Was wir von der Liebe verstehen
Wie geht Liebe? Wie kann man sie durch den Alltag retten? Die beiden Schriftsteller Elke Naters und Sven Lager müssen es wissen; sie sind seit sechzehn Jahren ein Paar und haben zwei Kinder. Doch das Abenteuer Liebe hat viele Facetten - Elke Naters und...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Was wir von der Liebe verstehen “
Wie geht Liebe? Wie kann man sie durch den Alltag retten? Die beiden Schriftsteller Elke Naters und Sven Lager müssen es wissen; sie sind seit sechzehn Jahren ein Paar und haben zwei Kinder. Doch das Abenteuer Liebe hat viele Facetten - Elke Naters und Sven Lager haben sie alle erlebt. Anrührend, witzig, aber auch schonungslos beschreiben sie, wie trotz vieler Hindernisse (Streit, Geld, Sex) tiefe Liebe und Beziehung möglich sind.
Klappentext zu „Was wir von der Liebe verstehen “
Wie geht Liebe? Wie kann man sie durch den Alltag retten? Zwei, die es wissen müssen sie sind seit vierzehn Jahren ein Paar und haben zwei Kinder , erzählen berührend, offen und voller Behutsamkeit vom täglichen Abenteuer ihrer grossen und immer wieder überraschenden Liebe. Die Idee, ihre Liebe zum Thema zu machen, entstand aus dem Stolz und dem Glück, etwas geschafft zu haben, woran viele scheitern: sich auch nach so vielen Jahren noch zu lieben und immer mehr zu lieben. Abwechselnd berichten Elke Naters und Sven Lager, beides bekannte Schriftsteller, wie sie sich und ihre Beziehung sehen. Das ist mal pathetisch, wenn sie feststellen, wie sehr sie einander ans Herz gewachsen sind, mal praktisch, wenn es um Sex und die Organisation von Gelddingen geht, mal sehr komisch, wenn sie sich zanken (Du bist so unordentlich! Du bist so langsam!). Entstanden ist ein Buch, das Erfahrung über den Alltag von Beziehungen vermittelt. Aber es ist auch die ganz private Liebesgeschichte zweier Menschen, die den Leser berührt, wie eben alle Liebesgeschichten berühren.
Lese-Probe zu „Was wir von der Liebe verstehen “
Was wir von der Liebe verstehen von Elke Naters & Sven Lager Vorwort
Wir lieben uns seit vierzehn Jahren. Das ist das Alter unse res Sohnes plus eins. Oder unserer Tochter plus drei. Nicht dass wir vorhatten, Kinder zu haben, es passierte einfach, so wie die Liebe ohne Vorwarnung kam.
Nach zwölf Jahren, sieben Büchern, vier Umzügen in drei verschiedene Länder und zwei Kindern heirateten wir im Meldeamt einer kleinen Provinzhauptstadt in Südafrika zwischen Tankstelle und Metzgerei, während eine Gruppe Gefangener in orangen Ove ralls und Fußfesseln an uns vorbeischlurfte.
In diesem Jahr haben wir wieder geheiratet. Die Kirche war eine alte Gemeindehalle, der Pfarrer ein Surfer in Jeans, und anschließend gab es ein Fest im Garten mit siebzig Gästen und drei riesigen Töpfen Chili con Carne. Wir waren glücklich und verliebt wie am ersten Tag.
Wir dachten, wir haben etwas geschafft, woran viele scheitern. Wir lieben uns immer mehr nach so vielen Jahren, wir wissen etwas, was viele nicht wissen, und aus dem Stolz und dem Glück entstand die Idee für dieses Buch.
Voller Euphorie begannen wir zu schreiben, doch es kam ganz anders. Ehe wir's uns versahen, steckten wir in einer Krise. Auf einmal schien unsere Liebe eine Geschichte von Streit, Einsamkeit und Kompromissen.
In einigen Dingen hatten wir uns arrangiert, andere tolerierten wir stillschweigend. Wir mussten genauer hinsehen. Wir mussten zurückgehen zu unseren Idealen, Ansprüchen und Sehnsüchten.
Schicht für Schicht legten wir unsere Liebe frei und verstanden mehr und mehr. Manches lag begraben, anderes war nie ausgesprochen worden, und wir stellten fest: Wir müssen ehrlich sein bis auf die Knochen, wenn wir unsere Liebe retten und sie wachsen lassen wollen.
... mehr
Wir haben uns eine tiefere Einsicht erschrieben und darüber eine Erkenntnis gewonnen, die wir überglücklich teilen wollen.
So wie wir von anderen Paaren und deren Liebe inspiriert wurden, möchten wir unsere Geschichte mit all denen teilen, für die die Liebe eine Herausforderung ist.
Unsere Liebe ist einzigartig, aber wir haben gegensätzliche Charaktere, Wünsche und Vorstellungen, wir haben Geldsorgen, Kinder, Schwiegermütter und unerfüllte Wünsche wie andere auch.
Unser Buch ist ein Geständnis, und es ist eine Verbeugung vor der Liebe, die größer ist als wir.
Elke Naters und Sven Lager
1
Auf den ersten Blick
Oder warum wir uns nicht retten können
Love begins to be a demon the moment it begins to be a god.
