenteil heraus, um sie besser erkennbar zu machen. Damit handeln sie sich den Vorwurf der Subjektivität ein, der Unwissenschaftlichkeit, was nicht mehr weit entfernt ist von Betroffenheit und weiblicher Hysterie.
Soweit die Theorie. In der Praxis liegt auch Männern ihr Thema am Herzen. Doch weil Sachlichkeit und Objektivität wichtige männlich zugeordnete Eigenschaften sind, wird der lebensgeschichtliche Zugang für die Außenstehenden meist unkenntlich gemacht. Bei Frauen hingegen wird er gesucht, notfalls auch ohne Einverständnis der Autorinnen. Berühmte Beispiele gibt es genug. Die Ikone der Frauenemanzipation im 20. Jahrhundert, Simone de Beauvoir, wurde immer vor dem Hintergrund ihres Privatlebens gelesen. Was sie auch schrieb und sagte, stand in Beziehung zu ihrem für die meisten ihrer Zeitgenossen unerklärlichen Liebesverhältnis zum Großintellektuellen Jean-Paul Sartre. Sie wurde nicht nur zu seiner lebenslangen Schülerin degradiert, die französischen Mandarine brachten auch ihre Kinderlosigkeit als Erklärung für ihre kalte und männliche Denkweise in Anschlag. Alice Schwarzer erging es nicht besser. Sie hatte eben keinen abgekriegt, deshalb wollte sie den Männern ans Leder. Oder sie wollte gar keinen Mann und war deswegen Feministin geworden. So gesehen, hat es für eine Feministin überhaupt keinen Sinn, die eigene Person herauszulassen.
Am Ende ist das auch gar nicht möglich, nicht einmal Männern. Der Journalist Hajo Schumacher, gern gesehener Politikexperte in der Talkshowszene, durfte in Anne Wills Sendung am 15. März 2009 seine Meinung zum Thema Amoklauf in Winnenden äußern, bei dem der Täter hauptsächlich auf Mädchen gezielt hatte. Schumachers These war atemberaubend: Jungs seien mittlerweile in der Schule leistungsmäßig ins Hintertreffen geraten und müssten sich daher gegen die Vormacht der Mädchen wehren. Damit bediente der Journalist die Logik der Antisemiten des späten 19. Jahrhunderts: Nun, da die Emanzipation der Juden dazu geführt hat, dass Schlüsselpositionen in der Gesellschaft auch von Juden besetzt werden, fühlt man sich als Nichtjude eben bedroht und muss sich verteidigen. Eingeleitet hat Schumacher sein Statement mit einem verräterischen Satz - er persönlich leide seit dreißig Jahren unter dem Feminismus. Schon am nächsten Fernsehabend äußerte sich der Kriminologe Christian Pfeiffer ebenfalls zum Amoklauf und verstieg sich zu der Einschätzung, dass Aggressionen und Gewaltbereitschaft bei Jungs eben sein müssten, das liege in der menschlichen Natur und diene der Arterhaltung.
Was diese Fernseh-Stichproben transportieren, ist offener Antifeminismus. Dazu bedarf es gar nicht der organisierten antifeministischen Männerverbände in Deutschland und im benachbarten Ausland, deren Programme mit den Worten »Weg mit dem Feminismus« beginnen und mit der Forderung nach der Schließung der Frauenhäuser enden. Sie bilden nur die Spitze des Eisbergs, wenn sie den Feminismus als männerverachtend und totalitär beschreiben, mehr Väterrechte einfordern, zum Beispiel bei einer Abtreibung, die Befreiung von allen Pflichten gegenüber einem »untergeschobenen Kind« betreiben, sich die traditionelle patriarchale Familienordnung zurückwünschen, die Zugewinngemeinschaft in der Ehe und »Quotentanten« bekämpfen sowie das Ende des Gender-Denkens ausrufen, das letztlich nur »politische Homosexualität und Pädophilie« vorbereite.
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Seit ich denken kann, ist das Thema von ihr mit Beschlag belegt. Als ich neun Jahre alt war, trat Alice Schwarzer mit einer Selbstbezichtigungskampagne gegen den Paragraphen 218 öffentlich in Erscheinung. Als ich dreizehn war, bezeichnete ihr Buch »Der ›kleine Unterschied‹ und seine großen Folgen« die Penetration als Gewaltakt. Im selben Jahr, wir haben 1975, stritt sie mit Esther Vilar im Fernsehen und bezeichnete die Tochter deutsch-jüdischer Emigranten vor laufender Kamera als »Faschistin« - das brachte ihr den Durchbruch zur Berufsfeministin. Als ich fünfzehn war, gründete sie »Emma« als Zentralorgan des Patriarchatsmythos, ein Jahr später verklagte sie den »Stern« wegen sexistischer Titelgestaltung. Als ich 25 war, kämpfte sie um ein Anti-Porno-Gesetz, sechs Jahre später bezeichnete sie Helmut Newtons Aktfotografie als sexistisch, rassistisch und faschistoid. Spätestens da hätte ihr mal jemand in den Arm fallen können. Aber stattdessen ging es immer so weiter.
Heute bin ich ein halbes Jahrhundert alt und, wenn ich den Fernseher einschalte, behauptet immer noch ein und dieselbe Frau, meine Anliegen zu vertreten. Verglichen mit anderen Ländern ist Deutschland ein feministischer Erbhof. Es bescheidet sich mit einer Frau für alle Zeiten. Die deutsche Frauenbewegung ist zum Ein-Punkt-Programm geschrumpft, und das heißt Alice Schwarzer. Was zur Konsequenz hat, dass, sollte sie einmal abtreten, ein seit den frühen siebziger Jahren nicht mehr gelüfteter Feminismus übrig bleiben wird. Er wird das Schicksal der Vampire erleiden, fürchte ich - sobald der erste Sonnenstrahl darauf scheint, zerfällt er zu Staub.
