Fleckenteufel
Roman. Originalausgabe
Wir schreiben das Jahr 1977. Thorsten Bruhn ist sechzehn und ein Spätzünder. Der Geschlechtstrieb hält ihn trotzdem schon heftig auf Trab. Erst recht auf der anstehenden Familienfreizeit mit der evangelischen Gemeinde; es geht nach Scharbeutz...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Fleckenteufel “
Wir schreiben das Jahr 1977. Thorsten Bruhn ist sechzehn und ein Spätzünder. Der Geschlechtstrieb hält ihn trotzdem schon heftig auf Trab. Erst recht auf der anstehenden Familienfreizeit mit der evangelischen Gemeinde; es geht nach Scharbeutz an der Ostsee. Kirchenfreizeiten sind Ende der Siebziger der bevorzugte Ort für Heranwachsende, um zum ersten Mal rund um die Uhr mit Gleichaltrigen zusammen zu sein. Mit allen Konsequenzen.
Bei Thorsten führt dies zu einem anstrengenden Zusammenwirken von sozialer Überforderung, religiösen Gefühlen und hormonellem Dauerrauschen. Dazu kommt das schlechte Essen. Wo unser Held doch ohnehin zur Verstopfung neigt: Luke zwo seit Tagen dicht! Und so erlebt Thorsten innerlich versteinert schlimme Andachten, peinliche Gruppenspiele, eine trostlose Jugenddisko, alkoholische Exzesse und erotische Wirrungen mit ständig wechselndem Objekt. Ein Wunder, dass am Ende doch noch alles irgendwie gut ausgeht.
Bei Thorsten führt dies zu einem anstrengenden Zusammenwirken von sozialer Überforderung, religiösen Gefühlen und hormonellem Dauerrauschen. Dazu kommt das schlechte Essen. Wo unser Held doch ohnehin zur Verstopfung neigt: Luke zwo seit Tagen dicht! Und so erlebt Thorsten innerlich versteinert schlimme Andachten, peinliche Gruppenspiele, eine trostlose Jugenddisko, alkoholische Exzesse und erotische Wirrungen mit ständig wechselndem Objekt. Ein Wunder, dass am Ende doch noch alles irgendwie gut ausgeht.
Klappentext zu „Fleckenteufel “
Deep in my heart, I do believe, we shall overcome some day.Ich atme tief ein. Meer, Holz, Salz, Mücken, verbranntes Stockbrot. Mein Arsch brennt wie das Osterfeuer, aber plötzlich laufen mir Tränen über das Gesicht: Ich spüre, dass ich so etwas wahrscheinlich nie wieder erleben werde. Wenn ich irgendwann einmal erwachsen bin, wird sich mein Herz verschliessen und ich werde mich mit der Erinnerung an die paar glücklichen Momente von Kindheit und Jugend begnügen müssen.
Lese-Probe zu „Fleckenteufel “
Fleckenteufel von Heinz Strunk Unter Landsern
Bereits eineinhalb Stunden vor Abfahrt des Busses sitze ich auf der Treppe des Gemeindehauses und warte darauf, dass es endlich losgeht. Ich bin zu Fuß gegangen, um das Busgeld zu sparen, fünf Stationen, fast eine Stunde war ich unterwegs, in der rechten Hand eine prallgefüllte Reisetasche, in der linken einen zusammengeknüllten Schlafsack. Auf halber Strecke hat mich volles Brett ein Schauer erwischt, aber jetzt knallt wieder die Sonne, in einer Stunde bin ich hoffentlich trocken. Ich bin der Erste. Peinlich, hoffentlich sieht mich niemand, aber es sind ja große Ferien, da ist im Gemeindehaus nichts los.
4. August 1977. Es ist fast windstill. Das wird sich ändern, sobald wir an der Ostsee sind. Die Ostsee ist, verglichen mit der Nordsee, zwar Cher so eine Art Teich, aber an manchen Tagen gibt es trotzdem mannshohen Wellengang. Das erbarmungs- lose Ostmeer, das schon so unendlich viele Opfer gefordert hat!