C. S. Lewis
Liebe
Ich habe mich in meinem Leben aus vielen Gründen verliebt. Ich habe mich in Männer verliebt, weil sie eine Zahnlücke hatten, weil sie gut tanzen konnten, gut küssten, Schotten waren, weil sie mich wollten, ich sie wollte, jemand anderes sie wollte, weil ich nicht allein sein wollte oder weil sie mir zu einem bestimmten Moment genau das gaben, was ich brauchte.
Und ich habe mich in Männer verliebt, obwohl sie mich nicht liebten, obwohl sie nicht tanzen oder küssen konnten, obwohl sie keine Schotten waren, keine Zähne hatten, obwohl sie an mir klammerten, taub und süchtig waren und obwohl sie nichts von dem wollten, was ich wollte. Nur schön waren sie alle.
Viele habe ich nur einen Augenblick geliebt, in dem ich die Erfüllung aller Träume und Sehnsüchte aufblitzen sah, andere eine Nacht, Wochen, Tage oder Jahre. Ich hatte sogar Zeit mit einem Mann verbracht, den ich nicht liebte, in der Hoffnung, ich könnte ihn eines Tages lieben, so verzweifelt war ich, Liebe zu finden.
Den Mann, dem ich wirklich verfallen war, hielt ich für meine große Liebe. Liebe war für mich, wenn ich vor Eifersucht nicht schlafen konnte, wenn mein Lebensglück davon abhing, wie gut wir uns verstanden, wenn mein Tagesablauf sich darum drehte, wann er Zeit hatte und wir uns sehen konnten. Er bestimmte unser Zusammenleben und mein Glück.
Wenn ich unglücklich war, weil ich mich nicht genug geliebt fühlte, betrog ich ihn. Ich versuchte mich in andere Män ner zu verlieben, aber es funktionierte nicht, weil ich alles nur wegen ihm tat.
Ich dachte, so fühlt sich große Liebe an. Das ist Leidenschaft. Wer will sich schon mit lauwarmen Verhältnissen aufhalten. Ich wollte die ganz große Liebe, und die hatte ich offensichtlich.
Ich hatte mich selbst verloren in meiner Liebe. Es war eine schöne, große Liebe, aber eine ungesunde.
Ich idealisierte den Mann, den ich liebte. Ich vervollständigte ihn in meiner Vorstellung. Alles, was er nicht war, wünschte ich mir dazu. Ich verzweifelte daran, dass er nicht so war, wie ich ihn mir wünschte. Warum konnte er nicht aufmerksamer, zärtlicher, liebevoller sein, mehr Zeit für mich haben und weniger selbstbezogen sein, denn dann wären wir perfekt!
Ich projizierte mein Liebesideal auf ihn und verzweifelte daran, dass sich Bild und Realität nicht deckten. Je mehr ich verzweifelte, desto mehr wollte ich, dass er so war, wie ich ihn haben wollte, und ich dachte, weil ich ihn trotz allem liebte, muss er meine große Liebe sein, und hielt noch mehr an ihm fest.
Irgendwann begriff ich, dass ich diesen Traum mehr liebte als den Mann. Meine große Liebe war der Mann, der er hätte sein können. Der Mann, der mich hätte glücklich machen können. Noch viel später sollte ich erkennen, dass ich Ansprüche an ihn gestellt hatte, die er gar nicht erfüllen konnte, dass ich ihm zum Vorwurf gemacht hatte, nicht so zu sein, wie ich ihn haben wollte, dass er mich nicht so liebte, wie ich geliebt werden wollte. Ich sah nicht, was er für mich tat, sondern was er nicht tat.
Erst zwanzig Jahre später begriff ich, dass ich am Scheitern dieser Liebe, für die ich ihm alle Schuld gab, selbst verantwortlich war.
Er liebte mich, so gut er konnte, aber seine Liebe war nie gut genug für mich. Ich begann zu bereuen, und mit der Reue kam die Heilung.
Ich kann nicht wieder zurückgehen und alles richtig ma chen, aber ich kann daraus lernen und es heute besser machen. Um glücklich zu werden musste ich meine Vorstellung von der Liebe ändern: weg von einer Liebe der Leidenschaft, die existenzerschütternd ist, die mich umreißt, mir den Kopf verdreht, mich nicht mehr schlafen und essen lässt, und hin zu einer Liebe, die mich stärkt.
Ich wollte keinen Mann mehr, der mir das Herz bricht, sondern einen, der mich liebt und unterstützt. Einen, mit dem ich Seite an Seite wachsen und Abenteuer erleben kann.
Rettung
Elke rettete mich an dem Tag, an dem ich mit einer bisexuellen Dänin durchbrennen wollte, die zu viel trank.
Seitdem haben Elke und ich fast jeden Tag zusammen verbracht und beteuern uns heute noch gerne, wie wunderbar es war, dass wir uns damals gerettet haben. Die Wahrscheinlichkeit zusammenzufinden war, wie bei vielen Liebesgeschichten, zu absurd, um wahr zu sein.
Elke und ich lebten acht Jahre in derselben Stadt, hatten viele gemeinsame Freunde, waren angeblich auf vielen denkwürdigen Par tys zusammen, ohne uns je kennengelernt zu haben. Dann kam der Tag meiner ersten und einzigen Ausstellung als Bildhauer, an dem wir uns über eine Entfernung von fünf Metern ineinander verliebten, in exakt dem Moment, in dem ich in ein Käsebrot biss und sie lachte.
Elke rettete mich, aber da war noch mehr. Wir müssen uns selbst in den verzweifelten, einsamen Jahren davor begegnet sein und uns doch nicht erkannt haben. Oder aber ich erkannte Elke nicht als die Frau, die zu mir gehören sollte.