Alice Schwarzer ist es in den vierzig Jahren, die sie dem deutschen Feminismus ein Mediengesicht gegeben hat, weder gelungen, Schwestern im Kampfe zu finden, noch würdige Rivalinnen. Sie hat keine Nachfolgerin, geschweige denn eine Enkelin. Will sie auch nicht, lässt sie uns trotzig wissen. Alice Schwarzers Standardreplik lautet, sie selbst habe auch keine Mutter gehabt, deshalb gingen ihr die »jammernden jungen Frauen«, die an ihren Rockschößen hingen, so auf die Nerven. Als Mutter stehe sie nicht zur Verfügung, auch nicht als Übermutter. Ja, sie suche schon deshalb keine Nachfolgerin, weil es gar keine geben könne. So wie ihr die Zeitschrift »Emma« gehört, so scheint sie auch das öffentliche Bild der Frauenbewegung nach Gutsherrinnenart zu bestimmen. Auf die Nachfolgeproblematik angesprochen, erklärt sie bündig: »Wenn die Schwarzer einmal nicht mehr sein sollte ..., dann bleibt ihr Stuhl leer. Das ist nämlich der Stuhl von Alice.«2
Außerdem sei sie nicht die Präsidentin der deutschen Frauenbewegung, niemand habe sie gewählt.3 Das stimmt. Sie ist keine demokratisch gewählte Repräsentantin. Aber musste sie deshalb zu einem Relikt aus einer Zeit werden, als gesellschaftliche Meinungsbildung und Wertewandel noch mit einzelnen, herausragenden Köpfen verbunden wurden? Die Zeiten der Patriarchen wie Jürgen Habermas, Alfried Krupp oder Thomas Gottschalk sind schließlich auch vorbei, heute werden Diskurse auf vielen und dafür weniger exponierten Schultern verteilt, eben weil auch unsere Gesellschaft vielfältiger und vielstimmiger geworden ist. Nur nicht in der Frauenbewegung, die versteckt sich immer noch hinter einer Matriarchin.
Alice Schwarzer kann sich viele Verdienste zuschreiben. Ihre Leistung, den Feminismus aus den Hörsälen und Studentenkommunen befreit und in die Mitte der Gesellschaft, in die Schlafzimmer der Vororte, hineingetragen zu haben, ist Respekt einflößend. Doch bringt ihre Stellung nicht auch Verantwortung mit sich für das heutige Erscheinungsbild des Projekts Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland?
Die Forderungen der Abtreibungskampagne, mit der Schwarzer verbunden wird, sind vierzig Jahre später immer noch nicht erfüllt. In den DAX-Vorständen sitzen lediglich zwischen zwei und vier Prozent Frauen, je nach Branche. Höchstwahrscheinlich sind diese Exotinnen für die »weichen « Ressorts wie Personalentwicklung oder Nachhaltigkeit zuständig. Noch immer drängt ein erheblicher Anteil junger Frauen in klassische Frauenberufe wie Kindergärtnerin, Friseurin oder Krankenschwester, und auch in den anderen Berufen wirkt sich das Geschlecht beim Gehaltsscheck aus. Die Kinderfrage bleibt ungelöst. Während Amerika ein geschlechtsneutrales Wort für die Hausfrau beziehungsweise den Hausmann gefunden hat (homemaker), während es in Skandinavien Frauenquoten für Vorstände und Aufsichtsräte gibt, während französische Feministinnen öffentlichkeitswirksam vor einem Rückfall in den Mutti-Naturalismus warnen, während europäische Parlamentarierinnen »Vagina-Monologe « aufführen, während sich in England Lobbyistinnen für das Recht auf Hüftspeck versammeln, während sich überall auf der Welt unter der Burka feministischer Aufruhr äußert, ja, während sich das kleine Island zur Weltmacht des Feminismus erklärt und seine Sexindustrie austrocknet, wird in Deutschland diskutiert, wann die Lebensgefährtin des Bundespräsidenten endlich ihren Beruf aufgibt und heiratet.
Die Begleiterscheinungen des nicht nur in Deutschland aber hier besonders virulenten Backlashs sind allseits bekannt und lassen sich unter einen einzigen Begriff subsumieren: Schlusslicht. Schlusslicht oder beinahe Schlusslicht sind wir beim Anteil von Frauen in wissenschaftlichen und wirtschaftlichen
Führungspositionen, die Medien stagnieren in männlicher Umklammerung, hinten liegen wir bei der Bezahlung weiblicher Arbeit, zurück geblieben ist Deutschland bei der öffentlichen Förderung und Betreuung von Kleinkindern, abgehängt, und das ist die Ironie der Geschichte, bei den Geburtenquoten. In Deutschland machen Frauen, überspitzt formuliert, weder Karriere noch kriegen sie Kinder. Und wenn doch, dann auch noch besonders mittelmäßige, zumindest, was das Abschneiden bei PISA anbelangt.
Das alles ist nicht der Frauenbewegung anzukreiden. Aber wenn schon Kassensturz, dann bitte richtig. Für Alice Schwarzer sieht die Bilanz der zweiten Frauenbewegung, die ganz die ihre ist, rosig aus. In ihrer Autobiographie »Lebenslauf«, die sie ein Jahr vor ihrem 70. Geburtstag veröffentlich hat, schreitet sie von einem Höhepunkt zum nächsten. Kampf gegen: Abtreibungsverbot, Vergewaltigung, Pornographie, Lesbendiskriminierung und Kopftuch, das sind die Themen, die ihre Bilanz und damit schlussendlich auch die Bilanz der letzten vierzig Jahre Feminismus in Deutschland ausmachen sollen. Eine befremdliche Chronik, wie ich meine, angesichts einer im Westen einmalig benachteiligten Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, prekärer Lebensbedingungen für Alleinerziehende, einer um mehr als ein Drittel niedrigeren Frauenrente. Hat der historische Feminismus der siebziger Jahre wirklich die richtigen Themen in die Gegenwart getragen?
