Der Zauberberg
Ein grosser Roman der klassischen Moderne: Ein kurzer Besuch in einem Davoser Sanatorium wird für Hans Castorp zu einem 7-jährigen Aufenthalt. Der beschauliche Schweizer Kurort wird zur Bühne für die europäische Befindlichkeit vor dem Ersten Weltkrieg -...
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Ein grosser Roman der klassischen Moderne: Ein kurzer Besuch in einem Davoser Sanatorium wird für Hans Castorp zu einem 7-jährigen Aufenthalt. Der beschauliche Schweizer Kurort wird zur Bühne für die europäische Befindlichkeit vor dem Ersten Weltkrieg - ein grandioser Spiegel der damaligen Gesellschaft.
Der Band 5 der 'Grossen kommentierten Frankfurter Ausgabe' folgt dem Erstdruck.
Der Zauberberg von Thomas Mann
LESEPROBE
Eineinfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt,nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.
Von Hamburg bis dort hinauf, das ist aber eine weiteReise; zu weit eigentlich im Verhältnis zu einem so kurzen Aufenthalt. Es gehtdurch mehrerer Herren Länder, bergauf und bergab, von der süddeutschenHochebene hinunter zum Gestade des Schwäbischen Meeres und zu Schiff überseine springenden Wellen hin, dahin über Schlünde, die früher für unergründlichgalten.
Von da anverzettelt sich die Reise, die solange grosszügig, in direkten Linien vonstattenging. Es gibt Aufenthalte und Umständlichkeiten. Beim Orte Rorschach, aufschweizerischem Gebiet, vertraut man sich wieder der Eisenbahn, gelangt abervorderhand nur bis Landquart, einer kleinen Alpenstation, wo man den Zug zuwechseln gezwungen ist. Es ist eine Schmalspurbahn, die man nach längeremHerumstehen in windiger und wenig reizvoller Gegend besteigt, und in demAugenblick, wo die kleine, aber offenbar ungewöhnlich zugkräftige Maschinesich in Bewegung setzt, beginnt der eigentlich abenteuerliche Teil der Fahrt,ein jäher und zäher Aufstieg, der nicht enden zu wollen scheint. Denn StationLandquart liegt vergleichsweise noch in mässiger Höhe; jetzt aber geht es aufwilder, drangvoller Felsenstrasse allen Ernstes ins Hochgebirge.
HansCastorp - dies der Name des jungen Mannes - befand sich allein mit seiner krokodilsledernenHandtasche, einem Geschenk seines Onkels und Pflegevaters, Konsul Tienappel,um auch diesen Namen hier gleich zu nennen-, seinem Wintermantel, der an einemHaken schaukelte, und seiner Plaidrolle in einem kleinen grau gepolstertenAbteil; er sass bei niedergelassenem Fenster, und da der Nachmittag sich mehrund mehr verkühlte, so hatte er, Familiensöhnchen und Zärtling, den Kragen seinesmodisch weiten, auf Seide gearbeiteten Sommerüberziehers aufgeschlagen. Nebenihm auf der Bank lag ein broschiertes Buch namens >Ocean steamships<,worin er zu Anfang der Reise bisweilen studiert hatte; jetzt aber lag esvernachlässigt da, indes der hereinstreichende Atem der schwer keuchendenLokomotive seinen Umschlag mit Kohlenpartikeln verunreinigte.
ZweiReisetage entfernen den Menschen - und gar den jungen, im Leben noch wenig festwurzelnden Menschen - seiner Alltagswelt, all dem, was er seine Pflichten,Interessen, Sorgen, Aussichten nannte, viel mehr, als er sich auf derDroschkenfahrt zum Bahnhof wohl träumen liess. Der Raum, der sich drehend undfliehend zwischen ihn und seine Pflanzstätte wälzt, bewährt Kräfte, die mangewöhnlich der Zeit vorbehalten glaubt; von Stunde zu Stunde stellt er innereVeränderungen her, die den von ihr bewirkten sehr ähnlich sind, aber sie ingewisser Weise übertreffen. Gleich ihr erzeugt er Vergessen; er tut es aber, indemer die Person des Menschen aus ihren Beziehungen löst und ihn in einen freienund ursprünglichen Zustand versetzt, -ja, selbst aus dem Pedanten undPfahlbürger macht er im Handumdrehen etwas wie einen Vagabunden. Zeit, sagtman, ist Lethe; aber auch Fernluft ist so ein Trank, und sollte sie weniger gründlichwirken, so tut sie es dafür desto rascher.