Ich muss blind gewesen sein bis zu diesem Dezembertag 1993. Mein Leben ging den Bach runter. Ich hatte alles mit Euphorie begonnen, jedes Studium, jeden Job, meine Zeit beim Radio als DJ und Kritiker, jede Liebe, bis die Kraft des Neuen nachließ und ich ebenso. Und wenn ich nicht den Antrieb und die Lust verlor, verließ mich das Glück anderweitig: Das Radio ging in Konkurs auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, oder der Exfreund meiner großen Liebe brachte sich um, um danach als Toter zwischen uns zu stehen.
Die Jahre vor Elke trieb ich auf hoher See ohne Orientierung, paddelte freudig in die eine, dann in die andere Richtung, und sah doch nirgends Land. Ich war frustriert, denn ich war aufgewachsen mit der Idee, ich könnte mein Leben gestalten, lenken, alles entscheiden, bis ins kleinste Detail. Darum haderte ich mit meinem Leben. Mir dämmerte, wie vermutlich vielen Endzwanzigern, dass meine großen Erwartungen nicht so leicht zu realisieren waren.
Elke will oft, dass ich ihr die Geschichte von jenem Tag erzähle, an dem wir uns trafen. Sie will hören, wie ich von ihr geblendet war, hingerissen. Nur versteht sie immer noch nicht, wie ich so benommen sein konnte, sie endlich getroffen zu haben, dass ich die Nacht auf dem Sofa meiner Exfreundin verbrachte, die im Zimmer nebenan an ihren toten Exfreund dachte.
Elke kann auch nicht nachvollziehen, mit welcher Berechnung ich am selben Tag eine mir unbekannte Dänin zu meiner nächsten Freundin machen wollte.
»Was wolltest du mit der Dänin? Was war das für ein Plan?«
Vielleicht ist es ein Männerding. So wie sich Hummer in die Hose zu stecken bei Jack Ass, auf allen vieren den Kilimandscharo zu besteigen oder einen Rolls-Royce mit Streichhölzern maßstabsgetreu nachzubauen ein Männerding ist. Wenn die Männer merken, was für einen Unsinn sie fabrizieren, hören sie nicht auf. Nur ein Wunder kann sie noch aufhalten. Mein Wunder war Elke.
Damals war das Einzige, woran ich glaubte, die Tat. Ich musste handeln, egal wie, um mich aus der Dunkelheit, aus dem Chaos zu befreien. Ich hatte keine Ahnung vom göttlichen Plan. Ich hatte keine Ahnung, dass es einen Lebenslauf gibt. Ich sah das Leben wie eine Salzwüste - rundherum unendliche Weite, jede Richtung gleich. Was war falsch gelaufen?
Ich hatte mich stets in die falschen Frauen verliebt auf der Suche nach einer echten Liebe. Und ich wollte nicht immer wieder von vorne anfangen. Also beschloss ich, am Tag meiner Ausstellung das Gegenteil von dem zu tun, was ich normalerweise tat.
Ich sah es wissenschaftlich. Wenn ein Forscher nicht weiterkommt, muss er das Unwahrscheinliche versuchen. Oder der Zufall hilft, so wie bei vielen weltverändernden Erfindungen, die in völli ger Ratlosigkeit entstanden.
Das Gegenteil meiner bisherigen Traumfrau war: nicht groß, nicht lebenslustig, nicht optimistisch, nicht zärtlich, nicht lebensklug und nicht dunkelhaarig. Jedenfalls nicht alles auf einmal. Mein Konzept war, das Verlieben zu umgehen, das mir wie ein pawlowscher Reflex vorkam. Ich wollte meine nächste Liebe arrangieren.
In der Nacht vor der Vernissage hatte ich mit einem Freund meine Gipsabdrücke von Gebrauchsgegenständen an die Galeriewände gehängt. Wir hatten getrunken, wenig geschlafen und waren voller Erwartung. Ich war gefährlich gut gelaunt und zu allem entschlossen.
Als sich der Ausstellungsraum langsam füllte, machte ich die Dänin aus. Es ging mir nur darum, das Gegenteil meiner Traumfrau zu finden, und sie schien genau die Richtige zu sein. Ihre Nase war rot von Schlafmangel und Schnaps, das Gesicht schmal. Sie verzog den Mund, als sie meine Objekte an der Wand sah und lachte laut mit einem Bekannten. Als ich ihre Schulter berührte, zuckte sie zusammen.
Hätte ich sie unter anderen Umständen kennengelernt, wir wären sicher Freunde geworden. Nur trafen wir uns in einem ungünstigen Moment. Ich wollte morgens mit ihr über leere Wodkaflaschen stolpern und mittags verkatert und kettenrauchend über französische Kunsttheorie diskutieren. Ich wollte mit ihr, einer unmöglichen Liebe, die die Wende bringen sollte, das Leben herausfordern.
Die Wende zu was? Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nicht einmal, ob bei ihr zu Hause Wodkaflaschen herumlagen.
Ich überragte die Dänin um zwei Köpfe. Wir unterhielten uns kurz über Dänemark. Die Fabrikhalle summte, ein Soulstück lief, und die Besucher sahen alle glücklich aus an diesem Wintertag. Das Unmögliche schien plötzlich möglich. Ich würde Dänisch lernen und mich noch einmal an der Kunstakademie bewerben. Ich würde die Dänin von ganzem Herzen lieben, ob sie wollte oder nicht. Mir war ganz schummerig von den neuen Zukunftsperspektiven, und ich hielt mich am Tisch fest.
