Küss mich in Montana
Vom Meister der romantischen Abenteuerromans!
Nach acht langen Jahren kehrt Fotografin Cheryl von New York in ihre Heimat Montana zurück. Ihr Vater liegt im Sterben und Cheryl will sich mit ihm versöhnen. Doch ihr Vater stirbt und zutiefst...
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Produktinformationen zu „Küss mich in Montana “
Vom Meister der romantischen Abenteuerromans!
Nach acht langen Jahren kehrt Fotografin Cheryl von New York in ihre Heimat Montana zurück. Ihr Vater liegt im Sterben und Cheryl will sich mit ihm versöhnen. Doch ihr Vater stirbt und zutiefst traurig lehnt Cheryl das Erbe, ihre geliebte Heimatfarm, ab.
Kaum ist sie zurück in New York, merkt sie, dass sie das weite Land im Westen immer noch liebt. Cheryl weiß, dass Steve, der sympathische Vormann der Ranch, sie sehnlichst zurückerwartet. Also kehrt sie auf ihre Farm zurück und widmet sich ihrer Passion, dem Schutz der wilden Mustangs. Doch damit macht Cheryl sich mächtige Feinde.
Lese-Probe zu „Küss mich in Montana “
Küss mich in Montana von Christopher Ross 1
Cheryl war gerade auf dem Weg ins Badezimmer, als sich ihr Handy meldete. Der Klingelton verriet ihr, dass ihre Chefin dran war. Veronica Armstrong, die Chefredakteurin des Celebrity Magazine, störte sie auch zu nachtschlafender Zeit, wenn ein Auftrag besonders dringend war.
Cheryl griff nach dem Hörer. »Veronica ?« Sie gab sich Mühe, nicht allzu verschlafen zu klingen.
»Wo bleibst du denn ?« Keine Entschuldigung, kein freundliches Guten Morgen. »So anstrengend kann der gestrige Abend doch nicht gewesen sein. Oder bist du bei dem jungen Bengel im Bett gelandet ?« Ihre Chefredakteurin war nicht gerade bekannt dafür, ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Cheryl blieb in der offenen Schlafzimmertür stehen und verdrehte die Augen. »Der junge Bengel wurde gerade für den Oscar nominiert und ist mit einem bekannten Supermodel verlobt, der hat es nicht nötig, eine andere abzuschleppen. Außerdem wäre ich gar nicht mitgegangen. Du weißt doch ...«
»... du stehst auf reifere Jahrgänge und bist in festen Händen, ich weiß. Wahrscheinlich bist du deshalb so spät dran. Also beweg gefälligst deinen Hintern und komm in mein Büro. Ich gebe dir zehn Minuten.«
Cheryl schaffte es in einer halben Stunde. Katzenwäsche, flüchtiges Make-up, die kastanienbraunen Haare zu einem lockeren Knoten hochgesteckt, auf Kaffee und den Bagel mit Frischkäse und Marmelade verzichtet und schon mit dem ersten Winken ein Taxi erwischt. Sie legte ihre Foto tasche auf die Rückbank, stieg ein und nannte die Adresse ihrer Redaktion in der Fifth Avenue. »Ich hab's eilig«, trieb sie den Fahrer an, einen Inder mit Turban.
... mehr
Sie arbeitete seit fünf Jahren für das Celebrity Magazine, als Fotografin und Autorin, und hatte sich inzwischen zur Starreporterin hochgedient. Nicht übel für eine junge Frau vom Lande, die erst vor acht Jahren nach New York gekommen war und sich die ersten paar Jahre mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten hatte.
Was war ihr auch anderes übrig geblieben nach ihrer überstürzten Flucht aus Montana.
Ihr Vater, ein wohlhabender Rancher, hatte ihr sogar gedroht, seine Ranch zu verkaufen und ihr keinen Penny von dem Geld zu geben, und das alles nur, weil sie kein Junge geworden war, und es auch nichts gebracht hatte, ihr Hosen anzuziehen und sie auf ein Pferd zu setzen. Reiten konnte sie einigermaßen, aber ein Cowboy, wie er ihn sich wünschte, wäre niemals aus ihr geworden.
Sie blickte aus dem Fenster und beobachtete den dichten Verkehr. Sie mochte den Trubel und die Hektik. Nach Montana sehnte sie sich nur noch, wenn sie an ihre Mutter dachte, die seit acht Jahren auf dem Friedhof von Blackwater lag. Sie war bei einem Verkehrsunfall gestorben. Cheryl hatte am Steuer gesessen, als sie ein betrunkener Cowboy mit seinem Pick-up gerammt und ihre Mutter auf dem Beifahrersitz eingequetscht hatte.
Obwohl der junge Mann seine Schuld eingestanden hatte, war sie für ihren Vater die Schuldige gewesen. »Verschwinde !«, hatte er ihr noch auf dem Friedhof zugerufen. Sie hatte ihre Sachen gepackt und die Ranch verlassen. Zuerst nur für ein paar Wochen, doch dann hatte sie eingesehen, dass ihr Vater für immer mit ihr gebrochen hatte und eine Rückkehr unmöglich geworden war.
Ausgerechnet nach New York hatte es sie verschlagen, die größte und hektischste Stadt, die man sich vorstellen konnte, und das genaue Gegenteil zu dem verschlafenen Blackwater in Montana. Vielleicht, weil in Brooklyn eine Freundin aus ihrer Highschoolzeit gewohnt hatte. Auch sie war seinerzeit aus Montana geflohen, mit einem dunkelhäutigen Sergeant der US-Armee, der inzwischen in Afghanistan gefallen war. Cheryl war bei ihr untergekrochen, bis sie ein Apartment gefunden hatte und auf eigenen Beinen stand. Mit ihrem Vater hatte sie kaum noch gesprochen. Wenn sie sich zu einem Anruf aufgerafft hatte, war es meist bei einem mürrischen »Was willst du ?« geblieben, dann hatte er aufgelegt. Dad würde ihr den Unfall niemals verzeihen.
»Schnell genug ?«, fragte der Taxifahrer, als sie die Adresse in der Fifth Avenue erreicht hatten. Sein Akzent war so stark, dass sie ihn kaum verstand.
Sie schreckte aus ihren Gedanken und blickte nach vorn. »Natürlich ... sicher ... vielen Dank.« Sie zahlte und stieg aus, rempelte mit ihrer Fototasche einen Passanten an, entschuldigte sich und war froh, als sie endlich im Aufzug stand und in den siebten Stock hinauffuhr. Das ernste Gesicht und der nach links gerichtete Daumen der Rezeptionistin verrieten ihr, dass Veronica Armstrong bereits ungeduldig auf sie wartete. Das gleiche ernste Gesicht bei der Assistentin im Vorzimmer, dann betrat sie das Allerheiligste und sah die Chefredakteurin mit einem dampfenden Becher Kaffee am Fenster stehen.
»Wurde auch Zeit«, sagte sie und drehte sich auf ihren hohen Absätzen zu ihr um. Sie trug ein sündhaft teures und auffällig gemustertes Kostüm und eine schnittige Frisur, die wohl ihre Dynamik unterstreichen sollte. Ihr fortgeschrittenes Alter bekämpfte sie mit teurer Kosmetik. Sie wandte sich zur Tür. »Lee, bringen Sie unserer Langschläferin einen Kaffee. «
Cheryl dachte nicht daran, sich zu entschuldigen. Ihre Chefin brauchte diese Spielchen, um ihre gute Laune zu behalten, besonders wenn ihr eine Laus über die Leber gelaufen war, und das war anscheinend an diesem Morgen der Fall. Nach dem Grund zu fragen, wäre fatal gewesen, besonders frühmorgens, also schwieg sie und wartete geduldig, bis die Assistentin ihren Kaffee brachte und Veronica Armstrong auf einen der beiden Besucherstühle deutete.
»Du kommst aus Montana, nicht wahr ?« Es klang eher wie eine Feststellung. »Wenn ich mich recht erinnere, besitzt dein Vater dort eine große Ranch.«
»Ich bin acht Jahre von zu Hause weg, Veronica.«
»Aber du warst schon mal beim Rodeo.« Sie blieb hinter ihrem Schreibtisch stehen und hielt den Kaffeebecher in beiden Händen. Die knallrote Farbe des Bechers biss sich mit den wärmeren Farbtönen ihres Kostüms. »Hast du mir nicht erzählt, dass du mal bei diesem Barrel Racing mitgemacht hast ?«
»Damals war ich sieben, Veronica !«
»Aber du kennst dich in dem Zirkus aus.« Sie setzte den Becher ab und griff nach der neuesten Ausgabe ihres Magazins. »Weißt du, was unseren letzten Heften fehlt ?« Sie blätterte die Zeitschrift wie ein Daumenkino durch. »Schöne Frauen, ein gestyltes Model nach dem anderen, die neue Sommermode, wieder nur Mädels und nur im vorletzten Heft das Interview mit Brad Pitt. Zugegeben, den hast du knackig fotografiert, das war ein richtiger Knüller, aber dennoch haben wir zu wenig Männer im Heft. Wir brauchen Kerle, Cheryl, ganze Kerle, wie man sie auf der Prärie in Montana findet. Richtige Männer mit kantigen Gesichtern und breiten Schultern, nicht immer diese verweichlichten Hollywoodheinis. Und du wirst sie uns bringen.«
Sie befürchtete das Schlimmste. »Ich soll nach Montana ?«
»Der Madison Square Garden würde mir schon reichen. Dort findet heute Abend ein großes Rodeo statt.« Sie hielt einen Computerausdruck hoch. »Rodeo Goes New York« stand in großen Lettern darüber, dann folgten die branchenüblichen Übertreibungen : »Die besten Cowboys des Westens - Wilde Bullen und bockende Pferde - Der Wilde Westen in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit - Rodeoweltmeister Garth Brackett zum ersten Mal in New York - So was hat New York noch nie erlebt !«
»Stimmt, davon habe ich gehört«, fiel es Cheryl wieder ein, »aber ich habe mich nie sonderlich für diesen Macho- kram interessiert und wüsste auch nicht, wie ich diese Bauernjungen einigermaßen in Szene setzen könnte ...«
Ihre Chefin hielt einen zweiten Ausdruck hoch, diesmal mit dem Foto eines kräftigen und durchtrainierten Mannes. »Dann kennst du diesen Brackett noch nicht. Er hat die Silberne Gürtelschnalle in Las Vegas gewonnen, das ist so was wie der Superbowl der Rodeoreiter, aber das weißt du sicher besser als ich. Ich will, dass du ihn so sexy wie möglich ablichtest. Geschmackvoll natürlich, aber sexy genug, um eine abgezockte Lady wie mich rot werden zu lassen. Kriegst du das hin, Cheryl ?«
»Wann ? Heute Abend ?«
»Jetzt gleich, meine Liebe, jetzt gleich ! Lee hat dir bereits die Arbeit abgenommen und herausbekommen, dass die Jungs heute Morgen trainieren. Schnapp dir diesen Brackett und meinetwegen auch ein paar andere Cowboys, wenn sie sich darum reißen, und bring mir ein paar Doppelseiten. Der Manager im Garden weiß Bescheid, dass du kommst. Er hat auch den Backstagepass für die Show heute Abend. Vermassel die Sache nicht, Cheryl, das könnte eine Riesenstrecke im nächsten Heft werden.«
Cheryl trank einen Schluck Kaffee, um wenigstens etwas im Magen zu haben, und machte sich auf den Weg. Mit dem Taxi waren es nur ein paar Minuten bis zum Madison Square Garden, auch bei starkem Verkehr. Der Bühneneingang stand offen, und im Gang dahinter kam ihr bereits der Stage Manager entgegen, ein schnauzbärtiger Bursche in Jeans und Lederjacke, der sie entfernt an irgendeinen Westernhelden erinnerte.