Der Gesprächsfaden zwischen den Frauengenerationen ist schon lange gerissen. Schwarzers Kachelmann-Berichterstattung in der »Bild«-Zeitung hat noch einmal viel Sympathie für den Feminismus gekostet, nicht nur bei denjenigen, die nicht an die Unschuld und Opferrolle aller Frauen glauben können, sondern vor allem bei den vielen jungen Mädchen, die eigentlich auf feministische Angebote warten, sich aber nicht in einem Revolverblatt ihre Meinung dazu bilden wollen. Auch Schwarzers Trittbrettfahrt mit »Schoßgebete«, dem Buch ihrer widerspenstigen Freundin Charlotte Roche, fand wenig Beifall. Am Tag ihres puritanischen offenen Briefes an die Autorin konnte sie in ihrem eigenen Blog folgenden Brief einer jungen Feministin lesen: »Liebe Alice Schwarzer, so sehr ich Sie schätze -, ich verstehe nicht ganz, worauf diese Kritik zielt? Handelt es sich bei Charlotte Roches Buch um Literatur, so ist der Ansatz verfehlt, denn Literatur hat nicht die Aufgabe ›Lösungen‹ für gesellschaftliche Probleme anzubieten, sondern ist Ausdrucks- und Darstellungsmedium mit eigenem Wahrheitsanspruch. Wenn also hier Gefühle und Vorstellungen angemessen in Worte gefasst werden können, ist es unangebracht, sie zu kritisieren, weil sie einer ›falschen‹ Ideologie Ausdruck verleihen.« Genau das ist das Problem. Die jungen Frauen wollen keine Lektion in Patriarchatsfeminismus mehr hören, sie wünschen keine Bewusstseinspolizei, sondern Lösungen für ihre konkreten Belange.
Das Kritische an der Kommunikationssperre zwischen den Frauengenerationen ist jedoch, dass es dann wieder heißt, die Sache der Frauenemanzipation habe sich eben überlebt. Dass eine Autorin in der »Zeit« schreiben kann, das Problem der Frauen seien die Frauen selbst, und sich deshalb einen Maulkorb für Feministinnen wünscht. Als ob durch Stillhalten etwas erreicht wäre. Einer Rechnung der Vereinten Nationen zufolge bräuchte die Gleichberechtigung noch ungefähr fünfhundert Jahre,wenn sie im jetzigen Tempo weiter ginge.4Da heißt es abwarten, Frauen haben ja offensichtlich einen langen Atem.
Allerdings ist das Fortschreiten der Emanzipation kein Automatismus. Wer die siebziger und achtziger Jahre mit der Gegenwart vergleicht, nimmt außer vielen positiven auch subtile, aber schmerzhaft negative Veränderungen wahr. Umso unabhängiger Frauen gerade in jungen Jahren durch Bildung und Erwerbsarbeit geworden sind, umso abhängiger erscheinen sie heute von den selbstregulativen Regimen des Schönheits- und Mode-Komplexes. Die Angst vor dem männlichen Blick, der noch die Generation Schwarzer umtrieb, ist einer lebenslangen, wahrscheinlich noch größeren Angst vor dem eigenen Blick in den Spiegel gewichen. Die meisten jungen Frauen sind weit entfernt von dem, was sich eine Simone de Beauvoir vor über einem halben Jahrhundert als selbstverständliches Recht ausbedungen hat - das Recht, sich mit sich eins zu fühlen, unabhängig von den gesellschaftlichen Geschlechternormen.
Wie tief diese alten Bilder immer noch sitzen, ist mir persönlich bei einer Diskussion im Herbst 2011 klar geworden. Da sprachen die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt und der berühmte Gehirnforscher António Damásio gemeinsam mit Moderator Gert Scobel über Gehirn und Bewusstsein. Ich verfolgte den Verlauf des Gesprächs mit feuchten Händen. Was erlaubte sich diese strahlende, gut gestylte Blondine? Siri Hustvedt redete nicht nur über das Gebiet Gehirnforschung im Beisein eines Fachmanns, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, sie wartete auch nicht, bis sie gefragt wurde, sondern gab ganz unverkrampft ihre eigene Sichtweise zum Besten, korrigierte und ergänzte Damásios Ausführungen, glänzte mit eigenen Ideen - und am Ende konnte sie mehr Redezeit für sich verbuchen als der führende Gehirnforscher, und das auch noch auf äußerst charmante Art und Weise. Mein Erschrecken darüber - oder sollte es nur meine eigene Zurückhaltung gewesen sein? - zeigte mir, wie ungewöhnlich, ja sogar ungebührlich so ein selbstsicheres Auftreten von Frauen in einer Männerdomäne hierzulande immer noch ist. Als Wissenschaftlerin an einer deutschen Universität erlebe ich das Verhalten von klugen Frauen ganz anders; entweder sie fahren sozusagen mit angezogenen Handbremsen, oder sie reagieren gegen den Legitimationsdruck als Frau kontraphobisch, also mit einer vorauseilenden Grundaggressivität, die sie am Ende weder kompetent noch charmant wirken lässt.
Weil das so ist, weil Frauen und Männern in diesem Land immer noch ganz unterschiedliche Möglichkeiten und Verhaltensweisen zugestanden werden, können sich engagierte Frauen nicht wünschen, dass sich der Feminismus selbst erledigt. Was sie aber erwarten, ist, dass eine bestimmte, mit den siebziger Jahren identifizierte Ausprägung des Feminismus zu den Akten gelegt wird. Junge Frauen in meinen Lehrveranstaltungen zu Genderstudies und Geschlechtergeschichte sagen, sie könnten sich wegen Alice Schwarzer nicht selbst als Feministin beschreiben. Sie habe den Begriff unmöglich gemacht. Außerdem beschäftigen sie ganz andere Probleme als die in der »Emma« porträtierten Powerfrauen und angeblich unterdrückten Muslimas. Manch eine würde sich am liebsten selbst in einen Schleier hüllen. Ihre Lebenswirklichkeit hat mit dem vom Schwarzer-Feminismus an die Wand gemalten Patriarchat nichts mehr zu tun. Sie fühlen sich radikal auf ihr Selbst zurückgeworfen und nicht als kollektives Opfer, sie bespiegeln sich bis in die letzte Körperritze, sie wollen wissen, wie sie ein glückliches Leben führen können, mit oder ohne Karriere, und sie kümmern sich nicht darum, wenn sie von der großen Schwarzer als »Wellness-Feministinnen « beschimpft werden.