Ich hatte Hunger. Ich biss in ein Käsebrötchen, und da war sie: Groß, schön, souverän, dunkelhaarig, lebenslustig. Und sie lachte. Sie stand auf der anderen Seite des Raumes und sah mich an. Der göttliche Plan für mein Leben begann zu greifen. Die Dänin und ich wurden vor meinen bösen Absichten gerettet.
Heute weiß ich, wie nah dran ich damals war, den Glauben ans Leben zu verlieren. Nicht durch Unglück, Tod oder Krankheit, sondern schlicht durch: Leere. Ich hatte die Orientierung verloren.
Schon als Kind war ich glücklich über das Unglaubliche, das Große im Leben, das Besondere, die Möglichkeiten. Aber in jenen Tagen, kurz vor meiner ersten und letzten Ausstellung, lag ich in meinem Zimmer, betrachtete die Flecken eines Wasserschadens an der Decke und fühlte die Leere. Ich war wie die sepiafarbenen Muster an der Decke, die sich nur um sich selbst wanden und im Nichts endeten. Hey Welt, dachte ich, du willst mich nicht teilhaben las sen an deinen Wundern. Du willst mich nicht zu einem de kadent berühmten Künstler machen, der das Leben im Vollen lebt. Du führst mich nicht zu der Liebe meines Lebens, zu dem Abenteuer, nach dem mein Herz dürstet.
Jahre später wachte ich in einer riesigen, kalten Altbauwohnung auf, mit zwei schreienden Kindern, einer müden Frau, ohne Geld und Beruf. Aber ich war glücklich.
»Danke.«
»Nein, ich danke dir.«
»Nein, ganz ehrlich, du hast mich gerettet.«
»Nein, du mich. Ohne dich hätte ich einen Mann geheiratet, der spitze Stiefeletten trug.«
»Ohne dich würde ich jetzt Dänisch sprechen und Heroin schnupfen.«
Elke und ich machten in den letzten Wochen einen Running Gag daraus, uns gegenseitig für die Rettung des anderen zu danken. Aber die Wahrheit ist: Wir haben einander nicht gerettet, so wie ein Ertrinkender von einem Rettungsschwimmer aus der Strömung gezogen wird. Wir wurden beide an Land gespült. Die echte Liebe kam später, und sie war immer eine Herausforderung. Wir lernten schwimmen.
Elkes Liebe hat mich in vielem ein besserer Mensch werden lassen, der in mir steckte. Und andersherum. Aber die Liebe selbst ist keine Superheldenkraft in uns, sie ist eine Chance.
Wenn ich mit den Kindern in die Videothek gehe, fällt mir auf, dass fast jeder dritte Film heute von der Rettung durch den Mann oder die Frau des Lebens handelt. Diese Art der Rettung ist ein Missverständnis. Sie ist das Grundmissverständnis der Liebe seit der Moderne, denn was fängt man mit seinem Retter an?
Ich habe Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass Elke mich nicht retten konnte. Weder vor der Welt noch vor meiner Leere.
Warum enden diese Filme immer dann, wenn es interessant wird? Die Frage ist doch, was passiert, wenn man die Liebe seines Lebens gefunden hat? Was machen die beiden JETZT? Wie lernen sie sich zu lieben? Was passiert NACH dem Happy End?
Søren Kierkegaards Liebesgeschichte im Kopenhagen des
19. Jahrhunderts ist ein schönes wie trauriges Beispiel für zu hohe Ansprüche. Kierkegaard war ein Idealist, der im Geist der Aufklä rung das göttliche Universum erforschen und den Menschen neu entwerfen wollte: als Individuum. Wie viele seiner Zeitgenossen sah er den menschlichen Willen als neue Gestaltungskraft unserer Welt. Der nach dem Vollkommenen strebende Mensch wurde das Ideal.
Kierkegaard verliebte sich in die junge Regine Olsen, verlobte sich mit ihr, seiner großen Liebe, und löste die Verlobung nach nur einem Jahr wieder auf. Er scheiterte an seiner Angst, unfähig zu sein für eine vollkommene Ehe. Er scheute die Herausforderung, mit und in der Liebe zu wachsen. Aus Idealismus und Melancholie entschied er sich gegen die Liebe, die er so nie wieder fand. Er bereute es sein Leben lang.
»Sich um die Liebe zu betrügen, ist der fürchterlichste Betrug; es ist ein ewiger Verlust, der sich nie ersetzen lässt, weder in der Zeit noch in der Ewigkeit.«
Die Ehe mit seiner geliebten Dänin hätte Kierkegaard auch nicht gerettet, aber sie hätte ihm das offenbart, was er später durch Nachdenken formulierte: »Dass man alle Wahrheit erfahren muss und leben, um sie zu verstehen.«
Regine Olsen heiratete, und Kierkegaard lebte innerlich zerrissen sein Leben weiter - mit Prostituierten, Alkohol, intellektuellen Fehden und einsamem Herzen.
Hätte ich mich gegen die höhere Macht der Liebe entschieden und wäre meiner Dänin gefolgt, vielleicht wäre ich heute ein berühmter Bildhauer mit einem Haus in Rio und vielen Verehrerinnen. Vielleicht hätten die Dänin und ich Kinder gehabt, vielleicht würden wir in Japan auf Ecstasy abra ven. Wer weiß. Vielleicht wäre es ein ganz normales Leben geworden, nur dass meine Dänin vermutlich jeden Abend geweint hätte, so wie das Mädchen Olga aus Iwan Gontscharows Roman Oblomow, das aus Vernunft nicht Oblomow, sondern dessen Freund heiratete.