»Cheryl Parker«, stellte sie sich vor. »Unsere Assistentin hatte mit Ihnen telefoniert.«
Was bei Rockkonzerten und anderen Veranstaltungen oft Anstrengung und Nerven kostete, lief hier verhältnismäßig stressfrei ab. Der Manager, ein gewisser Bob Luman, gab ihr einen Backstagepass zum Umhängen, der ihr Zugang zu allen Bereichen gewährte, und sagte : »Sie kommen gerade richtig, Ma'am. Garth, unser Champion, ist als Letzter dran, und danach haben Sie eine halbe Stunde für Ihre Fotos. Sie kommen von einer Frauenzeitschrift ?«
»Celebrity«, ließ sie ihren Charme spielen. »In einer der letzten Ausgaben hatten wir Brad Pitt drin. Wir dachten, es wird langsam Zeit, dass wir mal die wahren Helden dieses Landes zeigen. Rodeostars ... Das sind noch Männer.«
»Darauf können Sie wetten, Ma'am.« Sein Dialekt und das »Ma'am« verrieten ihn als Westerner, ein New Yorker hätte niemals »Ma'am« gesagt. »Ich nehme an, als New Yorkerin kennen Sie sich im Garden aus.« Er zwinkerte amüsiert. »Es sei denn, Sie treiben sich sonst nur am Rand von roten Teppichen rum.«
Was natürlich stimmte, aber das band sie ihm nicht auf die Nase. Um die Arena zu erreichen, brauchte sie nur den lauten Anfeuerungsrufen zu folgen, die bis in die Katakomben des Madison Square Garden zu hören waren. Sie erreichte die Halle durch eines der Tore und beobachtete einen Reiter, der auf einem bockenden Pferd durch die eingezäunte Arena ritt und beim Klang einer Sirene von einem anderen berittenen Cowboy vom Pferderücken gehoben wurde. Mit einem gekonnten Griff löste der Cowboy den Gurt, der das ansonsten zahme Pferd an den Genitalien kitzelte und zum Bocken brachte. Cheryl hatte diese Art der Unterhaltung immer als Tierquälerei empfunden, obwohl ihr die Cowboys versichert hatten, dass keines der Tiere während eines Rodeos zu Schaden kam. »Ganz im Gegenteil«, hatte ihr ein Oldtimer damals in Billings erzählt. »Den Tieren geht es bei uns besser als überall sonst.«
Als sie die Cowboys auf dem Metallzaun und den Gattern sitzen sah, fühlte sie sich tatsächlich an Montana erinnert, nur dass die Rodeos dort unter freiem Himmel stattfanden und nicht als Showspektakel wie hier in New York. Die Rodeo Arena in Blackwater bestand aus einem kleinen Stadion, dessen Tribüne höchstens dreihundert Leute fasste.
»Hey«, rief der erste Cowboy, der auf sie aufmerksam wurde. Er nahm seinen Stetson vom Kopf und begrüßte sie nervös. »Sie sind die Lady von der Zeitung, stimmt's? Sie wollen sicher Garth, nehm ich am. Er ist gleich dran.«
»Howdy, Ma'am !«, riefen die anderen Cowboys.
»Cheryl Parker«, erwiderte sie. Sie holte eine ihrer beiden Kameras aus der Tasche und schraubte das passende Objektiv darauf. »Lassen Sie mich rein ?«
Die Cowboys zögerten. »Sie wollen in die Arena ?«
»Ich war schon öfter beim Rodeo. Ich bin in Montana aufgewachsen «, erklärte sie. Dass sie damals minderjährig gewesen war, brauchte niemand zu wissen.
»Wenn das so ist«, sagte der Cowboy, der sie zuerst begrüßt hatte, ein junger Bursche mit wettergegerbtem Gesicht. Er wandte sich an den berittenen Cowboy in der Arena. »Lass sie rein, Dusty. Die Lady kommt aus Montana.«
Cheryl wäre nie auf die Idee gekommen, ihre Heimat in Montana als Türöffner für einen Event zu nutzen, und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Sie hängte sich die Kamera um den Hals und lief am Zaun entlang, blickte ein paarmal durch den Sucher, bis sie den richtigen Ausschnitt gefunden hatte. Die großen Scheinwerfer brachten genug Licht.
»Bleiben Sie dicht am Zaun, und klettern Sie hoch, falls Ihnen der Gaul zu nahe kommt«, rief ihr Dusty zu. »Blue Lightning ist ein nervöser Bursche.«
Die Tür des Gatters wurde hochgerissen, und Garth Brackett ritt auf dem bockenden Pferd in die Arena. Durch den Sucher bewunderte Cheryl die scheinbare Leichtigkeit seiner Bewegungen, als wäre es das Einfachste auf der Welt, sich auf dem Rücken eines bockenden und springenden Pferdes zu halten. Er schien zu wissen, dass ihn jemand fotografierte, denn er lächelte dabei und schaffte es sogar, das Pferd in ihre Richtung zu lenken. Ihr rechter Zeigefinger blieb auf dem Auslöser und fing beinahe jede Bewegung des Reiters ein. Mit einer Hand am Seil und der anderen in der Luft hielt er das Gleichgewicht, das Pferd trieb er mit den Stiefeln an.
Blue Lightning hielt, was sein Name versprach. Er sprang, bockte und drängte gegen den Zaun, doch Garth blieb auf seinem Rücken und sprang nach acht Sekunden selbstständig herunter. Dusty löste den Gurt und trieb das Pferd in die Koppel zurück. Die Cowboys auf dem Zaun johlten begeistert. »Ich glaube, du hast mächtig Eindruck bei der Lady gemacht «, rief jemand.
Cheryl setzte die Kamera ab und begrüßte den Reiter. »Beeindruckend«, lobte sie ihn, »und so elegant.« Männern wie Garth musste man um den Bart gehen, wenn man gute Fotos und ein einigermaßen vernünftiges Interview haben wollte. »Und Sie reiten auch auf wilden Bullen, ist das wirklich wahr ?«
»Und ob, Ma'am. In Las Vegas bei der Endausscheidung hatte ich den wildesten von allen, Stormy Weather, und trotzdem bekam ich die besten Noten. Kaum jemand glaubte, dass ich die acht Sekunden durchhalten würde.« Er sonnte sich in seinem Ruhm, bis ihm einfiel : »Sie wollten ein Interview ?«
»Nun, zuerst einmal bräuchte ich ein anständiges Foto«, kroch Cheryl ein wenig um den heißen Brei herum. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Ihr Ritt auf dem wilden Pferd war wirklich große Klasse, aber meine Chefredakteurin möchte etwas ganz Besonderes haben. Wie wär's, wenn Sie auf einem wilden Bullen reiten ? Es muss ja nicht gleich dieser Stormy Weather sein.« Sie hüstelte scheinbar verlegen. »Mit nacktem Oberkörper, damit man Ihre Muskeln sieht ? Wir sind ein Magazin für Frauen, wissen Sie, und die Mädels möchten auch gern mal was zum Staunen haben. Nichts Unanständiges, aber doch ... wie soll ich sagen ? Sie haben doch einen wunderschönen Körper, Garth.«
Seltsamerweise zierte sich Garth kein bisschen. »Das nenne ich doch mal eine gute Idee, Ma'am. Mit nacktem Oberkörper auf einem wilden Bullen.« Er lachte so laut, dass die anderen Cowboys zu ihnen herüberblickten und sie schon Angst hatte, er würde sich über sie lustig machen. »Habt ihr gehört, Jungs ? Ihr sollt einen Bullen holen. Ich werde ihn mit nacktem Oberkörper reiten. Die Ladys in den Städten sollen ordentlich was zum Staunen haben.«
Die Cowboys glaubten an einen Scherz und reagierten erst, als Garth sie ein zweites Mal aufforderte, und der Stage Manager war strikt dagegen, bis Garth ihm versicherte, den Kopfschutz zu tragen und nur ein paar Sekunden auf dem Bullen zu bleiben. »Dusty passt auf mich auf«, versprach er. »Und die Lady bleibt weit genug von mir weg, damit sie nichts abbekommt.«
»Ich bin schließlich nicht lebensmüde«, sagte Cheryl.
Doch ein wenig mulmig war ihr schon zumute, als die Cowboys einen Bullen ins Gatter trieben und ihm den Flankengurt anlegten. Sofort begann er wild auszuschlagen und mit seinem massigen Körper gegen das Gatter zu drängen. Cheryl kletterte zu den Cowboys auf den Zaun und wurde von einem der Männer gehalten, als sie fotografierte, wie Garth mit nacktem Oberkörper über den Bullen stieg, sich das Halteseil mehrfach um die behandschuhte Rechte wickelte und Cheryl zurief : »Und jetzt machen Sie endlich, dass Sie in Ihre Ecke kommen, Lady, sonst reite ich Sie über den Haufen !«
Cheryl sprang vom Zaun und rannte durch die Arena, blieb weit genug vom Gatter entfernt stehen und richtete die Kamera darauf. Sie wusste, dass ihr nur wenige Sekunden für die Aufnahme blieben. »Sind Sie so weit, Lady ?«
»Fertig«, rief Cheryl zurück.