Mein Buch sucht Erklärungen für das schlechte Image der deutschen Frauenbewegung, dafür, dass die gesellschaftspolitische Entwicklung der letzten 25 Jahre schlicht über sie hinweggeschritten ist. Gewiss, auch anderswo streiten die Frauengenerationen, und es werden auch anderswo Errungenschaften von Frauen wieder zurückgenommen. Doch nirgendwo wird die Frauenbewegung »offiziell« nur von einer Frau verkörpert, die sich seit vierzig Jahren inhaltlich nicht mehr bewegt hat. Schwarzers Alleinstellung ist ein Symptom für den gesellschaftlichen Stellenwert des Feminismus, und dafür, dass in Deutschland, anders als in anderen Ländern, bestimmte Themen und Forderungen auf besonders fruchtbaren Boden gefallen sind, sodass sich eine bestimmte feministische Richtung durchsetzen konnte. Aber sie ist auch ein Symptom für einen Richtungsstreit, den Alice Schwarzer medial für sich entscheiden konnte und der noch immer die Bewegung lähmt.
Ich nenne die beiden aufeinanderprallenden Positionen den »Ändere dich gefälligst«-Feminismus und den »Werde, die du bist«-Feminismus. Beide sind so alt wie die Frauenbewegung. Schwarzer hat die erste Position besetzt, die glaubt, Frauen müssten sich so lange reformieren, bis sie nur noch Menschen sind. Die andere Position besagt, Frauen müssten sich so lange reformieren, bis sie zu ihrer wahren Weiblichkeit gefunden hätten. Beide Haltungen kommen mir als normative Zumutungen vor. Mein Buch ist also ein historisches Debattenbuch; historisch, weil die Kenntnis der Vergangenheit immer den Blick klärt und die heutigen Positionen relativiert. Mein Anspruch ist, herauszufinden, wie wir dahin gekommen sind, wo wir heute stehen. Dafür ist es nötig, sich auf eine weite Reise zurück an den Anfang der Moderne zu begeben. Ich werde den Faden am Anfang aufgreifen und versuchen, die Konzepte der wichtigsten deutschen Feministin, Alice Schwarzer, gegen andere historische und internationale Positionen zu stellen. Am Ende hoffe ich herauszufinden, wo die wegweisenden Richtungsentscheidungen lagen, welche Flauten, Stürme und Untiefen es gab, welche Routen nicht befahren wurden. Damit kann sich auch eine Perspektive in die Zukunft eröffnen - wohin soll die Reise gehen nach Alice Schwarzer?
Kapitel 1
Die große Flaute
Noch zu Jahresbeginn 2011 stieß Alice Schwarzer bei den meisten Menschen, die ich sprach, auf heftiges Unverständnis. Mit ihrer Kommentierung des Prozesses gegen den Meteorologen Jörg Kachelmann schien sie sich erneut ins feministische Mittelalter verabschiedet zu haben. Nicht nur hatte sie die zivilisatorische Errungenschaft der Nichteinmischung in laufende Verfahren ignoriert, den Begriff »Unschuldsvermutung« zum Unwort erhoben, nicht nur hatte sie wieder den alten Patriarchatsfeminismus an die Wand gemalt, wonach Frauen immer die Opfer zu sein haben, nein, sie musste das auch noch bei ihrem ehemaligen Todfeind, der »Bild«-Zeitung, tun, sie, die Jahrzehnte lang von den Boulevardjournalisten Verfemte. Gerade der letzte Punkt war besonders jungen Frauen, die mit Altersabgeklärtheit nicht viel am Hut haben, besonders arg. Wie konnte sie nur!
Und dann, ein halbes Jahr später, war alles wieder gut. Mit ihrer Autobiographie »Lebenslauf« schrieb sich Schwarzer blitzschnell in die Herzen der Deutschen. Plötzlich war sie wieder auf allen Sendern gleichzeitig zu sehen, und niemand hatte an der Frontfrau des deutschen Feminismus irgendetwas auszusetzen. Die offensichtliche Geschichtsklitterung, wonach sie mit der Abtreibungskampagne die Frauenbewegung erfunden habe, und ihr treuherziges, spätes Bekenntnis zu »normaler« Heterosexualität und modischer Kleidung in jungen Jahren, ihre Fotos im Minirock, lösten eine Welle der Bewunderung aus. Oder war es Erleichterung? Sie hat mit ihrem Fahrlehrer geflirtet, dann kann sie ja so schlimm gar nicht sein! In einer überregionalen Tageszeitung war gar von einem »zeithistorischen« Dokument die Rede (als ob wir, um die Vergangenheit zu verstehen, nur diejenigen befragen müssten, die damals dabei waren).
Ich frage mich, wem galt der neue Sympathiebonus? Alice Schwarzer, der Feministin? Sind plötzlich alle vom Patriarchatsvirus angesteckt? Ihr Heft »Emma« ist stark geschrumpft. Es erscheint nur noch viermonatig in einer Auflage (laut »Emma«) von gut 40 000, früher waren es monatlich mal 100 000. Oder galt die Liebe doch eher Alice Schwarzer, dem Medienstar? In einem Land, das sich generell schwer tut mit weiblichem Intellekt und weiblicher Meinungsführung, ist Schwarzer nun schon seit beinah vier Jahrzehnten fast die einzige feststehende weibliche Größe im Medienbetrieb. Promis, die verlässlich auf die immer gleiche Weise die immer gleiche Botschaft zu gesellschaftspolitischen Themen verkaufen, sind in der Talkshow-Kultur eben Gold wert. Wenn den Redakteuren nichts mehr einfällt, heißt es, ruf doch die Feministin an, die regt sich bestimmt über irgendetwas auf, und wenn nicht die, dann eben das erzbischöfliche Ordinariat.