Als ich Elke einige Tage nach meiner Ausstellung wieder traf, wusste ich, dass wir nie wieder auseinandergehen würden. Auf eine Frau wie Elke hatte ich gewartet.
Ich preise jeden Tag mit Elke. Ich fühle mich heute noch leer, wenn sie länger als zwei Tage weg ist. Ich küsse jeden Abend meine Kinder, wenn sie schlafen, und danke für die ses Geschenk. Mein Herz ist zutiefst bewegt von ihnen. Sie geben meinem Leben Sinn. Aber sie sind nicht meine Rettung, und ich kann niemals ihre sein.
Meine Vorstellung, Elke hätte mich gerettet, hat uns fast unsere Liebe, unsere Ehe gekostet. Viele Paare scheitern daran, scheitern, weil sie an die Magie der Liebe glauben wie an einen Lottogewinn.
Aber wer rettet uns dann? Ich kann nicht erwarten, dass Elke oder meine Kinder der Sinn meines Lebens werden.
Mein Entschluss, Elke vom ersten Treffen an zu lieben, hat mich gerettet. Tag für Tag. Meine Erkenntnis, dass ich für diese Liebe etwas tun muss, hat mich gerettet. Die Liebe ist ein work in progress.
Gerettet an dem Tag meiner Ausstellung aber hat mich
Copyright © 2008 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Wir haben uns eine tiefere Einsicht erschrieben und darüber eine Erkenntnis gewonnen, die wir überglücklich teilen wollen.
So wie wir von anderen Paaren und deren Liebe inspiriert wurden, möchten wir unsere Geschichte mit all denen teilen, für die die Liebe eine Herausforderung ist.
Unsere Liebe ist einzigartig, aber wir haben gegensätzliche Charaktere, Wünsche und Vorstellungen, wir haben Geldsorgen, Kinder, Schwiegermütter und unerfüllte Wünsche wie andere auch.
Unser Buch ist ein Geständnis, und es ist eine Verbeugung vor der Liebe, die größer ist als wir.
Elke Naters und Sven Lager
1
Auf den ersten Blick
Oder warum wir uns nicht retten können
Love begins to be a demon the moment it begins to be a god.
C. S. Lewis
Liebe
Ich habe mich in meinem Leben aus vielen Gründen verliebt. Ich habe mich in Männer verliebt, weil sie eine Zahnlücke hatten, weil sie gut tanzen konnten, gut küssten, Schotten waren, weil sie mich wollten, ich sie wollte, jemand anderes sie wollte, weil ich nicht allein sein wollte oder weil sie mir zu einem bestimmten Moment genau das gaben, was ich brauchte.
Und ich habe mich in Männer verliebt, obwohl sie mich nicht liebten, obwohl sie nicht tanzen oder küssen konnten, obwohl sie keine Schotten waren, keine Zähne hatten, obwohl sie an mir klammerten, taub und süchtig waren und obwohl sie nichts von dem wollten, was ich wollte. Nur schön waren sie alle.
Viele habe ich nur einen Augenblick geliebt, in dem ich die Erfüllung aller Träume und Sehnsüchte aufblitzen sah, andere eine Nacht, Wochen, Tage oder Jahre. Ich hatte sogar Zeit mit einem Mann verbracht, den ich nicht liebte, in der Hoffnung, ich könnte ihn eines Tages lieben, so verzweifelt war ich, Liebe zu finden.
Den Mann, dem ich wirklich verfallen war, hielt ich für meine große Liebe. Liebe war für mich, wenn ich vor Eifersucht nicht schlafen konnte, wenn mein Lebensglück davon abhing, wie gut wir uns verstanden, wenn mein Tagesablauf sich darum drehte, wann er Zeit hatte und wir uns sehen konnten. Er bestimmte unser Zusammenleben und mein Glück.
Wenn ich unglücklich war, weil ich mich nicht genug geliebt fühlte, betrog ich ihn. Ich versuchte mich in andere Män ner zu verlieben, aber es funktionierte nicht, weil ich alles nur wegen ihm tat.
Ich dachte, so fühlt sich große Liebe an. Das ist Leidenschaft. Wer will sich schon mit lauwarmen Verhältnissen aufhalten. Ich wollte die ganz große Liebe, und die hatte ich offensichtlich.
Ich hatte mich selbst verloren in meiner Liebe. Es war eine schöne, große Liebe, aber eine ungesunde.
Ich idealisierte den Mann, den ich liebte. Ich vervollständigte ihn in meiner Vorstellung. Alles, was er nicht war, wünschte ich mir dazu. Ich verzweifelte daran, dass er nicht so war, wie ich ihn mir wünschte. Warum konnte er nicht aufmerksamer, zärtlicher, liebevoller sein, mehr Zeit für mich haben und weniger selbstbezogen sein, denn dann wären wir perfekt!
Ich projizierte mein Liebesideal auf ihn und verzweifelte daran, dass sich Bild und Realität nicht deckten. Je mehr ich verzweifelte, desto mehr wollte ich, dass er so war, wie ich ihn haben wollte, und ich dachte, weil ich ihn trotz allem liebte, muss er meine große Liebe sein, und hielt noch mehr an ihm fest.