»Dann los !«
Zwei Cowboys öffneten das Gatter, und Garth schoss auf dem wilden Bullen in die Arena. Das mächtige Tier war ein ganz anderes Kaliber als Blue Lightning, schnaubte und tobte und keilte aus, als wüsste es, dass eine besonders dramatische Performance von ihm erwartet wurde. Nach jedem Sprung kam es so fest auf, dass der Boden bebte, und drehte sich einmal um die eigene Achse, um den lästigen Reiter endgültig loszuwerden.
Cheryl drückte unentwegt auf den Auslöser, jubelte innerlich, als sie bemerkte, wie die Schweißperlen auf Garths nacktem Oberkörper im Scheinwerferlicht glänzten, und hielt auch den Augenblick fest, als er vom Rücken des wilden Tieres sprang und Dusty den Bullen von seinem lästigen Flankengurt befreite und ins Gatter zurücktrieb. Das Tier schnaubte erleichtert.
Garth wischte sich die Sägespäne mit der flachen Hand vom muskulösen Oberkörper und lächelte wie bei einem seiner Meisterritte in Las Vegas. »So ungefähr, Lady ? Oder wollen Sie, dass ich noch mal auf den Bullen steige ?«
Gegen ihren Willen errötete Cheryl beim Anblick der ausgeprägten Muskeln und konzentrierte sich rasch auf die Fotos auf ihrem Display. »So ungefähr«, bestätigte sie und zeigte ihm die Aufnahme mit den Schweißtropfen.
Garth zeigte sich zufrieden. »Wie wär's mit einem Kaffee ?«
2
In der Garderobe von Garth Brackett standen eine Kanne Kaffee und ein Teller mit Sandwiches bereit. »Bedienen Sie sich«, forderte er sie auf, »oder gehören Sie auch zu diesen Stadtladys, die nur an Salatblättern knabbern ? Ich hab mir sagen lassen, dass sie in New York besonders heikel sind.«
»Mag schon sein«, räumte sie ein, »aber ich gehöre bestimmt nicht dazu. Wenn Sie erlauben?« Sie griff nach einem Sandwich und biss hinein. Erst nachdem ihr größter Hunger gestillt war, erinnerte sie sich an ihren Job. Sie zog ihr Notizbuch aus der Fototasche. »Ich habe etliche Narben auf Ihrem Oberkörper gesehen, Garth. Als Rodeostar lebt man gefährlich, nicht wahr ?«
»Das können Sie laut sagen, Lady. Wissen Sie, wie viele Knochen ich mir während meiner Karriere gebrochen habe ? Einundzwanzig.« Er war anscheinend stolz darauf. »Und wenn ich noch mal einen Bullen wie Stormy Weather erwische, werden es noch ein paar mehr, da bin ich ganz sicher. Erzählen Sie das mal den Tierschützern, die gleich aufschreien, wenn wir einen Bronco oder einen Bullen zu hart rannehmen. Unsere Blessuren sind viel schlimmer.«
Die Lebensgeschichte des Champions bot wenig Überraschendes und würde nur ein paar Zeilen in ihrer Reportage ausmachen. Als Sohn eines Ranchers in Wyoming aufgewachsen, schon als Kind geritten, auf der Highschool die ersten Rodeos gewonnen, dann Juniorenmeister, bei den Amateuren und dann bei den Profis geritten, vor allem auf gesattelten Pferden und wilden Bullen. In seinem Haus in Laramie gab es einen Raum, in dem er ausschließlich Pokale aufbewahrte.
»Und zu Hause warten Frau und Kinder ?«
»Nein, ich wohne allein.« Er lächelte. »Es sei denn, Sie zählen Hank mit, den treuesten Hund seit Lassie und Beethoven. Ein ehemaliger Rinderhund, der hielt die Rinder während unseres Viehtriebs im Frühjahr zusammen. Eine treue Seele.« Er zeigte ihr ein Foto. »Er bekommt sein Gnadenbrot bei mir.«
»Aber Sie sind doch dauernd unterwegs ?«
»Er wartet im Hotel auf mich. Ich hab ihn reingeschmuggelt. «
»Und wie steht's mit den Mädels ? Gibt's beim Rodeo auch Groupies ?«
Er schien auf die Frage gewartet zu haben. »Klar gibt's die, und natürlich gibt es auch ein paar Grünschnäbel, die auf sie reinfallen. Wer es beim Rodeo zu etwas bringen will, sollte auf solche Abenteuer verzichten. Solche Affären lenken nur ab und schaden der Form. Wir sind moderne Westernhelden und halten die Tugenden eines John Wayne oder Randolph Scott hoch. Die Namen sagen Ihnen sicher nichts, aber damals, als mein Dad noch auf Wildpferden ritt, waren das unsere Helden. Stars wie sie gibt's schon lange nicht mehr in Hollywood, deshalb müssen die Champions des Rodeo ran.«
Cheryl hätte ihm gerne gesagt, dass sie die meisten Western mit John Wayne und Randolph Scott gesehen hatte, verkniff sich die Bemerkung aber. Sie war schon lange genug hier und wollte so schnell wie möglich weiter. »Und in Ihrem Leben gibt es keine Frau ? Eine feste Freundin vielleicht ?«
Die Frage gehörte zu ihren Pflichtaufgaben, wenn sie einen berühmten Junggesellen interviewte.
»Bis jetzt noch nicht.« Cheryl hatte das Gefühl, dass er leicht errötete. »Wahrscheinlich ist mir die Richtige noch nicht begegnet. Wäre auch eine ziemliche Zumutung für eine Frau, mit einem wie mir zusammenzuleben.«
»Was nicht ist, kann ja noch werden«, erwiderte Cheryl.
Sie schob noch etwas Smalltalk nach und versicherte ihm, die Abendveranstaltung auf keinen Fall zu versäumen, dann verabschiedete sie sich und verließ seine Garderobe. Ein seltsamer Bursche, dachte sie, während sie durch die Katakomben ging. Ist stolz auf seine einundzwanzig Knochenbrüche und hält sich von den Frauen fern, weil übermäßiger Sex seiner Form schaden könnte. Okay, er hatte sich anders ausgedrückt, aber so würde es in Celebrity stehen. Das waren die Themen, die ihre Leserinnen vor allem interessierten.
In dem düsteren Gang, der zum Ausgang führte, fiel ihr plötzlich ein, dass sie ein gemeinsames Foto mit Garth und ihr vergessen hatte. So was machte sich immer gut und zeigte den Lesern, dass sie einen Star wirklich getroffen hatte. Sie drehte um und hastete zur Garderobe des Champions zurück. Nachdem sie ein paarmal geklopft hatte, öffnete sie und stellte fest, dass Garth schon gegangen war. Sie nahm an, dass er bei den anderen Cowboys war und damit prahlte, welchen Eindruck er auf die New Yorker Lady gemacht hatte.
Sie ging an den anderen Garderoben vorbei, entdeckte eine angelehnte Tür und glaubte plötzlich, Garths Stimme zu hören. Ohne lange zu überlegen, klopfte sie und trat ein. Rechtzeitig genug, um zu erkennen, wie Garth ein grell geschminktes Mädchen in den Armen hielt und leidenschaftlich küsste. Die beiden bemerkten sie viel zu spät und starrten sie entsetzt an. »Cheryl«, fand Garth als Erster seine Sprache wieder, »es ist nicht so, wie Sie denken ...«
Weiter kam er nicht. Cheryl griff in einem Reflex nach ihrer Kamera, ließ sie aber sofort wieder los und rannte davon. Vorbei an dem überraschten Stage Manager hastete sie auf die Straße und blieb erst an der nächsten Kreuzung stehen. Sie stellte ihre Fototasche ab und atmete schwer. So war das also, dämmerte es ihr, der Champion stand auf leichte Mädchen, und sein ganzes Gerede über unwürdige Affären und die Tugenden legendärer Westernstars waren reine Schutzbehauptungen, um von seiner Vorliebe abzulenken. Sie nahm ihm seine Lügen nicht übel. Ein Wildpferd- und Bullenreiter, der sich mit zweifelhaften Girlies herumtrieb, auch wenn sie achtzehn waren, konnte einpacken. Die konservativen Rodeofans wollten schließlich saubere Helden, keine Herumtreiber, die sich in New York mit einer jungen Nutte abgaben.
Sie winkte ein Taxi herbei und ließ sich zur Redaktion zurückfahren. Wieder ein indischer Fahrer, diesmal ohne Turban. Natürlich hätte sie die Kamera aus der Tasche ziehen und auf den Auslöser drücken können. Das Foto wäre ein Renner gewesen und hätte ihre Stellung bei Celebrity noch mehr gefestigt. Aber für solche Sensationen hatte sie sich noch nie hergegeben. Sie war keine Paparazza, die stundenlang vor dem Haus eines Prominenten auf der Lauer lag, nur um ihn mit seiner Freundin oder seinen Kindern ablichten zu können.
Ihr Handy klingelte, der melodische Refrain, den sie Mikes Nummer zugeordnet hatte. Mike LeJeune war ihr Freund oder so etwas Ähnliches, ein mäßig erfolgreicher Schauspieler aus Virginia, der vor allem als Vertrauensmann in den Werbespots der New York Consolidated bekannt geworden war. Seitdem die Commercials abgesetzt waren, hatte er kleinere Rollen in Serien wie »Law & Order SVU« und »Castle« übernommen. Sie hatte ihn auf einer Aftershowparty kennengelernt und war vor allem von seiner höflichen und zurückhaltenden Art angetan gewesen. Er war ein Gentleman der alten Schule, ungefähr acht Jahre älter als sie, die Haare sauber gescheitelt und etwas zu konservativ gekleidet. Belesen, humorvoll, ein Mann, den man tatsächlich eher bei einer Versicherung als im Showbusiness vermutet hätte.