Doch ich fürchte, es gibt noch eine andere Erklärung für Schwarzers Comeback: Sie hat ihr Gefahrenpotential verloren. In den siebziger und achtziger Jahren wurde sie durchs mediale Dorf getrieben, weil Männern und Frauen bewusst war, welche Zumutungen der Feminismus an sie richtete. Heute leisten wir uns eine Fernsehfeministin, aber nicht, um die Geschlechterordnung zu diskutieren, sondern zur Unterhaltung.
Könnte man noch weiter gehen und vermuten, Schwarzer selbst nimmt sich als Feministin auch nicht mehr so ernst? Sie legt heute viel mehr Wert auf ihr mediales Erscheinungsbild als in ihren kämpferischen Jahren, sie lächelt viel, sie ist charmant, vor allem zu Männern. Und wenn ihr ein Opfer gebracht wird wie Bushido oder Eva Herman, dann kann sie auch noch den alten Beißreflex zeigen. Im pluralistischen Stimmenkonzert muss eben jemand die Rolle des feministischen Schachterlteufels übernehmen. Alice Schwarzer und das deutsche Fernsehpublikum, das ist wie ein altes Ehepaar. Jeder weiß, was als nächstes kommt. Ihre Rolle ist die des alten Bären am Nasenring in der Fußgängerzone, dem zuliebe die Kinder so tun, als würde er sie noch erschrecken.
Natürlich ist der Niedergang der Frauenbewegung nicht einer einzigen Person anzulasten. Auch international ist der Feminismus in die Jahre gekommen. Wir sind mittlerweile weit entfernt von den späten sechziger und frühen siebziger Jahren, vom ideologischen Zeitalter und seinen Blockdenkern, von der »alten« Bundesrepublik, den Studentenunruhen, den transnationalen Reformbewegungen, mit denen die »neue« Frauenbewegung verbunden war. Was sich heute zeigt, ist allerdings kein natürlicher Alterungsprozess zum Mütterchen mit ein paar liebenswürdigen Schrullen, sondern eine Mutation zum Monstrum, abstoßend für Männer und Frauen gleichermaßen. In Deutschland hat Alice Schwarzer die undankbare Rolle des Jungmädchenschrecks, aber auch andernorts gehört es zum guten Ton, den Siebzigerjahre-Feminismus als männerfeindlich, opferselig und vor allem als vom Fortschritt eingeholt zu erinnern. Seit der Jahrtausendwende wird er in immer kürzeren Abständen zu Grabe getragen. Doch hierzulande ist das Erbe besonders wurmstichig. Offensichtlich wurde eine der wichtigsten sozialen Bewegungen nicht ordentlich gepflegt, ihr Wertverlust nicht aufgehalten.
Die Gründe für den Niedergang sind vielfältig; der Gegenwind bläst aus allen Richtungen. Er kommt vom organisierten und vom informellen Antifeminismus, aus unterschiedlichen sozialen und generationalen Perspektiven, aus ethnischer, religiöser und sexueller Differenz, und nicht zuletzt von innen, von Feministinnen wie mir.
Die antifeministische Wende
Der Wendepunkt lag irgendwo in den achtziger Jahren. Seitdem in nationalem und internationalem Recht und im öffentlichen Bewusstsein Probleme wie häusliche Gewalt, Lohnungleichheit, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz angegangen werden, seitdem die Frauenbewegung durch kommunale und staatliche Gleichstellungsbeauftragte quasi amtlich ist, und Nichtregierungsorganisationen weltweit auf die Verwirklichung von Frauenrechten analog zu den Menschenrechten dringen, scheint der Feminismus auf breiter Front gewonnen zu haben. Seine Stärke wurde jedoch zur Schwäche. Die Soziologie rief die »zweite« beziehungsweise die »reflexive« Moderne aus, in der sich die Frauenfrage von ganz alleine erledigen würde. Die Erfolge der Frauenbewegung ließen schließlich darauf hoffen, dass sich durch Bildung, Rechtsprechung und Chancengleichheit in der Arbeitswelt die Geschlechterverhältnisse bald beruhigt hätten. Eine neue Großwetterlage zog herauf.
Unter der Fahne des Neoliberalismus wurde nun von »Selbstermächtigung« oder »Agency« der Frauen gesprochen, Ausdruck einer liberalen Grundüberzeugung, dass das Individuum sich mit Fleiß und Disziplin schon alleine durchbeißen werde, ohne Hilfe vom Staat. In der globalisierten und deregulierten Ökonomie wurden Frauen regelrecht zu Hoffnungsträgerinnen hochgejubelt, zu wertvollen Konsumentinnen und unabkömmlichen Kommunikatorinnen, die als Humankapital nicht nur in Callcentern, sondern auch im wachsenden Gesundheitssektor unverzichtbar seien. Der weibliche Ehrgeiz kombiniert mit Flexibilität und niedrigeren Einkommenserwartungen schien der heutigen Arbeitswelt besonders angepasst, nicht nur in Europa und Nordamerika, sondern auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern, wo Staaten und Nichtregierungsorganisationen gezielt Frauen mit Krediten bedachten und zu den Säulen der lokalen Ökonomien erklärten.