Irgendwann begriff ich, dass ich diesen Traum mehr liebte als den Mann. Meine große Liebe war der Mann, der er hätte sein können. Der Mann, der mich hätte glücklich machen können. Noch viel später sollte ich erkennen, dass ich Ansprüche an ihn gestellt hatte, die er gar nicht erfüllen konnte, dass ich ihm zum Vorwurf gemacht hatte, nicht so zu sein, wie ich ihn haben wollte, dass er mich nicht so liebte, wie ich geliebt werden wollte. Ich sah nicht, was er für mich tat, sondern was er nicht tat.
Erst zwanzig Jahre später begriff ich, dass ich am Scheitern dieser Liebe, für die ich ihm alle Schuld gab, selbst verantwortlich war.
Er liebte mich, so gut er konnte, aber seine Liebe war nie gut genug für mich. Ich begann zu bereuen, und mit der Reue kam die Heilung.
Ich kann nicht wieder zurückgehen und alles richtig ma chen, aber ich kann daraus lernen und es heute besser machen. Um glücklich zu werden musste ich meine Vorstellung von der Liebe ändern: weg von einer Liebe der Leidenschaft, die existenzerschütternd ist, die mich umreißt, mir den Kopf verdreht, mich nicht mehr schlafen und essen lässt, und hin zu einer Liebe, die mich stärkt.
Ich wollte keinen Mann mehr, der mir das Herz bricht, sondern einen, der mich liebt und unterstützt. Einen, mit dem ich Seite an Seite wachsen und Abenteuer erleben kann.
Rettung
Elke rettete mich an dem Tag, an dem ich mit einer bisexuellen Dänin durchbrennen wollte, die zu viel trank.
Seitdem haben Elke und ich fast jeden Tag zusammen verbracht und beteuern uns heute noch gerne, wie wunderbar es war, dass wir uns damals gerettet haben. Die Wahrscheinlichkeit zusammenzufinden war, wie bei vielen Liebesgeschichten, zu absurd, um wahr zu sein.
Elke und ich lebten acht Jahre in derselben Stadt, hatten viele gemeinsame Freunde, waren angeblich auf vielen denkwürdigen Par tys zusammen, ohne uns je kennengelernt zu haben. Dann kam der Tag meiner ersten und einzigen Ausstellung als Bildhauer, an dem wir uns über eine Entfernung von fünf Metern ineinander verliebten, in exakt dem Moment, in dem ich in ein Käsebrot biss und sie lachte.
Elke rettete mich, aber da war noch mehr. Wir müssen uns selbst in den verzweifelten, einsamen Jahren davor begegnet sein und uns doch nicht erkannt haben. Oder aber ich erkannte Elke nicht als die Frau, die zu mir gehören sollte.
Ich muss blind gewesen sein bis zu diesem Dezembertag 1993. Mein Leben ging den Bach runter. Ich hatte alles mit Euphorie begonnen, jedes Studium, jeden Job, meine Zeit beim Radio als DJ und Kritiker, jede Liebe, bis die Kraft des Neuen nachließ und ich ebenso. Und wenn ich nicht den Antrieb und die Lust verlor, verließ mich das Glück anderweitig: Das Radio ging in Konkurs auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, oder der Exfreund meiner großen Liebe brachte sich um, um danach als Toter zwischen uns zu stehen.
Die Jahre vor Elke trieb ich auf hoher See ohne Orientierung, paddelte freudig in die eine, dann in die andere Richtung, und sah doch nirgends Land. Ich war frustriert, denn ich war aufgewachsen mit der Idee, ich könnte mein Leben gestalten, lenken, alles entscheiden, bis ins kleinste Detail. Darum haderte ich mit meinem Leben. Mir dämmerte, wie vermutlich vielen Endzwanzigern, dass meine großen Erwartungen nicht so leicht zu realisieren waren.
Elke will oft, dass ich ihr die Geschichte von jenem Tag erzähle, an dem wir uns trafen. Sie will hören, wie ich von ihr geblendet war, hingerissen. Nur versteht sie immer noch nicht, wie ich so benommen sein konnte, sie endlich getroffen zu haben, dass ich die Nacht auf dem Sofa meiner Exfreundin verbrachte, die im Zimmer nebenan an ihren toten Exfreund dachte.
Elke kann auch nicht nachvollziehen, mit welcher Berechnung ich am selben Tag eine mir unbekannte Dänin zu meiner nächsten Freundin machen wollte.
»Was wolltest du mit der Dänin? Was war das für ein Plan?«
Vielleicht ist es ein Männerding. So wie sich Hummer in die Hose zu stecken bei Jack Ass, auf allen vieren den Kilimandscharo zu besteigen oder einen Rolls-Royce mit Streichhölzern maßstabsgetreu nachzubauen ein Männerding ist. Wenn die Männer merken, was für einen Unsinn sie fabrizieren, hören sie nicht auf. Nur ein Wunder kann sie noch aufhalten. Mein Wunder war Elke.
Damals war das Einzige, woran ich glaubte, die Tat. Ich musste handeln, egal wie, um mich aus der Dunkelheit, aus dem Chaos zu befreien. Ich hatte keine Ahnung vom göttlichen Plan. Ich hatte keine Ahnung, dass es einen Lebenslauf gibt. Ich sah das Leben wie eine Salzwüste - rundherum unendliche Weite, jede Richtung gleich. Was war falsch gelaufen?