»Mike ... was gibt's?«
»Na, hör mal«, beschwerte er sich. »Begrüßt man so etwa seinen Liebsten ?« Er war tatsächlich etwas eingeschnappt. »Wir haben uns drei Tage lang nicht gesehen, und ich wollte nur mal hören, wie's dir geht. Wie geht es dir ?«
»Tut mir leid, Mike. Ich bin im Stress.«
»Bist du das nicht immer ?«
»In den letzten Tagen besonders. So viele Partys und rote Teppiche hatte ich schon lange nicht mehr. Du glaubst ja nicht, wie viele Filme sie in New York drehen.« Sie merkte, dass sie etwas Falsches gesagt hatte, und fügte schnell hinzu : »Alles Hollywoodproduktionen. Da kommt man nur rein, wenn man den Bossen in L. A. auf dem Schoß sitzt.« Sie wechselte den Hörer von einer Hand in die andere. »Und du ? Was ist mit der neuen Krimiserie ?«
»Da ist leider nichts draus geworden, aber morgen hab ich ein Casting für eine neue Soap. Ein alternder Playboy, der sich mit einer blutjungen Chaotin einlässt.« Sein Lachen klang gekünstelt. »Falls ich die Rolle bekomme, habe ich die nächsten zwei Jahre zu tun, hier in New York. Na, was sagst du ?«
Er hatte schon so viele Absagen bekommen, dass sie kaum noch daran glaubte. Die Darsteller einer Werbekampagne bekamen selten eine Hauptrolle. Dennoch sagte sie : »Das wäre super, Mike. Ich drücke dir die Daumen.«
»Noch schöner wäre es, wenn du heute Abend mit mir essen gehen würdest«, erwiderte er. »Ich habe einen neuen Italiener in Brooklyn aufgetan ...«
»Heute Abend geht nicht, Mike. Ich muss zum Rodeo.«
»Zum Rodeo ? In New York?«
»Rodeo Goes New York«, erklärte sie, »heute Abend im Garden. Ein Showevent mit dem Champion des Jahres, Garth Brackett. Ich hab ihn gerade fotografiert und interviewt. « Sie dachte daran, wie gierig er das Mädchen geküsst hatte. »Nicht gerade mein Ding, aber ich muss hin. Veronica gibt mir acht bis zwölf Seiten. So eine große Strecke bekommst du nicht alle Tage.«
»Wie wär's nach dem Rodeo ?«
»Vor elf komme ich da nicht raus, Mike.«
»Dann eben nach elf. Warum schnappst du dir kein Taxi und kommst zu mir ? Ich lasse uns eine Kleinigkeit von der Sushibar kommen, und wir könnten den guten Wein trinken, den du mir zum Geburtstag geschenkt hast.«
Was so viel hieß wie, dass er mit ihr schlafen wollte und sie die Nacht gemeinsam verbringen würden. Ein berechtigter Wunsch, immerhin hatten sie zwei Wochen nicht mehr miteinander geschlafen, und bisher waren nach dem Sex immer beide zufrieden gewesen. Mike war ein sehr rücksichtsvoller Liebhaber, alte Schule eben, der sehr behutsam vorging und ihr genauso viel Vergnügen gönnte, wie er selbst empfand. Doch aus irgendeinem Grund, den sie nicht benennen konnte, war Cheryl in letzter Zeit lieber allein, vielleicht auch wegen des Trubels und der vielen Einladungen, die sie wahrnehmen musste.
Dennoch sagte sie zu. Sie durfte Mike nicht schon wieder enttäuschen, besonders nicht vor einem so wichtigen Casting. »Also gut«, antwortete sie. Sie bemühte sich, nicht allzu gönnerhaft zu klingen. »Aber es kann spät werden.«
»Kein Problem. Auf dich warte ich die ganze Nacht.«
Cheryl legte auf und hing ihren Gedanken nach, während der Inder sich im dichten Verkehr auf der Fifth Avenue abmühte. Sie fand es beruhigend, in einem Taxi zu sitzen und das Chaos aus sicherer Entfernung und mit gedämpftem Geräuschpegel erleben zu dürfen. Den meisten New Yorkern ging es so. Hektisch wurden sie nur als Fußgänger, wenn selbst Models ihre High Heels mit Laufschuhen vertauschten, um im Gewimmel schneller voranzukommen.
Veronica Armstrong war überrascht, sie schon so früh wiederzusehen und auch ein bisschen misstrauisch, sie könnte den Auftrag zu schnell abgehakt haben. Doch beim Anblick der Fotos taute sie sichtlich auf. »Genau so hab ich mir's vorgestellt «, lobte sie, als die Fotos auf dem Computer erschienen und sie das Foto mit Garth Brackett und seinem nackten und verschwitzten Oberkörper vergrößerte. »Daraus machen wir eine Doppelseite ... und den Ritt klinken wir in sechs kleinen Fotos ein.« Sie blickte vom Computer auf. »Ich hoffe, der Junge hatte auch einiges zu sagen. Wie ich diese Rodeojungs kenne, sind sie entweder brave Familienväter oder gegen vorehelichen Sex.«
Wenn du wüsstest, dachte Cheryl. »Ganz so schlimm ist es nicht, die Cowboys haben ganz schön mit mir geflirtet. Aber Garth Brackett sieht sich als letzter großer Westernheld ... er müsse die Tugenden eines John Wayne hochhalten.«
»John Wayne ? Hatte der überhaupt ein Sexleben ?«
»Soweit ich weiß, war er ein paarmal verheiratet.«
»Dann kann's mit der Tugend auch nicht so weit her gewesen sein«, erwiderte Veronica. Sie schürzte die Lippen. »Damals haben die Stars nur besser dichtgehalten, und es lauerten nicht an jeder Ecke die Paparazzi. Na, du wirst schon was Griffiges daraus machen. Mit dem Layout warten wir bis morgen früh, wenn wir die Bilder von heute Abend haben. Du gehst doch hin ?«
»Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben.«
»Man kann nicht jeden Tag Brad Pitt haben. Morgen um halb zehn, okay ?«
»Okay«, stimmte sie zu.
Als freie Journalistin und Fotografin, die auf Honorarbasis für das Celebrity Magazine arbeitete und lediglich durch ein monatliches Fixum an die Zeitschrift gebunden war, brauchte sich Cheryl nicht an die üblichen Arbeitszeiten zu halten, obwohl Veronica das anders sah und sie viel Zeit in der Redaktion verbrachte. Sie hatte dort auch einen eigenen Arbeitsplatz, an dem sie ihre Artikel schrieb. Diesmal ging sie mit zwei Kolleginnen in den Coffeeshop nebenan zum Mittagessen und blieb zwei Stunden, um eine erste Fassung ihrer Reportage zu erstellen. Am Spätnachmittag nahm sie ein Taxi nach Brooklyn, wo ihr kleines Apartment lag.
Zum Abendessen genügte ihr ein Sandwich. Sie war keine große Köchin und aß meistens auswärts, wenn sie etwas Warmes wollte. Etwas komplizierter war es, die richtige Kleidung für den Abend zu finden. Leger genug, um bei ihrem Job in der Arena nicht behindert zu werden, aber auch ein wenig sexy, um Garth zu gefallen. Sie entschied sich für ihre neuesten Jeans, ein rotes T-Shirt mit drei kleinen Elefanten aus Strasssteinen und weiße Laufschuhe. Ihre Haare band sie zu einem losen Knoten hoch. Ein leichtes Make-up musste bei den hellen Scheinwerfern im Madison Square Garden genügen.
Sie war selten zufrieden, wenn sie in den Wandspiegel über dem Waschbecken blickte, und hätte auch diesmal wieder viel für vollere Lippen gegeben. Nicht mal ihr neuer Lippenstift konnte da viel ausrichten. Die rötlichen Strähnen, die seit dem letzten Friseurbesuch ihre kastanienbraunen Haare durchzogen, gaben ihr jedoch eine besondere Note, und ihre blaugrünen Augen hoben sich durch den Eyeliner noch ausdrucksvoller von ihrem etwas blassen Gesicht mit den leicht erhöhten Wangenknochen ab. Die meisten Männer, mit denen sie in New York ausgegangen war, hatten ihre Schönheit gerühmt, aber das taten alle Männer, wenn sie etwas wollten, und wenn ihr Aussehen tatsächlich so makellos gewesen wäre, hätte sie einer der Designer, die bei Celebrity ein- und ausgingen, längst zu einem Fotoshooting eingeladen.
Beim Rodeo fiel sie zwischen den vielen anderen Fotografen gar nicht auf, ganz zu schweigen von den Cheerleaders der New York Jets, die im Vorprogramm auftraten, ungefähr acht Jahre jünger als sie waren und bei einem Modelwettbewerb alle auf den vorderen Plätzen gelandet wären. Die Cowboys kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, waren aber zu schüchtern, um sich den langbeinigen Schönheiten zu nähern. Cheryl hielt sich meist am Metallzaun neben den Gattern auf und fotografierte vor allem farbenprächtige Szenen wie die Parade mit allen Teilnehmern, die den Showevent eröffnete.
Garth Brackett sah sie erst beim Wildpferdreiten. Er erschien in voller Montur bei den Gattern und erschrak, als er sie am Zaun stehen sah. Nur widerwillig wagte er sich in ihre Nähe. »Es war nicht so, wie es aussah«, flüsterte er ihr zu. In seiner Stimme schwang Panik mit. »Sie werden doch nicht ...«
»Keine Angst !«, unterbrach sie ihn ebenso leise. »Wir sind kein Skandalblatt. Ich denke nicht daran, über wilde Gerüchte zu schreiben. In meiner Reportage geht es lediglich darum, was Sie mir im Interview erzählt haben.«
»Das werde ich Ihnen nicht vergessen, Lady.«
»Ich bin Journalistin ... kein Schmierfink.«
»Es war nur ein Ausrutscher ...«
»Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen.«
Cheryl durfte bei seinen Ritten in die Arena und war erstaunt, mit welcher Begeisterung er auch an diesem Abend bei der Sache war, zuerst auf dem Wildpferd und als letzter Teilnehmer auf einem wilden Bullen. Er ritt so engagiert und leidenschaftlich, als könnte er mit einem erstklassigen Auftritt die bösen Geister verjagen, die ihn wahrscheinlich bis in seine Träume verfolgten, und genoss den Applaus des Publikums im ausverkauften Madison Square Garden. Er verbeugte sich nach allen Seiten, grüßte auch Cheryl, als er die Arena verließ, und verschwand ohne ein weiteres Wort in seiner Garderobe.