... mehr
Beknackt, so früh da zu sein. Aber ich hab's zu Hause einfach nicht mehr ausgehalten vor Vorfreude und Vorangst. Jetzt lang- weile ich mich in Grund und Boden. Ich wühle in meiner Reisetasche und fische ein Fünf-Freunde-Buch heraus. Total peinlich, dass ich in meinem Alter noch Fünf-Freunde-Bücher lese; wenn das einer mitbekommt, wird er diese Information hundertprozentig gegen mich verwenden. Aber ich finde das Leben bereits jetzt unverhältnismäßig schwer, da brauche ich zum Ausgleich etwas Leichtes. Fünf Freunde, Asterix und Obelix, Fix und Foxi. Und Landserhefte, Groschenromane, die sich mit den Abenteuern der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg beschäftigen. Selbst im Hochsommer jagt mir die Vorstellung, wie die armen deutschen Landser im unmenschlichen russischen Winter gefroren haben wie die Schneider, Schauer über meinen zwergenhaften Körper. Ich habe neben drei Fünf-Freunde-Büchern noch ungefähr ein halbes Dutzend Landserhefte dabei, die muss ich unter strenger Geheimhaltung lesen. Kriegsschundliteratur auf einer christlichen Freizeit ist das Allerletzte, wenn das rauskommt, kann ich gleich wieder nach Hause fahren. Der Kessel von Stalin- grad.
Ich hab noch gar keine geraucht heute, ich bin einfach nicht dazu gekommen vor lauter Stress. Jetzt hab ich tierischen Schmachter, und ich stecke mir gleich zwei Zigaretten hinter- einander an, die erste hastig eingesogen und schön bis zum Filter runter, wie es sich gehört. Als ich die zweite gerade mal halb aufgeraucht habe, stellt sich plötzlich heftiger Arschdruck ein. Die verdammte Raucherei! Vor Aufregung und Hektik und Angst habe ich heute noch gar nicht gekackt. Und gestern auch nicht. Das rächt sich, ausgerechnet jetzt! Ich könnte die Toilette des Gemeindehauses benutzen, aber Kacken ist etwas Schmutziges, das man privat für sich machen muss. Ich lasse erst mal eine Ladung Entlastungspupse kommen.PPPPPffiff:
Ihhgitt. Ein stiller Kriecher, mit dumpf-erdiger Blume, in die sich im Abgang eine beißende Note einschleicht. Zeitlupenhaft zieht der braune Dunst nach oben und bleibt stehen, weil es ja praktisch windstill ist.Pppppffffiiiiggglll.
Statt den Gestank wegzuwedeln, schiebe ich gleich noch einen hinterher, ohne Geräusche geht es diesmal nicht ab. Herr- lich riecht das. Krabbelkinderstumpfsinn. Die Luft steht und steht und steht. Warum man wohl seine Pupse gerne riechen mag, seine Kotze jedoch nicht? Das muss doch einen Grund haben, es gibt schließlich für alles einen Grund.
Pffffkkrrr. Noch einer.
Fffffüüürrrrrkkk. Und noch einer.
Die Wolke kann sich gar nicht so schnell verflüchtigen, wie ich nachlege. Bestimmt ist schon das Gemeindehaus plus Grundstück eingenebelt, aber was soll ich machen. Ist das alles peinlich. Das ganze Leben ist peinlich. Vor der Abfahrt muss ich unbedingt kacken, ich weiß nicht, wie ich die Fahrt sonst überstehen soll. Das Busklo ist, wenn überhaupt, nur für kleine Geschäfte zugelassen, fürs Scheißen kommt man ins Gefängnis. Ich schaue auf die Uhr. Kurz nach zwei, um drei ist Abfahrt, mir bleibt also noch eine ungestörte halbe Stunde, mindestens.
PPPPPPPPPP kkkkkkkkkkkurrurrröööö. Ich hab's echt raus, die Knatterei ruhig und gleichmäßig zu halten. Alles eine Frage der Kontrolle. «Ein gut funktionierender Schließmuskel ist ebenso wichtig wie eine Lunge, die nicht dauernd in sich zusammenfällt.» Ist mir eingefallen, nachdem Dirk Kessler letztes Jahr mit eingefallener Lunge ins Krankenhaus musste und fast abgenippelt wäre.