Ich hatte mich stets in die falschen Frauen verliebt auf der Suche nach einer echten Liebe. Und ich wollte nicht immer wieder von vorne anfangen. Also beschloss ich, am Tag meiner Ausstellung das Gegenteil von dem zu tun, was ich normalerweise tat.
Ich sah es wissenschaftlich. Wenn ein Forscher nicht weiterkommt, muss er das Unwahrscheinliche versuchen. Oder der Zufall hilft, so wie bei vielen weltverändernden Erfindungen, die in völli ger Ratlosigkeit entstanden.
Das Gegenteil meiner bisherigen Traumfrau war: nicht groß, nicht lebenslustig, nicht optimistisch, nicht zärtlich, nicht lebensklug und nicht dunkelhaarig. Jedenfalls nicht alles auf einmal. Mein Konzept war, das Verlieben zu umgehen, das mir wie ein pawlowscher Reflex vorkam. Ich wollte meine nächste Liebe arrangieren.
In der Nacht vor der Vernissage hatte ich mit einem Freund meine Gipsabdrücke von Gebrauchsgegenständen an die Galeriewände gehängt. Wir hatten getrunken, wenig geschlafen und waren voller Erwartung. Ich war gefährlich gut gelaunt und zu allem entschlossen.
Als sich der Ausstellungsraum langsam füllte, machte ich die Dänin aus. Es ging mir nur darum, das Gegenteil meiner Traumfrau zu finden, und sie schien genau die Richtige zu sein. Ihre Nase war rot von Schlafmangel und Schnaps, das Gesicht schmal. Sie verzog den Mund, als sie meine Objekte an der Wand sah und lachte laut mit einem Bekannten. Als ich ihre Schulter berührte, zuckte sie zusammen.
Hätte ich sie unter anderen Umständen kennengelernt, wir wären sicher Freunde geworden. Nur trafen wir uns in einem ungünstigen Moment. Ich wollte morgens mit ihr über leere Wodkaflaschen stolpern und mittags verkatert und kettenrauchend über französische Kunsttheorie diskutieren. Ich wollte mit ihr, einer unmöglichen Liebe, die die Wende bringen sollte, das Leben herausfordern.
Die Wende zu was? Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nicht einmal, ob bei ihr zu Hause Wodkaflaschen herumlagen.
Ich überragte die Dänin um zwei Köpfe. Wir unterhielten uns kurz über Dänemark. Die Fabrikhalle summte, ein Soulstück lief, und die Besucher sahen alle glücklich aus an diesem Wintertag. Das Unmögliche schien plötzlich möglich. Ich würde Dänisch lernen und mich noch einmal an der Kunstakademie bewerben. Ich würde die Dänin von ganzem Herzen lieben, ob sie wollte oder nicht. Mir war ganz schummerig von den neuen Zukunftsperspektiven, und ich hielt mich am Tisch fest.
Ich hatte Hunger. Ich biss in ein Käsebrötchen, und da war sie: Groß, schön, souverän, dunkelhaarig, lebenslustig. Und sie lachte. Sie stand auf der anderen Seite des Raumes und sah mich an. Der göttliche Plan für mein Leben begann zu greifen. Die Dänin und ich wurden vor meinen bösen Absichten gerettet.
Heute weiß ich, wie nah dran ich damals war, den Glauben ans Leben zu verlieren. Nicht durch Unglück, Tod oder Krankheit, sondern schlicht durch: Leere. Ich hatte die Orientierung verloren.
Schon als Kind war ich glücklich über das Unglaubliche, das Große im Leben, das Besondere, die Möglichkeiten. Aber in jenen Tagen, kurz vor meiner ersten und letzten Ausstellung, lag ich in meinem Zimmer, betrachtete die Flecken eines Wasserschadens an der Decke und fühlte die Leere. Ich war wie die sepiafarbenen Muster an der Decke, die sich nur um sich selbst wanden und im Nichts endeten. Hey Welt, dachte ich, du willst mich nicht teilhaben las sen an deinen Wundern. Du willst mich nicht zu einem de kadent berühmten Künstler machen, der das Leben im Vollen lebt. Du führst mich nicht zu der Liebe meines Lebens, zu dem Abenteuer, nach dem mein Herz dürstet.
Jahre später wachte ich in einer riesigen, kalten Altbauwohnung auf, mit zwei schreienden Kindern, einer müden Frau, ohne Geld und Beruf. Aber ich war glücklich.
»Danke.«
»Nein, ich danke dir.«
»Nein, ganz ehrlich, du hast mich gerettet.«
»Nein, du mich. Ohne dich hätte ich einen Mann geheiratet, der spitze Stiefeletten trug.«
»Ohne dich würde ich jetzt Dänisch sprechen und Heroin schnupfen.«
Elke und ich machten in den letzten Wochen einen Running Gag daraus, uns gegenseitig für die Rettung des anderen zu danken. Aber die Wahrheit ist: Wir haben einander nicht gerettet, so wie ein Ertrinkender von einem Rettungsschwimmer aus der Strömung gezogen wird. Wir wurden beide an Land gespült. Die echte Liebe kam später, und sie war immer eine Herausforderung. Wir lernten schwimmen.
Elkes Liebe hat mich in vielem ein besserer Mensch werden lassen, der in mir steckte. Und andersherum. Aber die Liebe selbst ist keine Superheldenkraft in uns, sie ist eine Chance.