Noch vor der abschließenden Parade verabschiedete sich Cheryl vom Stage Manager und verließ die Halle durch einen Seiteneingang. Sie stieg in eines der bereitstehenden Taxis, lehnte sich erschöpft zurück und gab dem Fahrer, einem Araber, Mikes Adresse. Er wohnte ebenfalls in Brooklyn, allerdings weiter südlich, in einem der alten Häuser am Prospect Park. Schon von Weitem sah sie, dass er auf dem Balkon stand und nach ihr Ausschau hielt.
»Warten Sie«, hielt sie den Fahrer zurück. Er fuhr an den rechten Straßenrand und drehte sich fragend zu ihr um. »Ich hab's mir anders überlegt. Drehen Sie um, und fahren Sie nach Norden zurück.« Sie gab ihm ihre Adresse.
Als sie in ihrer Wohnung angekommen war, setzte sie die schwere Fototasche auf dem Boden ab und ging in die Küche. Sie trank ein Glas kalte Milch und fühlte sich danach schon etwas wohler. Das Klingeln ihres Handys ignorierte sie.
»Ich kann nicht, Mike«, flüsterte sie. »Ich kann wirklich nicht.«
Copyright der Originalausgabe © 2014 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167
Sie arbeitete seit fünf Jahren für das Celebrity Magazine, als Fotografin und Autorin, und hatte sich inzwischen zur Starreporterin hochgedient. Nicht übel für eine junge Frau vom Lande, die erst vor acht Jahren nach New York gekommen war und sich die ersten paar Jahre mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten hatte.
Was war ihr auch anderes übrig geblieben nach ihrer überstürzten Flucht aus Montana.
Ihr Vater, ein wohlhabender Rancher, hatte ihr sogar gedroht, seine Ranch zu verkaufen und ihr keinen Penny von dem Geld zu geben, und das alles nur, weil sie kein Junge geworden war, und es auch nichts gebracht hatte, ihr Hosen anzuziehen und sie auf ein Pferd zu setzen. Reiten konnte sie einigermaßen, aber ein Cowboy, wie er ihn sich wünschte, wäre niemals aus ihr geworden.
Sie blickte aus dem Fenster und beobachtete den dichten Verkehr. Sie mochte den Trubel und die Hektik. Nach Montana sehnte sie sich nur noch, wenn sie an ihre Mutter dachte, die seit acht Jahren auf dem Friedhof von Blackwater lag. Sie war bei einem Verkehrsunfall gestorben. Cheryl hatte am Steuer gesessen, als sie ein betrunkener Cowboy mit seinem Pick-up gerammt und ihre Mutter auf dem Beifahrersitz eingequetscht hatte.
Obwohl der junge Mann seine Schuld eingestanden hatte, war sie für ihren Vater die Schuldige gewesen. »Verschwinde !«, hatte er ihr noch auf dem Friedhof zugerufen. Sie hatte ihre Sachen gepackt und die Ranch verlassen. Zuerst nur für ein paar Wochen, doch dann hatte sie eingesehen, dass ihr Vater für immer mit ihr gebrochen hatte und eine Rückkehr unmöglich geworden war.
Ausgerechnet nach New York hatte es sie verschlagen, die größte und hektischste Stadt, die man sich vorstellen konnte, und das genaue Gegenteil zu dem verschlafenen Blackwater in Montana. Vielleicht, weil in Brooklyn eine Freundin aus ihrer Highschoolzeit gewohnt hatte. Auch sie war seinerzeit aus Montana geflohen, mit einem dunkelhäutigen Sergeant der US-Armee, der inzwischen in Afghanistan gefallen war. Cheryl war bei ihr untergekrochen, bis sie ein Apartment gefunden hatte und auf eigenen Beinen stand. Mit ihrem Vater hatte sie kaum noch gesprochen. Wenn sie sich zu einem Anruf aufgerafft hatte, war es meist bei einem mürrischen »Was willst du ?« geblieben, dann hatte er aufgelegt. Dad würde ihr den Unfall niemals verzeihen.
»Schnell genug ?«, fragte der Taxifahrer, als sie die Adresse in der Fifth Avenue erreicht hatten. Sein Akzent war so stark, dass sie ihn kaum verstand.
Sie schreckte aus ihren Gedanken und blickte nach vorn. »Natürlich ... sicher ... vielen Dank.« Sie zahlte und stieg aus, rempelte mit ihrer Fototasche einen Passanten an, entschuldigte sich und war froh, als sie endlich im Aufzug stand und in den siebten Stock hinauffuhr. Das ernste Gesicht und der nach links gerichtete Daumen der Rezeptionistin verrieten ihr, dass Veronica Armstrong bereits ungeduldig auf sie wartete. Das gleiche ernste Gesicht bei der Assistentin im Vorzimmer, dann betrat sie das Allerheiligste und sah die Chefredakteurin mit einem dampfenden Becher Kaffee am Fenster stehen.
»Wurde auch Zeit«, sagte sie und drehte sich auf ihren hohen Absätzen zu ihr um. Sie trug ein sündhaft teures und auffällig gemustertes Kostüm und eine schnittige Frisur, die wohl ihre Dynamik unterstreichen sollte. Ihr fortgeschrittenes Alter bekämpfte sie mit teurer Kosmetik. Sie wandte sich zur Tür. »Lee, bringen Sie unserer Langschläferin einen Kaffee. «
Cheryl dachte nicht daran, sich zu entschuldigen. Ihre Chefin brauchte diese Spielchen, um ihre gute Laune zu behalten, besonders wenn ihr eine Laus über die Leber gelaufen war, und das war anscheinend an diesem Morgen der Fall. Nach dem Grund zu fragen, wäre fatal gewesen, besonders frühmorgens, also schwieg sie und wartete geduldig, bis die Assistentin ihren Kaffee brachte und Veronica Armstrong auf einen der beiden Besucherstühle deutete.
»Du kommst aus Montana, nicht wahr ?« Es klang eher wie eine Feststellung. »Wenn ich mich recht erinnere, besitzt dein Vater dort eine große Ranch.«
»Ich bin acht Jahre von zu Hause weg, Veronica.«
»Aber du warst schon mal beim Rodeo.« Sie blieb hinter ihrem Schreibtisch stehen und hielt den Kaffeebecher in beiden Händen. Die knallrote Farbe des Bechers biss sich mit den wärmeren Farbtönen ihres Kostüms. »Hast du mir nicht erzählt, dass du mal bei diesem Barrel Racing mitgemacht hast ?«
»Damals war ich sieben, Veronica !«
»Aber du kennst dich in dem Zirkus aus.« Sie setzte den Becher ab und griff nach der neuesten Ausgabe ihres Magazins. »Weißt du, was unseren letzten Heften fehlt ?« Sie blätterte die Zeitschrift wie ein Daumenkino durch. »Schöne Frauen, ein gestyltes Model nach dem anderen, die neue Sommermode, wieder nur Mädels und nur im vorletzten Heft das Interview mit Brad Pitt. Zugegeben, den hast du knackig fotografiert, das war ein richtiger Knüller, aber dennoch haben wir zu wenig Männer im Heft. Wir brauchen Kerle, Cheryl, ganze Kerle, wie man sie auf der Prärie in Montana findet. Richtige Männer mit kantigen Gesichtern und breiten Schultern, nicht immer diese verweichlichten Hollywoodheinis. Und du wirst sie uns bringen.«
Sie befürchtete das Schlimmste. »Ich soll nach Montana ?«
»Der Madison Square Garden würde mir schon reichen. Dort findet heute Abend ein großes Rodeo statt.« Sie hielt einen Computerausdruck hoch. »Rodeo Goes New York« stand in großen Lettern darüber, dann folgten die branchenüblichen Übertreibungen : »Die besten Cowboys des Westens - Wilde Bullen und bockende Pferde - Der Wilde Westen in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit - Rodeoweltmeister Garth Brackett zum ersten Mal in New York - So was hat New York noch nie erlebt !«
»Stimmt, davon habe ich gehört«, fiel es Cheryl wieder ein, »aber ich habe mich nie sonderlich für diesen Macho- kram interessiert und wüsste auch nicht, wie ich diese Bauernjungen einigermaßen in Szene setzen könnte ...«
Ihre Chefin hielt einen zweiten Ausdruck hoch, diesmal mit dem Foto eines kräftigen und durchtrainierten Mannes. »Dann kennst du diesen Brackett noch nicht. Er hat die Silberne Gürtelschnalle in Las Vegas gewonnen, das ist so was wie der Superbowl der Rodeoreiter, aber das weißt du sicher besser als ich. Ich will, dass du ihn so sexy wie möglich ablichtest. Geschmackvoll natürlich, aber sexy genug, um eine abgezockte Lady wie mich rot werden zu lassen. Kriegst du das hin, Cheryl ?«
»Wann ? Heute Abend ?«
»Jetzt gleich, meine Liebe, jetzt gleich ! Lee hat dir bereits die Arbeit abgenommen und herausbekommen, dass die Jungs heute Morgen trainieren. Schnapp dir diesen Brackett und meinetwegen auch ein paar andere Cowboys, wenn sie sich darum reißen, und bring mir ein paar Doppelseiten. Der Manager im Garden weiß Bescheid, dass du kommst. Er hat auch den Backstagepass für die Show heute Abend. Vermassel die Sache nicht, Cheryl, das könnte eine Riesenstrecke im nächsten Heft werden.«
Cheryl trank einen Schluck Kaffee, um wenigstens etwas im Magen zu haben, und machte sich auf den Weg. Mit dem Taxi waren es nur ein paar Minuten bis zum Madison Square Garden, auch bei starkem Verkehr. Der Bühneneingang stand offen, und im Gang dahinter kam ihr bereits der Stage Manager entgegen, ein schnauzbärtiger Bursche in Jeans und Lederjacke, der sie entfernt an irgendeinen Westernhelden erinnerte.