Meine Güte, wo kommt das nur alles her? Ich habe doch nichts Besonderes gegessen: rote Paprikaschoten, gefüllt mit Hack, als Beilage Reis, zum Nachtisch Rhabarberkompott. Wahrscheinlich ist es der Rhabarber, Scheißrhabarber, Armeleuteessen. Arme Ritter, Milchreis, Russischbrot, Russischei, Wassereintopf. Unsere Oma isst am liebsten Eingebrocktes, jeden Morgen, seit fünfzig Jahren oder so, da könnte sie sich reinsetzen, sagt sie immer. Eingebrocktes ist in heißem Kaffee aufgelöstes altes Brot. Oma ist morgens immer als Erste wach, Eingebrocktes schlürfen ist für sie die größte Freude überhaupt. Bevor sie sich die heiße Plörre ins Gesicht löffelt, nimmt sie immer das Gebiss raus, wahrscheinlich, weil der Speisebrei so besser die Mundhöhle flutet: Jede einzelne Geschmacksknospe saugt sich voll wie ein Schwamm, mehr Genuss geht nicht. Das Gebiss nimmt Oma natürlich nur raus, wenn sie glaubt, alleine zu sein, sie ist ja nicht bescheuert. Bei Oma schmeckt die Schlagsahne nach Wasser, der Weißwein nach Fisch, und die Bierkrone riecht ein bisschen nach Kotze.
Pftffftfkkkkkkkrrrrrrrräää. Ganz heiß und feucht, ich muss echt aufpassen, das klingt nach den Vorboten von Sturzdurchfall, und den kann man nicht mehr kontrollieren, kein Mensch kann das. Puuuäääääärrrrääää. Jetzt mischt sich in den Mief noch was Verdorbenes. Der Geruch ist kurz davor, endgültig umzukippen, wie Milch, die von einer Sekunde zur anderen sauer wird. Das kann selbst ich bald nicht mehr aushalten.
QUIITTSC HKNNRRR. Ach du Elend. Begleitet von lautem Knarzen und Knörzen, öffnet sich die Tür des Gemeindehauses. Ich drehe mich um und schaue nach oben. Da steht sie, wie aus Stein gemeißelt, hochgewachsen, starr und streng: Frau von Roth, die Frau des Küsters. Sie schaut mich an, ohne eine Miene zu verziehen.
«Guten Tag, Thorsten.»
«Ach, guten Tag, Frau von Roth.»
Es stinkt immer noch bestialisch, aber sie lässt sich nichts anmerken. Eiserne Selbstbeherrschung, Contenance nennt man das in Adelereisen. Frau von Roth entstammt einem verarmten Adelsgeschlecht, Pommern oder Schlesien oder so, und hat diese typische Adelsfresse, den Zug, den irgendwie alle Adligen im Gesicht haben, wahrscheinlich infolge jahrhundertelanger Inzucht. Sie leidet, glaube ich, sehr darunter, dass es bei ihr nur
zur Küstersfrau gelangt hat. Und jetzt so was, das Ende eines langen Abstiegs.
«Du bist ja ziemlich früh dran.»
«Ja, stimmt, tut mir leid.»
Tut mir leid, so was Bescheuertes!
Ihre feinen Gesichtszüge sind erschlafft und von geplatzten Äderchen übersät. Das schwarze Haar ist so schwarz, dass es dunkelviolett schimmert.
Der Gestank will sich einfach nicht verziehen. Wahrscheinlich hängt der Miefkern gerade in Höhe ihres königlichen Gesichts. Frau von Roth würde so etwas nie offen ansprechen, niemals. Aber trotzdem muss sie wie alle anderen auch ihre wahnsinnigen Aggressionen loswerden, und sie hat sich für solche Gelegenheiten ein richtig hartes, strafendes Gesicht antrainiert, ein Kleine-Leute-Hassgesicht. Sie bleibt in der Tür stehen und kostet meine Scham richtig aus. Ich spüre, wie meine Wangen glühen und ich gleichzeitig sauer werde. Tut so, als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch nichts ausgeschieden! Blitzschnell rechne ich hoch, wie viel Kacke Frau von Roth in ihrem bisherigen Leben schon ausgeschissen hat: Fußballfelder. Ganze Strände. Ja, Frau von Roth, mir kannst du nichts vor- machen, ich weiß Bescheid. Bestimmt hat sie irgendwelche verbotenen Leidenschaften. Gerade die besonders Disziplinierten sind in Wahrheit die Allerschlimmsten: Strullerpartys, Schlick- spiele. Moorbäder. Brauner Salon. Luke zwo.
Egal, ich kann's drehen und wenden, wie ich will, etwas Peinlicheres ist mir im Leben noch nicht passiert. Außer vielleicht das eine Mal, als mich meine Mutter beim Wichsen erwischt hat. An sich schon unfassbar peinlich, aber ich habe auch noch den Namen meines Klassenkameraden Andreas gestöhnt. «Andi, o Andi, bitte, bitte», oder so ähnlich. Auch noch schwul, was kommt als Nächstes? Die Geschichte ist schon länger her, aber die Scham bleibt auf ewig konserviert. Wo nimmt sie nur ihre Lebendigkeit her, die Scham? Egal.