Wenn ich mit den Kindern in die Videothek gehe, fällt mir auf, dass fast jeder dritte Film heute von der Rettung durch den Mann oder die Frau des Lebens handelt. Diese Art der Rettung ist ein Missverständnis. Sie ist das Grundmissverständnis der Liebe seit der Moderne, denn was fängt man mit seinem Retter an?
Ich habe Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass Elke mich nicht retten konnte. Weder vor der Welt noch vor meiner Leere.
Warum enden diese Filme immer dann, wenn es interessant wird? Die Frage ist doch, was passiert, wenn man die Liebe seines Lebens gefunden hat? Was machen die beiden JETZT? Wie lernen sie sich zu lieben? Was passiert NACH dem Happy End?
Søren Kierkegaards Liebesgeschichte im Kopenhagen des
19. Jahrhunderts ist ein schönes wie trauriges Beispiel für zu hohe Ansprüche. Kierkegaard war ein Idealist, der im Geist der Aufklä rung das göttliche Universum erforschen und den Menschen neu entwerfen wollte: als Individuum. Wie viele seiner Zeitgenossen sah er den menschlichen Willen als neue Gestaltungskraft unserer Welt. Der nach dem Vollkommenen strebende Mensch wurde das Ideal.
Kierkegaard verliebte sich in die junge Regine Olsen, verlobte sich mit ihr, seiner großen Liebe, und löste die Verlobung nach nur einem Jahr wieder auf. Er scheiterte an seiner Angst, unfähig zu sein für eine vollkommene Ehe. Er scheute die Herausforderung, mit und in der Liebe zu wachsen. Aus Idealismus und Melancholie entschied er sich gegen die Liebe, die er so nie wieder fand. Er bereute es sein Leben lang.
»Sich um die Liebe zu betrügen, ist der fürchterlichste Betrug; es ist ein ewiger Verlust, der sich nie ersetzen lässt, weder in der Zeit noch in der Ewigkeit.«
Die Ehe mit seiner geliebten Dänin hätte Kierkegaard auch nicht gerettet, aber sie hätte ihm das offenbart, was er später durch Nachdenken formulierte: »Dass man alle Wahrheit erfahren muss und leben, um sie zu verstehen.«
Regine Olsen heiratete, und Kierkegaard lebte innerlich zerrissen sein Leben weiter - mit Prostituierten, Alkohol, intellektuellen Fehden und einsamem Herzen.
Hätte ich mich gegen die höhere Macht der Liebe entschieden und wäre meiner Dänin gefolgt, vielleicht wäre ich heute ein berühmter Bildhauer mit einem Haus in Rio und vielen Verehrerinnen. Vielleicht hätten die Dänin und ich Kinder gehabt, vielleicht würden wir in Japan auf Ecstasy abra ven. Wer weiß. Vielleicht wäre es ein ganz normales Leben geworden, nur dass meine Dänin vermutlich jeden Abend geweint hätte, so wie das Mädchen Olga aus Iwan Gontscharows Roman Oblomow, das aus Vernunft nicht Oblomow, sondern dessen Freund heiratete.
Als ich Elke einige Tage nach meiner Ausstellung wieder traf, wusste ich, dass wir nie wieder auseinandergehen würden. Auf eine Frau wie Elke hatte ich gewartet.
Ich preise jeden Tag mit Elke. Ich fühle mich heute noch leer, wenn sie länger als zwei Tage weg ist. Ich küsse jeden Abend meine Kinder, wenn sie schlafen, und danke für die ses Geschenk. Mein Herz ist zutiefst bewegt von ihnen. Sie geben meinem Leben Sinn. Aber sie sind nicht meine Rettung, und ich kann niemals ihre sein.
Meine Vorstellung, Elke hätte mich gerettet, hat uns fast unsere Liebe, unsere Ehe gekostet. Viele Paare scheitern daran, scheitern, weil sie an die Magie der Liebe glauben wie an einen Lottogewinn.
Aber wer rettet uns dann? Ich kann nicht erwarten, dass Elke oder meine Kinder der Sinn meines Lebens werden.
Mein Entschluss, Elke vom ersten Treffen an zu lieben, hat mich gerettet. Tag für Tag. Meine Erkenntnis, dass ich für diese Liebe etwas tun muss, hat mich gerettet. Die Liebe ist ein work in progress.
Gerettet an dem Tag meiner Ausstellung aber hat mich
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Autoren-Porträt von Elke Naters, Sven Lager
Elke Naters, geb. 1963, machte in München eine Schneiderlehre und studierte Kunst und Fotografie in Berlin. Nach Aufenthalten in Bangkok und Berlin lebt sie mit ihrer Familie in der Nähe von Kapstadt. Ihre Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt.Sven Lager, 34, lebt und arbeitet in Berlin. Er ist in Deutschland aufgewachsen, aber Schwede, was ihm sein Leben lang sowohl Zivil- als auch Militärdienst erspart hat. Seine Leidenschaft sind die Insekten, die er schon seit frühen Jahren beobachtet und sammelt. Mit Elke Naters gründete er im Juni '99 pool, zu finden unter www.ampool.de.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Elke Naters , Sven Lager
- 2010, 208 Seiten, Masse: 12 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442740894
- ISBN-13: 9783442740895
Rezension zu „Was wir von der Liebe verstehen “
»Das Autorenpaar erzählt die Geschichte der eigenen Liebe und fasst all das in Worte, was man sich in Beziehungen selbst nicht zu sagen traut. Und plötzlich versteht man Frauen und Männer ein bisschen besser.«
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