»Cheryl Parker«, stellte sie sich vor. »Unsere Assistentin hatte mit Ihnen telefoniert.«
Was bei Rockkonzerten und anderen Veranstaltungen oft Anstrengung und Nerven kostete, lief hier verhältnismäßig stressfrei ab. Der Manager, ein gewisser Bob Luman, gab ihr einen Backstagepass zum Umhängen, der ihr Zugang zu allen Bereichen gewährte, und sagte : »Sie kommen gerade richtig, Ma'am. Garth, unser Champion, ist als Letzter dran, und danach haben Sie eine halbe Stunde für Ihre Fotos. Sie kommen von einer Frauenzeitschrift ?«
»Celebrity«, ließ sie ihren Charme spielen. »In einer der letzten Ausgaben hatten wir Brad Pitt drin. Wir dachten, es wird langsam Zeit, dass wir mal die wahren Helden dieses Landes zeigen. Rodeostars ... Das sind noch Männer.«
»Darauf können Sie wetten, Ma'am.« Sein Dialekt und das »Ma'am« verrieten ihn als Westerner, ein New Yorker hätte niemals »Ma'am« gesagt. »Ich nehme an, als New Yorkerin kennen Sie sich im Garden aus.« Er zwinkerte amüsiert. »Es sei denn, Sie treiben sich sonst nur am Rand von roten Teppichen rum.«
Was natürlich stimmte, aber das band sie ihm nicht auf die Nase. Um die Arena zu erreichen, brauchte sie nur den lauten Anfeuerungsrufen zu folgen, die bis in die Katakomben des Madison Square Garden zu hören waren. Sie erreichte die Halle durch eines der Tore und beobachtete einen Reiter, der auf einem bockenden Pferd durch die eingezäunte Arena ritt und beim Klang einer Sirene von einem anderen berittenen Cowboy vom Pferderücken gehoben wurde. Mit einem gekonnten Griff löste der Cowboy den Gurt, der das ansonsten zahme Pferd an den Genitalien kitzelte und zum Bocken brachte. Cheryl hatte diese Art der Unterhaltung immer als Tierquälerei empfunden, obwohl ihr die Cowboys versichert hatten, dass keines der Tiere während eines Rodeos zu Schaden kam. »Ganz im Gegenteil«, hatte ihr ein Oldtimer damals in Billings erzählt. »Den Tieren geht es bei uns besser als überall sonst.«
Als sie die Cowboys auf dem Metallzaun und den Gattern sitzen sah, fühlte sie sich tatsächlich an Montana erinnert, nur dass die Rodeos dort unter freiem Himmel stattfanden und nicht als Showspektakel wie hier in New York. Die Rodeo Arena in Blackwater bestand aus einem kleinen Stadion, dessen Tribüne höchstens dreihundert Leute fasste.
»Hey«, rief der erste Cowboy, der auf sie aufmerksam wurde. Er nahm seinen Stetson vom Kopf und begrüßte sie nervös. »Sie sind die Lady von der Zeitung, stimmt's? Sie wollen sicher Garth, nehm ich am. Er ist gleich dran.«
»Howdy, Ma'am !«, riefen die anderen Cowboys.
»Cheryl Parker«, erwiderte sie. Sie holte eine ihrer beiden Kameras aus der Tasche und schraubte das passende Objektiv darauf. »Lassen Sie mich rein ?«
Die Cowboys zögerten. »Sie wollen in die Arena ?«
»Ich war schon öfter beim Rodeo. Ich bin in Montana aufgewachsen «, erklärte sie. Dass sie damals minderjährig gewesen war, brauchte niemand zu wissen.
»Wenn das so ist«, sagte der Cowboy, der sie zuerst begrüßt hatte, ein junger Bursche mit wettergegerbtem Gesicht. Er wandte sich an den berittenen Cowboy in der Arena. »Lass sie rein, Dusty. Die Lady kommt aus Montana.«
Cheryl wäre nie auf die Idee gekommen, ihre Heimat in Montana als Türöffner für einen Event zu nutzen, und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Sie hängte sich die Kamera um den Hals und lief am Zaun entlang, blickte ein paarmal durch den Sucher, bis sie den richtigen Ausschnitt gefunden hatte. Die großen Scheinwerfer brachten genug Licht.
»Bleiben Sie dicht am Zaun, und klettern Sie hoch, falls Ihnen der Gaul zu nahe kommt«, rief ihr Dusty zu. »Blue Lightning ist ein nervöser Bursche.«
Die Tür des Gatters wurde hochgerissen, und Garth Brackett ritt auf dem bockenden Pferd in die Arena. Durch den Sucher bewunderte Cheryl die scheinbare Leichtigkeit seiner Bewegungen, als wäre es das Einfachste auf der Welt, sich auf dem Rücken eines bockenden und springenden Pferdes zu halten. Er schien zu wissen, dass ihn jemand fotografierte, denn er lächelte dabei und schaffte es sogar, das Pferd in ihre Richtung zu lenken. Ihr rechter Zeigefinger blieb auf dem Auslöser und fing beinahe jede Bewegung des Reiters ein. Mit einer Hand am Seil und der anderen in der Luft hielt er das Gleichgewicht, das Pferd trieb er mit den Stiefeln an.
Blue Lightning hielt, was sein Name versprach. Er sprang, bockte und drängte gegen den Zaun, doch Garth blieb auf seinem Rücken und sprang nach acht Sekunden selbstständig herunter. Dusty löste den Gurt und trieb das Pferd in die Koppel zurück. Die Cowboys auf dem Zaun johlten begeistert. »Ich glaube, du hast mächtig Eindruck bei der Lady gemacht «, rief jemand.
Cheryl setzte die Kamera ab und begrüßte den Reiter. »Beeindruckend«, lobte sie ihn, »und so elegant.« Männern wie Garth musste man um den Bart gehen, wenn man gute Fotos und ein einigermaßen vernünftiges Interview haben wollte. »Und Sie reiten auch auf wilden Bullen, ist das wirklich wahr ?«
»Und ob, Ma'am. In Las Vegas bei der Endausscheidung hatte ich den wildesten von allen, Stormy Weather, und trotzdem bekam ich die besten Noten. Kaum jemand glaubte, dass ich die acht Sekunden durchhalten würde.« Er sonnte sich in seinem Ruhm, bis ihm einfiel : »Sie wollten ein Interview ?«
»Nun, zuerst einmal bräuchte ich ein anständiges Foto«, kroch Cheryl ein wenig um den heißen Brei herum. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Ihr Ritt auf dem wilden Pferd war wirklich große Klasse, aber meine Chefredakteurin möchte etwas ganz Besonderes haben. Wie wär's, wenn Sie auf einem wilden Bullen reiten ? Es muss ja nicht gleich dieser Stormy Weather sein.« Sie hüstelte scheinbar verlegen. »Mit nacktem Oberkörper, damit man Ihre Muskeln sieht ? Wir sind ein Magazin für Frauen, wissen Sie, und die Mädels möchten auch gern mal was zum Staunen haben. Nichts Unanständiges, aber doch ... wie soll ich sagen ? Sie haben doch einen wunderschönen Körper, Garth.«
Seltsamerweise zierte sich Garth kein bisschen. »Das nenne ich doch mal eine gute Idee, Ma'am. Mit nacktem Oberkörper auf einem wilden Bullen.« Er lachte so laut, dass die anderen Cowboys zu ihnen herüberblickten und sie schon Angst hatte, er würde sich über sie lustig machen. »Habt ihr gehört, Jungs ? Ihr sollt einen Bullen holen. Ich werde ihn mit nacktem Oberkörper reiten. Die Ladys in den Städten sollen ordentlich was zum Staunen haben.«
Die Cowboys glaubten an einen Scherz und reagierten erst, als Garth sie ein zweites Mal aufforderte, und der Stage Manager war strikt dagegen, bis Garth ihm versicherte, den Kopfschutz zu tragen und nur ein paar Sekunden auf dem Bullen zu bleiben. »Dusty passt auf mich auf«, versprach er. »Und die Lady bleibt weit genug von mir weg, damit sie nichts abbekommt.«
»Ich bin schließlich nicht lebensmüde«, sagte Cheryl.
Doch ein wenig mulmig war ihr schon zumute, als die Cowboys einen Bullen ins Gatter trieben und ihm den Flankengurt anlegten. Sofort begann er wild auszuschlagen und mit seinem massigen Körper gegen das Gatter zu drängen. Cheryl kletterte zu den Cowboys auf den Zaun und wurde von einem der Männer gehalten, als sie fotografierte, wie Garth mit nacktem Oberkörper über den Bullen stieg, sich das Halteseil mehrfach um die behandschuhte Rechte wickelte und Cheryl zurief : »Und jetzt machen Sie endlich, dass Sie in Ihre Ecke kommen, Lady, sonst reite ich Sie über den Haufen !«
Cheryl sprang vom Zaun und rannte durch die Arena, blieb weit genug vom Gatter entfernt stehen und richtete die Kamera darauf. Sie wusste, dass ihr nur wenige Sekunden für die Aufnahme blieben. »Sind Sie so weit, Lady ?«
»Fertig«, rief Cheryl zurück.
»Dann los !«
Zwei Cowboys öffneten das Gatter, und Garth schoss auf dem wilden Bullen in die Arena. Das mächtige Tier war ein ganz anderes Kaliber als Blue Lightning, schnaubte und tobte und keilte aus, als wüsste es, dass eine besonders dramatische Performance von ihm erwartet wurde. Nach jedem Sprung kam es so fest auf, dass der Boden bebte, und drehte sich einmal um die eigene Achse, um den lästigen Reiter endgültig loszuwerden.
Cheryl drückte unentwegt auf den Auslöser, jubelte innerlich, als sie bemerkte, wie die Schweißperlen auf Garths nacktem Oberkörper im Scheinwerferlicht glänzten, und hielt auch den Augenblick fest, als er vom Rücken des wilden Tieres sprang und Dusty den Bullen von seinem lästigen Flankengurt befreite und ins Gatter zurücktrieb. Das Tier schnaubte erleichtert.
Garth wischte sich die Sägespäne mit der flachen Hand vom muskulösen Oberkörper und lächelte wie bei einem seiner Meisterritte in Las Vegas. »So ungefähr, Lady ? Oder wollen Sie, dass ich noch mal auf den Bullen steige ?«
Gegen ihren Willen errötete Cheryl beim Anblick der ausgeprägten Muskeln und konzentrierte sich rasch auf die Fotos auf ihrem Display. »So ungefähr«, bestätigte sie und zeigte ihm die Aufnahme mit den Schweißtropfen.