Auf diesem Weg passierte es, so glaubt die Engländerin Angela McRobbie, dass der Feminismus seiner politischen Funktion entkleidet und ökonomisiert wurde.1 Ein frühes Sinnbild der beginnenden Kapitalisierung des Feminismus war die Pop-Sängerin Madonna, die als »material girl« Autonomie, sexuelle Initiative, die Umkehrung der Geschlechterverhältnisse, aber auch die Trivialisierung all dessen zur massentauglichen popkulturellen Ikone verband. Ganze Bücherregale füllt der akademische Streit darüber, ob Madonna als Vorreiterin des Postfeminismus, wie die Philosophin Camille Paglia meint, gelten darf, oder doch eher als Totengräberin, weil ihre ironischen Posen als Sado-Maso-Projektion oder als MarilynMonroe- Verschnitt nur noch zur individualistischen Selbstvermarktungsstrategie taugten. Ob Ironie oder doppelbödige kulturelle Subversion, der gute alte Feminismus geriet in der Ära der Pop-Queen heftig ins Trudeln.
Mit dem Verweis auf die eine oder andere Regierungschefin weltweit wird die politische Emanzipation gerne für erledigt erklärt. Doch ist Frau Merkel wirklich eine Galionsfigur für den Fortschritt der Frauen? Eine »Schlecker«-Kassiererin musste angesichts des Konkurses der Drogeriekette Bundeskanzlerin Merkel daran erinnern, dass sie doch auch eine Frau sei. Der Solidaritätsappell schlug auf die Frauen dann ganz unerwartet zurück. Es wurde keine Auffanggesellschaft gegründet, stattdessen ließ sie die Arbeitsministerin von der Leyen wissen, die Frauen könnten doch ebenso gut als Erzieherinnen oder Altenpflegerinnen arbeiten. Das zeigt nicht nur den Stellenwert von Pflege in unserem System - das zeigt vor allem, wie tief die Geschlechtervorurteile in der Politik sitzen.
Doch nicht nur bei der Sicherung von Arbeitsplätzen sind wir in Deutschland von Gleichberechtigung weit entfernt. Stellen wir uns einen Moment lang vor, wir hätten hierzulande eine Präsidentin, eine Bundeskanzlerin, eine Außenministerin, eine Innenministerin, eine Wirtschaftsministerin, eine Finanzministerin, und drei Kanzlerkandidatinnen der Opposition, die sogenannte Troika, stünden auch schon in den Startlöchern. Undenkbar? Genauso stellt sich die Situation vor der Bundestagswahl 2013 dar, nur eben andersherum. Die Unmöglichkeit, sich die Geschlechterverteilung auf den Kopf gestellt vorzustellen (nicht als durchgängiges Prinzip, sondern als zufällige Konstellation), zeigt das Ausmaß, in dem Politik immer noch als männliche Domäne gilt. Das gleiche Gedankenspiel ließe sich natürlich für viele andere gesellschaftliche Bereiche anstellen, vorneweg die Medien, die immerhin viel zur Bewusstseinslage der Gesellschaft beitragen. »Spiegel«, »Stern«, »FAZ«, »SZ«, »Zeit«, »heute«-Redaktion hätten Chefredakteurinnen, oder, auch eine schöne Vorstellung: 89 Prozent der deutschen Hochschulleitungen wären mit Frauen besetzt. Undenkbar. Während jede zweite Dissertation und jede vierte Habilitationsschrift inzwischen von einer Frau eingereicht wird, beträgt ihr Anteil bei den Hochschulprofessuren nur 18 Prozent. Wenn das derzeitige Tempo der Gleichstellung durchgehalten würde, ist der angestrebte Frauenanteil nicht vor 2300 zu verwirklichen. Und dann wird der akademische Beruf vermutlich sein gesellschaftliches Ansehen ganz verloren haben. Denn je mehr Frauen in einer Branche arbeiten, desto unattraktiver wird sie.
Die Anzahl der weiblichen Vorstände in DAX-Unternehmen hält sich in absoluten Zahlen im niedrigen einstelligen Bereich. Die Schere zwischen der Entlohnung der Männer und der Frauen bewegt sich in manchen Branchen seit dem 19.Jahrhundert überhaupt nicht mehr. Sie stagniert bei 20 bis 25 Prozent. 90 Prozent der Teilzeitarbeit, die im jetzigen System regelmäßig zur Karrierefalle wird, leisten Frauen. Das ist nicht zuletzt die Bilanz einer weiblichen Kanzlerschaft, für die Alice Schwarzer so glühend eintrat. Pessimistische Feministinnen wie die Engländerin Nina Power glauben sogar, die wenigen herausragenden Frauen seien nichts anderes als Alibifiguren, mit denen sich die westlichen Gesellschaften ein Feigenblatt zulegten und allen anderen Frauen einen Ansporn geben wollten, noch mehr zu leisten.2 Sie sind die Wurst im Hunderennen.
Der frauenpolitische Klimawandel der achtziger und neunziger Jahre brachte jedoch auch unsichtbare Folgen, die so nachteilig waren, dass sie manche Errungenschaft aufwogen: Parallel zu den sichtbaren Erfolgen der Frauengleichstellung im Antidiskriminierungsrecht verlagerte sich die Benachteiligung auf verstecktere Bahnen, ein Sachverhalt, der Männern und Frauen oft nicht bewusst ist. Weil viele Menschen glauben, Diskriminierung sei kein relevantes Problem mehr, stoßen weibliche Bedürfnisse oder Anstrengungen, Geschlechtergleichheit zu erreichen, wieder auf stärkere Ablehnung. Der moderne oder Neosexismus wird von Frauen geteilt, die sich des Ausmaßes des alltäglichen subkutanen Sexismus nicht mehr bewusst sind, sagt die psychologische Forschung. Dazu zählt auch der sogenannte »positive« Sexismus, also etwa die Annahme, Frauen seien das bessere, reinere, das schützenswertere Geschlecht. Beispiele für »wohlwollenden« Sexismus sind die Annahme, Männer müssten einer Frau bestimmte Dinge abnehmen, wie etwa eine lange Autofahrt am Steuer, weil sie eine Frau ist, also nicht aus allgemein menschlicher Hilfsbereitschaft, oder die Annahme, Männer müssten eine Restaurantrechnung zahlen, nicht weil sie über mehr Geld verfügen, sondern weil das Sache des Mannes sei.3 Auch diese Haltung führt durch die Hintertür wieder zur Akzeptanz eines unterschiedlichen Umgangs mit Frauen und Männern, schläfert die Aufmerksamkeit für Ungerechtigkeit ein und geht auf Kosten intellektueller Autonomie der Frauen.