© Rowohlt Verlag
Ich hab noch gar keine geraucht heute, ich bin einfach nicht dazu gekommen vor lauter Stress. Jetzt hab ich tierischen Schmachter, und ich stecke mir gleich zwei Zigaretten hinter- einander an, die erste hastig eingesogen und schön bis zum Filter runter, wie es sich gehört. Als ich die zweite gerade mal halb aufgeraucht habe, stellt sich plötzlich heftiger Arschdruck ein. Die verdammte Raucherei! Vor Aufregung und Hektik und Angst habe ich heute noch gar nicht gekackt. Und gestern auch nicht. Das rächt sich, ausgerechnet jetzt! Ich könnte die Toilette des Gemeindehauses benutzen, aber Kacken ist etwas Schmutziges, das man privat für sich machen muss. Ich lasse erst mal eine Ladung Entlastungspupse kommen.PPPPPffiff:
Ihhgitt. Ein stiller Kriecher, mit dumpf-erdiger Blume, in die sich im Abgang eine beißende Note einschleicht. Zeitlupenhaft zieht der braune Dunst nach oben und bleibt stehen, weil es ja praktisch windstill ist.Pppppffffiiiiggglll.
Statt den Gestank wegzuwedeln, schiebe ich gleich noch einen hinterher, ohne Geräusche geht es diesmal nicht ab. Herr- lich riecht das. Krabbelkinderstumpfsinn. Die Luft steht und steht und steht. Warum man wohl seine Pupse gerne riechen mag, seine Kotze jedoch nicht? Das muss doch einen Grund haben, es gibt schließlich für alles einen Grund.
Pffffkkrrr. Noch einer.
Fffffüüürrrrrkkk. Und noch einer.
Die Wolke kann sich gar nicht so schnell verflüchtigen, wie ich nachlege. Bestimmt ist schon das Gemeindehaus plus Grundstück eingenebelt, aber was soll ich machen. Ist das alles peinlich. Das ganze Leben ist peinlich. Vor der Abfahrt muss ich unbedingt kacken, ich weiß nicht, wie ich die Fahrt sonst überstehen soll. Das Busklo ist, wenn überhaupt, nur für kleine Geschäfte zugelassen, fürs Scheißen kommt man ins Gefängnis. Ich schaue auf die Uhr. Kurz nach zwei, um drei ist Abfahrt, mir bleibt also noch eine ungestörte halbe Stunde, mindestens.
PPPPPPPPPP kkkkkkkkkkkurrurrröööö. Ich hab's echt raus, die Knatterei ruhig und gleichmäßig zu halten. Alles eine Frage der Kontrolle. «Ein gut funktionierender Schließmuskel ist ebenso wichtig wie eine Lunge, die nicht dauernd in sich zusammenfällt.» Ist mir eingefallen, nachdem Dirk Kessler letztes Jahr mit eingefallener Lunge ins Krankenhaus musste und fast abgenippelt wäre.
Meine Güte, wo kommt das nur alles her? Ich habe doch nichts Besonderes gegessen: rote Paprikaschoten, gefüllt mit Hack, als Beilage Reis, zum Nachtisch Rhabarberkompott. Wahrscheinlich ist es der Rhabarber, Scheißrhabarber, Armeleuteessen. Arme Ritter, Milchreis, Russischbrot, Russischei, Wassereintopf. Unsere Oma isst am liebsten Eingebrocktes, jeden Morgen, seit fünfzig Jahren oder so, da könnte sie sich reinsetzen, sagt sie immer. Eingebrocktes ist in heißem Kaffee aufgelöstes altes Brot. Oma ist morgens immer als Erste wach, Eingebrocktes schlürfen ist für sie die größte Freude überhaupt. Bevor sie sich die heiße Plörre ins Gesicht löffelt, nimmt sie immer das Gebiss raus, wahrscheinlich, weil der Speisebrei so besser die Mundhöhle flutet: Jede einzelne Geschmacksknospe saugt sich voll wie ein Schwamm, mehr Genuss geht nicht. Das Gebiss nimmt Oma natürlich nur raus, wenn sie glaubt, alleine zu sein, sie ist ja nicht bescheuert. Bei Oma schmeckt die Schlagsahne nach Wasser, der Weißwein nach Fisch, und die Bierkrone riecht ein bisschen nach Kotze.