Garth zeigte sich zufrieden. »Wie wär's mit einem Kaffee ?«
2
In der Garderobe von Garth Brackett standen eine Kanne Kaffee und ein Teller mit Sandwiches bereit. »Bedienen Sie sich«, forderte er sie auf, »oder gehören Sie auch zu diesen Stadtladys, die nur an Salatblättern knabbern ? Ich hab mir sagen lassen, dass sie in New York besonders heikel sind.«
»Mag schon sein«, räumte sie ein, »aber ich gehöre bestimmt nicht dazu. Wenn Sie erlauben?« Sie griff nach einem Sandwich und biss hinein. Erst nachdem ihr größter Hunger gestillt war, erinnerte sie sich an ihren Job. Sie zog ihr Notizbuch aus der Fototasche. »Ich habe etliche Narben auf Ihrem Oberkörper gesehen, Garth. Als Rodeostar lebt man gefährlich, nicht wahr ?«
»Das können Sie laut sagen, Lady. Wissen Sie, wie viele Knochen ich mir während meiner Karriere gebrochen habe ? Einundzwanzig.« Er war anscheinend stolz darauf. »Und wenn ich noch mal einen Bullen wie Stormy Weather erwische, werden es noch ein paar mehr, da bin ich ganz sicher. Erzählen Sie das mal den Tierschützern, die gleich aufschreien, wenn wir einen Bronco oder einen Bullen zu hart rannehmen. Unsere Blessuren sind viel schlimmer.«
Die Lebensgeschichte des Champions bot wenig Überraschendes und würde nur ein paar Zeilen in ihrer Reportage ausmachen. Als Sohn eines Ranchers in Wyoming aufgewachsen, schon als Kind geritten, auf der Highschool die ersten Rodeos gewonnen, dann Juniorenmeister, bei den Amateuren und dann bei den Profis geritten, vor allem auf gesattelten Pferden und wilden Bullen. In seinem Haus in Laramie gab es einen Raum, in dem er ausschließlich Pokale aufbewahrte.
»Und zu Hause warten Frau und Kinder ?«
»Nein, ich wohne allein.« Er lächelte. »Es sei denn, Sie zählen Hank mit, den treuesten Hund seit Lassie und Beethoven. Ein ehemaliger Rinderhund, der hielt die Rinder während unseres Viehtriebs im Frühjahr zusammen. Eine treue Seele.« Er zeigte ihr ein Foto. »Er bekommt sein Gnadenbrot bei mir.«
»Aber Sie sind doch dauernd unterwegs ?«
»Er wartet im Hotel auf mich. Ich hab ihn reingeschmuggelt. «
»Und wie steht's mit den Mädels ? Gibt's beim Rodeo auch Groupies ?«
Er schien auf die Frage gewartet zu haben. »Klar gibt's die, und natürlich gibt es auch ein paar Grünschnäbel, die auf sie reinfallen. Wer es beim Rodeo zu etwas bringen will, sollte auf solche Abenteuer verzichten. Solche Affären lenken nur ab und schaden der Form. Wir sind moderne Westernhelden und halten die Tugenden eines John Wayne oder Randolph Scott hoch. Die Namen sagen Ihnen sicher nichts, aber damals, als mein Dad noch auf Wildpferden ritt, waren das unsere Helden. Stars wie sie gibt's schon lange nicht mehr in Hollywood, deshalb müssen die Champions des Rodeo ran.«
Cheryl hätte ihm gerne gesagt, dass sie die meisten Western mit John Wayne und Randolph Scott gesehen hatte, verkniff sich die Bemerkung aber. Sie war schon lange genug hier und wollte so schnell wie möglich weiter. »Und in Ihrem Leben gibt es keine Frau ? Eine feste Freundin vielleicht ?«
Die Frage gehörte zu ihren Pflichtaufgaben, wenn sie einen berühmten Junggesellen interviewte.
»Bis jetzt noch nicht.« Cheryl hatte das Gefühl, dass er leicht errötete. »Wahrscheinlich ist mir die Richtige noch nicht begegnet. Wäre auch eine ziemliche Zumutung für eine Frau, mit einem wie mir zusammenzuleben.«
»Was nicht ist, kann ja noch werden«, erwiderte Cheryl.
Sie schob noch etwas Smalltalk nach und versicherte ihm, die Abendveranstaltung auf keinen Fall zu versäumen, dann verabschiedete sie sich und verließ seine Garderobe. Ein seltsamer Bursche, dachte sie, während sie durch die Katakomben ging. Ist stolz auf seine einundzwanzig Knochenbrüche und hält sich von den Frauen fern, weil übermäßiger Sex seiner Form schaden könnte. Okay, er hatte sich anders ausgedrückt, aber so würde es in Celebrity stehen. Das waren die Themen, die ihre Leserinnen vor allem interessierten.
In dem düsteren Gang, der zum Ausgang führte, fiel ihr plötzlich ein, dass sie ein gemeinsames Foto mit Garth und ihr vergessen hatte. So was machte sich immer gut und zeigte den Lesern, dass sie einen Star wirklich getroffen hatte. Sie drehte um und hastete zur Garderobe des Champions zurück. Nachdem sie ein paarmal geklopft hatte, öffnete sie und stellte fest, dass Garth schon gegangen war. Sie nahm an, dass er bei den anderen Cowboys war und damit prahlte, welchen Eindruck er auf die New Yorker Lady gemacht hatte.
Sie ging an den anderen Garderoben vorbei, entdeckte eine angelehnte Tür und glaubte plötzlich, Garths Stimme zu hören. Ohne lange zu überlegen, klopfte sie und trat ein. Rechtzeitig genug, um zu erkennen, wie Garth ein grell geschminktes Mädchen in den Armen hielt und leidenschaftlich küsste. Die beiden bemerkten sie viel zu spät und starrten sie entsetzt an. »Cheryl«, fand Garth als Erster seine Sprache wieder, »es ist nicht so, wie Sie denken ...«
Weiter kam er nicht. Cheryl griff in einem Reflex nach ihrer Kamera, ließ sie aber sofort wieder los und rannte davon. Vorbei an dem überraschten Stage Manager hastete sie auf die Straße und blieb erst an der nächsten Kreuzung stehen. Sie stellte ihre Fototasche ab und atmete schwer. So war das also, dämmerte es ihr, der Champion stand auf leichte Mädchen, und sein ganzes Gerede über unwürdige Affären und die Tugenden legendärer Westernstars waren reine Schutzbehauptungen, um von seiner Vorliebe abzulenken. Sie nahm ihm seine Lügen nicht übel. Ein Wildpferd- und Bullenreiter, der sich mit zweifelhaften Girlies herumtrieb, auch wenn sie achtzehn waren, konnte einpacken. Die konservativen Rodeofans wollten schließlich saubere Helden, keine Herumtreiber, die sich in New York mit einer jungen Nutte abgaben.
Sie winkte ein Taxi herbei und ließ sich zur Redaktion zurückfahren. Wieder ein indischer Fahrer, diesmal ohne Turban. Natürlich hätte sie die Kamera aus der Tasche ziehen und auf den Auslöser drücken können. Das Foto wäre ein Renner gewesen und hätte ihre Stellung bei Celebrity noch mehr gefestigt. Aber für solche Sensationen hatte sie sich noch nie hergegeben. Sie war keine Paparazza, die stundenlang vor dem Haus eines Prominenten auf der Lauer lag, nur um ihn mit seiner Freundin oder seinen Kindern ablichten zu können.
Ihr Handy klingelte, der melodische Refrain, den sie Mikes Nummer zugeordnet hatte. Mike LeJeune war ihr Freund oder so etwas Ähnliches, ein mäßig erfolgreicher Schauspieler aus Virginia, der vor allem als Vertrauensmann in den Werbespots der New York Consolidated bekannt geworden war. Seitdem die Commercials abgesetzt waren, hatte er kleinere Rollen in Serien wie »Law & Order SVU« und »Castle« übernommen. Sie hatte ihn auf einer Aftershowparty kennengelernt und war vor allem von seiner höflichen und zurückhaltenden Art angetan gewesen. Er war ein Gentleman der alten Schule, ungefähr acht Jahre älter als sie, die Haare sauber gescheitelt und etwas zu konservativ gekleidet. Belesen, humorvoll, ein Mann, den man tatsächlich eher bei einer Versicherung als im Showbusiness vermutet hätte.
»Mike ... was gibt's?«
»Na, hör mal«, beschwerte er sich. »Begrüßt man so etwa seinen Liebsten ?« Er war tatsächlich etwas eingeschnappt. »Wir haben uns drei Tage lang nicht gesehen, und ich wollte nur mal hören, wie's dir geht. Wie geht es dir ?«
»Tut mir leid, Mike. Ich bin im Stress.«
»Bist du das nicht immer ?«
»In den letzten Tagen besonders. So viele Partys und rote Teppiche hatte ich schon lange nicht mehr. Du glaubst ja nicht, wie viele Filme sie in New York drehen.« Sie merkte, dass sie etwas Falsches gesagt hatte, und fügte schnell hinzu : »Alles Hollywoodproduktionen. Da kommt man nur rein, wenn man den Bossen in L. A. auf dem Schoß sitzt.« Sie wechselte den Hörer von einer Hand in die andere. »Und du ? Was ist mit der neuen Krimiserie ?«
»Da ist leider nichts draus geworden, aber morgen hab ich ein Casting für eine neue Soap. Ein alternder Playboy, der sich mit einer blutjungen Chaotin einlässt.« Sein Lachen klang gekünstelt. »Falls ich die Rolle bekomme, habe ich die nächsten zwei Jahre zu tun, hier in New York. Na, was sagst du ?«
Er hatte schon so viele Absagen bekommen, dass sie kaum noch daran glaubte. Die Darsteller einer Werbekampagne bekamen selten eine Hauptrolle. Dennoch sagte sie : »Das wäre super, Mike. Ich drücke dir die Daumen.«
»Noch schöner wäre es, wenn du heute Abend mit mir essen gehen würdest«, erwiderte er. »Ich habe einen neuen Italiener in Brooklyn aufgetan ...«
»Heute Abend geht nicht, Mike. Ich muss zum Rodeo.«
»Zum Rodeo ? In New York?«
»Rodeo Goes New York«, erklärte sie, »heute Abend im Garden. Ein Showevent mit dem Champion des Jahres, Garth Brackett. Ich hab ihn gerade fotografiert und interviewt. « Sie dachte daran, wie gierig er das Mädchen geküsst hatte. »Nicht gerade mein Ding, aber ich muss hin. Veronica gibt mir acht bis zwölf Seiten. So eine große Strecke bekommst du nicht alle Tage.«
»Wie wär's nach dem Rodeo ?«
»Vor elf komme ich da nicht raus, Mike.«
»Dann eben nach elf. Warum schnappst du dir kein Taxi und kommst zu mir ? Ich lasse uns eine Kleinigkeit von der Sushibar kommen, und wir könnten den guten Wein trinken, den du mir zum Geburtstag geschenkt hast.«
Was so viel hieß wie, dass er mit ihr schlafen wollte und sie die Nacht gemeinsam verbringen würden. Ein berechtigter Wunsch, immerhin hatten sie zwei Wochen nicht mehr miteinander geschlafen, und bisher waren nach dem Sex immer beide zufrieden gewesen. Mike war ein sehr rücksichtsvoller Liebhaber, alte Schule eben, der sehr behutsam vorging und ihr genauso viel Vergnügen gönnte, wie er selbst empfand. Doch aus irgendeinem Grund, den sie nicht benennen konnte, war Cheryl in letzter Zeit lieber allein, vielleicht auch wegen des Trubels und der vielen Einladungen, die sie wahrnehmen musste.