Eine persönliche Bilanz
Was mit der Verschiebung offener Diskriminierung auf eine subtilere Ebene gemeint ist, zeigt auch mein eigener Werdegang. Meine ersten Schritte in die Berufstätigkeit fielen in die frühen achtziger Jahre. Nach einigen Monaten Praktikum bei einem freien Journalisten, der hauptberuflich Kaminbaumeister war und mich zum Vergnügen seiner Kumpels als seinen »Lehrbua « auf den Sportplätzen am Stadtrand herumzeigte, erhielt ich die Chance, mich mit Textproben für eine Hospitanz bei einer Münchner Tageszeitung zu bewerben. Die gemeinsam mit dem Kaminbaumeister verfassten Artikelchen gaben allerdings nicht den Ausschlag dafür, dass ich einen Ausbildungsplatz erhielt. Wie mir die drei männlichen Entscheidungsträger im Nachhinein feixend erzählten, hätten sie sich überhaupt nicht für meine Texte interessiert. Wenn sie uns gefällt, nehmen wir sie, hatten die Jungs zwischen 18 und 55 Jahren ausgemacht. Über diese sekundären Motive bei der Auswahl ihrer Praktikantin konnten die Männer damals offen reden. Das war ihnen genauso wenig peinlich, wie mich »Mausi« zu nennen und sich ein Playmate über den Schreibtisch zu hängen, gleich neben die Dartscheibe. Die Zeiten waren eben so. Ich tippte auf einer alten Adler meine Artikel mit dreifachem Durchschlag, trug sie zur Rohrpost, die sie in die Setzerei beförderte, während meine Kollegen ihr erstes Bier aufmachten.
Mein Volontariat absolvierte ich als erste Frau in der Geschichte der Zeitung zu einem großen Teil in der Sportredaktion. Der Ressortleiter war von der Gegenwart einer jungen Frau charmiert und hatte klare Vorstellungen, wo meine Kompetenzen als auszubildende Journalistin lagen, nämlich jenseits von Fußballfeld, Skipiste oder Tartanbahn, geschweige denn Nürburgring. Meine weibliche Bestimmung war es, über Wasserski, Polo, Dressurreiten oder Segelkunstflug zu schreiben. Das mit dem Segelfliegen war schon ein Zugeständnis, das ich mir mit einer Mutprobe, nämlich einem Flug mit dem deutschen Segelkunstflugmeister, erst verdienen musste. Die Kür dauerte sieben Minuten und war mit keiner noch so wilden Achterbahnfahrt nur im Entferntesten vergleichbar. Danach war ich in den Augen der Kollegen fast ein Kerl, durfte allerdings trotzdem nicht über den »richtigen« Sport schreiben. Nur einmal war mir ein Artikel vergönnt über ein Lokalderby zwischen FC Wacker und 1860 München. Das Thema hieß: Fußball aus der Sicht einer Frau.
Mein zweiter Beruf als Historikerin an einer Universität fiel in das postfeministische erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Ich hatte mich um eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle in einem kulturwissenschaftlichen Sonderforschungsbereich beworben, auf der ich mich habilitieren konnte. Meine erste nicht-wissenschaftliche Erkenntnis an der auf dem Weg zur Elite-Universität voranschreitenden Institution war: gegrüßt wird nicht nach Alter oder Geschlecht, sondern nach Rang, und die Rednerliste bei einer Diskussion beginnt immer mit denselben drei Alphamännchen. Bei einem Jahresumtrunk schlug jemand vor, man sollte im neuen Semester den besten Dozenten und die beste Sekretärin prämieren. Ich wurde zwar nicht »Mausi« genannt, aber meine erste Projektskizze beurteilte der Kollege dennoch als »lieb und nett«. Unter meinem zweiten Antragsentwurf stand, ich müsse die Komplexität stärker herausarbeiten. Der herablassende Ton hing nicht zuletzt mit meinem Thema zusammen. Frühkindliche Sozialisation im 20. Jahrhundert, und das unter dem Dach eines Forschungsverbundes, in dem es auch um die »Insistenz des Faktischen in kulturellen Umbruchsituationen« ging?
Es dauerte ein bisschen, bis ich die subtilen Geschlechterunterschiede im akademischen Bereich verstand. Dass auch die Geschichte ein Geschlecht hat und die »harte« Geschichtswissenschaft immer noch nach männlichen Normen betrieben am erfolgreichsten ist. So war es keine Frage, dass man sich bei der mündlichen Habilitationsleistung über drei so schwerwiegende historische Themen wie Piraterie, Schmuggel und Geheimdienste prüfen lassen konnte, ohne dass Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Kandidaten laut wurden. Meine Kollegin indes, die über die Frau in der Zigarettenwerbung, die Abtreibungsdebatte in der Weimarer Republik und über Erinnerungstheorien in der Kaiserzeit vortragen wollte, handelte sich einen Hinweis ein: Ihre Themen lägen doch sehr eng beieinander, anders gesagt, sie waren zu weich, zu wenig intellektuell.
Natürlich ging es an der Universität verglichen mit meinen Erfahrungen in den achtziger Jahren im Journalismus anders zu. Es hingen keine Poster mit Bunnies an den Wänden, und es lag mir auch nicht der Arm eines jovialen Vorgesetzten schwer über der Schulter. Im Gegenteil, die akademische Elite des Landes ist sehr bemüht, Frauen als Frauen nicht wahrzunehmen. Dafür schwärmte der Kollege von der Soziologie in seinem Vortrag von der »Penetrationstiefe« einer Kolonialmacht, und bei einer Begutachtung wurde der einzigen Professorin des zwölfköpfigen Gremiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft signalisiert, dass sie sich bei Theoriefragen besser heraushalten sollte. Dass ich verheiratet war, ließ manch geschätzten Kollegen aufatmen. So bliebe mir die prekäre akademische Laufbahn erspart und ihm eine Konkurrentin auf dem halsbrecherischen Arbeitsmarkt für geisteswissenschaftliche Professuren.