Pftffftfkkkkkkkrrrrrrrräää. Ganz heiß und feucht, ich muss echt aufpassen, das klingt nach den Vorboten von Sturzdurchfall, und den kann man nicht mehr kontrollieren, kein Mensch kann das. Puuuäääääärrrrääää. Jetzt mischt sich in den Mief noch was Verdorbenes. Der Geruch ist kurz davor, endgültig umzukippen, wie Milch, die von einer Sekunde zur anderen sauer wird. Das kann selbst ich bald nicht mehr aushalten.
QUIITTSC HKNNRRR. Ach du Elend. Begleitet von lautem Knarzen und Knörzen, öffnet sich die Tür des Gemeindehauses. Ich drehe mich um und schaue nach oben. Da steht sie, wie aus Stein gemeißelt, hochgewachsen, starr und streng: Frau von Roth, die Frau des Küsters. Sie schaut mich an, ohne eine Miene zu verziehen.
«Guten Tag, Thorsten.»
«Ach, guten Tag, Frau von Roth.»
Es stinkt immer noch bestialisch, aber sie lässt sich nichts anmerken. Eiserne Selbstbeherrschung, Contenance nennt man das in Adelereisen. Frau von Roth entstammt einem verarmten Adelsgeschlecht, Pommern oder Schlesien oder so, und hat diese typische Adelsfresse, den Zug, den irgendwie alle Adligen im Gesicht haben, wahrscheinlich infolge jahrhundertelanger Inzucht. Sie leidet, glaube ich, sehr darunter, dass es bei ihr nur
zur Küstersfrau gelangt hat. Und jetzt so was, das Ende eines langen Abstiegs.
«Du bist ja ziemlich früh dran.»
«Ja, stimmt, tut mir leid.»
Tut mir leid, so was Bescheuertes!
Ihre feinen Gesichtszüge sind erschlafft und von geplatzten Äderchen übersät. Das schwarze Haar ist so schwarz, dass es dunkelviolett schimmert.
Der Gestank will sich einfach nicht verziehen. Wahrscheinlich hängt der Miefkern gerade in Höhe ihres königlichen Gesichts. Frau von Roth würde so etwas nie offen ansprechen, niemals. Aber trotzdem muss sie wie alle anderen auch ihre wahnsinnigen Aggressionen loswerden, und sie hat sich für solche Gelegenheiten ein richtig hartes, strafendes Gesicht antrainiert, ein Kleine-Leute-Hassgesicht. Sie bleibt in der Tür stehen und kostet meine Scham richtig aus. Ich spüre, wie meine Wangen glühen und ich gleichzeitig sauer werde. Tut so, als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch nichts ausgeschieden! Blitzschnell rechne ich hoch, wie viel Kacke Frau von Roth in ihrem bisherigen Leben schon ausgeschissen hat: Fußballfelder. Ganze Strände. Ja, Frau von Roth, mir kannst du nichts vor- machen, ich weiß Bescheid. Bestimmt hat sie irgendwelche verbotenen Leidenschaften. Gerade die besonders Disziplinierten sind in Wahrheit die Allerschlimmsten: Strullerpartys, Schlick- spiele. Moorbäder. Brauner Salon. Luke zwo.
Egal, ich kann's drehen und wenden, wie ich will, etwas Peinlicheres ist mir im Leben noch nicht passiert. Außer vielleicht das eine Mal, als mich meine Mutter beim Wichsen erwischt hat. An sich schon unfassbar peinlich, aber ich habe auch noch den Namen meines Klassenkameraden Andreas gestöhnt. «Andi, o Andi, bitte, bitte», oder so ähnlich. Auch noch schwul, was kommt als Nächstes? Die Geschichte ist schon länger her, aber die Scham bleibt auf ewig konserviert. Wo nimmt sie nur ihre Lebendigkeit her, die Scham? Egal.
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Autoren-Porträt von Heinz Strunk
Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Hamburg geboren. Seit seinem ersten Roman «Fleisch ist mein Gemüse» hat er elf weitere Bücher veröffentlicht. «Der goldene Handschuh» stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm-Raabe-Preis geehrt. Sein Roman «Es ist immer so schön mit dir» war für den Deutschen Buchpreis 2021 nominiert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Heinz Strunk
- 2009, 2. Aufl., 224 Seiten, Masse: 13 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499252244
- ISBN-13: 9783499252242
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