Dennoch sagte sie zu. Sie durfte Mike nicht schon wieder enttäuschen, besonders nicht vor einem so wichtigen Casting. »Also gut«, antwortete sie. Sie bemühte sich, nicht allzu gönnerhaft zu klingen. »Aber es kann spät werden.«
»Kein Problem. Auf dich warte ich die ganze Nacht.«
Cheryl legte auf und hing ihren Gedanken nach, während der Inder sich im dichten Verkehr auf der Fifth Avenue abmühte. Sie fand es beruhigend, in einem Taxi zu sitzen und das Chaos aus sicherer Entfernung und mit gedämpftem Geräuschpegel erleben zu dürfen. Den meisten New Yorkern ging es so. Hektisch wurden sie nur als Fußgänger, wenn selbst Models ihre High Heels mit Laufschuhen vertauschten, um im Gewimmel schneller voranzukommen.
Veronica Armstrong war überrascht, sie schon so früh wiederzusehen und auch ein bisschen misstrauisch, sie könnte den Auftrag zu schnell abgehakt haben. Doch beim Anblick der Fotos taute sie sichtlich auf. »Genau so hab ich mir's vorgestellt «, lobte sie, als die Fotos auf dem Computer erschienen und sie das Foto mit Garth Brackett und seinem nackten und verschwitzten Oberkörper vergrößerte. »Daraus machen wir eine Doppelseite ... und den Ritt klinken wir in sechs kleinen Fotos ein.« Sie blickte vom Computer auf. »Ich hoffe, der Junge hatte auch einiges zu sagen. Wie ich diese Rodeojungs kenne, sind sie entweder brave Familienväter oder gegen vorehelichen Sex.«
Wenn du wüsstest, dachte Cheryl. »Ganz so schlimm ist es nicht, die Cowboys haben ganz schön mit mir geflirtet. Aber Garth Brackett sieht sich als letzter großer Westernheld ... er müsse die Tugenden eines John Wayne hochhalten.«
»John Wayne ? Hatte der überhaupt ein Sexleben ?«
»Soweit ich weiß, war er ein paarmal verheiratet.«
»Dann kann's mit der Tugend auch nicht so weit her gewesen sein«, erwiderte Veronica. Sie schürzte die Lippen. »Damals haben die Stars nur besser dichtgehalten, und es lauerten nicht an jeder Ecke die Paparazzi. Na, du wirst schon was Griffiges daraus machen. Mit dem Layout warten wir bis morgen früh, wenn wir die Bilder von heute Abend haben. Du gehst doch hin ?«
»Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben.«
»Man kann nicht jeden Tag Brad Pitt haben. Morgen um halb zehn, okay ?«
»Okay«, stimmte sie zu.
Als freie Journalistin und Fotografin, die auf Honorarbasis für das Celebrity Magazine arbeitete und lediglich durch ein monatliches Fixum an die Zeitschrift gebunden war, brauchte sich Cheryl nicht an die üblichen Arbeitszeiten zu halten, obwohl Veronica das anders sah und sie viel Zeit in der Redaktion verbrachte. Sie hatte dort auch einen eigenen Arbeitsplatz, an dem sie ihre Artikel schrieb. Diesmal ging sie mit zwei Kolleginnen in den Coffeeshop nebenan zum Mittagessen und blieb zwei Stunden, um eine erste Fassung ihrer Reportage zu erstellen. Am Spätnachmittag nahm sie ein Taxi nach Brooklyn, wo ihr kleines Apartment lag.
Zum Abendessen genügte ihr ein Sandwich. Sie war keine große Köchin und aß meistens auswärts, wenn sie etwas Warmes wollte. Etwas komplizierter war es, die richtige Kleidung für den Abend zu finden. Leger genug, um bei ihrem Job in der Arena nicht behindert zu werden, aber auch ein wenig sexy, um Garth zu gefallen. Sie entschied sich für ihre neuesten Jeans, ein rotes T-Shirt mit drei kleinen Elefanten aus Strasssteinen und weiße Laufschuhe. Ihre Haare band sie zu einem losen Knoten hoch. Ein leichtes Make-up musste bei den hellen Scheinwerfern im Madison Square Garden genügen.
Sie war selten zufrieden, wenn sie in den Wandspiegel über dem Waschbecken blickte, und hätte auch diesmal wieder viel für vollere Lippen gegeben. Nicht mal ihr neuer Lippenstift konnte da viel ausrichten. Die rötlichen Strähnen, die seit dem letzten Friseurbesuch ihre kastanienbraunen Haare durchzogen, gaben ihr jedoch eine besondere Note, und ihre blaugrünen Augen hoben sich durch den Eyeliner noch ausdrucksvoller von ihrem etwas blassen Gesicht mit den leicht erhöhten Wangenknochen ab. Die meisten Männer, mit denen sie in New York ausgegangen war, hatten ihre Schönheit gerühmt, aber das taten alle Männer, wenn sie etwas wollten, und wenn ihr Aussehen tatsächlich so makellos gewesen wäre, hätte sie einer der Designer, die bei Celebrity ein- und ausgingen, längst zu einem Fotoshooting eingeladen.
Beim Rodeo fiel sie zwischen den vielen anderen Fotografen gar nicht auf, ganz zu schweigen von den Cheerleaders der New York Jets, die im Vorprogramm auftraten, ungefähr acht Jahre jünger als sie waren und bei einem Modelwettbewerb alle auf den vorderen Plätzen gelandet wären. Die Cowboys kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, waren aber zu schüchtern, um sich den langbeinigen Schönheiten zu nähern. Cheryl hielt sich meist am Metallzaun neben den Gattern auf und fotografierte vor allem farbenprächtige Szenen wie die Parade mit allen Teilnehmern, die den Showevent eröffnete.
Garth Brackett sah sie erst beim Wildpferdreiten. Er erschien in voller Montur bei den Gattern und erschrak, als er sie am Zaun stehen sah. Nur widerwillig wagte er sich in ihre Nähe. »Es war nicht so, wie es aussah«, flüsterte er ihr zu. In seiner Stimme schwang Panik mit. »Sie werden doch nicht ...«
»Keine Angst !«, unterbrach sie ihn ebenso leise. »Wir sind kein Skandalblatt. Ich denke nicht daran, über wilde Gerüchte zu schreiben. In meiner Reportage geht es lediglich darum, was Sie mir im Interview erzählt haben.«
»Das werde ich Ihnen nicht vergessen, Lady.«
»Ich bin Journalistin ... kein Schmierfink.«
»Es war nur ein Ausrutscher ...«
»Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen.«
Cheryl durfte bei seinen Ritten in die Arena und war erstaunt, mit welcher Begeisterung er auch an diesem Abend bei der Sache war, zuerst auf dem Wildpferd und als letzter Teilnehmer auf einem wilden Bullen. Er ritt so engagiert und leidenschaftlich, als könnte er mit einem erstklassigen Auftritt die bösen Geister verjagen, die ihn wahrscheinlich bis in seine Träume verfolgten, und genoss den Applaus des Publikums im ausverkauften Madison Square Garden. Er verbeugte sich nach allen Seiten, grüßte auch Cheryl, als er die Arena verließ, und verschwand ohne ein weiteres Wort in seiner Garderobe.
Noch vor der abschließenden Parade verabschiedete sich Cheryl vom Stage Manager und verließ die Halle durch einen Seiteneingang. Sie stieg in eines der bereitstehenden Taxis, lehnte sich erschöpft zurück und gab dem Fahrer, einem Araber, Mikes Adresse. Er wohnte ebenfalls in Brooklyn, allerdings weiter südlich, in einem der alten Häuser am Prospect Park. Schon von Weitem sah sie, dass er auf dem Balkon stand und nach ihr Ausschau hielt.
»Warten Sie«, hielt sie den Fahrer zurück. Er fuhr an den rechten Straßenrand und drehte sich fragend zu ihr um. »Ich hab's mir anders überlegt. Drehen Sie um, und fahren Sie nach Norden zurück.« Sie gab ihm ihre Adresse.
Als sie in ihrer Wohnung angekommen war, setzte sie die schwere Fototasche auf dem Boden ab und ging in die Küche. Sie trank ein Glas kalte Milch und fühlte sich danach schon etwas wohler. Das Klingeln ihres Handys ignorierte sie.
»Ich kann nicht, Mike«, flüsterte sie. »Ich kann wirklich nicht.«
Copyright der Originalausgabe © 2014 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167
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Autoren-Porträt von Christopher Ross
Christopher Ross hat sich als Verfasser romantischer Abenteuerromane einen Namen gemacht. Auf zahlreichen Reisen und während längerer Aufenthalte in den USA und Kanada entdeckte er seine Vorliebe für Nordamerika, den bevorzugten Schauplatz seiner Romane. Für seine Bücher erhielt er zahlreiche Preise.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christopher Ross
- 2014, 1, 320 Seiten, Masse: 12,5 x 18,7 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863657748
- ISBN-13: 9783863657741
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