Modernitätslücke zwischen Frau und Mann
Aber halt - ist die biographische Einleitung eines Themas nicht eine typisch weibliche Rhetorik, während sich Männer den Problemen dieser Welt lieber von einem objektiven Standpunkt aus zuwenden, das höhere Interesse postulieren, die Sachlage quantifizieren oder zur allgemeinen Überlebensfrage überhöhen? Frauen trennen angeblich nicht die Verbindung zwischen dem Problem und ihrem Leben, sie präparieren sie im Gegenteil heraus, um sie besser erkennbar zu machen. Damit handeln sie sich den Vorwurf der Subjektivität ein, der Unwissenschaftlichkeit, was nicht mehr weit entfernt ist von Betroffenheit und weiblicher Hysterie.
Soweit die Theorie. In der Praxis liegt auch Männern ihr Thema am Herzen. Doch weil Sachlichkeit und Objektivität wichtige männlich zugeordnete Eigenschaften sind, wird der lebensgeschichtliche Zugang für die Außenstehenden meist unkenntlich gemacht. Bei Frauen hingegen wird er gesucht, notfalls auch ohne Einverständnis der Autorinnen. Berühmte Beispiele gibt es genug. Die Ikone der Frauenemanzipation im 20. Jahrhundert, Simone de Beauvoir, wurde immer vor dem Hintergrund ihres Privatlebens gelesen. Was sie auch schrieb und sagte, stand in Beziehung zu ihrem für die meisten ihrer Zeitgenossen unerklärlichen Liebesverhältnis zum Großintellektuellen Jean-Paul Sartre. Sie wurde nicht nur zu seiner lebenslangen Schülerin degradiert, die französischen Mandarine brachten auch ihre Kinderlosigkeit als Erklärung für ihre kalte und männliche Denkweise in Anschlag. Alice Schwarzer erging es nicht besser. Sie hatte eben keinen abgekriegt, deshalb wollte sie den Männern ans Leder. Oder sie wollte gar keinen Mann und war deswegen Feministin geworden. So gesehen, hat es für eine Feministin überhaupt keinen Sinn, die eigene Person herauszulassen.
Am Ende ist das auch gar nicht möglich, nicht einmal Männern. Der Journalist Hajo Schumacher, gern gesehener Politikexperte in der Talkshowszene, durfte in Anne Wills Sendung am 15. März 2009 seine Meinung zum Thema Amoklauf in Winnenden äußern, bei dem der Täter hauptsächlich auf Mädchen gezielt hatte. Schumachers These war atemberaubend: Jungs seien mittlerweile in der Schule leistungsmäßig ins Hintertreffen geraten und müssten sich daher gegen die Vormacht der Mädchen wehren. Damit bediente der Journalist die Logik der Antisemiten des späten 19. Jahrhunderts: Nun, da die Emanzipation der Juden dazu geführt hat, dass Schlüsselpositionen in der Gesellschaft auch von Juden besetzt werden, fühlt man sich als Nichtjude eben bedroht und muss sich verteidigen. Eingeleitet hat Schumacher sein Statement mit einem verräterischen Satz - er persönlich leide seit dreißig Jahren unter dem Feminismus. Schon am nächsten Fernsehabend äußerte sich der Kriminologe Christian Pfeiffer ebenfalls zum Amoklauf und verstieg sich zu der Einschätzung, dass Aggressionen und Gewaltbereitschaft bei Jungs eben sein müssten, das liege in der menschlichen Natur und diene der Arterhaltung.
Was diese Fernseh-Stichproben transportieren, ist offener Antifeminismus. Dazu bedarf es gar nicht der organisierten antifeministischen Männerverbände in Deutschland und im benachbarten Ausland, deren Programme mit den Worten »Weg mit dem Feminismus« beginnen und mit der Forderung nach der Schließung der Frauenhäuser enden. Sie bilden nur die Spitze des Eisbergs, wenn sie den Feminismus als männerverachtend und totalitär beschreiben, mehr Väterrechte einfordern, zum Beispiel bei einer Abtreibung, die Befreiung von allen Pflichten gegenüber einem »untergeschobenen Kind« betreiben, sich die traditionelle patriarchale Familienordnung zurückwünschen, die Zugewinngemeinschaft in der Ehe und »Quotentanten« bekämpfen sowie das Ende des Gender-Denkens ausrufen, das letztlich nur »politische Homosexualität und Pädophilie« vorbereite.
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Autoren-Porträt von Miriam Gebhardt
Miriam Gebhardt ist Journalistin und Historikerin und lehrt als ausserplanmässige Professorin Geschichte an der Universität Konstanz. Neben ihrer journalistischen Arbeit unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit, den Stern und mehrere Frauenzeitschriften promovierte sie in Münster und habilitierte sich mit einer Arbeit über "Die Angst vor dem kindlichen Tyrannen. Eine Geschichte der Erziehung im 20. Jahrhundert" (2009). Sie ist Privatdozentin an der Universität Konstanz, bei DVA erschien von ihr zuletzt die Biographie "Rudolf Steiner. Ein moderner Prophet" (2011).
Bibliographische Angaben
- Autor: Miriam Gebhardt
- 2012, 348 Seiten, Masse: 14,8 x 22,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: DVA
- ISBN-10: 3421044112
- ISBN-13: 9783421044112
- Erscheinungsdatum: 17.09.2012
Rezension zu „Alice im Niemandsland “
»Gebhardts Buch liest sich flüssig, interessant und kompetent.« Neue Zürcher Zeitung (CH), 15.11.2012
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