Dergleichenerfuhr auch Hans Castorp. Er hatte nicht beabsichtigt, diese Reise sonderlichwichtig zu nehmen, sich innerlich auf sie einzulassen. Seine Meinung vielmehrwar gewesen, sie rasch abzutun, weil sie abgetan werden musste, ganz als derselbezurückzukehren, als der er abgefahren war, und sein Leben genau dort wiederaufzunehmen, wo er es für einen Augenblick hatte liegen lassen müssen. Nochgestern war er völlig in dem gewohnten Gedankenkreise befangen gewesen, hattesich mit dem jüngst Zurückliegenden, seinem Examen, und dem unmittelbarBevorstehenden, seinem Eintritt in die Praxis bei Tunder & Wilms (Schiffswerft,Maschinenfabrik und Kesselschmiede), beschäftigt und über die nächsten dreiWochen mit soviel Ungeduld hinweggeblickt, als seine Gemütsart nur immerzuliess.
Jetzt aberwar ihm doch, als ob die Umstände seine volle Aufmerksamkeit erforderten und alsob es nicht angehe, sie auf die leichte Achsel zu nehmen. DiesesEmporgehobenwerden in Regionen, wo er noch nie geatmet und wo, wie er wusste,völlig ungewohnte, eigentümlich dünne und spärliche Lebensbedingungenherrschten, - es fing an, ihn zu erregen, ihn mit einer gewissen Ängstlichkeitzu erfüllen. Heimat und Ordnung lagen nicht nur weit zurück, sie lagenhauptsächlich klaftertief unter ihm, und noch immer stieg er darüber hinaus.Schwebend zwischen ihnen und dem Unbekannten fragte er sich, wie es ihm dortoben ergehen werde. Vielleicht war es unklug und unzuträglich, dass er, geborenund gewohnt, nur ein paar Meter über dem Meeresspiegel zu atmen, sich plötzlichin diese extremen Gegenden befördern liess, ohne wenigstens einige Tage an einemPlatze von mittlerer Lage verweilt zu haben? Er wünschte, am Ziel zu sein, denneinmal oben, dachte er, würde man leben wie überall und nicht so wie jetzt imKlimmen daran erinnert sein, in welchen unangemessenen Sphären man sich befand.Er sah hinaus: der Zug wand sich gebogen auf schmalem Pass; man sah die vorderenWagen, sah die Maschine, die in ihrer Mühe braune, grüne und schwarzeRauchmassen ausstiess, die verflatterten. Wasser rauschten in der Tiefe zurRechten; links strebten dunkle Fichten zwischen Felsblöcken gegen einensteingrauen Himmel empor. Stockfinstere Tunnel kamen, und wenn es wieder Tag wurde,taten weitläufige Abgründe mit Ortschaften in der Tiefe sich auf. Sie schlossensich, neue Engpässe folgten, mit Schneeresten in ihren Schründen und Spalten.Es gab Aufenthalte an armseligen Bahnhofshäuschen, Kopfstationen, die der Zugin entgegengesetzter Richtung verliess, was verwirrend wirkte, da man nicht mehrwusste, wie man fuhr, und sich der Himmelsgegenden nicht länger entsann.Grossartige Fernblicke in die heilig-phantasmagorisch sich türmende Gipfelweltdes Hochgebirges, in das man hinan- und hineinstrebte, eröffneten sich undgingen dem ehrfürchtigen Auge durch Pfadbiegungen wieder verloren. (...)
© S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1952
- Autor: Thomas Mann
- 2010, 15. Aufl., 1008 Seiten, Masse: 13 x 19,4 cm, Leinen, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3103481284
- ISBN-13: 9783103481280
- Erscheinungsdatum: 15.08.2003
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